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Von der Unkeuschheit

Es ist eine fast allgemeine Klage, daß Sittsamkeit und stille, eingezogene Lebensart, Unschuld und Unbefangenheit immer mehr und mehr abnehmen. Diese Klage mag nun jetzt mehr oder weniger als sonst gegründet sein, so zeigt sie doch, wie allgemein man das Laster zu verabscheuen Ursache hat, welches aus der Vernachlässigung und Verachtung jener liebenswürdigen Tugenden entstehet. Die Zügellosigkeit der Sitten und die Unkeuschheit beider Geschlechter ist allerdings ein Uebel, das in der menschlichen Gesellschaft unbeschreiblichen Schaden anrichtet. Die Unkeuschheit mag sich noch so sehr unter die feinen Namen der Mode verstecken, sie richtet mit ihrem Wesen immer viel Unheil an. Sie verderbt Seele und Körper, macht zur emsigen, strengen Erfüllung aller übrigen Pflichten lässig und unthätig, sie tödtet den Geist aller wahren Freude und bringt oft endlich die Verführten an den Rand des Verderbens, wo sie keine hilfreiche Hand mehr retten kann, und wo sie oft die Verzweiflung ergreift. Von allen Seiten betrachtet, ist die unordentliche Wollust und Ausschweifung der Geschlechter eine Quelle unendlicher Leiden, und für einige Augenblicke unbesonnener Luft bezahlt man oft mit einem ganzen Leben voll Angst und Vorwürfe, voll Reue und Gewissensbisse. Wenn die Seele einmal dem unglücklichen Hange nachgegeben hat, so wird es ihr schwer, sich wieder loszuwinden, und die Bilder der Verführung drängen sich beständig mit neuem Reize wieder ein. Ist es nicht niedrig und unwürdig, die unsterbliche Seele zur schwachen, ohnmächtigen Sclavin eines irdischen, grobsinnlichen Triebes zu machen? Und ist es nicht höchst weggeworfen, durch diese Sclaverei so den schönen Körper, den uns die Natur gegeben hat, bis zur Zerrüttung zu mißbrauchen und endlich vielleicht jämmerlich zu zerstören? Aber wenn auch dieses traurige, schreckliche Ende nicht allemal erfolgt, welches Glück der Erde wird nicht dadurch zertrümmert! Wie Manche vernichten sich selbst alle Aussicht auf häusliche Zufriedenheit und allen Segen, den ihnen eine eheliche Verbindung versprechen könnte! Wie Mancher vergiftet das Glück und die Ruhe einer würdigen Familie und bringt Jammer dahin, wo vorher schuldlose Freude herrschte! Wie manche junge, liebenswürdige Person wird dadurch das Opfer der Lockung und Verführung und vertrauert sodann ihr freudenloses Leben in untröstlicher Einsamkeit! Die Wollust der groben Sinnlichkeit tödtet die reine Liebe, welche den Menschen edler, besser und glückseliger macht. Selbst die reine, edle Leidenschaft ist oft gefährlich; aber die verächtliche Ausartung derselben, die grobe Ausschweifung, ist immer Verderben für Viele. Mit Aufmerksamkeit und Ernst sollen also Hausväter und Hausmütter über Sittsamkeit wachen und klug und weise Alles zu entfernen suchen, was Leichtsinn über einen so wichtigen, den Menschen so heiligen Gegenstand verbreiten kann. Unwissenheit in Lastern ist große Weisheit; bei keinem Laster, das unter den Menschen angetroffen wird, ist diese Wahrheit so einleuchtend als bei diesem. Ueber keinen Punkt im menschlichen Leben sollte länger unbefangene Unwissenheit und Unerfahrenheit und bei nothwendig eintretender Kenntniß mehr Ernst und Gefühl der Menschenwürde herrschen. Das Wohl der Einzelnen und der ganzen menschlichen Gesellschaft beruht darauf. Es ist eine unselige Wissenschaft, wenn unsere jungen Leute hierin vielleicht zehn Jahre früher wissen als ehemals; und es gehört zur Veredlung der menschlichen Natur und ihres Glücks, die Zeit der Erfahrung nicht zu früh kommen zu lassen. Väter müssen sodann väterliche Rathgeber sein, damit diese Erfahrung nicht zu theuer, nicht vielleicht auf Kosten der Wohlfahrt des ganzen Lebens erhalten werde, »Ehrfurcht den Kindern!« sagt ein altes weises Gesetz der Heiden; und wir dürfen uns nicht schämen, ihnen nachzuahmen, wo sie wirklich weise waren. Ehrfurcht den Kindern also vorzüglich in dieser Rücksicht, daß kein leichtsinniges Wort ihre jungen Herzen, kein üppiges Bild ihre jungen Seelen verderbe! Nichts muß in dem Menschen mit mehr Vorsichtigkeit bemerkt, mit mehr Zärtlichkeit behandelt und geleitet werden als der erwachende Trieb des Geschlechts, wenn er seiner wohlthätigen Wirkung nicht verfehlen und nicht anstatt des Glücks, das er bewirken kann, großes Unheil stiften soll. Wenn überall die Betrachtung von Beispielen und Menschen, die sich durch Unbesonnenheit und Laster unglücklich gemacht haben, nützlich ist, so ist sie es gewiß vorzüglich hier. Wenn dieses Laster auch unter uns nicht so fürchterlich wüthet als vielleicht in großen Städten, so wird doch auch hier und da viel Ruhe dadurch gestört und viel Elend gestiftet. Welche entsetzliche Folgen hat es auch zuweilen auf dem Lande! Die Erfahrung hat schon oft schreckliche Beispiele gezeigt und zeigt sie leider noch immer. Eine junge Person, die wahrscheinlich ein sehr glückliches Leben hätte hoffen können, verfällt in Sittenlosigkeit und Unzucht, in Mangel und Schande, von Unordnung zu Unordnung in Schamlosigkeit, Betrug und Dieberei: Angst und Verzweiflung ersticken sodann in einer unseligen Minute Menschengefühl und Besinnung: sie wird Mörderin ihres eigenen Kindes und endet mit unsäglicher Qual der Seele ihr Leben durch das Gesetz auf dem Rabensteine. Welche Folter muß dann in dem Herzen eines Mannes sein, der auf irgend eine Weise zu dem Schicksale einer solchen Unglücklichen mit beigetragen hat! Wenn auch das Ende nicht immer so ganz entsetzlich und schrecklich ist, so ist doch das Elend nicht zu berechnen, das durch die Herrschaft dieses Lasters unter den Menschen entstehet. Vieles wird gesehen, und Manches nagt geheim, aber desto tiefer und qualvoller an der Ruhe der Verführten.

Wie Mancher büßt für Augenblicke
Mit seines Lebens ganzem Glücke
Und wischte die Erinnrung gern
Mit blut'gen Thränen aus dem Leben!
Umsonst, der Reue Bilder schweben
Im Abendroth und um den Morgenstern.

Mit Seelenangst und ohne Schlummer
Ringt trostlos oft mit tiefem Kummer
Ein Opfer um verlorne Ruh'
Und schließt nach wenig trüben Tagen
Mit schweren halbgebrochnen Klagen
Ihr Auge nur zum Schlaf im Grabe zu.


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