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Von der Erziehung

Einer der wichtigsten Punkte für das Vaterland, für Städte und Gemeinden und für alle Familien insbesondere ist unstreitig die Erziehung der Jugend. Die Natur hat allen lebendigen Geschöpfen eine unbegrenzte Zärtlichkeit gegen ihre Jungen eingepflanzt. Im vierfüßigen Thiergeschlechte und unter den Vögeln finden wir täglich Beispiele von der Angst und Besorgniß, mit welcher die Mütter ihre kleine Brut vor Mangel und Unfall zu schützen, vor Gefahr und Gewalt zu vertheidigen suchen. Die Henne hebt sträubend ihr Gefieder, die Gans hebt drohend ihren Hals in die Höhe, wenn man ihren Kindern zu nahekommt; Alles fühlt und athmet die Liebe der Natur. Kein Geschöpf verläßt seine Jungen eher, als bis sie sich selbst schützen und ernähren können. Der Adler giebt seinen Söhnen Unterricht im Fliegen und im Raube, der Löwe in der Jagd. Alles arbeitet nach dem großen Endzwecke des Schöpfers. Der Mensch, der seine Kinder nicht liebt, nicht für sie sorgt und arbeitet, sie nicht zu guten und glücklichen Geschöpfen erziehen will, verdient nicht, daß ihm der Himmel die Freuden der Familie giebt, und wird oft genug in der Folge durch das Unglück derselben und sein eigenes für seines Herzens Härtigkeit gestraft. Die edleren großen Geschöpfe des Erdbodens brauchen mehr Zeit und Mühe, um zu ihrer Vollkommenheit zu gelangen, als die kleineren und geringeren, der Adler mehr als der Sperling, das Roß mehr als das Schaf. Der Mensch ist das edelste und erhabenste unter allen, der vernünftige Beherrscher aller übrigen; er braucht die längste Zeit, die mehrste Mühe, den größten Fleiß, die unermüdetste Aufmerksamkeit zu seiner Bildung an Leib und Seele. Deswegen ist die Verbindung zwischen Mann und Weib gewöhnlich immerdauernd und unzertrennlich, damit die Kinder zu völligen Menschen erzogen werden, damit ihr Körper sich sorgsam ausbilde und stärke und ihr Geist zu allen Kenntnissen, Fertigkeiten und Vorzügen erhoben werde, welche die große, wesentliche, eigene Würde des Menschen ausmachen. Wie schwer vergehen sich also nicht Eltern gegen Gottes Ordnung, gegen das Vaterland, gegen alle ihre Mitmenschen, und wie sehr handeln sie gegen ihr eigenes Glück, wenn sie die Erziehung ihrer Kinder unverantwortlich vernachlässigen! Die öffentlichen Einrichtungen sind bei uns jetzt überall so, daß die Erziehung von Seiten des Unterrichts in der Religion und in der Sittenlehre erleichtert wird. Es sind überall Schulen und darin angestellte Lehrer, deren Pflicht es ist, auch die Kinder der Aermsten in den nöthigen Begriffen von Gott und Tugend und ihren Pflichten zu unterweisen. Bei allen gesitteten Völkern war die Sorge für die Jugend, ihre Unterweisung und Uebung zu ihrer künftigen Bestimmung eine Hauptsache, und manche Gesetzgeber, die von der Wichtigkeit derselben sehr tief überzeugt waren, machten sie zu einem vorzüglichen Augenmerk ihrer Verordnungen. Aber die öffentliche Erziehung in der Schule ist bei Weitem nicht hinreichend, aus den jungen Geschöpfen wirklich das zu machen, was aus ihnen werden soll. Der beste Erziehungsort ist immer das väterliche Haus, der beste Lehrer der ernstliche Vater mit seiner herzlichen Leitung und seinem beständig guten Beispiele.

Das Erste in der Erziehung ist unstreitig die Sorge für den Körper, daß das kleine Geschöpf mit Sorgfalt in Acht genommen werde; daß für seine Gesundheit, für jedes seiner Glieder wie für das Ganze gewacht werde. Gebrechlichkeit ist überall ein trauriges Loos, aber doppelt traurig ist es unter den Landleuten, deren ganze Beschäftigung vorzüglich Körperkraft und körperliches Wohlsein erfordert. Welche wehmüthige Empfindung muß es nicht für Eltern sein, ihre Kinder schon in der ersten Jugend, wo der Mensch eben recht schön aufblühen sollte, als Schwächlinge herumschleichen zu sehen und sich bewußt zu sein, daß sie selbst dieselben verwahrloset haben, vielleicht am Gängelbande oder in den Windeln, vielleicht schon vor der Geburt durch Unbesonnenheit und Leichtsinn! Von solchen Kindern kann man im eigentlichsten Verstande sagen, daß sie die Sünden ihrer Väter tragen. Eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe ist das erste, größte Glück der Erde. Der Leib ist das Haus, die Seele der Einwohner; es ist vernünftig und nothwendig, daß man das Gebäude gut aufführe und in gutem Zustande zu erhalten suche, wenn sich der Besitzer desselben darin wohl befinden soll. Welche Vortheile haben wir in diesem Punkte nicht vor den Städtern! Bei uns scheint die Gesundheit ihre Behausung aufgeschlagen zu haben; wir dürfen sie nur nicht vertreiben. Wie oft sieht ein halbkranker Stadtmann neidisch und seufzend auf unsere harte, frische, braunbäckige, rasche Dorfjugend hin, wenn er an seine Knaben zu Hause denkt, die nicht gesünder sind und sein können, als der Vater selbst ist! Manche kommen, um bei uns Gesundheit zu kaufen, und wir sollten dieses unschätzbare Gut nicht zuerst für uns und unsere Kinder selbst zu sichern suchen?

Nach der Sorgfalt für den Körper tritt mit den Jahren, wo die Seele anfängt, sich thätig zu zeigen, der Unterricht in den wesentlichen Kenntnissen des Menschen ein. Unsere Kinder brauchen nicht Gelehrte zu werden, so wenig als wir es sind; denn sie haben keine andere Bestimmung als wir. Es wird ihnen aber doch sehr wohl thun, wenn sie zuweilen etwas mehr lernen als ihre Väter. Was wir jetzt selbst gern wissen möchten, das sollen wir jetzt füglich unsre Söhne lernen lassen, wenn wir können und Gelegenheit haben. Man soll in der Jugend Alles lernen, was man Nützliches lernen kann, nur nicht das Unwichtige dem Wichtigen und das blos Angenehme dem Nöthigen und Unentbehrlichen vorziehen. Lesen und Schreiben und Rechnen hat Jedermann nöthig, wenn er auch nicht nöthig hat, ein Schönschreiber und Rechenmeister zu sein. Der Unterricht in der Religion und unsern Pflichten ist das Wichtigste, ohne welches der Mensch kaum ein Mensch genannt zu werden verdient. Wenn wir einige Kenntnisse von der Geschichte und Erdbeschreibung uns erwerben können, so giebt uns das manche Belehrung über nicht unwichtige Dinge, wo wir sonst im Finstern tappen. Wer Lust und Fähigkeit und Gelegenheit hat, irgend ein musikalisches Instrument spielen zu lernen, der kann sich und Andern in Zukunft damit manches Vergnügen machen. Für Alles dieses sollen Väter, nachdem ihre Lage und ihre Mittel es erlauben, Sorge tragen, um sich und ihren Kindern so viel Erwerbungsmittel und so viel Genuß als möglich zu verschaffen. Mancher Vater, der in seiner Jugend nicht viel lernen konnte, lernt noch mit seinem kleinen Sohne weiter, und es bringt ihm Nutzen und Vergnügen, und er braucht sich dessen gar nicht zu schämen. Es ist niemals zu spät, etwas Gutes, Nützliches und Angenehmes zu lernen. Jede Lebensart erfordert ihre eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten; wir müssen also dafür sorgen, daß unsere Kinder in nichts unwissend bleiben, was ihnen zu ihrer künftigen Bestimmung nöthig ist. Es gehört allerdings bei uns zu den nöthigen Dingen, zu wissen, wie ein Wagen und ein Pflug gebauet wird, wie er zusammengesetzt und auseinandergenommen wird, damit man nicht inskünftige mit jeder Kleinigkeit, die man selbst besorgen könnte, zu eigenen Handwerkern zu laufen nöthig habe. Der ist wol kein sonderlich guter und geschickter Wirth, der dem Sattler jeden Riem zu nähen und dem Zimmermann jeden Axtstiel zu machen bringt. Ein junger Bursche auf einem Hofe, der nicht mit Pferden und Wagen, und ein Mädchen, das nicht mit dem Rad, der Nadel und dem Küchengeschirr umzugehen weiß, sind auf alle Fälle in der Erziehung sehr vernachlässiget. Oft will man in Jahren mit der Erziehung erst anfangen, wenn man schon vollendet haben sollte. Die Jugend ist die goldene Zeit zur Erlernung jedes Dinges; mit den Jahren wird Alles schwerer und Manches fast unmöglich.

Das Wichtigste in jeder Erziehung und also auch in der Erziehung unserer Jugend ist die Bildung zur Rechtschaffenheit und Tugend, zur Sittsamkeit, Sanftmuth und jeder guten Eigenschaft, die dem Besitzer Nutzen und Wertschätzung und der Gesellschaft Vortheil und Vergnügen bringt. Dieses geschieht am Besten in dem Hause der Eltern, durch ernste, weise Lehren, herzliche Weisung, wiederholte vernünftige eindringliche Vorstellung und am Meisten durch selbsteigenes gutes, untadelhaftes Beispiel. Kinder bilden sich meistens nach ihren Eltern. Der Mensch ahmt so gern nach, und wem sollte er eher nachahmen als Denjenigen, um welche er täglich ist, von denen er abhängt, die er achten und lieben soll, und in deren Fußstapfen er von der ersten Kindheit an unmerklich tritt? Daher so viel bekannte Sprichwörter: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme«; »Wie die Alten sungen, zwitschern auch die Jungen«, und mehrere andere. Wenn also Eltern das Glück ihrer Kinder und ihr eigenes wünschen, wenn ihnen ihre Zufriedenheit und Ruhe im Alter lieb ist, so mögen sie mit aller Aufmerksamkeit von den zartesten Jahren an darauf sehen, daß sie ihre Kinder vor jeder Unart hüten und sie jede Tugend, so viel in ihren Kräften stehet, heilig halten lehren. Eine Tugend erzeugt die andere, und alle bringen Glück mit sich; aber auch ein Fehler ist Veranlassung zu einem andern, und alle führen in Unglück und oft endlich gar ins Verderben. Leichtsinn erzeugt Unart, Unart Fehler, Fehler Vergehungen, Vergehungen Laster, Laster Verbrechen; und die Folge von diesen ist immer Elend, wenn wir auch der furchtbaren Strafe entgehen. Wenn es nicht möglich sein sollte, mit Gelindigkeit und Güte den Endzweck zu erreichen, so sind Eltern bei ihrer Liebe gegen ihre Kinder, bei den Hoffnungen, die sie von ihnen haben, verbunden, Strenge und Schärfe zur Zucht zu brauchen. Wer sein Kind lieb hat, der züchtiget es, der erzieht es mit Aufmerksamkeit und Strenge. Besser, es weint jetzt zu seinem Glücke einige Minuten, als daß die Eltern im Alter mit ihm und über dasselbe unaufhörlich umsonst wehklagen. Es ist eine verkehrte Zärtlichkeit, seinen Kindern niemals wehe thun zu wollen, in der Zeit, wo sie auf ihr ganzes Leben vorbereitet werden sollen, so wie es eine vernunftlose tyrannische Härte ist, ohne Schonung und Ueberlegung jedes Wort immer mit der Zuchtruthe zu begleiten. Die Liebe selbst kann Eltern wol zwingen, strenge und unerbittlich zu werden, aber sie kann nie zu eigensinniger Härte, zum Murrsinn und zu zuchtmeisterlicher Furchtbarkeit werden. Ueberlegung und Kenntniß des Herzens müssen den Eltern die sicherste Leitung in der Behandlung ihrer Kinder sein. Die Früchte einer guten Erziehung ernten sie in ihrem Alter, wo ihnen sodann ihre Kinder Ruhe und Freude gewähren, ihre Liebe mit reiner Hochachtung und kindlicher Gegenliebe bezahlen und die besten Stützen der eintretenden Jahre der Schwachheit am Rande des Grabes sind.

Seht einen guten Vater, der sein ganzes Leben alle seine Pflichten erfüllt hat, an einem festlichen Tage in der Mitte seiner Kinder und Enkel! Alle drängen sich um ihn her und wetteifern, wer ihm die wärmste, zärtlichste Theilnahme bezeigen kann, alle bemühen sich, ihn sein Alter vergessen zu lassen und das frohe Gefühl seiner Jugend zurückzurufen. Er ist jetzt glücklicher als ehemals, da er als ein rüstiger Jüngling von allen seinen Bekannten beneidet wurde. Ist etwas schöner und rührender als die gute freundliche Großmutter in dem Kreise ihrer kleinen Enkelinnen? Wie emsig sie sich noch bestrebt, den kleinen Mädchen Unterricht zu geben, wie sie ihn ehemals den Müttern, ihren Töchtern, gab! Es ist ein gerechtes Gefühl der Selbstzufriedenheit, wenn so ein Alter mit Würde spricht: »Es hat niemals Jemand aus meiner Familie einen schlechten Streich gemacht«, und wenn Söhne und Enkel sich fest an ihn drängen mit der wahren, feurigen Versicherung: »Vater, es soll und wird auch Niemand von uns jemals etwas Schlechtes thun.« Das ist mehr, als wenn manche Vornehme in ihrer Familie so oder so viele Generale und Minister mit Ordensbändern zählten. Wie traurig und verlassen ist aber das Alter eines Mannes, der keine Freude an seinen Kindern erlebt, der vielleicht jetzt wieder dafür leidet, daß er ehemals seinen Eltern auch gar keine Freude machte! Wie niederdrückend und qualvoll muß es einem Vater sein, von dessen Söhnen jeder Redliche nur mit Achselzucken spricht! und wenn er dann fühlt, es sei sein eigenes Werk oder wenigstens die Folge seiner Unaufmerksamkeit, daß sie so und nicht besser geworden sind! Es ist kein bittrerer Schmerz in der Natur als der Gram, den uns Kinder verursachen. Möge Niemand von unsern Freunden dieses Herzeleid erleben! und wir wollen dieses Unglück selbst unserm Feinde nicht wünschen. Im Alter können wir uns erst recht lebhaft überzeugen, wie viel auf die Erziehung in der Jugend ankommt. Nur wenn die Menschen durchaus besser werden, können wir mit Grund bessere Zeiten hoffen; und sollen die Menschen besser werden, so muß mit der Jugend der Anfang geschehen. Wer einen eigenen schönen Obstgarten ziehen will, fängt mit der Baumschule an, alte Stämme lassen sich schwer biegen und fast ebenso schwer pfropfen.


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