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Von der Ordnung

»Ordnung ist das halbe Leben«, heißt es; und wenn man das Glück des Ordentlichen und die traurige Lage manches Unordentlichen ansieht, so dürfte man wol sagen: »Ordnung ist das ganze Leben!« Das höchste Muster aller Ordnung und der herrlichsten Übereinstimmung ist Gott in seiner Weltregierung. Millionen Sterne gehen ihre gemessene Laufbahn; die Sonne geht auf und unter; der Mond wächset und nimmt ab, die Jahrszeiten kommen und gehen, und Alles nach den weisesten, festesten Regeln. Alles ist und bleibt und gedeihet, wie es soll; Alles ist zum Glück der Geschöpfe eingerichtet. Wenn ein Reich in allen seinen Theilen glücklich ist, wenn alle Stände, vom Throne bis zur geringsten Strohhütte ihre Pflicht thun und einander mit Eifer wechselseitig unterstützen, so sagen wir: »Es ist Ordnung im Lande!« Und wenn wir sagen: »Es ist keine Ordnung im Lande!« so ist das der schärfste Tadel, den wir über die Verwaltung der öffentlichen Geschäfte ergehen lassen. Ebenso ist es in der Stadt und in der Gemeine, und ebenso ist es in der einzelnen Haushaltung und mit jedem einzelnen Menschen. »Er ist ein ordentlicher Mann, sie ist eine ordentliche Frau!« ist ein allgemeines, vielbedeutendes Lob, wenn es von einem Menschen gesagt wird. Mit Ordnung wird jedes Geschäft leichter, jede Arbeit angenehmer, jede Beschwerlichkeit eher überstiegen, jede Unannehmlichkeit vermieden oder bald beigelegt. Selbst Gefahr und Unglück werden durch ununterbrochene Ordnung am Besten vorhergesehen und abgewandt. »Es ist nichts mit ihm anzufangen, er ist ein unordentlicher Mensch!« hört man von einem Menschen, den man wol zuweilen noch härter einen Taugenichts nennt. Hat irgend Jemand Ordnung nöthig, so ist es der Landmann, da sein ganzes Leben in einer Verkettung von Dingen besteht, die oft einzeln von keiner Wichtigkeit zu sein scheinen, die aber im Ganzen die Seele der Landwirthschaft und des ländlichen Wohlstandes ausmachen. Wenn man durch einen Ort reiset, fällt man nicht gleich von dem äußern Anschein ein ziemlich richtiges Urtheil: hier wohnen gute, oder hier wohnen schlechte Wirthe? Wo die Dächer löcherig, die Thore verfallen sind, wo das Vieh über alle Zäune und Mauern springt, wo in den Gärten die Bäume dünne und zerbrochen stehen, wo der Schmutz in allen Höfen bis an die Knie geht, wo das Vieh aussieht wie die theure Zeit in Aegypten, da kann man sicher schließen, daß es um die Haushaltungen und um die Gemeine schlecht bestellt ist. Wo aber rund um das Dorf die Baumpflanzungen blühen, wo die Gärten voll Obstbäume stehen, die Wege und Fußsteige gangbar und reinlich sind, wo die Thiere mit den Menschen sich wohl befinden, da darf man sicher auf gute Ordnung im Orte rechnen. Es ist ein Vergnügen, wenn man zuweilen vor einem Hofe vorbeigeht und sieht, wie Alles, vom Wohnhause bis zum Hühnerstalle so gut und nett und reinlich und bequem ist. »Hier wohnt ein sehr ordentlicher Wirth,« sagt der Fremde und betrachtet die Pflanzung und den Bau einigemal mit Zufriedenheit, ehe er weiter geht. Traurig und niederschlagend ist es hingegen, ganze wichtige Wirtschaften in dem kümmerlichsten Verfall zu sehen, wo man schon am durchlöcherten zerbrochenen Thorwege die wahre Beschaffenheit des Inwendigen befürchtet und ziemlich richtig muthmaßet. Freilich ist es nicht allemal der Fall, daß der Besitzer eines solchen Hauses durch seine Nachlässigkeit und Unordnung Schuld des traurigen Anblicks ist. Häusliche oder öffentliche Unglücksfälle können Ursache seines Unvermögens sein und ihn hindern, so viel wieder herzustellen und auszubessern, als nöthig wäre und er wol wünschet. Aber dieses ist doch der seltnere Fall.

Es ist eine böse sündliche Vernachlässigung, nichts mehr thun zu wollen, als wir zur Noth für uns zu brauchen glauben. Wenn unsere Vorfahren ebenso gedacht hätten, wie würde es jetzt auf der Erde aussehen? Wenn sie keine guten Häuser gebaut, kein Holz, keine Bäume angepflanzt hätten, wie traurig würde es um uns und unsre Zeitgenossen stehen? Gott gab uns die Erde mit dem Befehl, sie zu bauen. Es ist also nicht allein Vernachlässigung unsers eigenen Glücks, es ist Verachtung des göttlichen Gebots, wenn wir es nicht thun oder nicht so gut thun, als wir können. Wir können von einer Gegend zu ihrem Lobe und zur Empfehlung ihrer Bewohner kaum etwas Besseres sagen, als: »Die Gegend ist herrlich bebaut; man findet keinen Fußbreit Landes unbenutzt; es ist Alles wie ein schöner Garten.« Und wir können kaum etwas Schlimmeres von einem Lande und von seinen Einwohnern sagen, als wenn man spricht: »Es ist Alles verfallen, wüste und leer, als ob gar keine Menschen dort wohnten.« Es ist uns so wohl, wir sind so glücklich, wenn wir unter einem Baume sitzen, seinen Schatten genießen oder von seinen Früchten zehren, und wenn dann die Alten sagen: »Diesen Baum hat mein Großvater gesetzt, er war der Lieblingsbaum meines Vaters; so lange und so viel hat er schon getragen, und so lange verspricht er noch zu leben und so viel noch zu tragen. Wir genießen schon seit Jahrhunderten das Glück, daß wir freie Leute sind. Keine Gewalt, keine Willkür kann uns aus dem rechtlichen Besitze unserer väterlichen Güter vertreiben. Gesetze und Gerechtigkeit schützen uns vor allen Eingriffen, und Niemand schränkt uns ungebührlich in unsern Eigentumsrechten ein. Unsere Kinder und Enkel sind gewisse Erben Alles dessen, was wir von unsern Vätern bekamen und durch unsern Fleiß erwerben. Sollten wir nicht für sie pflanzen und bauen, so viel wir können, damit sie uns einst ebenso danken, wie wir jetzt unsern Vorfahren?« Sollte nicht jeder gute menschenfreundliche Wirth bei der Pflanzung eines Baumes, wenn er auch vielleicht nicht mehr hoffen kann, seine Früchte zu essen, bei sich selbst mit innigem Vergnügen denken: »Meine Enkel und Urenkel werden einst hier sitzen und glücklich sein und mich segnen?« Das ist gut und edel gedacht und gehandelt; und solche Gedanken und Handlungen belohnen sich schon durch sich selbst. Der Gute findet Vergnügen im Gutesthun.

Die Ordnung und ihr Vortheil zeigt sich überall im Kleinsten wie im Größten. Schon Kleidung und Betragen zeichnen den ordentlichen Menschen aus; Jeder hat sogleich ein gutes Zutrauen zu ihm, so wie man gegen einen Unordentlichen, den seine Unordnung auch meistens schon im äußern Aufzuge sichtbar macht, sogleich Mißtrauen hat, und mit Recht. Denn wer will einem Menschen fremde Sachen sicher anvertrauen, der seine eigenen nicht in Acht nimmt? Der Ordentliche hat alle seine Sachen an der rechten Stelle und alle in der Beschaffenheit, wie sie sein sollen. Reinlichkeit und Nettigkeit herrscht überall, wo es nur möglich ist. Zu jedem Gebrauch kann er jedes Werkzeug sogleich finden, jedes ist im Stande, so daß auf keine Weise ein Aufenthalt entsteht. Von dem Pfluge und dem Wagen, als den Hauptinstrumenten des Landmanns, bis zu der Dreschflegelkappe und dem kleinsten Nagel an der Tennewand ist Alles, wie es sein soll. Da geht Alles, wie und wenn es gehen soll. Die Aecker sind bestellt zur rechten Zeit; die Gräben sind gezogen, ehe der Regen einbricht; das Heu wird gemacht, ehe es das Wasser verderben kann; die Ernte ist vollendet, wenn der Pastor das Fest halten will, und der Schnee kommt nicht, ehe die Wintersaat besorgt ist. Der Dünger liegt nicht Monate lang auf dem Felde, ehe er eingepflügt wird, die Maulwurfshügel machen die Wiese nicht unsichtbar, und die Sense muß nicht erst aus der Stadt geholt werden, wenn die Nachbarn schon Heu einfahren. Es kann zwar einmal der Marder die Hühner im Stalle würgen, und die Sperlinge und Elstern können einmal die Käse aus dem Korbe verzehren; aber wenn es oft geschieht, so verdient der Hausherr, daß die Marder seine Hühner würgen und die Sperlinge und Elstern seine Käse verzehren. Nichts geht in der Welt über die Ordnung, und wie weit man in der Welt mit Wenigem und Ordnung kommen kann, zeigen hier und da Beispiele, welche aufmunternd sein sollten. Eine ziemlich arme Gemeine besetzte auf Anrathen und Vorstellung einiger vernünftigen Mitglieder etliche leere, sonst unbrauchbare Plätze an den Bergen mit Obstbäumen; in zehn Jahren verkauften sie schon das Obst jährlich für eine beträchtliche Summe und konnten in kurzer Zeit aus dem daraus gelösten Gelde nach Besorgung einiger andern geringern Nothwendigkeiten sich eine Spritze und ein Haus dazu bauen lassen und die übrigen Feuergeräthschaften in bessern Zustand setzen. Durch die Pflanzung wurden also sonst ungebrauchte Stellen benutzt, die Gegend schöner und anmuthiger gemacht und einem wesentlichen Bedürfniß abgeholfen, das, wenn es hätte sollen durch baaren Geldbeitrag besorgt werden, gewiß würde schwer geworden oder vielleicht noch lange aufgeschoben worden sein. So kann man durch Aufmerksamkeit und Ordnung Manches zu großem Vortheil benutzen.


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