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Vom Trunke

Mit dem Spiele ist ein gleich verhaßtes Laster der Trunk, und beide gehen oft zusammen und machen verbunden desto unglücklicher, je mehr die Trunkenheit dem Menschen seine helle Besinnung raubt und ihn dann den Gefahren des Spiels noch mehr bloßstellt. Der Trunk ist eine Leidenschaft, die dem Menschen alle seine Würde nimmt, ihn zur Zeit ihrer Herrschaft fast bis unter das Vieh herabsetzt und nach und nach alle edeln Fähigkeiten, alle tugendhaften und gemeinnützigen Entschlüsse und Gewohnheiten erstickt. Es mag vielleicht wahr sein, daß der Gebrauch geistiger Getränke und besonders des bei uns leider so sehr herrschenden Branntweins in manchen Fällen dann und wann bei gewissem Wetter Stärkung und Arznei ist, aber es ist auch ebenso wahr und von den angesehensten Aerzten bewiesen, daß er in den meisten Fällen ein schädliches Gift wird. Der Wein ist in unsern Gegenden für uns Landleute eben wegen seiner Seltenheit so schädlich nicht und also nicht so sehr zu fürchten; aber in den Weinländern richtet er durch den übermäßigen Genuß ebenso viel Unheil an als an andern Orten gebrannte Getränke. Der Wein soll das Herz des Menschen erfreuen; aber viele Menschen ersäufen Kopf und Herz in seinem gefährlichen Zauber. Jedes Getränke, welches merklich berauscht, ist der Gesundheit schädlich, und vernünftige Menschen müssen sich davor hüten. Der Trunk ist anfangs ebenso verführerisch, als er nachher, wenn die Gewohnheit höher steigt oder vielmehr tiefer sinkt, häßlich und abscheulich ist. Erst wird der Trinker lustig, dann ausgelassen, sodann berauscht, sodann betrunken und endlich gar besoffen. Man darf nur einen Menschen in einem solchen traurigen Zustande erblicken, um die ganze Häßlichkeit dieses Lasters sogleich zu fühlen.

Die Füße wanken, der Kopf taumelt, die Zunge stammelt, kein Glied hält fest, und der Mensch hat nicht allein keine Seelenkräfte mehr, sondern auch nicht einmal das Leben eines Thieres. Ein besoffener Mensch ist nicht einmal mehr dem Thiere gleich; er ist weit unter das Thier herabgesunken. Kein Thier überschreitet das natürliche Maß seines Futters, und der Mensch, der Vernunft hat, handelt oft so unvernünftig, daß er Seele und Leib durch das Uebermaß des Genusses erstickt. Während der Trunkenheit ist der Mensch zu allen übrigen Lastern fähig; denn er hat keine Besinnung, er hat keine Vernunft und keinen Willen mehr. Er ist sodann ganz nur das, was der Zufall aus ihm macht, oder wozu ihn Andere brauchen wollen. Ist es nicht höchst erniedrigend für einen Menschen, wenn man von ihm sagt: »Man muß es ihm nicht zurechnen, er hat es im Trunke gethan?« Das heißt so viel: man kann es ihm nicht zurechnen, denn der Mensch war damals kein Mensch; denn dem vernünftigen Menschen kann, darf und muß man beständig zurechnen, was er redet und thut; dafür ist er eben Mensch, hat Vernunft und kennt die Verbindlichkeit zur Pflicht. Die alten Spartaner, eine Nation, die sonst strenge auf Tugend und gute Sitten hielt, erlaubten nur dann und wann ihren Knechten und Sclaven, sich zu betrinken, damit ihre Freien und Kinder durch solche häßliche Beispiele von dem Laster selbst abgeschreckt würden. Dieses zeigt von ihrem Haß gegen das Laster; aber das Mittel ist mehr grausam und tyrannisch als menschenfreundlich, da man dem Einen erlaubt, lasterhaft zu sein, damit die Andern dadurch gewarnt werden. Wenn ein betrunkener Mann ein häßliches Bild ist, so ist ein betrunkenes Weib die ekelhafteste, abscheulichste Erscheinung. Die vorzüglichsten Tugenden des Weibes sind Sittsamkeit und Schamhaftigkeit, und was kann wol denselben mehr entgegengesetzt sein als die Wildheit, Ausgelassenheit und Unverschämtheit des Trunks, wo jedes seine Gefühl des Anstandes verschwindet und alle Eingezogenheit und Züchtigkeit aufhöret? Ein betrunkener Mann ist leider oft mit Recht ein Spott der Knaben; aber ein betrunkenes Weib ist das schlechteste, weggeworfenste Geschöpf unter allen vernünftigen und fast auch unter allen unvernünftigen Geschöpfen. Wenn man überhaupt das Laster immer nur in der Nähe zu sehen braucht, um es niedrig und nichtswürdig zu finden, so ist der Anblick dieses Lasters schon so abschreckend und abscheulich, daß man sich wundern muß, daß es noch so häufig angetroffen wird. Möchte nur Jeder von uns die erste Gelegenheit fliehen, wo er nach und nach in eine so schändliche Gewohnheit fallen kann, und Jeder, über den sie schon vielleicht einige Herrschaft gewonnen hat, mit allen Kräften arbeiten, sich derselben zu entziehen!


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