Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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21. Kapitel. Der Angriff

Das Leben Annettens wurde in der Tat unerträglich. Seit Herr Pongowski bemerkt hatte, daß Martin Krepecki das junge Mädchen mit lüsternen Blicken anschaute, seit er ihn deshalb aus dem Hause geworfen, waren viele Jahre verflossen. Er sah sie dann aber immer hin und wieder bei Nachbarn oder in der Kirche, und ihre taufrische Schönheit erregte stets aufs neue seine sinnliche Begierde. Nun wohnten beide unter einem Dache – er sah sie täglich und verliebte sich auf seine Weise in sie, das heißt, er liebte sie mit einer so wilden, tierischen Gier, deren eben nur er fähig war. Er war denn auch andern Sinnes geworden. Zuerst war es seine Absicht gewesen, sie zu vergewaltigen, aber nur in dem Falle zu heiraten, daß das gefürchtete Testament vorhanden und sie als alleinige Erbin eingesetzt sei. Jetzt aber war er unter allen Umständen bereit, sie zum Altar zu führen, so sehr entbrannte er von Verlangen, sie für immer zu besitzen. Er sagte sich außerdem mit Recht, eine Siëninska wäre auch ohne Vermögen eine vorteilhafte Partie. Aber selbst wenn seine Vernunft ihm ganz das Entgegengesetzte gesagt hätte, er wäre gegen ihre Stimme taub geblieben, denn es war so weit mit ihm gekommen, daß er sich nicht mehr bezähmen konnte. Seine Lüsternheit raubte ihm den Verstand. Wenn er noch nicht zur Gewalt schritt, so lag der Grund darin, daß selbst bei den wahnsinnigsten Begierden immer noch die Hoffnung lebt, die Geliebte werde sich aus freien Stücken hingeben, weil der Gedanke an erwiderte Liebe doch eben erst die höchsten Wonnen schafft. Krepecki hegte diese wahnwitzige Hoffnung wirklich. Er schwelgte in der Vorstellung des seligen Augenblicks, da das Mädchen ihm lächelnd, mit dem Jawort auf den Lippen, in die Arme sinken würde. Und dann fürchtete er, wenn er alles auf eine Glückskarte setzte, das Spiel schließlich doch zu verlieren. Er fragte sich, was geschehen möchte, wenn er eines Tages, hingerissen von seiner Leidenschaft, die äußerste Kühnheit wagte. Entsetzen ergriff ihn. Ihn graute aber auch vor den überaus strengen Gesetzen, mit denen die Republik die Notzucht bestrafte – raptum puellae, wie es im Gesetzesbuche hieß. Wer einem Mädchen die Ehre raubte, der mußte außerdem darauf rechnen, daß sich tausend Schwerter gegen ihn erheben würden, die Missetat zu rächen. Und dennoch konnte die Stunde kommen, wo es ihm nicht mehr möglich sein würde, gegen seine Begierden anzukämpfen. In seiner wilden Brust erwachte leicht die Lust an Gefahren, und so fand er nun eine gewisse Freude an der Vorstellung, daß man Belczonka belagern würde. Aber gleichzeitig erschien vor seinen Augen in einer fernen Stadt der Umriß eines Galgens und die Gestalt des Henkers, mit dem Beil in der Hand.

Wie drei Wirbelwinde durchtobten ihn so Begierde, Furcht und Kampfeslust. Um das wilde Brausen seines Blutes zu beschwichtigen, überließ er sich inzwischen sinnloser Ausschweifung, ritt seine Pferde zu Tode und suchte Händel mit allen, denen er begegnete. Dabei trank er ohne Maß. Eine Schar von Tagedieben hatte sich um ihn her eingefunden, die er zu gleicher Zeit freihielt und tyrannisierte. Sie konnten ihm aber, sagte er sich, gegebenen Falles von Nutzen sein. Doch sprach er in ihrer Gegenwart niemals den Namen Annettens aus. Eines Tages wagte einer von ihnen, ein gewisser Wysz, eine unflätige Anspielung, da zerfetzte er ihm das Gesicht mit einem Säbelhiebe.

Meistens kehrte er erst bei Tagesgrauen in einem wüsten Galopp, der ihn nüchtern machen sollte, nach Belczonka zurück, warf sich völlig angekleidet auf die Wolfsfelle und schlief fest ein. Wenn er erwachte, legte er seine schönsten Kleider an und gesellte sich zu seinen Schwestern. Er gab sich alle Mühe, dem Fräulein, von dem er kaum einen Blick ließ, zu gefallen, und hätte sich gefreut, wenn sie ihn einmal freundlich angeschaut hätte. Mit den Augen umfaßte er ihre ganze Gestalt wie in einer schmeichelnden Liebkosung. Oft, wenn er allein mit ihr war, schoben seine Kinnladen sich vor, seine ungeheuerlich langen Arme zitterten vor Verlangen, das Mädchen an sich zu reißen, seine Stimme stockte, und seine Worte wurden ein tolles Gemisch von Unterwürfigkeit, Drohung und Gemeinheit.

Annette fürchtete sich vor ihm, wie sie sich vor einem halbzahmen Bären oder Wolf gefürchtet hätte. Sie überwand nur mit Mühe den Abscheu, den er ihr einflößte. Trotz seiner stutzerhaften Kleidung und der Schmucksachen, mit denen er sich herauszuputzen liebte, erschien er ihr mit jedem Tage abstoßender. Die durchschwärmten Nächte, die Trunksucht, die Völlerei und die ungezügelte Sinnenlust drückten seinem Gesicht ihren Stempel auf in der Gestalt von vorzeitigen Runzeln und welker Farbe. Indem seine Wangen einsanken, quollen Augen und Lippen noch mehr hervor, und seine Beine wurden vom vielen Reiten noch krummer. Er wurde mager, und seine Arme nahmen sich nun noch länger aus. Sein Lächeln aber war vor allem widerlich; denn in seinen Augen flackerte dabei eine ungezähmte, tierische Wut.

Das Gefühl ihres Mißgeschicks, ihre Trauer und die Größe ihres Unglücks verliehen Annette Geduld und würdevolle Ergebung. Das imponierte ihrem Peiniger. Sie, die vordem mit ihrem Lachen und Plaudern das ganze Haus erfüllt hatte, lernte jetzt schweigen, und ihre sonst so fröhlich strahlenden Augen sahen starr und düster drein. Und wenn auch ihr Herz vor Angst bebte, so blieb doch ihr Blick ruhig, ihre Haltung gefaßt, und das genügte noch immer, Martin in Schranken zu halten. Er wich dann vor ihr zurück, als fürchtete er, einen Tempelraub zu begehen. Doch dadurch erschien sie ihm nur noch begehrenswerter, obwohl unerreichbar. Sie ahnte, daß ihr von seiner Seite Gefahr drohe, und ging ihm geflissentlich aus dem Wege, vermied es möglichst, mit ihm allein zu sein, und sobald das Gespräch auf Gegenstände kam, die Anlaß zu einer Erklärung hätten geben können, wußte sie es rasch auf andere Dinge zu lenken. Gelegentlich wagte sie es auch anzudeuten, sie sei in Wahrheit nicht so verlassen und schutzlos, wie es den Anschein habe. Bei diesen Gesprächen spielte sie nie auf Jakob an, denn sie war sich klar darüber, daß sie nach dem, was vorgefallen war, ihn in keinem Falle zu ihrer Verteidigung aufrufen könne. Sie begriff auch, daß Martin außer sich geraten würde, wenn sie von Taczewski spräche. Dagegen war es ihr aufgefallen, daß die Krepecki Vater und Sohn den Prälaten fürchteten, und sie ließ nun durchblicken, Tworkowski sei von dem seligen Herrn Pongowski ausdrücklich zu ihrem Schutz bestellt worden und habe von jenem, was ihre Person beträfe, streng vertrauliche Aufträge erhalten. Wenn der Prälat zu Besuch kam, machte es ihm Spaß, diese Meinung auf kluge Weise zu bekräftigen; er gebrauchte geheimnisvolle Redewendungen und zitierte lateinische Sentenzen, deren Sinn gleich Orakelsprüchen zweideutig blieb.

Was aber vor allem von großer Wichtigkeit war, das war die fast abgöttische Verehrung, die die ganze Dienerschaft und alle Bewohner des Dorfs dem gnädigen Fräulein zollten. Für diese waren die Krepecki Eindringlinge, und das Fräulein blieb die Schloßherrin, die rechtmäßige Erbin. Ueberall schlugen dem jungen Mädchen treue, hingebungsvolle Herzen. Martin wußte, daß die Furcht, die er allen einflößte, nur bis zu einer gewissen Grenze wirksam war, jenseits welcher für ihn die Gefahr begann. Er hegte auch den Argwohn, Wilczopolski, der ehemalige Verwalter, der vor ihm den Blick niemals niedergeschlagen hatte, stände irgendwo in der Nähe auf Wache, um sein Leben für Annette zu opfern, sobald sie in Not schwebte. So mußte er denn zugeben, sie stehe in der Tat nicht so allein und hilflos da, wie er gehofft hatte.

»Niemand wird sich ihrer annehmen,« hatte er zu dem Vater gesagt, als dieser ihn an die schweren Strafen erinnerte, mit denen die Republik jeden bedrohte, der sich an einem Weibe verging. Nun sah er ein, daß sich doch Leute genug finden würden, sich ihrer anzunehmen. Das war eine neue Schwierigkeit, aber Hindernisse und Gefahren waren für eine Natur wie die Martins nur ein Ansporn. Er hoffte noch immer, die Liebe des Mädchens zu erringen, wenngleich schon jetzt Augenblicke kamen, wo es ihm sonnenklar war, er werde nimmermehr etwas erreichen. Dann gab er sich toller als je dem Trunk hin, raste und tobte, daß selbst die wildesten unter seinen Kumpanen sich von ihm abwandten, und hätte schon längst dem wilden Tiere in seinem Innern die Zügel schießen lassen, wenn nicht eine leise, aber eindringliche Stimme in ihm immer wieder davor gewarnt hätte. In solchen Momenten, wo das Verlangen nach ihr den Höhepunkt erreichte und er sich doch sagen mußte, er würde sie für immer verlieren, wenn er ihr Gewalt antäte, trank er dann bis zur Bewußtlosigkeit.

Martins Schwestern haßten Annette nicht nur wegen ihrer Jugend und Schönheit, sondern auch wegen der Liebe, die ihr ringsum alle Leute entgegenbrachten, und wegen des Eifers, mit dem der Bruder sie bei jeder Gelegenheit in Schutz nahm. Zuletzt richtete sich ihr unversöhnlicher Haß auch gegen Martin – doch als sie sahen, daß auch nun Annette sich niemals bei ihnen über den Bruder beklagte, peinigten sie sie um so erbitterter. Eines Tages verbrühte Agnes sie, wie aus Unachtsamkeit, mit einem heißen Plätteisen. Als Martin dies aus dem Geschwätz in der Gesindestube erfuhr, erschöpfte er sich in Entschuldigungen. Er beschwor sie, bei ihm Schutz zu suchen, rückte dabei aber so nahe an sie heran und begann ihre Hände zu fassen und mit so ekelhafter Gier zu küssen, daß sie die Flucht ergriff, ohne diesmal ihren tiefen Abscheu verhehlen zu können. Da packte ihn die Wut, und er ließ seinen Groll an Agnes aus, indem er sie so furchtbar schlug, daß sie zwei Tage lang krank darniederlag.

Die Megären (so nannte man die beiden Schwestern in Belczonka) ersannen immer neue Sticheleien, immer neue demütigende Verdächtigungen gegen Fräulein Siëninska. Sie rächten sich an ihr sattsam für die schlechte Behandlung, die sie vom Bruder zu erdulden hatten. Und um auch ihm einen Schabernack zu spielen, warnten sie sie vor ihm, bereiteten sie darauf vor, daß er sich auch einmal an ihr vergreifen würde, beschuldigten sie dabei aber gleichzeitig, sie käme seinen Wünschen entgegen. Wußten sie doch, daß sie ihrem Opfer keine schwerere Kränkung zufügen konnten.

Das Leben mit diesen von Haß erfüllten Menschen, die sich obendrein auch noch untereinander haßten, vergiftete allmählich das Herz Annettens. Sie dachte daran, in einem Kloster Zuflucht zu suchen. Aber sie traute sich nicht, davon zu sprechen, denn sie wußte, ihre Kerkermeister würden dann ihre Wachsamkeit nur verdoppeln, und sie hätte sich in die größte Gefahr gebracht, wenn sie Martins Wut entfesselte. Gram und Angst hatten sich in ihrem Herzen eingenistet und riefen einen Wunsch wach, den sie bisher noch nie gekannt – den Wunsch zu sterben. Jeder Tag goß einen neuen Tropfen in den Kelch der Bitternis. Eines Morgens überraschte Agnes ihren Bruder vor der Tür der Verwaisten, wo er durchs Schlüsselloch guckte. Er schlich hinweg, mit der Faust drohend; aber die Megäre erzählte die Geschichte schleunigst ihrer Schwester. Beide begaben sich unverzüglich zu Annette, die sie beim Ankleiden trafen. Das war eine unvergleichliche Gelegenheit, ihr die giftigsten Schimpfworte ins Gesicht zu schleudern.

»Du wußtest, daß er durchs Schlüsselloch guckte,« fing die ältere an, »denn die Dielen knarren unter seinen Schritten; aber es gefiel dir gerade, dich halbnackt vor ihm sehen zu lassen.«

»Er sollte bei diesem süßen Anblick in Sehnsucht entbrennen, deshalb hat sie ihm auch alle ihre Reize enthüllt,« setzte die jüngere hinzu. »Herrgott, du schamloses Ding, hast du denn gar kein Ehrgefühl mehr?«

»Man sollte dich vor der Kirchtür an den Pranger stellen!«

»Und dich von hier fortjagen, du Sodom und Gomorrha!«

»Pfui, pfui!«

»Wann muß denn die kluge Frau geholt werden?«

»Wie wirst du den Bastard nennen?«

»Pfui Teufel, solch eine Schlampe!«

Und sie spien ihr ins Gesicht. Da aber war das Maß voll. Annette richtete sich empört auf.

»Ich jage euch fort – hinaus mit euch!« rief sie und wies mit ausgestrecktem Arm nach der Tür.

Im selben Augenblick überzog Todesblässe ihr Antlitz. Es wurde ihr schwarz vor den Augen – Nacht war um sie her. Sie hatte das Gefühl, als sänke sie in einen bodenlosen Abgrund, dann verlor sie Empfindung, Gedächtnis und Bewußtsein. Die Berührung eiskalten Wassers brachte sie zu sich. Ihre Kehle und ihre Brust zeigten die Spuren weiblicher Fäuste. Sie erkannte die beiden Schwestern, die sich mit schreckensbleichen Gesichtern über sie beugten. Aber als sie sahen, daß ihr Opfer zum Leben zurückkehrte, dachten sie sofort wieder an nichts anderes, als ihrem Hasse Luft zu schaffen.

»Du kannst dich bei deinem Buhlen beschweren,« sagte Johanna. »O, du hast ja in ihm einen Verteidiger, der für dich durchs Feuer geht.«

»Und diese Ergebenheit wirst du schon zu belohnen wissen.«

Annette biß die Zähne aufeinander und blieb stumm und regungslos.

Doch sie brauchte sich nicht zu beschweren, Martin erriet von selbst, was geschehen war. Einige Stunden später hallte das Geheul der Megären im ganzen Hause wider. Als am folgenden Tage der alte Krepecki ankam, warfen sich Agnes und Johanna ihm zu Füßen und baten ihn flehentlich, er möchte sie doch aus dieser Hölle der Leiden und des Lasters fortnehmen; aber er haßte die beiden älteren ebenso tief, wie er die jüngste zärtlich liebte. Statt Mitleid mit ihnen zu haben, schwang er seinen Stock und machte Miene, ihnen eine neue Züchtigung zu erteilen.

Das einzige Wesen, bei welchem Agnes und Johanna – wenn sie weniger feindselig gewesen wären – Mitleid und sogar Schutz hätten finden können, war eben Fräulein Siëninska. Sie zogen es indessen vor, in Feindschaft mit ihr zu leben, denn ausgenommen die jüngste Tochter, war die ganze Familie der Krepecki nur darauf bedacht, einer dem andern das Dasein zu vergällen. Auch fürchtete Annette sich weit mehr vor Martins Absichten als vor der teuflischen Bosheit seiner Schwestern. Wurde er doch immer dreister. Mit zynischer Hartnäckigkeit stellte er ihr nach, und seine Blicke wurden immer begehrlicher. Man sah es ihm an, daß er sich nicht lange mehr beherrschen könne, daß eine tierische Sinnlichkeit sein ganzes Wesen erschütterte.

Die Stunde kam.

Eines Morgens begab sich Fräulein Siëninska an den Bach, der durch die Wiese floß, um dort an einem abgelegenen, rings von dichtem Grün umschlossenen Fleckchen zu baden. Doch ehe sie sich noch entkleidete, erblickte sie auf dem gegenüberliegenden Ufer durch die Zweige hindurch Martins häßliches Gesicht. Entsetzt ergriff sie die Flucht. Um zu ihr zu gelangen, wollte er über den Bach hinüberspringen, fiel aber dabei ins Wasser und wäre beinahe ertrunken. Bis auf die Haut durchnäßt, kehrte er heim. Vor Wut prügelte er mehrere Diener aufs grausamste, und bei Tische sprach er mit niemand ein Wort. Nach der Mahlzeit wandte er sich an seine Schwestern.

»Laßt mich mit Fräulein Siëninska allein, ich habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen,« sagte er.

Die beiden Megären wechselten einen verständnisinnigen Blick. Annette erblaßte. Noch nie zuvor hatte er in so kategorischer Weise den Wunsch ausgesprochen, mit ihr allein zu sein.

Sobald Johanna und Agnes das Zimmer verlassen hatten, überzeugte sich Martin davon, daß sie nicht hinter der Tür stehenblieben, um zu lauschen, und trat dann auf das junge Mädchen zu.

»Gebt mir Eure Hand zum Zeichen des Friedens,« sprach er.

Sie wich instinktiv zurück. Martin zwang sich zur Ruhe. Dennoch hüpfte er – wie es seine Gewohnheit war – auf seinen krummen Beinen in die Höhe, so sehr erzürnte ihn diese stumme Abweisung.

»Ihr wollt nicht?« sprach er leise. »Und doch wäre ich heute morgen fast ertrunken aus Liebe zu Euch. Verzeiht mir, daß ich Euch so erschreckt habe. Mich trieb dabei keine böse Neugierde. Tolle Hunde streifen durch die Gegend, und ich hatte mich aufgestellt, um ihnen aufzulauern. Das war der einzige Grund, weshalb ich dort stand. Ich hatte auch ein Gewehr im Arme, um Euch zu beschützen, wenn Euch Gefahr gedroht hätte.«

Das junge Mädchen fühlte einen Schwächeanfall nahen, dennoch antwortete sie mit ruhiger Stimme: »Einen Schutz, dessen ich mich zu schämen hätte, mag ich nicht.«

»Und ich möchte Euch verteidigen, über Euch wachen – heute, immer, bis zum Tode, ohne dabei den Himmel zu beleidigen, sondern vielmehr mit des Himmels Segen und Gnade. Versteht Ihr mich nun endlich?«

Es trat Schweigen ein. Durch die offenen Fenster hörte man die regelmäßigen Axtschläge eines Holzhackers, der auf dem Hofe Scheite spaltete.

»Nein, ich verstehe Euch nicht.«

»Weil Ihr nicht wollt. Ihr seht es längst, ich kann nicht mehr ohne Euch leben. Ich brauche Euch, wie jedes Wesen die Luft braucht. Ihr seid mir teurer als alle Güter der Welt. Ich kann nicht mehr. Wenn ich meine Sinne nicht bezwänge, hätte ich dich schon längst gepackt, wie der Sperber die Taube. Du bist für mich der Quell des Lebens, und meine Kehle verschmachtet. Alles in mir zittert, wenn ich dich erblicke. Nein, so geht es nicht länger – dieses Leben ertrage ich nicht mehr. So sieh mich doch an!«

Seine Zähne klapperten wie im Fieber. Er krümmte sich. Seine knochigen Hände umklammerten eine Stuhllehne. Ein Röcheln drang aus seiner Brust.

»Du hast kein Vermögen? Was tut das! Ich habe allein genug! Ich begehre keinen Reichtum – dich will ich haben! Du willst ja doch hier die Herrin sein. Und bin ich etwa weniger als ein Pongowski? Den warst du bereit zu heiraten. Beim Leibe Christi, sage nichts – nicht gleich jetzt – denn ich weiß nicht, was geschehen würde. O, mein Leben, o meine Liebe!«

Und plötzlich lag er zu Annettens Füßen. Er umschlang ihre Knie und drückte sie an die Brust. In diesem entsetzlichen Moment verließ alle Furcht das junge Mädchen. Das Blut eines alten Rittergeschlechts erwachte in ihr, und sie war bereit, bis zum letzten Atemzuge zu kämpfen. Alle Kraft zusammennehmend, schob sie seine von Schweiß bedeckte Stirn von sich weg.

»Nein, nein! ich will nicht!« stieß sie hervor. »Lieber tausendmal sterben!«

Er richtete sich in die Höhe, blaß, mit gesträubtem Haar, von kalter Wut durchbebt. Sein Schnurrbart bebte, und die langen, vorderen Zähne kamen dahinter zum Vorschein. Aber noch immer behielt er die Herrschaft über sich. Als er Annette zur Tür schreiten sah, sprang er vorwärts und vertrat ihr den Weg.

»Ha! So steht's?« röchelte er. »Du willst mich nicht? Sage mir das ins Gesicht! Du willst mich nicht?«

»Nein, ich will Euch nicht! Und laßt Eure Drohungen beiseite. Ich fürchte mich nicht.«

»Ich drohe ja gar nicht – ich bitte ja nur. Willigst du ein, meine Lebensgefährtin zu werden? Beim lebendigen Gott, überlege deine Antwort – überlege es dir!«

»Da ist nichts zu überlegen. Mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin frei geboren, Gott hat mich nicht zur Dienerin geschaffen. Und ich wiederhole Euch ins Gesicht – niemals!«

Er trat ungestüm auf sie zu, und sein Gesicht berührte fast das des jungen Mädchens.

»Statt hier Gebieterin zu sein, willst du also lieber Holz in die Küche schleppen? Auch das nicht? Was dann? Wo ist denn das Besitztum, Prinzessin, auf das du dich begeben willst, wenn du von hier fortgehst? Und wenn du bleibst, wessen Brot willst du hier essen? Von wem willst du abhängig sein? Wem gehört das Bett, in dem du schläfst? Und wenn ich die Türe einreißen lasse, die dich beschützt? Du sagst, du hättest nichts zu überlegen? Noch einmal – überlege es wohl – wähle – die Trauung in der Kirche – oder ohne Kirche!«

»Elender! Schandbube!« schrie Annette ihm ins Gesicht.

Martin stieß ein tierisches Gebrüll aus. Er packte das Mädchen bei den Haaren und schlug wütend auf sie ein. Er schlug und schlug mit viehischer Wollust. Je länger er sich bisher beherrscht hatte, desto blinder wurde nun seine Raserei. Und er hätte sie sicherlich totgeschlagen, wenn ihr Geschrei nicht die Leute herbeigerufen hätte. Dienstpersonal rannte hinzu. Als erster kam der Arbeiter, der im Hofe Holz hackte. Er stieg, mit der Axt in der Hand, zum Fenster herein. Die beiden Schwestern, Agnes und Johanna, folgten. Dann kam der Kellermeister des verstorbenen Herrn Pongowski mit zwei Dienern. Der Kellermeister war aus Masovien und gehörte dem Kleinadel an. Er besaß eine außerordentliche Kraft, packte Martin von hinten bei den Armen und drückte sie so fest zusammen, daß die Ellbogen sich fast berührten.

»Euer Gnaden, das ist nicht erlaubt!« rief er.

»Laß mich los!« brüllte Martin.

Aber es war, als säße er in einem Schraubstock, und eine leise, drohende Stimme flüsterte ihm ins Ohr:

»Nein, Euer Gnaden, verhaltet Euch ruhig, oder ich zerbreche Euch die Knochen.«

Gleichzeitig bemächtigten sich die Megären Annettens und brachten sie in ihr Zimmer. Der Kellermeister wandte sich an Martin: »Pan, geht in Eure Stube. Ruht Euch aus. Glaubt mir, ich gebe Euch da einen guten Rat.«

Er schob ihn vor sich her, als hätte er mit einem Kinde zu tun. Martin knirschte mit den Zähnen, drohte mit Spießruten und Galgen, vermochte aber doch keinen Widerstand zu leisten. Nach diesem Wutanfall verließen ihn die Kräfte, und selbst die Beine versagten ihm den Dienst. Der Kellermeister nahm ihn in die Arme und ließ ihn auf ein Wolfsfell niederfallen. Dort blieb er röchelnd liegen. Seine Seiten hoben und senkten sich wie bei einem abgehetzten Pferde.

»Trinken!« keuchte er.

Der Kellermeister öffnete die Tür, rief einen Diener herbei, flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr und gab ihm die Schlüssel zum Keller. Der Mann kehrte gleich darauf mit einem Krug voll Branntwein und einem Glas, das etwa ein halbes Liter fassen mochte, zurück. Der Masure füllte das Glas bis zum Rande, roch daran, hielt es Martin an die Lippen und sagte: »Trinkt das aus, Pan!«

Mit beiden Händen ergriff Krepecki das Glas, aber die Finger zitterten so stark, daß die Flüssigkeit überlief und ihm Hals und Brust benetzte. Der Kellermeister hob Martin auf, hielt ihm das Gefäß und ließ es ihn bis zum letzten Tropfen leeren. Kraftlos sank der Trinker zurück.

»Wir haben vielleicht zu viel gegeben,« brummte der Masure. »Aber eine Stärkung tat Euer Gnaden not.«

Der andere wollte antworten, aber nur noch ein Aechzen entrang sich seinem Munde. Der Kellermeister bückte sich über ihn und fuhr fort: »Euer Gnaden schuldet mir ein gutes Geschenk, denn ich habe Euch jetzt einen großen Dienst geleistet. Gott bewahre Euch davor, aber das roch auf eine Meile weit nach dem Henker und seinem Beil. Ganz davon zu schweigen, daß es auch schon hier ein Unglück hätte geben können. Die Leute beten das Fräulein an. Ich werde ihnen Schweigen auferlegen. Dennoch könnte das Gerücht von diesem Vorfall leicht dem Prälaten zu Ohren kommen. Wie fühlt Ihr Euch jetzt, Pan?«

Martin starrte ihn offenen Mundes mit ausdruckslosem Blick an. Zweimal stieß er unartikulierte Laute aus. Ein Schlucken erschütterte ihn. Seine Augen drehten sich. Plötzlich schloß er sie und begann wie ein Sterbender zu röcheln. Der Kellermeister betrachtete ihn ein Weilchen.

»Schlafe oder krepiere, räudiger Hund!« murmelte er.

Dann ging er in die Ställe. Aber eine Viertelstunde später kehrte er ins Herrenhaus zurück und klopfte an Annettens Tür.

»Meine Damen,« sprach er zu Martins Schwestern, »ich glaube, Ihr müßt bei Euerm Bruder wachen, er ist sehr krank. Solange er aber schläft, weckt ihn nicht auf.«

Als er allein war mit dem jungen Mädchen, sprach er: »Fräulein, Ihr müßt von hier fliehen, alles ist bereit.«

Sie richtete sich auf ihrem Sitz in die Höhe. – »Gut. Es kann gleich sein. Nur rettet mich!«

»Ihr findet am Waldessaum neben dem Bache einen Wagen mit Pferden. Uebrigens begleite ich Euch selbst dorthin. Nehmt nur das Allernotwendigste mit . . . Kommt. Pan Krepecki ist schwer betrunken und wird vor morgen kein Glied rühren können. Seid ohne Furcht!«

»Gott segne Euch, Gott segne Euch!« wiederholte Annette wie im Fieber.

Sie gingen quer durch den Obstgarten, zu dem Pförtchen, durch das früher Taczewski immer gekommen war. Unterwegs sagte der Kellermeister: »Wilczopolski hatte schon seit langem alles für diesen Fall vorgesehen. Die Bauern waren entschlossen, bei dem geringsten Angriff gegen Eure Person die Speicher in Brand zu stecken. Pan Krepecki wäre dann zu dem Brande gelaufen, und da hättet Ihr Gelegenheit gefunden, das Wäldchen zu erreichen, wo ein Wagen bereitgestanden hätte, wie heute. Mir ist es lieber, es geht ohne Brandstiftung ab. Und ich wiederhole, Pan Krepecki wird nicht so bald aufwachen. Daher werdet Ihr jetzt nicht verfolgt werden.«

»Aber wohin soll ich fahren?«

»Zu Herrn Cypryanowicz. Dort ist ein Obdach Euch gewiß. Ihr findet dort den ehemaligen Verwalter und die Herren Bukojemski. Pan Martin wird alle Hebel in Bewegung setzen, Euch wieder in seine Gewalt zu bekommen. Es wird ihm nicht gelingen. Und wohin Euch Cypryanowicz später bringen wird? Nach Radom oder vielleicht noch weiter weg. Er wird darüber mit Abt Wonowski sprechen und mit dem Prälaten . . . Da sind wir. Noch einmal, für den Augenblick ist keine Verfolgung zu befürchten. Jedlinka ist nicht weit, und es ist ein herrlicher Abend. Verlaßt Euch darauf, ich werde Euch Eure Sachen hinschicken. Möge die Heilige Jungfrau Euch beschützen! Steigt ein!«

Er nahm sie bei diesen Worten in die Arme und setzte sie in den Wagen.

»Vorwärts!« rief er dem Kutscher zu.

An dem vom letzten Dämmerschein rosig gefärbten Himmel blitzten hier und dort die Sterne auf. Tiefes Schweigen lag in der Luft, die der Wohlgeruch des taufrischen Bodens, der jungen Blätter und der blühenden Lilien erfüllte. Und gleich einem warmen Frühlingsregen überflutete der Gesang der Nachtigallen den Obstgarten, die Wälder und die Felder.



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