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Rekapitulation

1. Der Krieg sollte energisch geführt werden, nicht mit der Absicht, die deutsche Armee zwischen der englisch-französischen Vereinigung und den russischen Millionen schließlich zu erdrücken, sondern um die entscheidende militärische Überlegenheit der englisch-französischen Vereinigung allein festzustellen. Ein Sieg, der ohne russische Hilfe unerreichbar ist, wäre eine Niederlage für den westeuropäischen Liberalismus. Deutschland wäre nicht von uns geschlagen, sondern von einer militaristischen Autokratie, die schlimmer ist als ihre eigene. Durch die Preisgabe von Preussisch-Polen und den slawischen Gebieten Österreichs könnten Deutschland und Österreich Rußland zufriedenstellen und Österreich und Deutschland zu einem einzigen deutschen Staate sich verschmelzen, der dann Frankreich und England beherrschen würde, nachdem festgestellt ist, daß ihn diese ohne Rußlands Hilfe nicht zu erobern vermochten. Wir können es Rußland überlassen, Österreich zu erobern, wenn es das vermag. Das ist sein natürlicher Teil der Aufgabe. Wenn aber wir beide ohne russische Hilfe Potsdam nicht schlagen oder wenigstens derart im Patt halten können, daß wir ihm seine Unfähigkeit klar machen, uns zu unterjochen, werden wir einfach Deutschland den Sieg zuerkennen und für unsern Platz an der Sonne auf eine Verbindung mit Amerika vertrauen müssen.

2. Wir können nicht Deutschland zerschmettern oder schwächen, wie vollständig auch unser Sieg sein mag, denn das kann nur geschehen, wenn wir seine Frauen töten, und es wäre frivol zu behaupten, daß wir einer solchen Gemeinheit fähig wären. Auch Deutschland durch Plünderung finanziell in Verlegenheit zu bringen würde auf uns selbst zurückfallen, da es zu unseren Warenabnehmern gehört und einer der meist besuchten Nachbarn für uns ist. Wir müssen, wenn möglich, die Deutschen bedingungslos aus Belgien verdrängen. Frankreich mag es aus Elsaß-Lothringen verdrängen und Rußland vielleicht aus Polen. Als Deutschland das Feuer eröffnete, wußte es, daß diese Dinge auf dem Spiele stehen, und wir müssen Frankreich und Rußland unterstützen, bis sie gewonnen oder verloren haben, es sei denn, daß ein Patt die ganze Methode der Kriegsführung lächerlich macht. Auch Österreich wußte, daß das slawische Gebiet seines Reiches auf dem Spiele stand. Indem sie diesen Einsatz gewinnen, werden die Alliierten den Kaiser aus seinem Traum von einem Heiligen Deutschen Reich, mit Preußen als dem Oberhaupt seiner Kirche, erwecken und ihn lehren, Achtung vor uns zu haben. Doch sobald das geschehen ist, dürfen wir unsern Mitkämpfern nicht gestatten, alles zu zerstören durch gehässige Demütigungen und Forderungen, die Deutschland nicht ernstlich lähmen können und für eine ganze Generation böses Blut zwischen uns erregen würden zu unserem eigenen großen Nachteil, Unglück, Schimpf und Verlust. Wir und Frankreich müssen nach dem Krieg mit Deutschland zusammenleben, und je früher wir uns entschließen, dies auf vornehme Art zu tun, um so besser. Die Welt muß nach dem Kampf sans rancune bleiben, denn ohne Frieden zwischen Frankreich, Deutschland und England gibt es keinen Frieden in der Welt.

3. Krieg als »Schule für den Charakter und Tugendamme« muß förmlich aufgegeben und von allen Kriegführenden beiseite getan werden, wenn dieser Krieg vorüber ist. Es ist wohl wahr, daß unerzogene und niedrig stehende Völker nur von Erdbeben, Pestilenz, Hungersnot, Kometschweifen, Titanic-Untergängen und zerstörenden Kriegen zu einer ernstlichen Betrachtung ihrer Stellung und ihres Schicksals gebracht werden können. Genau wie es wahr ist, daß afrikanische Häuptlinge sich nicht in Respekt setzen können, außer sie verbrennen lebendige Jungfrauen vor den Torpfosten ihrer Hüttenpaläste, und wie Tataren-Khans finden, daß die Schaustellung einer Pyramide von abgeschlagenen Köpfen der einfachste Weg ist, ihren Untertanen eine bekömmliche Auffassung von ihrem göttlichen Herrscherrecht einzuprägen. Iwan der Schreckliche vermochte es zweifellos, auf seine Untertanen einen sehr strengen Eindruck zu machen, und dumme Leute sind fähig zu glauben, daß diese Art durch Schrecken gestärkter Strenge Tugend ist. Das ist sie nicht. Jedermann, der sich mit Überlegung daran machen würde, künstliche Erdbeben auszudenken, Schiffe zu versenken und Epidemien loszulassen nur zur moralischen Hebung seiner Landsleute, wäre bald auf der Anklagebank. Die, welche in der gleichen Absicht Krieg anfangen, sollten mit ebensolcher Bestimmtheit nach Hanwell oder Bethlehem Hospital verbracht werden. Eine Nation, die so herabgekommen ist, daß sie keinem höheren Antrieb zu gehorchen vermag, als dem des Schreckens, würde am besten von preußischen Kriegslords ausgerottet oder von sonst jemand, der töricht genug wäre, Pulver an sie zu verschwenden, statt sie an der eigenen Nichtswürdigkeit zugrunde gehen zu lassen.

4. Weder England noch Deutschland dürfen bei den Verhandlungen irgendeine moralische Überlegenheit für sich beanspruchen. Beide waren jahrelang im Wettrüsten befangen. Beide fröhnten der literarischen und rhetorischen Herausforderung und tun es noch. Beide behaupteten, »eine herrschende Rasse« zu sein, die durch göttliches Recht über andere Rassen regiert. Beide zollten hohe gesellschaftliche und politische Beachtung den Parteien und Personen, die offen sagten, daß der Krieg kommen müßte. Beide schlossen Bündnisse, um sich für diesen Krieg zu stärken. Die Klage gegen Deutschland wegen Verletzung der Neutralität Belgiens ist für England von keinem moralischen Wert, denn a) England hat die Verletzung des Pariser Vertrages durch Rußland zugelassen (Verletzung der Neutralität des Schwarzen Meeres und die Schließung des Freihafens von Batum), ebenso die eigenmächtige schmähliche Verletzung des Berliner Vertrags durch Österreich (Besitznahme von Bosnien und der Herzegowina), ohne zu den Waffen zu greifen, oder auf andere Art dem Angriff zu begegnen; b) weil wir vollauf zugaben, daß wir auf jeden Fall zur Verteidigung Frankreichs in den Krieg gezogen wären, ob nun die Deutschen durch Belgien kamen oder nicht, und weil wir dem deutschen Gesandten jede Zusicherung verweigert haben, neutral zu bleiben, falls die Deutschen, um den Krieg mit uns zu vermeiden, den militärischen Vorteil eines Angriffs durch Belgien aufgäben; c) die scheinbare moralische Überlegenheit des Versprechens von Frankreich und England, die belgische Neutralität zu respektieren, ist illusorisch, angesichts der Tatsachen, daß Frankreich und England wesentlich dabei zu gewinnen und die Deutschen entsprechend zu verlieren hatten, wenn der Angriff gegen Frankreich auf die stark befestigte deutsch-französische Grenze beschränkt wurde und da überdies Frankreich und England wußten, die Belgier würden sie rufen, wenn die Deutschen eindringen, so daß die Neutralität Belgiens, soweit sie diese beiden Länder betrifft, in Wirklichkeit nicht bestand; d) da alle Verträge nur gelten rebus sic stantibus und die Sachlage seit der Zeit des Londoner Vertrags (1839) sich so stark geändert hatte (Belgien wird z. B. nicht mehr von Frankreich bedroht, gegen das der Vertrag gerichtet war, und hat bedeutende Kolonien erworben), daß 1870 Gladstone sich nicht darauf verlassen konnte und zu einem besonderen zeitweiligen, nicht mehr geltenden Vertrag griff, ist technisch die Geltung des 1839er Vertrags überaus zweifelhaft; e) sogar wenn der Vertrag Geltung hat, ist sein Bruch kein casus belli, außer die Parteien wünschen ihn durch eigene Begründung als solchen anzusehen; und f) die deutsche nationale Gefahr, vom kaiserlichen Kanzler in seinem Peer Gynt-Speech vorgeschützt, als er hastig, jedoch freimütig die hier aufgestellte starke juridische Argumentation fallen ließ und einen Völkerrechtsbruch zugab, war nach überlieferten militärischen Anschauungen, angesichts der russischen Mobilisierung, so groß, daß es für uns, oder irgendeine andere militaristisch orientierte Macht, unmöglich ist, sicher zu sein und noch weniger andere davon zu überzeugen, daß wir in der gleichen äußersten Lage gewissenhafter gewesen wären.

Es muß hinzugefügt werden, daß nichts die Schrecklichkeit der brutalen Tatsache beschönigen kann, daß ein unschuldiges Land furchtbar verwüstet wurde, weil seine schuldigen Nachbarn zwei gegeneinander losbrechende Verbindungen formten, statt den europäischen Frieden zu begründen. Doch dies ist die Verletzung eines höheren Gesetzes, als jemals auf diplomatischen Papierfetzen verzeichnet wurde, und wenn es zum Urteilsspruch kommt, wird das verletzte Gewissen der Menschheit mit der Ausrede des ungezogenen Kindes »er hat angefangen« nicht viel Nachsicht haben.

5. Militarismus darf nicht als ein Preußen eigentümliches Übel behandelt werden. Es grassiert in England, und in Frankreich hat es zur Ermordung seines größten Staatsmannes geführt. Wenn das Ende des Krieges lediglich als eine Niederlage des deutschen Militarismus durch den englisch-französischen Militarismus angesehen wird und man entsprechend handelt, dann wird der Krieg nicht nur sein eigenes unmittelbares Unheil an Zerstörung und Entsittlichung ausgewirkt haben, sondern wird die letzte Hoffnung tilgen, daß wir uns erhoben haben über die »dragons of the prime that tare each other in their slime«. Wir alle waren gleich schuldig in der Vergangenheit. Es wurde jahrelang immer behauptet, daß die militaristische Partei die vornehme Partei sei. Ihre Widersacher sind in England lächerlich gemacht und verfolgt worden, in Rußland gehängt, ausgepeitscht oder verbannt und in Frankreich eingesperrt. Man hat sie Verräter genannt, Lumpen, Betrüger und so weiter, man hat sie eingesperrt wegen »bad taste« und Meuterei, während die bösartigste Meuterei gegen die Demokratie und die aufrührerischesten militärischen Seitensprünge der Offizierskreise willfährig geduldet wurden, bis schließlich die tatsächliche Beseitigung liberaler Verfassungsmäßigkeit sowohl in Frankreich wie in England eine Volkserregung von ernsten Dimensionen hervorrief zur Einsetzung einer Art direkter Aktion des Volkes, genannt Syndikalismus, an Stelle des Parlaments. Kurz, Militarismus, der nichts ist als Staatsanarchismus, wurde auf eine solche Höhe gebracht, daß er von einer Bewegung völkischen Anarchismus nachgeahmt und bekämpft wurde und in einen europäischen Krieg ausbrach, weil die kommerzialistischen Regierungen Europas nicht daran glaubten, einen modernen Staat auf höheren Beweggründen wirksam leiten zu können, als Lord Roberts' »Wille zur Eroberung«, die Wucht von des Kaisers gewappneter Faust und das Interesse der Börse und des Geldmarktes darstellten. Wenn wir nicht alle bereit sind, den Militarismus ebensowohl daheim, wie außer Landes zu bekämpfen, wird der Stillstand der Feindseligkeiten nur so lange währen, bis die Kriegführenden sich von ihrer Erschöpfung erholt haben.

6. Es wäre besser, unsererseits zuzugeben, daß es mit Bezug auf die Kriegsführung keinen glaubwürdigen Beweis gibt, die Deutschen hätten irgendwie schlimmere oder andere Greuel verübt, als die wir als unvermeidlich im Kriege ansehen oder die von den Alliierten als militärisch gebräuchlich angenommen sind. Indem sie an Städten Beispiele statuierten, unverantwortliche Bürger als Geiseln festnahmen und für die Taten bewaffneter Zivilisten, über die sie keinerlei Aufsicht ausüben konnten, erschossen, haben die Deutschen diese Gebräuche sicherlich auf einen Grad von Terrorismus gebracht, der von der vorbedachten Ermordung von Nichtkämpfern schwer zu unterscheiden ist. Doch da die Alliierten auf solche Gewohnheiten nicht verzichteten, noch aufhörten sie unbarmherzig anzuwenden gegen die Bergstämme und Fellahs und Araber mit denen sie selbst zu tun bekamen (um nicht vom berüchtigten Terrorismus der russischen Regierung im eigenen Lande zu sprechen), können sie keinen höheren Grad von Menschlichkeit für sich geltend machen. Es ist darum Zeitverlust, wenn der Topf den Kessel schwarz nennt. Unserem Geschrei über die Deutschen, weil sie die Nordsee mit Minen belegten, folgte zu bald ein Minenfeld, das wir selbst dort legten, als daß wir ohne offenkundige Heuchelei daran erinnern könnten. Die Klage wegen der Kathedrale von Reims fiel ebenso gänzlich in sich zusammen, als ein großer Teil des Gebäudes selbst, nachdem festgestellt wurde, daß die Franzosen einen Erkundungsposten auf das Dach gestellt hatten. Ob sie das nun taten oder nicht, alle militärischen Experten waren sich klar darüber, daß ein Offizier, der es unterlassen hätte, sich des Dachs der Kathedrale in dieser Weise zu bedienen, oder ein gegnerischer Offizier, der gezögert hätte, auf eine Kathedrale zu feuern, die einem solchen Zwecke dienstbar gemacht ist, in jeder der beteiligten Armeen kriegsgerichtlich verurteilt worden wäre. Die Beschädigung der Kathedrale muß deshalb als starker Wink der Vorsehung hingenommen werden, daß wir zwar herrliche Kriege oder herrliche Kathedralen haben können, nicht aber beides zugleich.

7. Schließlich müssen wir uns gegenwärtig halten, daß wenn dieser Krieg dem Krieg in Westeuropa nicht ein Ende macht, unsere Verbündeten von heute unsere Gegner von morgen sein können, wie sie es gestern waren, und unsere Gegner von heute unsere Verbündeten von morgen, wie sie es gestern waren. Wenn wir also lediglich auf einen neuen Ausgleich militärischer Macht abzielen, kann es uns passieren, daß wir unsere eigene Vernichtung ausbedingen. Wir müssen den Krieg benützen als coup de grâce gegen mittelalterliche Diplomatie, mittelalterliche Autokratie und gesetzlose Kapitalausfuhr und wir müssen durch seinen Abschluß die Welt davon überzeugen, daß Demokratie unbesiegbar ist und Militarismus ein rostiges Schwert, das in der Hand zerbricht. Wir müssen unsere Soldaten frei machen und ihnen ein Heim geben, wert dafür zu kämpfen. Und wir müssen, wie der alte Spruch lautet, die schmutzigen Fetzen unserer Selbstgerechtigkeit abtun und kämpfen wie Männer, die alles, sogar einen guten Namen zu gewinnen haben. Wir müssen uns begeistern und ermutigen mit entscheidenden adeligen Zielen vor uns, was immer der Preis sein mag für den Beweis, daß Krieg uns nicht erobern kann und daß, wer es nicht wagt, unser Gewissen anzurufen, von unseren Ängsten nichts zu erhoffen hat.

 


 


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