Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Sechzehntes Kapitel

Es war gegen Ende April, ein vorzeitig warmer Tag. – Die Sonne brütete auf der Mauer des Treibhauses und auf dem fliesenbelegten Pfad, und Rupert saß im Garten und wartete auf Verbena. – Sie kam jetzt heraus aus der kleinen Tür, mit Ranken bekränzt, die sich ihr durchs goldbraune Haar schlangen, und sanft gegen ihren Rücken schlugen, während sie auf ihn zuschritt. – Dann ließ sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf dem Sand nieder, lehnte sich langsam zurück und lag endlich langgestreckt auf dem Rücken. – Ihr ganzer Körper sog Wärme ein. Ihre Haut glitzerte vom Schweiß der Pflanzen, vom 184 saftdurchschwängerten Humus des Treibhauses. Es war, als atme sie noch jenen Duft aus allen Poren. – Das Kleid war wie zufällig über sie gestreift, als habe jemand im Vorbeigehen aus Eifersucht dieses Stück gewirkter Seide über ihre unbändige und schlanke Nacktheit fallen lassen. Und trotzdem sie das Bein (sie trug keine Strümpfe, sondern nur Sandalen an den Füßen) in zwangloser Ruhestellung hob, sah er den Schimmer ihrer Haut gelassen an, wie man sich an dem Spiel eines schönen Tieres erfreut, an der Harmonie seiner Regung. All ihre Bewegungen waren von einer derart unbewußten Unschuld und Selbstverständlichkeit, daß er mit der Zeit, nun er sie stündlich um sich haben durfte, schier vergaß, sie als etwas Neues und Unerhörtes zu empfinden. Sie blickte ihn blinzelnd an mit selbstvergessenem Lächeln, als träume sie einer schönen Stunde nach.

»Erzähle mir doch etwas von Deinem Freund da drinnen,« bat er plötzlich.

Sie richtete sich in den Hocksitz auf. Das Schulterstück des Kleides glitt ihr halb über die jungen Brüste hinab; sie achtete dessen nicht. – »Du hast zwar versprochen,« erwiderte sie, »mich nicht nach Ihm zu fragen, aber ich fühle, ich kann Dir alles über Ihn erzählen. Als Du mich damals belauscht hast, so sagte ich Dir schon, hatte ich schwere Mühe, Ihn zu beruhigen, denn er hat das ältere Anrecht auf mich, und wie das gekommen ist, das kann ich Dir mit meinen armen Worten auch schwer erklären.

Er muß schon dagewesen sein, bevor ich denken konnte. Er soll auf einem Felsblock geritten haben, so erzählt Ole, und den Felsblock daran verhindert haben, mich zu zerschmettern, als ich winzig klein war. Ole meint, er habe es deutlich gesehen, wie Er grün auf den Felstrümmern getanzt habe, 185 ungefähr wie ein Sonnenkringel auf dem Waldboden, und Ihn dahin gelockt haben, wo ich lag. Er ist mein guter Geist und mein ältester Freund, das kannst Du glauben, frage nur Ole.

Nun muß ich Dir aber auch sagen, daß ich noch gar nicht so lange weiß, wie Er aussieht. Er hat mich immer geschützt, bis ich vielleicht vierzehn wurde, und da in einer Nacht, als ich es nicht mehr im Bette aushalten konnte, es war im Juni und es war warm, lief ich im Hause umher und hatte nichts am Leibe. – Mein Haar reichte mir damals bis unter die Knie, und ich konnte mich darin vollständig einwickeln. Ich hatte mächtig lange Haare, flocht sie mir oft zu Zöpfen und sie peitschten meine Waden, wenn ich lief. – Irgend jemand muß mich im Schlafe daran gezupft haben, denn ich stand plötzlich auf und hatte das Gefühl, ich müsse Lärm machen, müsse Gesellschaft haben, ich tastete um mich herum und fand niemanden. – Ole schlief unten und schnarchte wie ein Sägewerk. Ich wollte ihn nicht wecken. Aber mir war plötzlich recht elend und einsam zumute. Ich wollte jemanden umschlingen, von jemanden lieb gehabt werden und so rannte ich Treppauf, Treppab, rutschte über das Geländer hinab und trieb ein wüstes Unwesen im Hause ganz allein für mich. – Und auf einmal fürchtete ich mich, aber die Furcht war nicht groß genug, um Ole zu wecken. So blickte ich aus dem Fenster, es war schwarze Nacht und mit einemmal fühlte ich, daß jemand meinen Leib berührte. Ich fuhr zusammen und schrie auf – Niemand war da, es war eine Efeuranke gewesen und sie kam mir so lebendig vor. Sollte das die Gesellschaft sein, die ich heute Nacht bekommen würde? Es raschelte draußen; die Blätter tuschelten tausendzüngig und doch schien es windstill zu sein. Dann kam 186 eine Maus und pfiff, sie fürchtete sich nicht im geringsten vor mir. Ich breitete meine Handfläche aus auf dem Boden, sie kam näher und spazierte mir den Arm hinauf. Denke Dir, ich habe mich nie vor Mäusen gefürchtet, ich finde es lächerlich, wenn man sie unrein nennt, kein Geschöpf ist unrein.

Die Maus kletterte bedachtsam an meinem Zopf wieder herab wie ein Seemann von der Raa. Ich ließ den Zopf schwingen, sie plumpste mit einem kleinen erbosten Quietschen zurück, aber sie rannte nicht davon, sondern tummelte sich in meiner Nähe. Zuweilen setzte sie sich auf und sah mich ernsthaft an. Mäuse können so ernsthaft sein.

Es geschah noch mitten in dieser Nacht und ich fühlte, daß ich nicht mehr einsam sei. Falter kamen herein. Aber anstatt um die Lampe zu schwirren, setzten sie sich auf meine Stirn und ließen sich mit den Fingern davontragen, und ich fühlte auf einmal, daß ich von lauter lebendigen Dingen umgeben sei und dies Gefühl war genau so, als ob mich jemand ganz fest in seine Arme nähme. – Dann kletterte ich, wie ich war, aus dem Fenster herab in die dunkle Nacht hinein. Du kannst Dir vorstellen, was ich im Garten alles erlebte. Wir hatten damals einen großen Hund, auf dem ritt ich ein wenig spazieren und dann geriet ich zum erstenmal ins Treibhaus, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. – Ole hatte es nicht abgeschlossen und ich versteckte mich die ganze Nacht darin. Mir war, als ob es gar nicht finster war, ich konnte alles sehen. – Ich sah nur eine leichte Dämmerung, sonst war alles deutlich. Und ich hörte und ich sah die Pflanzen wachsen. – Du wirst lachen darüber, aber so ist es. Ich verstand alles bis ins kleinste hinein, wie es lebte und sich bewegte. – Andere Menschen sehen das nicht, 187 habe ich mir sagen lassen, auch Du nicht, Du kannst es nur glauben, ich weiß es aber.

Nach jener ersten Nacht erzählte ich Ole, was mir begegnet sei und wie glücklich ich war, daß ich überhaupt keiner Gesellschaft bedürfe, da sich alles mir so lebendig zeige. Und hier erzählte er mir zum ersten Male, wie das zuging. – Er erzählte mir von Unserem Freund, der bei uns lebe, und dem ich diese Gesellschaft zu verdanken habe. Er stecke hinter dem allen, und ich quälte Ole unablässig, bis er Ihn mir genau beschrieb. Du hast gute Augen, sagte er, aber Dein Blick wird sich noch schärfen, Verbena, und wenn Du so gut siehst wie ich, dann wirst Du Ihn auch erkennen, denn ich sehe Ihn vor mir, wie ich Dich sehe, da ist gar kein Unterschied. – Wie kommt es denn, daß Er bei uns lebt, fragte ich und war sehr wißbegierig. – Ich habe Ihn damals mitgenommen, als ich Dich fand, denn irgendwie gehörte Er zu Dir, erwiderte er, und ich habe Ihn dieser Welt nicht gegönnt. Er ist ungeheuer weise, obwohl Er noch sehr jung ist, oder vielmehr jung aussieht, denn Seine Jugend ist ewig, Er ist alterslos. Man hat Ihm zu verschiedenen Zeiten verschiedene Namen gegeben, aber es war noch niemandem gelungen, Ihn in Fesseln zu legen. Mir gelang es. Ich nahm Ihn mit, steckte Ihn sozusagen in meine Tasche und verbannte Ihn ins Treibhaus, da entbehrt Er nichts. – Ja, aber Ole, wer ist es denn? – Mein Weibchen, sagte er, das ist eine schwere Frage, die zu beantworten hat sich schon mancher den Kopf zerbrochen. Man kann immer nur neue Namen für Ihn erfinden, lassen wir's dabei, geben wir Ihm keinen Namen, nennen wir Ihn »Unseren Freund,« denn dies hat seine tiefe Berechtigung. Er gehört uns, und zwar uns beiden ganz zu eigen und außer uns gibt es nur ein paar Dutzend Leute, 188 die von Ihm wissen, denen Er sich gezeigt hat. Jedenfalls gehst Du nicht fehl, wenn Du Ihn Dir als einen Jüngling vorstellst, der Dein Spielgefährte ist. Er ist Mittelding zwischen Knabe und Jüngling. Ein wenig beschaulich veranlagt, aber trotzdem auf Seine Weise äußerst geschäftig. – Mit diesen Worten hat mir Ole damals einen ganz bestimmten Begriff in den Kopf gesetzt. Er hatte mich so von aller Welt abgeschnitten gehalten, daß ich mir gar nicht recht vorstellen konnte, wie ein Jüngling aussieht, ich wußte auch nicht, welches Kostüm ich Ihm geben sollte, deshalb dachte ich Ihn mir so ungefähr wie Ole, wenn er um sechs Uhr morgens durch den Garten galoppiert. Hast Du ihn gesehen? Noch heute beschämt er jedes Rennpferd. Aber natürlich um einige fünfzig Jahre jünger! Ein rechtes Bild konnte ich mir nicht machen, aber jedenfalls war es ein hübsches Bild, was ich mir da erschuf. Ich habe immerfort in Gedanken an Ihm herummodelliert, und am Schluß hatte ich den Begriff ganz fertig im Kopf.

Es mag auch sein, daß jene wachsende Verschärfung meines Gesichtes alledem zugrunde lag, denn als ich Ihn wirklich sah, entsprach Er ganz der Vorstellung, die ich von Ihm hatte.

Ole meinte, es passe Ihm nicht, daß er im Garten und im Hause umhervagiere; er sagte mir, er habe Ihn ins Treibhaus gesperrt, und da bleibt Er jetzt, und das sei von jetzt ab mein Tummelplatz und Seiner. – Wenn wir also etwas miteinander auszumachen hätten, so möge ich mich dahin verfügen. Er hat es ihm ja auch sehr gemütlich dort gemacht, das siehst Du ja. Er ist ja auch kein Mensch wie Du und ich, sondern in seinen Bedürfnissen eigentlich eine Pflanze, nur sein Verstand leuchtet siebenfach stärker als all' unser armer, schwacher Verstand.

189 Ich war unsagbar glücklich. Ich hatte einen Geist gespürt, der sich zunächst noch zu verstecken liebte. Aber allmählich trat Er immer deutlicher aus dem Gewirr der Blätter hervor. Sein Leib ist wunderschön, und ich weiß nicht recht, ob Er sich bekleidet oder nicht. Manchmal scheint es mir, als sei Er ganz umhüllt von Blättern, und drapiere sie um Brust und Hüften. Der Widerschein von sonnendurchleuchteten Blättern ist stets um Ihn. Sein Haar sieht aus wie jene hellgrüne Flechte, die von alten Bäumen hängt. Seine Augen sind grün, so grün wie ein tiefes Wasser, auf dessen Grund Algen wachsen und verirrte Sonnenfunken spielen. – Er hat immer etwas besinnlich Listiges um den Mund. Wenn ich mir's überlege, sieht Er mir so ähnlich, als könne Er mein Bruder sein. Wenn ich mich im Spiegel sehe, so hat Er dieselbe Nase und dieselbe Stirn. Zuweilen dünkt mich, Er sei blond, ganz von blonden Haaren bedeckt wie ein Tier. Dann schimmert Er goldig, und Seine Haut ist braun wie Herbstlaub. – Wenn Er spricht, so tönt es eigentümlich, wie das Geräusch von leise sprudelndem Wasser. Seine Sprache ist nicht die unsere, und doch verstehe ich jedes Wort . . . Der Sinn Seiner Sätze äußert sich langsam, aus dem Tonfall, möchte ich sagen. Es gibt kein Geräusch der Natur, was Seiner Sprache fremd ist. Oft muß man sich besinnen, was Er meint, aber der Sinn leuchtet am Schluß still und schlicht daraus hervor. – Er weiß alles, Er weiß um mich so Bescheid, wie ich selber nicht. Ich befrage Ihn darum über alles, was mit mir, mit meiner Seele und meinem Körper vor sich geht, und Er erklärt es mir, und dann bin ich glücklich für Wochen.

Rupert, ich bin so froh, daß ich diesen Freund habe. Ole hat mir immer wieder gesagt, wie sehr ich mich auf Ihn verlassen könne. Mein Blut wäre auch das Seine, behauptet er, 190 und wenn ich mich an Ihn halte, so werde ich überall sofort wissen, was geschieht, ob die Triebe und Leidenschaften und Gedanken anderer Menschen echt oder falsch sind. Ob etwas mit dem Verstand gesagt wird, oder mit dem Herzen, und Dich mochte mein stiller Freund zuerst nicht leiden, da Du Dich eingeschlichen hattest und wirre Gedanken, die von draußen kamen, zu Ihm hineintrugst. Dann aber hat Er mir gesagt, es sei doch etwas in Dir, und ich könne es ja versuchen mit Dir. Vielleicht ließe sich an Dir manches verbessern. Du seist noch nicht hoffnungslos verdorben, und Deine Empfindungen seien noch echt, und als Du so sehr traurig warst, da hat Er mir's erzählt und zu Dir geschickt. Du hast es also Ihm zu verdanken, daß ich wieder mit Dir zusammen bin.«

Die Sonne brütete. – Dunkelblaue Fliegen zogen durch die Luft, blieben zuweilen stehen und jagten sich in tollem Spiel. – Von den Fliesen kam die Hitze zurückgeprallt, der Himmel flammte in einem Blau, das wie eine Glocke aus Kristall über den Garten gestülpt schien. – Ein einziger Vogel zwitscherte eintönig. – Die alten Linden breiteten ihre mächtigen Kronen wie ein grünes Zelttuch über den Weg zum Hause. Alles, was jenseits der Mauer war, war vom Grün abgesperrt, sie saßen in einer geschützten Heimlichkeit, die etwas Traumhaftes hatte.

Ganz fern im Hause hörte man das krächzende Räuspern Örvandills herüberklingen, von den Blättern erstickt, und Rupert blickte versonnen und ganz befangen über sie hin. Sie wußte ihre Worte so lieblich zu setzen, daß ihm das Bild jenes guten Geistes selbst ganz plastisch in die Phantasie eingeprägt war. Vielleicht saß er wirklich dort drinnen, meinte er nachdenklich zu sich. Aber er gönnt sie mir. – Er lächelte. Es gab wohl keine sanfteren Fesseln auf dieser Welt, aber 191 keine schwerer zu lösenden. Er mußte warten, warten, dann fiel sie ihm wie eine reife Frucht in den Schoß.

Sie guckte ihn blinzelnd an, einen Stengel zwischen den Zähnen, an dem sie nachdenklich kaute. 192


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