Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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2. Kapitel. Nimm sie hin!

Das mitten im Walde gelegene Jedlinka war nicht mehr weit. Bald erblickte man das riesige vom Wald umrahmte Viereck, das die verstreuten Häuser bildeten. Etwa zwanzig an der Zahl lagen sie wie schwarze Flecke da, aber ihre schneebedeckten Dächer schimmerten im Mondlicht. Am Rande zogen sich die Wirtschaftsgebäude hin, im Hintergrunde lag das herrschaftliche Wohnhaus. Es war ehedem nur eine Herberge der königlichen Förster gewesen. Cypryanowicz hatte es umgebaut und vergrößert, doch sah es im ganzen noch eben so alt und trist aus wie zuvor.

Aus den erleuchteten Fenstern fiel der Schein in rosigen Strahlen auf den Schnee, auf die Mauern, auf die hohen Schwengel der Brunnen.

Ohne Zweifel erwartete der alte Cypryanowicz, daß sein Sohn ihm diese Gäste zuführen werde, denn kaum hatte der Schlitten die Pforte der Einfriedigung überschritten, so liefen Diener mit Fackeln in den Händen herbei und stellten sich zu beiden Seiten der Freitreppe auf. Dann erschien der Herr des Hauses, bekleidet mit einem Marderpelz. Trotz der Kälte nahm er beim Anblick der Kutsche die Pelzmütze ab.

»Was für huldvolle Gäste bringt uns Gott in unsere Einsamkeit?« fragte er mit einer breiten Geste der Bewillkommnung.

Der junge Mann küßte ehrfurchtsvoll die Hand des Vaters, während Pongowski aus dem Wagen stieg und zeremoniös antwortete: »Längst war es mein Vorhaben, aus freien Stücken die Pflicht zu vollziehen, die mich heut die Notwendigkeit ausführen läßt. Ich segne nichtsdestoweniger den Zwang, der so gut mit meinem Wunsche harmoniert.«

»Auf der Welt gibt's immer wieder Ueberraschungen,« erwiderte Cypryanowicz, »und zwar auch freudige, angenehme, wie jetzt diese hier. Erweist mir die Gunst, unter mein Dach zu treten.«

Mit diesen Worten verneigte sich Pan Seraphin von neuem und bot Frau Winnicka den Arm, indem er seine Gäste einlud, ihm in seine Gemächer zu folgen.

Sobald die Reisenden über die Schwelle getreten waren, empfanden sie auch schon jenes Wohlbehagen, das der Uebergang von eisiger Finsternis in Wärme und Licht zu erwecken pflegt. In den Kaminen der Vorhalle und der sehr großen Räume brannten Holzscheite. Die Diener zündeten Kerzen in verschwenderischer Fülle an.

Pan Pongowski beobachtete verstohlen und nicht ohne Erstaunen. Er hatte bei Edelherren der einfachen Klasse noch nie einen solchen Reichtum gefunden.

Beim vereinten Licht der Leuchter und der Kamine bemerkte man kostbare Truhen und hohe florentinische Lehnstühle, daneben Uhren, venezianische Gläser, Kronleuchter. Auf Brokatstoffen hingen orientalische Waffen, mit Türkisen besetzt. Die Füße traten auf das weiche Gewebe der Krim. An den Wänden des Ehrensaals hingen einander gegenüber zwei prachtvolle Gobelins aus Arras, die einem Adelspalast zur Zierde gereicht hätten.

»Alles das haben sie von der Elle und vom Handel her,« dachte Pan Pongowski neidisch. »Und jetzt können sie die Adeligen von oben herab angucken und sich was einbilden auf diesen Luxus, zu dem ihnen ganz gewiß kein Säbelstreich verholfen hat.«

Aber die Zuvorkommenheit und die freimütige Gastlichkeit der Cypryanowicz verscheuchten bald die Mißlaune des alten Herrn; verriet doch auch das Klirren von Gläsern und silbernem Geschirr im benachbarten Speisezimmer, daß ein reichhaltiges Mahl vorbereitet wurde.

Um die eisige Nässe zu vertreiben, von der die Reisenden durchdrungen waren, reichte man ihnen zuerst einen starkgewürzten Glühwein. Die Zungen lösten sich. Die überwundene Gefahr war der Gegenstand der Gespräche. Pongowski zollte dem jungen Cypryanowicz überschwengliches Lob. Dieser junge Mann sei nicht zu Hause geblieben, wo er sich doch die Füße hätte wärmen können; er sei lieber auf die Straße hinausgeeilt, nicht achtend der Kälte, der Anstrengung, der Gefahren.

»Wahrlich,« schloß er, »so handelten die Helden von ehemals, die Tapfern, welche auszogen, Drachen, Vampire, Wehrwölfe und andere Ungeheuer zu töten.«

»Und wenn es zufälligerweise einem solchen Helden glückte,« fiel der junge Herr von Jedlinka ins Wort, »eine verzauberte Prinzessin zu befreien, dann kann er auch keine größere Freude empfunden haben, als sie in diesem Augenblick unsere Seele erfüllt.«

»Gut gesprochen, so wahr Gott lebt! und keiner von ihnen hatte eine zauberhaftere Prinzessin befreit!« stimmten die vier Brüder Bukojemski begeistert bei.

Und Fräulein Siëninska senkte die Augen und lächelte, wobei sich auf ihren frischen Wangen Grübchen zeigten.

Pan Pongowski hielt jedoch dieses Kompliment für zu chevaleresk. Obwohl Fräulein Siëninska eine Waise war und kein Vermögen hatte, blickte sie nichtsdestoweniger auf eine lange Ahnenreihe zurück, die aus lauter Magnaten bestand.

Um dem Gespräch eine Wendung zu geben, fragte er: »Und seit wann sucht ihr nun die Landstraßen ab?«

»Seit dem großen Schneefall, und wir werden es fortsetzen bis zum Eisgang,« antwortete der junge Stanislaus Cypryanowicz.

»Da habt ihr wohl schon viele Wölfe getötet, nicht wahr?«

»So viele, daß wir alle auf lange hinaus mit Pelzen versehen sind.«

Und die Brüder Bukojemski lachten, wie wenn vier Pferde wieherten. Als sie endlich ihre Heiterkeit beschwichtigten, setzte Jan, der älteste von ihnen, hinzu: »Unser huldreicher König wird mit seinen Förstern zufrieden sein.«

»Meiner Treu, es ist wahr!« stimmte Pongowski bei. »Ich habe mir sagen lassen, der König habe euch zu seinen Forsthütern bestellt. Ich glaubte jedoch, die Bukojemskis stammten aus der Ukraine.«

»Wir sind auch aus der Ukraine.«

»So, so. Ein gutes Geschlecht, die Jelo-Bukojemskis – von ausgezeichneter Abstammung – hat auch Verwandtschaft mit hervorragenden Häusern –«

»Und mit dem Apostel Sankt Petrus,« rief Lukas Bukojemski.

»Ach was?« machte Pan Pongowski.

Mit strengem, mißtrauischem Blick sah er den vier Brüdern scharf ins Gesicht. Wagten sie es, ihn zu verspotten? Aber der heitere, überzeugte Ausdruck ihrer Gesichter beruhigte ihn. Alle nickten fast feierlich mit dem Kopf und bestätigten Lukas' Worte.

»Verwandte des Heiligen Petrus?« wiederholte Pongowski verblüfft. »Aber quo modo, wenn ich bitten darf?«

»Durch die Przegonowskis.«

»So so! Und die Przegonowskis?«

»Durch die Uswiat.«

»Ich verstehe. Und die Uswiats wieder durch andere,« fuhr der alte Herr erheitert fort. »Und so fort ad infinitum bis zur Geburt unsers Heilands Jesus. Das nenne ich Glück; denn wenn es schon etwas heißen will, Verwandte unter den hohen Personen unsers höchst illustren Senats zu haben, wie viel mehr, solche, die im himmlischen Senat sitzen, zu seinen Ahnen zu zählen. Da ist uns jede Promotion, jede Beförderung gewährleistet. Aber auf welche Weise, sagt mir doch, seid ihr aus der Ukraine in unsere Wälder gekommen? Ich habe gehört, ihr habt euch schon vor mehreren Jahren dort festgesetzt.«

»Vor drei Jahren. Gleich im Anfang des Aufruhrs wurden unsere Besitzungen in der Ukraine dem Erdboden gleichgemacht. Nachher wurden auch die Grenzen verschoben. Wir hatten keine Lust, uns mit Tatarenhorden zu vermischen, nicht wahr? Da nahmen wir Dienst in der Armee; sodann verschafften wir uns Lehnsgüter, und schließlich hat der König uns die Aufsicht über diese Wälder übertragen.«

»Wie klein doch die Welt ist!« bemerkte Cypryanowicz. »Die Launen des Schicksals haben uns alle in diese Gegenden geführt. Der ehemalige Stammsitz Euer Liebden,« fuhr er fort, sich an Pongowski wendend, »ist doch auch in der Ukraine gelegen. Wenigstens bin ich . . .«

Pongowski zitterte, als wenn ihm jemand den Finger auf eine Wunde gelegt hätte.

»Dieser Stammsitz,« antwortete er, »ist noch mein eigen. Doch – soll ich es sagen – diese entlegenen Ländereien flößen mir ein Gefühl des Abscheus, des Schreckens ein. Unglücksfälle trafen dort mein Haupt wie Blitzschläge.«

»Des Himmels Wille,« sprach salbungsvoll Cypryanowicz.

»Ohne Zweifel. Und es würde nichts nützen, unsere Gerichte dagegen aufzurufen. Aber hart ist es trotzdem.«

»Euer Liebden haben lange unter unsern Fahnen gedient?«

»Bis zu dem Tage, da ein Säbelhieb mir den linken Arm raubte. Möge unser himmlischer Erlöser mir für jedes Haupt eines Ungläubigen, das ich abgeschlagen habe, eine einzige meiner Sünden erlassen, dann kann ich hoffen, niemals mit der Hölle Bekanntschaft zu machen.«

»Dienen und leiden, das heißt sich seines Vaterlandes würdig erweisen. Doch verbannen wir die traurigen Gedanken!«

»Ich würde sie sehr gern verbannen, doch sie wollen nicht von mir lassen. Doch weg mit diesem Thema! Jetzt bin ich gebrechlich und Vormund dieses Mägdleins, da will ich in Frieden meine Tage verbringen und diese ruhigen Landstriche nicht mehr verlassen, wohin sich keine heidnischen Horden wagen. Wie Euer Gnaden ja auch wissen, komme ich fast gar nicht aus meinen vier Mauern von Belczonka.«

»Das ist auch sehr richtig,« stimmte der alte Cypryanowicz bei. »Die Jugend fühlt sich dort unten hingezogen; diese fernen Bezirke sagen ihrer Abenteuerlust zu. Aber so ruhig sie uns augenblicklich vorkommen, es sind doch unheilbergende, finstere Gegenden, wo ein jeder von uns einen Toten zu beweinen hat.«

Pongowski stützte die Stirn in die Hand und träumte. Dann sprach er in traurigem Tone:

»Wahrhaftig, nur der Bauer und der Magnat können da standhalten. Der Bauer, weil er, sobald die Lawine der Barbaren heranbraust, sich tief in die Wälder flüchten und dort monatelang nach Art der wilden Tiere sein Leben fristen kann; der Magnat, weil seine festen Schlösser ihn beschützen. Ihn beschützen – ach, nicht immer! Die Zolkiewskis sind zugrunde gegangen, die Danilowicz sind zugrunde gegangen; Markus Sobieski, der leibeigene Bruder unseres Königs, ist nicht mehr; man hat einen Wisniowiecki zu Stambul am Kreuze sich winden sehen. Korecki wurde gepfählt; die Kalinowski und vor ihnen die Hubertows und die Jazlowieckis haben den Ungläubigen den Blutzoll bezahlt. Und wie viele von den Siëninski sind schließlich vor dem Feinde gefallen! Ein ungeheurer Leichenzug! Die Opfer alle aufzuzählen, würde bis in den Morgen dauern. Und wenn ich gar dieser langen Martyriologie der Magnaten noch die der einfachen Edelleute hinzufügen wollte, so würde ich in einem Monat nicht damit zu Ende kommen.«

»Beim lebendigen Gott!« rief Cypryanowicz bitter. »Jeder gute Christ hat da wohl das Recht, sich zu wundern, daß der himmlische Vater dieses Gezücht von Tataren und Türken sich in dieser Weise vervielfältigen und ausbreiten läßt. Wenn der Landmann seinen Acker pflügt, hört er auf Schritt und Tritt unter der Pflugschar die Schädel von Ungläubigen krachen. Und der König – um nur ihn zu nennen – wie viele hat er nicht dort unten vernichtet? Mit ihrem Blute könnte sich ein großes Flußbett füllen. Und doch kommen immer wieder welche, immer wieder kommen sie!«

Cypryanowicz übertrieb nicht. Erschöpft von Anarchie, zerrüttet durch das gesetzlose Leben, das allerorten herrschte, konnte die Republik keine Armee mehr stellen, die furchtbar genug gewesen wäre, diese immer wieder auftauchende Geißel endgültig zu vernichten. Auch ganz Europa schien von einer solchen Ohnmacht geschlagen zu sein. Dennoch sah diese selbe Republik, obwohl von Zwistigkeiten erfüllt, ein kriegerisches Geschlecht aus dem Boden erstehen, das fest entschlossen war, sich nicht wehrlos vom Krummsäbel niedermähen zu lassen.

In den entlegenen Gegenden der Ukraine, Podoliens, RotrußlandsDer östliche Teil des heutigen Galiziens., welche von Gräbern übersät, von Blut getränkt waren, strömten denn auch fortwährend neue Scharen zusammen, die nicht nur von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Bodens, sondern auch von eingefleischter Abenteuerlust dorthin gelockt wurden.

Und unaufhaltsam ergoß sich die Flut; masovische Bauern, kampfeslustige Junker, die sich für entehrt gehalten hätten, wenn der Tod sie im Bett überraschte, und endlich auch mächtige Magnaten, die sich nicht damit begnügten, den Feind zurückzuwerfen, wenn er ihre Zitadellen belagerte, sondern bis in die Walachei vordrangen, bis in die Krim, um Beute, Sieg, Tod und Ruhm zu suchen.

Man sagte, es sei den Polen gar nichts daran gelegen, den Krieg mit einem entscheidenden Feldzug zu beenden; sie zögen den Kampf in die Länge, zu dem einzigen Zwecke, länger ihr Vergnügen zu haben. Das entsprach ohne Zweifel nicht der Wahrheit. Ebenso mutig wie aufrührerisch, gefiel es doch immerhin der ganzen Nation, ein stürmisches Leben zu führen.

Der eindringende Feind mußte seine Kühnheit oft blutig bezahlen. Aber die Ländereien der Dobrutscha und um Belgrad herum vermochten ebensowenig wie das unfruchtbare, weithin von Schilfrohr bestandene Gebiet der Krim ihre wilden Einwohner zu nähren, und so trieb sie der Hunger nach den fetten Gegenden jenseits der Grenze, wo reiche Beute, aber auch der Tod zu holen war.

Die schreckliche Glut von Feuersbränden beleuchtete oft Siege und Niederlagen, derengleichen es in der Geschichte keines andern Volkes gibt. Oft zermalmten ein paar abgesandte Regimenter zehnfach zahlreichere Horden. Für die tatarischen Banden war die Hauptsache Schnelligkeit der Bewegungen im Einfall wie im Rückzug denn jeder Zusammenstoß mit einer regulären Miliz im Dienste der Republik wurde ihnen verhängnisvoll.

Bisweilen geschah es, daß von allen Rittern einer Expedition nicht einer in die Krim heimkehrte. Schrecklich klangen in den Ohren der Ungläubigen die Namen von Pretwicc wie z zu sprechen. und von Chmelnicki, und fast jeder einzelne bewahrte im Gedächtnis, in blutigen Letter eingezeichnet, das Andenken an Wolodyjowski, an Pelka, an den älteren Ruszyc – Helden, die nun schon seit zwanzig Jahren im Grabe von ihren Lorbeeren ausruhten.

Und doch hatte unter all diesen berühmten Kriegern kein einziger den Söhnen des Islam so viel Blut abgezapft wie der neue König Johann III. Sobieski.

Unter den Mauern von Podhajce, Kalusz, Chocim und Lemberg bleichten die unbeerdigten Gebeine von Ungläubigen und ließen den Boden wie ein Schneefeld erscheinen. Die Horden waren demoralisiert, die Steppe atmete auf, und als im unersättlichen Eroberungsdurst die Türkei sich einer neuen, leichteren Beute zugewandt hatte, atmete auch die erschöpfte Republik wieder auf.

Aber die schmerzlichen Erinnerungen blieben wach. Dort unten in der Ukraine erhob sich auf dem Gipfel eines Hügels ein Kreuz, in dessen Holz zwei Lanzen gesteckt waren. Mehr als zwanzig Jahre waren seit dem Tage verflossen, da Pongowski dieses Mal über den Trümmern seines niedergebrannten Stammsitzes errichtet hatte.

Und jedesmal, wenn er an dieses Kreuz dachte, an die Leichen, die unter diesen Ruinen bestattet waren, krampfte sich sein altes Herz zusammen.

Hart gegen sich selbst wie gegen andere, schämte er sich der Tränen, die er nur mit vieler Mühe zurückdrängen konnte. Der Wunsch, Mitleid zu erregen, war ihm fremd, und so schnitt er kurz den Bericht seines Unglücks ab und fragte seinen Wirt nach dessen Schicksalen, und ob das Leben, das er mitten in den Wäldern führte, ihm behagte?

Cypryanowicz antwortete ernst:

»Wenn der Sturm nicht im Forst heult und die Wölfe Ruhe halten, kann man eine Schneeflocke fallen hören. Die Stille, ein gutes Feuer im Kamin, ein Krug heißen Weines zum Abend – was braucht man mehr im Alter?«

»Zugegeben. Doch genügt das auch Euerm Sohn?«

»Früher oder später wird der junge Falk den Horst verlassen. Uebrigens geht das undeutliche Gerücht um, ein neuer Krieg werde binnen kurzem wider den Islam anheben.«

»Alle Wetter! Zu einem solchen Kriege werden auch gern alte Falken, wie ich, die Schwingen noch einmal ausbreiten. O, wie leicht und behend wollte ich mich dem Fluge der Jungen anschließen, wäre ich nur nicht – seht her!«

Und Pongowski bewegte den leeren Aermel.

Cypryanowicz füllte ihm schweigend das Glas mit Ungarwein.

»Auf den Erfolg der christlichen Waffen!«

»Gott erhöre Euch! Laßt uns das Glas auf einen Zug leeren!«

Stanislaus seinerseits machte sich um die beiden Damen zu schaffen; dann bediente er die vier Brüder Bukojemski. Frau Winnicka und die junge Siëninska nippten kaum von dem Goldlikör.

Die Bukojemski ließen sich dagegen nicht nötigen. Bald erschien ihnen die Welt wie ein Garten voll Glückseligkeit, und Fräulein Siëninska als das herrlichste Geschöpf dieser Welt. Kein Ausdruck schien ihnen angemessen, ihr Entzücken zu bezeichnen, die Brüder begnügten sich daher, bewundernde Blicke auszutauschen, seufzten wie die Blasebälge und stießen einander mit dem Ellbogen an.

Endlich erklärte Johannes, der älteste: »Es nimmt mich nicht mehr Wunder, edles Fräulein, daß die Wölfe nach so köstlichen, auserlesenen Reizen lüstern waren. Die wildesten Tiere wissen zu beurteilen, was ein Leckerbissen ist.«

Darauf schlugen die drei jüngeren Matthäus, Markus und Lukas sich mit der hohlen Hand auf die Schenkel.

»Ins Schwarze getroffen!«

»Ein Leckerbissen – richtig!«

»Eine Delikatesse!«

Fräulein Siëninska faltete die Hände und nahm einen launischen Ausdruck des Schreckens an, wobei sie sich an den jungen Cypryanowicz wandte: »Schützet mich, ich bitte Euch! Denn ich sehe, diese Herren haben mich den Zähnen der Wölfe nur entrissen, um selber ungestört mich verschlingen zu können.«

»Gnädiges Fräulein,« sagte Stanislaus lebhaft, »mein Freund Jan Bukojemski sagte eben, daß er es den Wölfen nachfühlen könne – und ich, ich kann es meinem Freunde Jan Bukojemski nachfühlen.«

»Herr mein Gott! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Psalm herzusagen: In manus tuas, domine!«In deine Hände, Herr!

Aber die fromme Frau Winnicka unterbrach sie streng: »Treibe keinen Spott mit heiligen Dingen, mein Kind!«

»Aber seht Ihr nicht, Tante, wir laufen große Gefahr, alle beide mit Haut und Haaren gefressen zu werden! Meine Herren, gesteht es nur aufrichtig ein, nicht wahr?«

Die Frage blieb jedoch unbeantwortet. Doch wenn die Lippen schwiegen, so sagten die Blicke der vier Brüder deutlich, daß sie keine große Lust verspürten, sich an dieses zweite Opfer heranzumachen.

Endlich bemerkte Lukas, der an Schalkhaftigkeit und schlagfertigem Witz seinen Brüdern überlegen war: »Jan muß für uns sprechen, er ist der Aelteste von uns.«

Johannes schien nachzudenken, dann sprach er ausweichend: »Keiner von uns weiß, was der morgige Tag ihm bescheren wird.«

»Sehr weise Worte!« stimmte Stanislaus bei. »Aber warum jetzt an Morgen denken?«

»Warum? Wißt Ihr denn nicht, daß die Liebe tausendmal gefährlicher ist als die Wölfe? Wir können wohl über hundert Wölfe totschlagen – aber niemals können wir die Liebe totschlagen.«

»Ganz gewiß nicht. Aber das ist ja nun wieder etwas ganz anderes.«

»Das tut nichts, wenn man den betreffenden Punkt nur geistvoll darstellt.«

Fräulein Siëninska legte rasch die Finger an die Lippen, um ein Lachen zu unterdrücken. Aber schon teilte ihre Lustigkeit sich Stanislaus mit, und dann den vier Brüdern. Die Unterhaltung wollte noch lebhafter werden, als eine Dienerin auf der Schwelle erschien und meldete, das Abendessen sei aufgetragen.

Cypryanowicz, der Vater, bot Frau Winnicka den Arm, Pongowski ging allein, Stanislaus folgte mit Fräulein Siëninska, und die vier Brüder bildeten den Schluß.

Lachend sagte das junge Mädchen zu ihrem Kavalier: »Es ist wirklich schwierig, mit Herrn Jan Bukojemski zu disputieren.«

»Ja, weil seine Argumente wie störrische Pferde sind; das eine zieht hott, das andere hü. Trotzdem hat er aber doch zwei unleugbare Wahrheiten vorgebracht.«

»Welches wäre die erste?«

»Daß man niemals voraussehen kann, was einem am nächsten Tage widerfahren wird. So habe ich zum Beispiel gestern noch nicht geahnt, daß meinen Augen heute die Freude beschieden sein werde, Euch zu betrachten.«

»Und welches wäre die zweite?«

»Daß es tausendmal leichter ist, einen Wolf zu töten, als die Liebe zu unterdrücken.«

Und der junge Cypryanowicz begann zu seufzen, während Fräulein Siëninska plötzlich schwieg und die Augen niederschlug.

Doch bei Tische fand sie ihre fröhliche Anmut wieder.

»Meine Herren,« fragte sie, »werdet ihr uns nicht auch einmal in Belczonka besuchen! Recht bald, ja? Mein Vormund wird sich sehr freuen, Euch seine Dankbarkeit zu bezeigen sowohl für eure tapfere Hilfeleistung, als auch für eure so herzliche Gastfreundschaft.«

Der würzige Wohlgeruch der Speisen schien allmählich die düstere Stimmung des Herrn Pongowski zu verscheuchen. Und als der Herr des Hauses nach einer schwungvollen Ansprache sein Glas geleert hatte, zuerst auf die Gesundheit der Damen und dann auf die seines »illustren Gastes« – da wandte der alte Adelsherr sich seinerseits an den AmphitryonNach einem Molière'schen Lustspiel typische Bezeichnung für einen gastfreien Wirt. und dankte dann seinen Befreiern, daß sie ihn aus einer sehr mißlichen Lage erlöst hätten. Er würde ihnen dafür in Ewigkeit erkenntlich bleiben.

Dann unterhielt man sich von öffentlichen Dingen, vom König, von seinen Siegen, von dem auf Ende April einberufenen Reichstag, von dem Kriege, mit dem der Padischah den Kaiser bedrohte und den Hieronymus Lubomirski, der Ordensritter von Malta, vorhergesehen, denn deshalb allein warb er im ganzen Gebiet der Republik Freiwillige.

Die Brüder Bukojemski spitzten die Ohren. Die Kaiserlichen – das hörten sie mit Freuden – empfingen jeden Polen mit offenen Armen, und mit Recht, hatten sie doch vor den deutschen Reitern keinen Respekt, während die polnische Kavallerie ihnen Schrecken einflößte.

Darauf sprach Pongowski ein wenig abfällig über den allzugroßen Stolz des Ritters Lubomirski, welcher, wenn er von den Grafen und Baronen des Kaiserreichs sprach, zu sagen pflegte: »Ich stecke zehn davon in jeden meiner Handschuhe.« Dabei aber lobte er über die Maßen seine Heldentaten, seinen Mut, seine militärischen Kenntnisse.

Plötzlich erklärte Lukas Bukojemski in seinem und seiner Brüder Namen: »Sobald der Frühling kommt, werden wir alle vier uns zu dem Banner des Ritters Lubomirski gesellen. Jetzt, solange noch der strenge Frost anhält, müssen wir den Wölfen nachstellen, um die Unbill zu rächen, die sie Fräulein Siëninska zugefügt haben. Jan, der Aelteste von uns, hatte gut reden, als er uns versicherte, er könne den Wölfen die Zudringlichkeit nicht verübeln. Wenn ich bei mir denke, daß diese liebliche Taube ihnen beinahe zur Beute gefallen, dann ergreift mich der Zorn, das Mitleid treibt mir Tränen in die Augen. Und dabei sind die Felle dieser Ungetüme so sehr im Preise gesunken. Die Juden wollen für ihrer drei nicht einmal mehr einen elenden Taler geben. Doch laßt es gut sein! Ich kann vor Schluchzen nicht mehr sprechen. Beim lebendigen Gott! Wen von uns der Anblick der Unschuld und der mißhandelten Tugend nicht mehr rühren sollte, den nenne ich einen Barbaren – barbarus, sage ich – welcher es nicht mehr verdient, ein Adliger und ein Ritter genannt zu werden!«

Er sprach's, und Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Sogleich teilte seine Rührung sich den Brüdern mit; denn obwohl die Wölfe nur die Person des Fräuleins Siëninska angegriffen hatten, keineswegs aber ihre Tugend, so wirkte die Beredsamkeit des Lukas doch so ergreifend auf sie, daß ihnen das Herz wie Wachs zerschmolz.

Nach dem Abendessen wollten sie, um ihre Gefühle besser zum Ausdruck zu bringen, zur Ehre der Schönen eine Salve von Pistolenschüssen abfeuern.

Aber Cypryanowicz, der Vater, verbot es ihnen. Er hatte einen Kranken im Hause, einen seiner Waldhüter, einen Mann, den er sehr hochschätzte und dessen Ruhe nicht gestört werden dürfe.

»Ohne Zweifel ein armer Verwandter,« dachte Pongowski, »oder vielleicht einer jener Junker, die ihr Dienstverhältnis noch immer mit den Lumpen ihres Stolzes behängen.«

Dennoch glaubte er sich aus Höflichkeit nach dem Befinden des Kranken erkundigen zu sollen. Und als er erfuhr, es handle sich um einen einfachen Diener, um einen Bauern, konnte er nicht umhin, leicht mit den Achseln zu zucken. Dann sagte er im Tone hochmütiger Nachsicht:

»Ach ja, ich vergaß, was man sich von Eurer großen Menschenfreundlichkeit erzählt!«

»Möge es Gott gefallen,« versetzte Seraphin, »daß mich niemals schwererer Tadel träfe! Ich verdanke diesem braven Manne viel. Und jeder einzelne von euch, meine Herren, könnte noch sein Schuldner werden, denn niemand versteht besser als er die heilenden Eigenschaften der Pflanzen nutzbar zu machen.«

»Sonderbar! Wenn er andere heilen kann, warum fängt er nicht mit sich selbst an? Aber da fällt mir ein, schickt ihn doch mal zu Frau Winnicka, meiner hier anwesenden Base, die ist auch sehr erfahren in der Kunst, Salben und Balsame anzufertigen, Elixiere und Wundmittel. Zu zweit werden sie ihre Patienten noch schneller in eine bessere Welt expedieren. Nachdem ich dies gesagt, gestattet mir, der wohlverdienten Ruhe zu genießen. Die Mühseligkeiten des Weges haben mich zerrüttet, und Euer Wein erregt aufs merkwürdigste meinen Geist. Vielleicht geht es den Herren Bukojemski ebenso.«

Die vier Brüder machten in der Tat sanfte, verschwommene Augen und lächelten glückselig. Schwankend folgten sie Stanislaus, der sie in das Gesindehaus führte. Dort war ein Schlafgemach für sie hergerichtet worden, so daß die Gastzimmer des Herrenhauses den Damen allein überlassen blieben. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Sie wunderten sich, daß der Mond auf dem Dach der benachbarten Scheune saß und sie verspottete, statt, wie es sich gehörte, seines Weges am Himmelszelt ruhig weiterzuziehen.

Als sie in ihrem Zimmer waren, fühlten sie sich bewogen, den Liebreiz des Fräuleins Siëninska aufs neue zu preisen. Und da auch der junge Cypryanowicz keineswegs an Schlaf zu denken schien, so wurde ein Krug voll Met auf den Tisch gestellt. Alle fünf setzten sich nun im Halbkreis um den Kamin, wo der rote Schein der Kienscheite sie beleuchtete. Sie begannen zu trinken, zuerst schweigend, so daß man die Grillen in den Spalten der alten Dielen singen hörte. Endlich hob sich Johannes', des Aeltesten, Brust, in einem gewaltigen Seufzer, den er mit solcher Kraft ausstieß, daß die Flammen im Herde zitterten.

»O, Jesus,« stöhnte er, »meine vielgeliebten Brüder, beweint mein trauriges Los, denn ihr seht mich in der schmerzlichsten, in der äußersten Not.«

»So sprich. Verbirg uns nichts.«

»Ich liebe – o, ich liebe so sehr, daß es fast über meine Kräfte geht.«

»Und ich erst!« rief Lukas.

»Und ich,« erklärte Markus, »glaubst du, ich sei in einer weniger bedauernswerten Lage?«

»Und ich,« fügte Matthäus bei, als wehmütiges Echo.

Johannes öffnete den Mund, aber seine Stimme verfing sich in schrecklichem Geschluchze. Staunen erweiterte ihm die Augen. Er begann seine Brüder anzustarren, als wenn er sie zum ersten Male sähe. Dann riß der Zorn ihn hin.

»Was, ihr schlechten Söhne!« rief er. »Ihr wagt es, mir in den Weg zu treten? Mir, dem Aeltesten von euch? Ihr treibt die Frechheit soweit, mir mein Glück streitig zu machen?«

»Alles gut und schön,« protestierte Lukas, »aber stellt Fräulein Siëninska vielleicht ein Majorat dar? Erstreckt sich das Vorrecht des Aeltesten auch auf ihre Person? Wir sind alle vier von einem Vater und von einer Mutter. Uns schlechte Söhne schelten, heißt das Andenken unserer Eltern schmähen. Jeder von uns hat das Recht zu lieben.«

»Jeder hat das Recht zu lieben – außer euch, meine Kleinen – ihr schuldet mir Gehorsam und Unterwürfigkeit – obedientiam.«

»Ei freilich! Sollten wir etwa unser ganzes Leben lang einem Esel gehorchen müssen?«

»Schweig! Du lästerst wie ein gemeiner Heide.«

»Zupf dich an der eigenen Nase! Hat es Jakob nicht dem Esau zuvorgetan? Und wie war es mit Joseph, dem elften dem Alter nach? Willst du dir anmaßen, die Heilige Schrift zu korrigieren?«

Johannes wurde verwirrt. Unter dem Gewicht dieser Beweisgründe vermochte er seine Gedanken nicht mehr zu ordnen. Und als Matthäus gar auf Kain anspielte, der auch auf seine Erstgeburt gepocht hätte, da verließ ihn alle Kaltblütigkeit.

Der Zorn gärte in ihm. Mit unwillkürlicher Handbewegung suchte er seinen Säbel, der übrigens gar nicht in seinem Gürtel steckte.

Gott weiß, wohin ihr Grimm sie geführt hätte, wenn nicht Markus, der bis jetzt in tiefen Gedanken dagesessen, plötzlich mit Stentorstimme ausgerufen hätte: »Ich bin der Jüngste! Ich bin Jakob und Joseph. Mir allein gehört infolgedessen Fräulein Siëninska zu.«

Es fehlte nicht viel, so wären seine drei Brüder mit funkelnden Augen über ihn hergefallen.

»He? Was sagst du da? Sie gehöre dir zu, dir, einem Gelbschnabel, einem blöden Tropf, einem Weinschlauch, einem Hansnarren? Dir? Dir?«

»Genug – mir gehört sie zu. So steht es geschrieben!«

»Geschrieben? Wo denn, du Trunkenbold?«

»Wo? das ist einerlei. Aber geschrieben steht es! Und Trunkenbolde seid vielmehr ihr! Ihr könnt ja kaum noch geradestehen. Es ist geschrieben, sage ich euch.«

Stanislaus Cypryanowicz legte sich ins Mittel.

»Schämt ihr euch nicht, ihr Herren, euch so zu zanken, noch dazu als Brüder? Das ist eine nette Bruderliebe, das muß ich sagen. Und weshalb, großer Gott? Ist denn Fräulein Siëninska etwa ein Champignon, den der erste beste auflesen und in die Tasche stecken kann? Was macht ihr aus der Familienliebe? Muß man euch die Pelikane zum Beispiel hinstellen, welche doch weder Edelleute noch Christen sind. Eure Eltern im Himmel werden sich entsetzen, wenn sie euch sehen, das paradiesische Manna wird ihnen nicht mehr schmecken und sie werden nicht mehr den Blick zu den vier glorreichen Evangelisten zu erheben wagen, deren Namen ihr tragt.«

So sprach Stanislaus Cypryanowicz; zuerst lachte er selbst darüber, daß er sich also predigen hörte; dann ergriff es ihn wider Willen, denn er wurde immer zärtlich, wenn er getrunken hatte.

Die Brüder Bukojemski zerflossen in Tränen, und Johannes, der älteste, rief: »Beim heiligen Namen des Herrn, tötet mich, aber nennt mich nicht Kain!«

Da fiel ihm Matthäus, der ihn mit dem Mörder Abels verglichen hatte, um den Hals.

»Bruder!« stammelte er, »ich verdiene zum Tode verurteilt zu werden.«

»Vergib mir, oder ich sterbe vor Scham!« rief Lukas.

Und Markus schlug sich an die Brust.

»Ich habe wie ein gemeiner Hund gegen Gottes Gebote gebelfert!«

Und sie weinten alle und küßten sich.

Endlich rissen sie sich aus den brüderlichen Umarmungen, und Johannes ließ sich auf eine Bank fallen. Er löste die Schnüre seines Rockes, breitete das Hemd auseinander, entblößte die Brust und sprach mit von Schluchzen erschütterter Stimme: »Da! – wie der Pelikan, von dem ihr eben sprachet . . . Und nähret euch von meinem Blute!«

Die andern antworteten mit dumpfen Rufen und Seufzern.

»Ja, wie der Pelikan – ein wirklicher Pelikan – und Gott vergebe uns!«

»Brüder – euch das Fräulein Siëninska!« schluchzte Johannes.

»Nein, nimm du sie, sie gehört dir zu.«

»Nicht mir, euch, euch jüngeren!«

»Niemals werden wir dieses Opfer annehmen.«

»Nun, dann zum Kuckuck mit der Schönen!«

»Ja, zum Kuckuck mit ihr!«

»Wir wollen sie nicht mehr, wir verzichten!«

Plötzlich klatschte sich Lukas mit den Händen auf die Schenkel. Die ganze Stube zitterte.

»Ich weiß einen Ausweg!« schrie er.

»Was für einen? Sprich!«

»Hört mich an! Cypryanowicz soll sie nehmen . . .«

Der Einfall des Lukas entzückte die Brüder. Mit einem Satz waren sie auf den Füßen und umringten ihren Freund.

»Ja, ja, nimm du sie, Stach!«

»Das ist die einzige Weise, die Einigkeit zwischen uns herzustellen.«

»Nimm sie – aus Freundschaft zu uns!«

»Tu es – sei es auch nur, um unser brüderliches Einvernehmen zu besiegeln!«

»Und möchte Gott der Herr euch beide mit Wohltaten überhäufen,« sprach Johannes feierlich, die Augen gen Himmel erhebend, und breitete wie segnend die Arme aus.

»Bei den Wunden Christi, was schwatzt ihr da?« protestierte der junge Mann, ganz rot vor Aufregung.

Und tief in der Brust fühlte er sein Herz erbeben.

Seit zwei Jahren war er nicht aus der Waldeinsamkeit herausgekommen und konnte sich gar nicht erinnern, jemals einer so strahlenden Erscheinung begegnet zu sein. Ehemals in Brezany, wohin ihn, als er fast noch Kind war, sein Vater geschickt hatte, damit er gute Manieren erlerne, hatten ihm liebliche Gesichtchen zugelächelt. Aber die Zeit hatte seitdem diese Eindrücke in seinem Gedächtnis verwischt. Und nun erblickte er in diesen Wäldern eine auserlesene, seltene Blume, und man rief ihm zu: »Pflücke sie.«

»Bei den Wunden Christi!« wiederholte er. »Wer unter uns darf die Augen zu ihr erheben?«

Mit der Dickköpfigkeit von Betrunkenen wollten die Bukojemski gar kein Hindernis anerkennen.

»Nimm sie nur!« drang Lukas in ihn. »Wir sind dir nicht böse, wir sind nicht eifersüchtig. Nimm sie nur, sage ich dir. Wir sollten uns ja übrigens alle vier zum Militär stellen. Ach, wir haben genug von diesem elenden Beruf, königliche Wälder zu bewachen. Dreißig Taler fürs ganze Jahr! Dafür kann man sich nicht mal was zu trinken kaufen. Und daß man sich gar hübsch ausstaffieren könnte, davon ist erst gar nicht zu reden. Wir haben schon unsere Reitpferde verkaufen müssen, und wenn wir nun Wölfe jagen, müssen wir uns von dir welche borgen. Ach, das Leben geht hart um mit den Waisen. Da ist es besser, in der Schlacht die Haut zu Markte zu tragen. Nimm das Fräulein – nimm es, sage ich dir, wenn du noch ein Atom Freundschaft für uns hegst!«

»Ja, nimm sie!« setzte Johannes hinzu. »Wir andern, wir gehen nach Oesterreich, zu Lubomirski. Wir reichen den guten Kaiserlichen die Hände und fallen mit ihnen über die Heiden her!«

»Nimm sie, zaudere nicht!«

»Und gleich morgen in die Kirche!«

Cypryanowicz war plötzlich nüchtern geworden und sammelte die Gedanken.

»Freunde,« sagte er, »kommt doch zu euch! Ueberlegt doch, ich bitte euch! Kommt es denn bei all diesen schönen Projekten bloß auf euern und meinen guten Willen an? Hat das junge Mädchen selbst, hat Pan Pongowski gar nichts zu sagen? Ein so stolzer, so unfreundlicher Mann? Selbst zugegeben, Fräulein Siëninska könnte mich gut leiden, würde ihr Vormund sie nicht lieber alte Jungfer werden lassen, als sie mit einem armen Schlucker von unserer Sorte verheiraten?«

»Halt,« rief Johannes. »Ist Pan Pongowski etwa Kastellan von Krakau oder Großhetman der Krone? Wenn es uns gefällt, dich seinem Mündel würdig zu erachten, dann rate ich ihm, kein saures Gesicht dazu zu ziehen. Was? wären die Bukojemski ihm etwa zu kleine Leute? Er ist ein alter Kerl, der schon mit einem Fuß im Grabe steht. Der heilige Petrus könnte ihm vielleicht die Finger in der Pforte des Paradieses einklemmen. Er möge sich in acht nehmen! Wir brauchten nur ein Wort zum heiligen Petrus zu sprechen, so würde er für seine Vettern Partei ergreifen und diesen schlecht beratenen Herrn also zurechtweisen: ›Ha, du Sohn eines Hundes, du hast mein Blut gering geachtet. Geh zum Teufel!‹ – Solche Worte würde der Alte dort oben hören. Aber wir selbst lassen uns, solange er lebt, nicht von ihm demütigen. Was! sollte er es wagen, uns als Bauern zu behandeln, weil das Glück uns den Rücken gekehrt hat? Ist das der Lohn dafür, daß wir dem Vaterland dienen und unser Blut opfern? O, meine Brüder, Leibeigene des guten Gottes, wir haben schon viele Schmähungen auf dieser Welt erlitten, doch noch nie eine so blutige!«

»Das ist wahr!« brüllten zugleich Lukas, Markus und Matthäus.

Und von neuem rannen ihnen Tränen übers Gesicht.

Doch als diese getrocknet waren, begannen sie in Empörung zu geraten, denn es schien ihnen unmöglich, eine solche Kränkung ungerächt hinzunehmen.

Markus, der aufbrausendste unter ihnen, rief: »Wir können ihn aber nicht auf Säbel fordern – einen Greis, obendrein einen Einarm! Dennoch verdient sein Hochmut Züchtigung. Wie sollen wir ihn bestrafen? Sinnt auf ein Mittel!«

»Meine Füße sind im Schnee zu Eis geworden,« ächzte Lukas, »und jetzt brennen sie wie Feuer. Wenn ich darunter nicht sehr litte, würde ich gleich Rat wissen.«

»Bei mir brennen nicht die Füße, sondern der Kopf.«

»Ach was! Wollt ihr mir sagen, wie man antworten muß?«

»Antworten? Wem denn?« fragte Cypryanowicz dazwischen.

»Donnerwetter, dem Pongowski!«

»Und worauf sollen wir ihm antworten?«

»Wie? – na, auf die – auf das –«

Und die Brüder Bukojemski tauschten verblüffte Blicke aus und wandten sich plötzlich an Markus.

»Na, Schwerenot, was willst du denn überhaupt von uns?«

»Verdammt! danach habe ich euch zu fragen!«

»Genug!« entschied Cypryanowicz. »Die Sitzung wird auf morgen vertagt. Der Kamin brennt aus. Es hat längst Mitternacht geschlagen. Unsere Betten erwarten uns, und nach einem Tag in Sturm und Schnee haben wir die Ruhe ehrlich verdient.«

Im tiefen Ofen erlosch tatsächlich die Flamme; Finsternis erfüllte allmählich das Zimmer. Daher lehnten die Brüder Bukojemski sich nicht gegen diesen Rat auf. Noch ein paar Augenblicke schleppte die Unterhaltung sich hin. Dann hörte man nur noch die leise gesprochenen Abendgebete, die hin und wieder von Seufzern unterbrochen wurden.

Die schwarz gewordenen Holzscheite waren von Asche überzogen; von Zeit zu Zeit brach ein verbranntes Stück krachend zusammen. Die Grillen begannen wieder ihren Gesang.

In der Dunkelheit hallte der Fußboden wider von dem Lärm der hingeschleuderten Stiefel. Ein kurzes Schweigen, und die vier Schlingel schnarchten fürchterlich.

Nur der junge Cypryanowicz war noch wach. Wie ein Schwarm Bienen um eine Blume, kreisten seine Gedanken summend um Fräulein Siëninska.

Er schloß die Lider, in der Hoffnung einzuschlafen. Vergebliche Mühe.

»Ich will lieber gehen und schauen, ob in ihrem Fenster noch Licht ist,« dachte er.

Er ging hinaus.

Aber das Fenster des Fräuleins Siëninska war nur noch vom Mondlicht erhellt.

»Weißt du wohl, man hat uns zusammengegeben,« murmelte Stanislaus.



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