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Gespräch über Tugend und Laster

Pastor Friedmann. Adam Ehrlich.

Pastor. Guten Morgen, lieber Ehrlich! Wie geht's?

Ehrlich. Guten Morgen, Herr Pastor! Sehen Sie dort das schöne Wetter auf den Bergen, wie soll es da nicht gut gehen? Wer an einem solchen Morgen nicht einen guten Morgen hat, der muß sehr unglücklich sein oder gar kein Herz haben und böse sein; und dann ist er noch unglücklicher.

Pastor. Brav gedacht und gesprochen, guter Ehrlich! Das ist so ein Tag, wo man sich recht seines Daseins freuen und ohne alle andere Ursache zur Freude schon froh sein kann.

Ehrlich. Das wissen oder vielmehr das fühlen wol dort meine Buben, die sich vor lauter Jubilo in dem schönen Sonnenschein den Hügel auf und ab wälzen.

Pastor. Es ist das größte Lob, das Geschöpfe ihrem Schöpfer bringen, wenn sie in Unschuld und Tugend sich freuen und froh sind.

Ehrlich. Herr Pastor, das habe ich auch immer gedacht, daß unser Herr Gott Freude haben will; darum hat er Alles so herrlich und schön gemacht.

Pastor. Die Leute thun gar nicht gut, wenn sie anders von Gott denken. Er ist der allgemeine Vater, der alle seine Kinder liebt und ihnen alles Gute giebt. Die Tugend, welche er uns gebietet, ist blos das einzige sichere Mittel, beständig froh und vergnügt zu sein.

Ehrlich. Wie es mich freut, Herr Pastor, daß ich diese Sprache höre! Es ist immer die Sprache meines Herzens gewesen. Mir hat es oft in der Seele wehe gethan, wenn man uns Gott nur immer als ganz zornig und strafend und die Tugend nur als strenge und traurig vorstellte.

Pastor. Die Menschen, welche so denken und reden, müssen die Ursache dazu in sich selbst haben. Nur den Bösen und Lasterhaften kann die Gottheit zürnen, und sie züchtiget auch diese nur, um zu bessern. Blos Diejenigen, die kein Vergnügen an der Tugend haben, können sie finster und traurig malen. Was kann heiterer und froher sein als der Weg zum wahren Glücke? und dieses ist die Tugend. Sie ist die Fertigkeit in allen unsern Pflichten. Die Erfüllung der Pflichten ist aber das einzige Mittel, froh und zufrieden zu werden und immer zu bleiben. Pflichten sind für die Guten kein Zwang, keine Ketten, sondern eigene lebhafte Ueberzeugung, daß es so gut und wohlgethan ist. Die Pflicht liegt in dem Wesen der Guten. Nur der Böse sagt, daß Pflichten Zwang und Ketten sind. Sie sind es aber blos für ihn; und er giebt eben dadurch zu erkennen, daß er nicht gut ist.

Ehrlich. Unsereiner kann das so nicht recht deutlich ausdrücken; aber ich fühle doch, daß das Alles wahr ist. Da habe ich eben, wie ich so hier meinen Pfirsichbaum beschneide, Ihre letzte Predigt in Gedanken gehabt, welche auch darüber handelte. Man spricht da so viel über die Sache und sucht sie so gelehrt und so schwer zu machen, und am Ende ist sie doch so leicht, daß sie sogleich der gesunde Menschenverstand einsehen und begreifen kann. Wir müssen Ihnen sehr danken, Herr Pastor, daß Sie mit uns gemeinen Leuten immer so recht gemein und herzlich sprechen. Das macht hell und rührt. Es mag indeß doch wol so leicht nicht sein; denn sonst würde es ja öfter geschehen.

Pastor. Es freuet mich unendlich, wenn ich den rechten Weg einschlage. Ich habe Ihn, lieber Ehrlich, immer für einen guten Kopf in der Gemeine gehalten, der auch ein gutes Herz hat, und Sein Beifall ist mir vorzüglich lieb. Wer selbst bei seiner Arbeit so gute Gedanken hat, der wird gewiß auch diese Arbeit gut machen.

Ehrlich. Ich denke eben, seine Arbeit gut machen, ist das Wichtigste im menschlichen Leben. Wenn wir das Unsrige gut gemacht haben, der Himmel wird es an dem Seinigen nicht fehlen lassen.

Pastor. Sieht Er, lieber Ehrlich, das ist gerade das ganze Wesen der Tugend für den Menschen; und es gehört, wie Er sagte, in jeder Lage nur gesunde Ueberlegung dazu, um sie sogleich zu finden, und guter Wille, um. sie sogleich zu üben. Es giebt nur eine Tugend, wohlwollende, vernünftige Ordnung; und was wir Tagenden nennen, sind nur verschiedene Anwendungen auf die verschiedenen Lagen und Umstände in dem Leben des Menschen. Was daraus entstehet, ist unser Glück, wenn wir es auch nicht immer sogleich einsehen und empfinden können. Nur Böses bringt wieder Böses hervor, und selbst hier weiß der Himmel, der die Boshaften durch ihre eigene Bosheit züchtiget, ihre bösen Absichten endlich zu einem guten Ausgang zu leiten.

Ehrlich. Das ist wahr; aber es giebt doch oft Unglücksfälle, welche die besten Menschen treffen, die sie gewiß nicht verschuldet haben.

Pastor. Oft hätten auch diese Unglücksfälle durch Aufmerksamkeit und Vorsichtigkeit vermieden werden können und sind also natürliche Folgen. Aber wenn wir, wie es zuweilen der Fall ist, auch durchaus Grund und Ursache nicht finden können, dürfen wir dann wider die Weisheit der Vorsehung des Höchsten murren? Seine Gedanken sind unendlich, und wie wenig wissen wir? Wenn wir nur aufmerken wollen, werden wir finden, daß er mit herrlicher Absicht Alles zum Besten leitet, was wir sehen. Wird er nicht auch das zum Besten leiten, was wir nicht sehen?

Ehrlich. Diese Gedanken oder so ähnliche, wenn ich sie denke und fühle, geben mir oft recht viel Beruhigung und Trost. Durch ein anscheinliches Unglück entsteht manchmal recht viel Glück. Wir hätten wol nie unsere Nachbarn auf dem andern Dorfe für die guten Leute gehalten, die sie wirklich sind, wenn wir vor einigen Jahren hier in der Flur nicht Hagelschaden gehabt hätten und sie uns also nicht brüderlich zu Brod und Saat unterstützt hätten.

Pastor. Sieht Er, es ist nicht Alles sogleich wirklich Unglück, was wie Unglück aussieht. Und selbst das wahre Unglück soll die Menschen ziehen zur Weisheit und Vorsicht und zu jeder Tugend.

Ehrlich. Wenn man es so recht überlegt, so ist es doch unbegreiflich, wie noch so viele Menschen böse sein können. Es liegt doch am Tage, daß sie dadurch nicht allein Andern, sondern auch sich selbst das größte Unglück stiften. Daher pflegt man wol mit Recht von Bösewichtern und Verbrechern zu sagen, der Himmel habe sie mit Blindheit geschlagen, wenn sie von der Obrigkeit auf ihrer Bosheit entdeckt, ergriffen und gestraft werden.

Pastor. Es ist die innere Angst, das Gefühl ihrer Verbrechen, welches macht, daß die Bösewichte über ihren Uebelthaten meistens Klugheit und sogar Besinnung verlieren. Der Himmel straft allezeit die Bösen durch sich selbst, so wie er die Guten durch sich selbst belohnet.

Ehrlich. Wenn die bösen Menschen aber alle recht listig und klug wären, so müßte das eine wahre Hölle sein, mit ihnen zu leben.

Pastor. Das ist es auch. Es giebt zuweilen solche fürchterliche Heuchler, die eine lange Zeit die Maske der Rechtschaffenheit tragen. Solche Leute nennt man aber auch schon im gemeinen Leben wahre Teufel. Zum Glück der Menschheit liegt es schon in der Natur, daß sich Laster und Bosheit nur sehr schwer eine ziemliche Zeit verbergen lassen, so wie auch, das Gute selten lange verborgen bleibt. Doch wird das Gute nur weniger bemerkt, da man von einem jeden Menschen mit Recht annehmen und fordern kann, daß er gut sei. Das Gute ist also in der Ordnung, aber durch das Böse wird sogleich die Ordnung gestört. Die Ordnung fällt weniger auf, eben weil sie Ordnung ist, als Unordnung, welche sogleich unangenehm und schädlich wirkt.

Ehrlich. Es dünkt mich fast so, als wenn ich mehrere Meilen eine Reise mache. Ich gehe gerade fort, ohne daß ich eben sehr bemerke, daß ich gehe, und sonst bemerkt es auch Niemand. Wenn ich aber empfindlich den Fuß an einen Stein oder an einen Baumstumpf anstoße, daß ich nicht recht mehr fort kann, so fühle ich wol mit Schmerzen, daß ich hinke, und Andere bemerken es ebenso leicht.

Pastor. Das Gleichniß ist ganz richtig. So bemerkt man das Böse immer leichter und eher als das Gute, eben weil es sogleich die gute Ordnung stört. Wenn Jemand gewöhnlich gut ist, so hat er davon kein großes Verdienst; denn es ist in der Natur so, seine Pflicht will es, und sein Wohlbefinden hängt davon ab. Wenn aber Jemand schlecht ist, so verdient er sogleich den schärfsten Tadel und die strengste Ahndung; denn er handelt zugleich auf eine auffallende Weise zum Nachtheil Anderer und gegen seinen eigenen wahren Vortheil.

Ehrlich. Wenn das nur die Leute immer einsähen oder nur immer recht bedächten; denn um zu sehen ist es wol nicht schwer.

Pastor. Es gehört in der That nicht viel Scharfsinn dazu, die Wohlthätigkeit der Tugend zu sehen, wenn man seine Pflichten erfüllt. Die Erfahrung zeigt ja Jedem täglich an sich selbst und an Andern Beispiele genug. Der Gerechte genießt Zutrauen von Jedermann; Jedermann glaubt sein Vermögen in dessen Händen so sicher als in seinen eigenen. Der Menschenfreund wird geliebt; den Wohlthätigen ehrt man mit Dank. Der Mäßige ist gesund und heiter; der Fleißige und Arbeitsame gewinnt auf eine ehrenvolle Weise Segen; der Zufriedene ist vergnügt, auch wenn er im Schweiß seines Angesichts hartes Brod ißt; der Friedliche und Freundliche ist überall, wo er erscheint, ein willkommener Gast. Der wahre Christ ist ein wahrhaft guter Mensch, hat hier jeden Genuß des Lebens und eine recht ruhige, frohe Aussicht in die Zukunft. Eben dieses ist der Vorzug der christlichen Religion, daß sie uns zu jeder Tugend unterrichtet, ermuntert, stärket und zu einem künftigen Leben zweckmäßig vorbereitet. Ihr Joch ist sanft, und ihre Last ist leicht.

Ehrlich. Das sagt Jesus selbst, der wol seine Lehre am Besten muß gekannt haben; und es muß also Wahrheit sein.

Pastor. Der göttliche Lehrer zeigt überall die Tugend so schön und liebenswürdig und stellt sie in seinem eigenen Beispiele so nachahmungswürdig dar und giebt ihr so große Verheißungen zum Lohn, daß nur ein Thor sich von ihr wenden kann. Und er schildert überall das Laster so häßlich und verabscheuungswürdig und zeigt, daß die Folge desselben lauter Elend sei, daß nur ein Unsinniger noch dem Laster anhängen kann.

Ehrlich. Freilich sind die Menschen nun wol lauter Thoren, indem sie dieses thun.

Pastor. Jedes Laster führt fast immer auf der Stelle seine eigene Strafe bei sich. Der Harte und Ungerechte wird gehaßt, verwünscht und geflohen. Der Unmäßige untergräbt seine Gesundheit und macht sich selbst mürrisch und traurig; der Faule hat Mangel statt Vorrath. Der Unzufriedene darbet voll Mißmuth bei großem Gute; den Geizigen quält die Angst bei Reichthum, den er nicht genießen kann; der Zänkische und Stolze bereitet sich und Andern Verdruß, wohin er kommt.

Ehrlich. Das ist Alles wahr, Alles. Und die Ruhe, welche man hat, wenn man Recht thut, und die Unruhe, wenn man etwas gethan hat, das nicht recht war! Ich kann kaum begreifen, wie es Leuten zu Muthe sein muß, welche ohne Unterlaß Böses thun.

Pastor. Meistens schläft ihr Gewissen, und es erwacht erst spät zu ihrer Pein. Wenn aber das Gewissen wacht und doch ruhig ist; wenn es zwar spricht, aber doch zufrieden ist: dann ist der Mensch glücklich. Und dieses Glück, das ihn über alles Irdische erhebt, kann ihm nur die Ueberzeugung erfüllter Pflichten, kann ihm nur die Tugend geben.

Ehrlich. Darum rührt mich immer der Vers so sehr, den Sie zuweilen von der Tugend in Ihren Predigten anführen, und der, wie man mir sagt, von dem guten Gellert ist:

»Durch sie steigst Du zum göttlichen Geschlechte,
Und ohne sie sind Könige nur Knechte!«

Und wenn der Mann, der uns so viele schöne Lieder geschenkt hat, in seinem Leben weiter nichts geschrieben hätte als diese zwei Zeilen, so sollten wir ihn schon als unsern Wohltäter und Vater ehren.

Pastor. Es freut mich herzlich, Lieber, daß Er den Werth des Guten so tief fühlt. Bleibe Er stets bei diesen Empfindungen und Gedanken; halte Er sie heilig; lasse Er sie immer die Führer Seines Lebens sein! Sie werden Ihm Rath und Ruhe und Trost und immer Zufriedenheit gewähren.

Ehrlich. Das hoffe ich zu Gott und danke Ihnen: denn Sie haben durch Ihre freundschaftliche Theilnahme, durch Ihren Unterricht und Ihre Zuspräche diese Gesinnungen tiefer gegründet, als sie sonst sein würden.

Pastor. Das ist meine Pflicht, Lieber; dafür bin ich in der Gemeine, und ich bin glücklich, wenn mir die Erfüllung dieser Pflicht gelingt. Er kann sich nicht mehr freuen, lieber Ehrlich, wenn Er Seinen Garten in Ordnung, Seine Beete gedeihen und Sein Obst gerathen steht, als ich mich freue, wenn ich hier und da sehe, daß ich in der Gemeine etwas Gutes stifte.

Ehrlich. Das thun Sie, das thun Sie; und wir lieben Sie Alle dafür wie unsern Vater. Und wenn ja noch Einer in der Gemeine sein sollte, der es noch nicht erkennt, der ist gewiß noch nicht gut. Aber ich hoffe, es wird Keiner sein.

Pastor. Ich bin zufrieden, ich bin sehr zufrieden. Guten Tag, Lieber, guten Tag!

(Schüttelt ihm die Hand und geht fort.)

Ehrlich (sieht ihm nach). Der ist ein guter Mann; wenn sie doch Alle so wären! Da fürchten wir uns nicht, wenn er kommt, sondern freuen uns. Nun geht er und spricht gewiß ebenso traulich und nützlich von etwas Anderm mit einem Andern. Er soll auch einige der besten haben; wenn sie nur recht gut gerathen.

(Er fährt fort, an seinem Pfirsichbaum zu schneiden.)


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