Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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5. Kapitel. Die Herausforderung

Der Zufall oder vielleicht auch ein Schabernack des jungen Mädchens fügte es, daß die vier Brüder Bukojemski als Nachtquartier eine Stube für sich allein bekamen, während in eine andere sich Cypryanowicz und Taczewski teilten. Dieses ihnen aufgezwungene Beisammensein behagte den beiden jungen Nebenbuhlern keineswegs. Daher zog auch ein jeder von ihnen sein Gebet über Gebühr in die Länge, um aller Unterhaltung aus dem Wege zu gehen. Doch als die Andacht beendet war, lastete das peinliche Schweigen drückend auf ihnen. Denn obwohl sie einander nicht hold sein konnten, so fühlten sie doch, daß es nicht schicklich sei, ihrem Groll Luft zu machen, weil man sich im Hause des Herrn Pongowski befände. Der Anstand erforderte es, sich hier diplomatisch zu verhalten.

Taczewski hatte die Schnalle des Gürtels gelöst und zog nun den Säbel aus der Scheide. Er betrachtete die Klinge beim Licht und begann sie dann mit dem Taschentuch abzuwischen.

»Wenn der Stahl nach strenger Kälte in die Wärme kommt,« sagte er, und es war schwer zu erkennen, ob er zu sich selbst sprach oder seinen Gefährten anredete, »so schwitzt jede gute Klinge, und dann setzt sie Rost an.«

»Und wahrlich,« bemerkte Cypryanowicz, »in der letzten Nacht hat sie tüchtig unter dem Frost leiden müssen.«

Er hatte nicht im mindesten die Absicht, ironisch zu sein. Es fiel ihm nur ein, daß Taczewski wirklich eine sehr böse Nacht gehabt haben müsse. Dieser aber stemmte sogleich die Spitze seines Krummsäbels gegen die Diele und sah ihm tief in die Augen.

»Ihr spielt da auf meine traurige Lage während der verflossenen Nacht an, nicht wahr?«

»Daß Ihr da nicht am warmen Ofen gesessen habt, ist doch klar.«

»Und was hättet denn Ihr an meiner Stelle getan?«

Cypryanowicz wollte schon antworten: »Dasselbe, was Ihr getan habt,« aber da die Frage einen drohenden Ton zu haben schien, so besann er sich und entgegnete: »Warum soll ich mir den Kopf darüber zerbrechen? Ich habe mich doch eben nicht an Eurer Stelle befunden.«

Ein Schatten von Zorn verfinsterte die beweglichen Züge Jakobs. Er bezwang sich jedoch, und um sich zu beschäftigen, hauchte er auf die Klinge seines Säbels, wischte sie mehrmals ab und steckte sie dann wieder in die Scheide.

»Gott schickt uns Glück und Unglück,« das war alles, was er sagte.

Und seine eben noch flammenden Augen umschleierten sich mit dem gewohnten Ausdruck von Trauer. Er dachte an seinen einzigen Freund, das treue Roß, das eine Beute der Wölfe geworden war.

Plötzlich öffnete sich die Tür; auf der Schwelle erschienen die vier Brüder Bukojemski.

»Es ist Tauwetter,« verkündete Matthäus. «Der Schnee dampft.«

Und Johannes setzte hinzu: »Wir werden morgen Nebel haben.«

Erst jetzt erkannten sie Taczewski, den sie beim Eintreten zuerst nicht bemerkt hatten.

»Oho,« rief Lukas, sich an Cypryanowicz wendend, »du bist da ja in netter Gesellschaft.«

Und alle vier stemmten die Fäuste auf die Hüften und sahen Jakob frech an.

Der ergriff einen Stuhl, stellte ihn mitten in die Stube, setzte sich rittlings darauf, sah seinerseits die Brüder Bukojemski an und warf ihnen hocherhobenen Hauptes, die Arme auf der Stuhllehne kreuzend, herausfordernde Blicke zu.

Einige Minuten maßen sie sich so – von Angesicht zu Angesicht. Jakob spreizte die Beine mit den hohen schwedischen Stiefeln, sie standen Schulter an Schulter, Gestalten von Riesen, drohend, furchterregend.

Cypryanowicz lachte sich ins Fäustchen. Ein Streit war im Anzuge, das sprang in die Augen. Dennoch hoffte er noch rechtzeitig Frieden zu stiften. Daher ließ er sie jetzt gewähren.

»Das ist ein forscher Kerl, dieser Taczewski,« dachte er. »Er läßt sich nicht einschüchtern.«

Das unerträgliche, lächerliche Schweigen zog sich in die Länge. Jakob brach es endlich.

»Ihr Herrchen, setzt euch doch,« sagte er. »Ich erlaube es euch, ich lade euch sogar dazu ein.«

»Wie? Was? was soll das heißen?«

Die Bukojemski, die nichts weniger erwartet hatten als solche Anrede, sahen sich verblüfft an.

»Na, macht doch, macht doch!« sagte Jakob und wies mit der Hand auf Stühle.

»Wir bleiben stehen, weil es uns so paßt. Verstanden?«

»Ich erlasse euch alle Etikette,« versicherte Jakob in gönnerhaftem Tone.

»Etikette?« rief Lukas. »Aha, so ist's gemeint. Du willst dich hier als Senator oder Bischof aufspielen. Als eine Art Pompejus, was?«

»Ei, Freund, warum nennst du mich einen Pompejus?«

»Weil du beinahe so aussiehst.«

»Vielleicht nur deshalb, weil du ein Schafskopf bist?«

»Hollah, Brüder,« begann Johannes. »Drauf losgeschlagen!«

Aber Jakob schien nun auch die Geduld zu verlieren und ein Ende machen zu wollen. Er sprang auf wie eine Wildkatze und rief in schneidendem Tone: »Ha, ihr unverschämten Menschen, was zum Teufel wollt ihr?«

»Dein Blut!« knurrte Matthäus.

»Diesmal sollst du uns nicht entwischen,« fluchte Markus.

Und Lukas, die Faust auf der Hüfte, setzte hinzu: »Draußen – jetzt gleich!«

Aber schon brachte Cypryanowicz sie auseinander.

»Keine Gewalttat hier!« rief er. »Wir sind hier unter fremdem Dache. Ich erhebe aufs nachdrücklichste Einspruch.«

»Ich selbst,« stimmte Taczewski bei, »werde Herrn Pongowski nicht die Schmach antun, euch in seinem Hause die Gurgel abzuschneiden. Aber morgen werde ich euch schon anderswo treffen.«

»Wir im Gegenteil,« wetterte Matthäus, »werden dir die Gurgel abschneiden!«

Jakob unterbrach ihn: »Den ganzen Tag schon habt ihr Streit mit mir gesucht. Weshalb? Ich kenne euch ebensowenig, wie ihr mich kennt. Doch gleichviel! Es soll euch deshalb nicht minder heimgezahlt werden. Ich verstehe mich drauf, die Beleidigungen zu rächen, die mir zugefügt werden, und hätte ich auch zehn Gegner statt vier.«

»Oho, du wirst schon an einem genug haben, mein Kleiner. Du wirst schon erfahren, was ein Bukojemski ist,« rief Johannes aus.

Aber im selben Augenblick wandte Jakob sich an Cypryanowicz.

»Ich spreche eben von vier Gegnern,« sagte er. »Doch wenn es Euch genehm sein sollte, sich diesen Herren anzuschließen . . .«

Cypryanowicz verneigte sich.

»Da Ihr mir diesen Vorschlag macht . . .«

»Hollah!« protestierten die vier Bukojemski, »nur unter der Bedingung, daß wir zuerst an die Reihe kommen, und zwar dem Alter nach. Zähle auf uns, Stanislaus. Wir haben dir die Schöne versprochen, und wir werden Hackefleisch machen aus jedem, der dir den Weg vertritt.«

Jakob warf der Gesellschaft einen durchdringenden, geringschätzigen Blick zu. Er wurde blaß vor Entrüstung, glaubte er doch nun alles verstanden zu haben.

»Ah, so steht es?« sprach er, sich von neuem an Cypryanowicz wendend. »Ihr habt also Sbirren in Euerm Solde und verkriecht Euch hinter deren Säbel. Mein Kompliment! Das ist allerdings sehr klug – aber handelt so ein Edelmann? Pfui! in was für schlechte Gesellschaft bin ich geraten!«

Cypryanowicz war von Natur versöhnlich und friedfertig, doch bei dieser Verdächtigung stieg ihm eine Blutwelle ins Gesicht. Seine Hand fuhr nach dem Degenknauf.

»Kommt mit hinaus! Kommt sofort mit hinaus!« rief er.

Im roten Scheine des Feuers blitzten die aus den Scheiden gezogenen Klingen. Aber drei von den Brüdern Bukojemski richteten sich wie eine lebendige Mauer zwischen den Widersachern auf. Lukas, der vierte, umfing Cypryanowicz mit den Armen.

»Stanislaus,« bat er, »beruhige dich, so du Gott lieb hast! War es nicht ausgemacht, daß wir zuerst drankommen sollten?«

»Ja, ja, wir machen den Anfang,« bestätigten die andern drei.

»Laßt los!« verlangte Cypryanowicz.

»Nein, erst wir – –!«

»Haltet ihn fest,« rief Matthäus, »ich nehme es auf mich, seine Rechnung mit Pompejus abzumachen.«

Und Jakob am Aermel fassend, bemühte er sich, ihn hinauszuzerren.

Aber der junge Mann machte sich los und ließ seinen Säbel in die Scheide zurückgleiten.

»Ich allein habe das Recht, zu entscheiden,« sagte er, »wer unter euch sich zuerst mit mir schlagen soll, wann und an welchem Orte. Also auf morgen, und bei mir in Wyremby!«

»Das gibt es nicht! Denke ja nicht, du könntest uns auf diese Weise entschlüpfen. Hier soll es sein und unverzüglich!«

Jakob kreuzte die Arme.

»Gut! wenn ihr mich unter diesem gastlichen Dache ermorden wollt, meinetwegen!«

Eine rasende Wut bemächtigte sich der vier Brüder. Dennoch wagte keiner von ihnen einen Angriff, so sehr fürchteten sie gegen die Ehre zu verstoßen. Sie begnügten sich, mit den Absätzen auf den Fußboden zu schlagen, an ihren Barten zu zausen und wie die Bären zu knurren.

Taczewski stand noch ein paar Augenblicke regungslos da und sah die andern fest und scharf an, als erwartete er einen Ueberfall. Dann stülpte er die Pelzmütze auf und sagte: »Auf morgen! Ihr werdet unter dem Vorwande, mich zu besuchen, von hier fortgehen . . . Der Weg ist leicht zu finden. Wenn ihr über den Bach hinüber seid, seht ihr ein Kruzifix zur rechten Hand, das aus der Zeit der Pest stammt. Dort werde ich euch von Mittag ab erwarten. Möchtet ihr doch dort den Tod finden!«

Darauf stieß er die Tür auf und verschwand.

Die Hunde, die ihn kannten, bellten nicht. Er tat mechanisch einen Schritt auf den Pfahl zu, an welchen er sonst immer sein Pferd gebunden hatte. Dann besann er sich, daß er es ja verloren und seufzte: »Armer, treuer Kamerad, du bist nicht mehr!«

Es wehte ein scharfer Wind.

»Ich werde zu Fuß gehen,« dachte er. »Die Armen haben alles gegen sich, sogar den Wind.«

Inzwischen erschöpfte sich Cypryanowicz, verzehrt von Grimm und Demütigung, in bitteren Vorwürfen. Im Tone tiefen Kummers sprach er: »Wer hat euch geheißen, mir so eifrig zu dienen? Dank eurer Dummheit hat dieser Mensch mir eine furchtbare Beleidigung zufügen können.«

Verwirrt entschuldigten sich die vier Brüder und drückten ihn der Reihe nach an die Brust. »Stanislaus,« sagte Matthäus, »wir haben da drüben einen Krug Met – dank der Liebenswürdigkeit unserer Wirtsleute. Alle Wetter! der soll dich schon trösten, und uns wahrlich auch!«



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