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Von der Dankbarkeit

»Undank ist das größte Laster«, sagt das Sprichwort, und das Sprichwort redet die Wahrheit tief aus der menschlichen Natur. Der Undankbare muß ein hartes, empfindungsloses, ganz verwahrlostes Herz haben, oder vielmehr er muß kein Herz haben; denn ein solches Herz verdient nicht mehr, ein Herz genannt zu werden. Das Laster des Undanks ist desto größer, da warme Empfindungen für Güte und Wohlthaten bei jedem Menschen vorausgesetzt werden müssen, der nur Vernunft hat und sein eigenes Glück fühlt und wünscht. Es ist desto größer, da die bürgerlichen Gesetze es nicht durch alle Verhältnisse und Lagen des menschlichen Lebens verfolgen und also nicht bestrafen können. Aber der Abscheu aller Redlichgesinnten verfolgt einen Undankbaren. Ein Undankbarer ist leicht fähig, von einer Stufe des Lasters herab zur andern bis zu dem schrecklichsten Verbrechen zu sinken. Leichtsinn und Unempfindsamkeit sind der Grund der Undankbarkeit. Wer erzeigte Wohlthaten nicht erkennt, wie will der im Stande sein, einst aus Mitempfindung für das Schicksal seiner Brüder selbst Wohlthaten zu erweisen? Dankgefühl ist das Erste, was der gute Mensch in der Freude seines Glücks äußert. Unser Dank muß zuerst zu Gott, unserm Schöpfer, Vater, Erhalter, Versorger und unendlichen Wohlthäter emporsteigen. Alles unser Gebet muß Dank sein; denn unser ganzes Leben ist Genuß seiner Liebe und Güte. Die ganze lebendige Schöpfung und selbst die leblose ist ein lautes Chor zu seinem Lobe, und der Mensch, das herrlichste Geschöpf, das mit Vernunft empfindet, denkt und handelt, sollte nicht mit in dem Chore sein?

Der kleinste Halm
Ist seiner Weisheit Spiegel,
Und Luft und Meer und Wald und Thal und Hügel
Sind Gottes Loblied und sein Psalm.

Jede Empfindung der Freude durch die Natur ist ein Dank, den die Creaturen unbewußt ihrem Schöpfer stammeln, und wir, die wir wissen und erkennen, sollten nicht heiß empfinden und laut und deutlich sprechen zu seinem Preise? Die Lerche erhebt ihr Lied in dem Saatfelde und steigt hoch mit demselben in die Lüfte bis an die Wolken, und der Mensch, für den der Himmel die Saaten segnet, wollte zurückbleiben und nicht sein Lob durch die Wolken und alle Himmel singen? Dankbarkeit gegen Gott, unsern allgemeinen Wohlthäter, ist der Grund unserer Erkenntlichkeit gegen alle unsere übrigen Wohlthäter auf Erden. Wer nie mit glühender Andacht seinem himmlischen Vater für alle seine tausend Segnungen dankte, wie will der seinem Bruder danken, der im Namen dieses großen Wohlthäters ihm blos hier und da eine hilfreiche Hand gab? Aber Worte und geschmückte Reden sind kein sicherer Beweis der wahren Dankbarkeit, sind noch kein giltiger Bürge, daß der Sprechende von dem wahren, ächten Gefühl derselben durchdrungen ist. Mancher macht viel Wortgepränge, und seine Seele ist leer von Empfindungen, und mancher Bescheidene spricht wenig oder nichts; aber wenn gleich sein Mund verstummet, ist doch sein Herz ein lautes Gebet.

Vorzüglich sind wir sodann Dank schuldig unsern Eltern, unsern Lehrern, unsern nähern Wohlthätern, der guten Obrigkeit und Allen, die auf irgend eine Weise thätigen Antheil an unserm Schicksal nehmen. Wer den Eltern nicht vergilt durch Liebe und Achtung alle ihre ehemalige Sorgfalt, alle ihre Treue, mit welcher sie ihn erzogen, der verdient auch von seinen Kindern einst keinen Dank für Alles, was er für sie thut. Gute Lehrer und gute Obrigkeiten sind nach guten Eltern die größte Wohlthat des Himmels. Wer ihre Mühe und ihre Sorgfalt nicht mit Dankbarkeit und Willfährigkeit erwidert, der verdient nicht das Glück, das sie ihm verschaffen könnten, und das er durch seinen Leichtsinn und seine Halsstarrigkeit verliert. Jede freundschaftliche Theilnahme, jeder gute Rath, jede nützliche Zurechtweisung verdient unsere Erkenntlichkeit. Der dankbare Mensch ist im Grunde gewiß ein guter Mensch, und wenn er auch viele Fehler hätte, und der Undankbare ist gewiß kein guter, und wenn er auch gleißnerisch mit mancher gut scheinenden Eigenschaft prangte. Nichts ist rührender, als eine ganze Gemeine feierlich mit Dank vor Gott zu sehen, als eine Versammlung, die einem väterlichen Wohlthäter ihre kindliche Liebe dankbar bezeigt, als einen Kreis guter Kinder, die sich mit Herzlichkeit um einen Vater drängen, welcher eine zahlreiche Familie zur Tugend und zum Glücke liebreich auferzog. Selbst die Thiere fühlen den Trieb der Dankbarkeit, und die Geschichte erzählt davon Beispiele, die in Erstaunen setzen. Der Hund wacht bei dem Lager des Herrn, der ihn füttert; das Pferd duldet nur seinen Wohlthäter nahe an sich. Sollte sich der Mensch beschämen lassen von Geschöpfen ohne Vernunft, welche nur von einem unwillkürlichen Triebe gezwungen werden? Man kann sicher unter dem Dache eines Mannes ruhen, welcher dankbar war; aber gegen den Undankbaren herrscht billig ein allgemeines Mißtrauen. Wer Menschen nicht liebt, die ihm Wohlthaten erzeigen, wie will der Menschen lieben, die ihm ganz fremd sind?

Der Undank ist ein schwarzes Laster;
Nichts ist dem Redlichen verhaßter,
Nichts schändet mehr des Menschen Werth,
Als wenn ein Mensch für alle Gaben,
Womit ihn Gott und Menschen laben,
Nicht dankbar auch den Geber ehrt.

Die ohne Sinn die Wohlthat nehmen
Und sich des Herzens Rührung schämen,
Verdienten diese Wohlthat nicht.
Nie soll der Vorwurf uns entehren,
Daß je wir solche Menschen wären;
Erkenntlichkeit ist heil'ge Pflicht.


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