Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Zehntes Kapitel

Der Alte schien gerade einen längeren Satz zu beenden, denn an Ruperts Ohr dröhnten noch die Worte: – ». . . und davon kann natürlich unter keinen Umständen die Rede sein!!«

»Du bist ein Egoist, Ole.«

Man hörte den schweren Schritt des Alten in erregtem Rhythmus das Zimmer durchqueren. Rupert dachte einen Herzschlag lang, er komme auf die Tür zu, und mit einem schnellen Sprung brachte er sich auf dem Treppenabsatz in Sicherheit. Die erste Stufe quietschte auf, in die plötzlich einfallende Stille hinein. Er hielt schon alles für verloren, doch da nichts weiter geschah, stahl er sich wieder heran.

107 »So,« machte auf einmal die Stimme des Alten. »Ich bin also ein Egoist. So sehen Egoisten aus. Mein Lebenswerk ist ja ausschließlich für mich, wie? All diese Summe von Arbeit dort, an der haben wohl nur ich und ein paar belanglose Käuze unser Privatgefallen? – Oh, Verbena, wie bist Du blind.«

»Ja, dann komm doch einmal damit zum Vorschein und breite es der Masse hin. Soll ich denn nie erleben, daß Dein Name auf allen Gassen erklingt? Daß das große Menschenwürdige wieder einzieht in das Dasein dieser unsauberen Vielzuvielen da draußen?«

Der Professor gab ein kleines meckerndes Gelächter von sich. – »Du bist kaum zur Welt gekommen, Du gutes Kind, und fürchtest, etwas ›nicht mehr zu erleben‹. Beruhige Dich, Du wirst es erleben.«

»Wann aber, wann!!« rief sie klagend. »Wenn ich verbraucht bin.«

»Du verbraucht? Habe ich mich verbraucht? Ist nicht die doppelte Zeitspanne Deines Lebens mir wie gestern? Ich bin jetzt siebzig, aber sieht man mir das an? Wo habe ich ein graues Haar? Wie kannst Du in all Deiner aufkeimenden Lebenskraft eine solche Närrin sein, das Wort ›verbraucht‹ in den Mund zu nehmen? Was weißt Du von ›verbraucht‹? Was weiß Er davon?«

»Nein . . . Er . . . Du hast Recht.«

»Kann Er's abwarten?« schnaubte der Professor.

»Er kann es.«

»Kannst Du es also abwarten? Und wenn Er nicht älter wird, wirst Du deshalb älter?«

»Nein.« – Eine Pause entstand. – Dieses Frage- und Antwortspiel peinigte Rupert als ein Ausdruck des großen 108 brennenden Rätsels, das er überall in diesem Hause spürte. – Auf einmal hob sich Verbenas Stimme wiederum. Sie klang wie ein wundervoller Strich auf einer Cellosaite, der bis zum Ende des Satzes sanft auf- und abschwellend durchgehalten ward. – »Aber der Neue, Ole, der kann es nicht abwarten. Sieh einmal, der Arme ist ja doch mit all dem Schmutz von draußen aufgewachsen. Er verbraucht sich mit jedem Blick, jeder Bewegung, jedem Gedanken und wer weiß, wie lange das Öllämpchen noch flackert. Es brennt rasch, verlischt einmal vor all zu vielem Ruß und darin bist Du ein ganz gewaltiger Egoist, daß Du mit diesem Lämpchen nicht haushälterisch umgehst, sondern es für Deine ideenschwangeren Nächte verbrauchen willst. Du saugst es nur aus, Ole. Du läßt Dir von diesem dort Deine Werkstatt beleuchten, so lang es eben geht, und dadurch bleibst Du jung. Ich bin hinter Deine Schliche gekommen. Du nimmst Dir die Menschen her, wie jemand, der sich Lampen vom Sims herunterlangt und solang sie lustig prasseln und brennen, behagt es Dir. Du sparst dadurch an Deinem Räubergehirn. Du mußt nicht immer nur nehmen und nehmen. Du hast allzuviel errafft und blühst dabei rosig in ungebrochener Kraft. Aber unser neuer Gast ist mir zu gut dafür. Gib ihn mir wenigstens zur Hälfte.«

Es schien dem lauschenden Rupert, als wandle hinter dem Schlüsselloch ein Schimmer von Grün vorüber. War das jenes Grün, das, nach den Worten des sterbenden Vaters, dereinst aus einer Türritze schimmern sollte? – Oder war es nur der Widerschein ihres Kleides? Ihre Rede war kaum beendet, als der Alte ein abgrundtiefes Ächzen ausstieß. Es war jedoch nicht das Ächzen eines Sisyphus, der eine gewaltige Arbeit am Ende seinen Händen wieder unaufhaltsam 109 entgleiten fühlt, sondern das eines Atlas', der allzuviel auf seine Schultern genommen und nun diese Last ins richtige Gleichgewicht zu schütteln sich müht.

»Von allen Ansprüchen, die auf mich einstürmen,« erfolgte hierauf seine heisere Stimme, »ist der heutige mir ein besonders schmerzlicher. Woher hast Du diese Ausdrücke und Worte, mein Kind. Du rückst auf mich los, verbissen in trotziger Weiblichkeit, und machst mir meine Lebensbedürfnisse streitig. Habe ich Dir je etwas vorenthalten? Was gehen Dich die Männer an, die Du mir bringst? Und Du unterliegst einer riesigen Täuschung.«

»Unmöglich,« schrie sie auf, »diesmal täusche ich mich nicht.«

»Ja, einer ganz unverantwortlichen Selbsttäuschung unterliegst Du hilflos. Das tust Du; das tust Du. – Setze Dich.« – Man hörte das Knirschen eines Sessels. – »Bleibe ruhig sitzen und blicke mir ins Auge. – So. – Schärfer. – – Sprich, hast Du Dich getäuscht?« – Der Sessel knirschte zwei-, dreimal; – dann kam die geschwächte Stimme Verbenas wie ein Hauch:

»Ja, Ole.«

»Gut, stehe auf.« – Man hörte ein leises Rascheln. Eine Minute verrann, dann sagte er: – »Du bist nun ganz wach, wie?«

Die erstaunte Antwort kam, wie aus weiter Ferne: »Ich war nie wacher als jetzt.«

»Also, wir sprachen davon, daß Du Dir einbildest, Du könntest mir in dieses Werk pfuschen.«

»Bist Du verrückt?«

»Wir sprachen davon, daß Du diesen Rupert Dux für Dich beanspruchst?«

»Ich? Diesen harmlosen jungen Menschen? Oh nein, Ole, 110 nie und nimmer, er ist mir nicht gesund genug. Weder sein Geist, noch sein Körper sind mir gesund genug.«

»Das wollte ich hören,« erwiderte der Alte mit einer gewissen satten Befriedigung in der Stimme.

»Aber Ole, habe ich denn jemals etwas anderes gesagt?«

»Nein, nein, aber Du machtest Ausflüchte. Vermutlich schämst Du Dich. Ist das so?«

»Vor wem denn? Vor mir selber?« – Ihre Stimme klang ratlos und hoch wie die eines Kindes.

»Auch. Aber in der Hauptsache vor Unserm Freund.«

»Vor Unserem Freund« wiederholte sie monoton.

»Du wirst hinübergehen und Ihn um Rat fragen. – Er wird Dir sagen: ›Ich bin rein, Du bist rein, und dies ist unsere grüne Zweisamkeit‹.« – Ihr Atem schien heftig zu gehen. – »Was wird Er Dir sagen?« wiederholte der Alte scharf, fast drohend.

»Ich bin rein . . .« wiederholte sie stockend, mit einer Betonung, wie wenn ein verschlafener Vogel zirpt, »Du bist rein, und dies ist . . .«

»Nun?«

». . . unsere grüne Zweisamkeit.« – Eine Stille folgte. – Dies seltsame Gespräch, das Rupert Wort für Wort in sich sog, erschütterte ihn wie Fremdes, gewaltsam Überrumpelndes, und zugleich magisch Spannendes. – Er konnte sich von nichts, was er hörte, einen klaren Begriff machen, doch das begriff er, hier ging etwas Unerhörtes vor . . . Ein Geheimnis blühte in diesem Hause, das er um jeden Preis enträtseln mußte. – Er fühlte sich als Eindringling in diese Sphäre, die ihm mit vielen Masken entgegenstarrte. Dies ganze Haus war wie eine Kulisse; – dieser vom Lärm verschonte Fleck mitten ins tobende Leben hineingestreut, wie 111 der Zirkel eines Adepten; – dieses Treibhaus da hinten im Garten, das er entdeckt, und dieses seltsame wie in Runen verklingende Gespräch!

Irgend etwas geschah hier mit dem Mädchen, ob es zu ihrem Heil war oder zu ihrem Schaden, war ihm noch völlig unklar. Offenbar war er selbst das Objekt, das, in den Strudel zweier Interessen geraten, hin und her geschleudert ward von zweien sich entgegenstehenden Kräften. Wiederum war der Begriff »Unser Freund« aufgetaucht und hatte ihn tief verwirrt. – Wer war dieser rätselhafte Dritte? Wer war diese Macht, an die sie beide appellierten, die sein Widersacher war, die ihm entgegenarbeitete, die das Mädchen nicht zur völligen Hingabe ihrer Seele an ihn gelangen ließ? – Hier war der Kern der ganzen dunklen Angelegenheit, er mußte ihn herausschälen oder darüber zu Grunde gehen, denn er begriff, hier war nicht nur Verbena für ihn im Spiel, sondern auch er selbst. Nur durch die Bekanntschaft des Dritten gewappnet, konnte er es wagen, dem Alten wirksam entgegenzutreten.

Drinnen war eine derartig lange Pause eingetreten, daß es für ihn gewagt erschien, noch länger vor der Tür zu stehen. Eilig schlüpfte er zurück, nun hinauf über die Treppe, und schloß leise die Tür seines Zimmers. Unmöglich war es ihm, sich wieder hinzulegen. Ein Tumult von Gedanken durchtobte ihn. Er ging ans Fenster und fuhr fast zurück. – Unten ging Verbena quer durch den Garten. Scheu ging er an den Vorhang und spähte durch den Spalt. Ihm war, als könne sie jeden Augenblick das Haupt wenden und ihn da stehen sehen. Es war auf einmal wieder diese unerklärliche Angst vor der Hellsichtigkeit dieses Geschöpfes, die ihn damals aus der Entfernung durch ihren bloßen Wunsch 112 aus dem Schlaf zu rütteln vermocht. Blickte sie plötzlich auf mit dem Zurückwerfen ihrer braungoldenen Haare, so würde sie ihn im Vorhangspalt stehen sehen, bleich, fassungslos und in all seinen Begierden nackt vor ihrem ruhig prüfenden Blick. Das durfte nicht sein. Trotzdem hielt er aus, wankte nicht vom Fenster.

Sie war an das Treibhaus gelangt, beugte sich etwas und erschloß eine niedrige Tür aus rostigem Eisenblech. Sie mußte sich ziemlich tief bücken, um hindurch zu gelangen. Diese Tür öffnete sich wie ein kleiner Schlund, der die hohe Gestalt verschlang, und schloß sich wieder. – Die Füllung war so in die Mauer eingefügt, daß man sie auf den ersten Blick übersah. Mit einemmal wußte Rupert, daß dort hinten das Hauptgeschehnis, der Hintergrund und Kern des seltsamen Gespräches begraben liege. – Dies genügte ihm. Er ging auf das Sopha zurück und streckte sich aus. Er mußte sich dabei beeilen, denn er hörte den schweren stampfenden Schritt des Professors im selben Augenblick auf der Treppe. Der Schritt näherte sich wie das Schicksal und die Tür wurde aufgerissen. Der mächtige schwarze Gehrock füllte sie fast ganz aus.

»Gut geschlafen, junger Freund?« kam es murmelnd aus dem tiefen Brustkasten, mit einer, wie ihm schien, etwas erzwungenen Vergnügtheit. Die hellen Bärenaugen musterten ihn verschmitzt und fast etwas bedenklich. – »Ja, es geht doch nichts über ein Mittagsschläfchen. Nach Tisch die Glieder schlaff und dem Magen Ruhe gönnen, das ist das Wahre. Das ist auch,« und die Pranke fuhr dröhnend auf den Brustkasten mit bekräftigendem Schlag, »das Geheimnis meiner unverwüstlichen Gesundheit. – Unverwüstlichen Gesundheit!« wiederholte er mit breitem Grinsen, als koste 113 er das Wort aus. »Nun ist ja der Nachmittag zur Hälfte vorüber. Demnächst, wenn Sie nichts dagegen haben und Sie bleiben noch länger hier, werde ich Sie wieder zu mir bitten. Die Hauptsache war mir heute die Bekanntschaft. – Sind Sie stets erreichbar?«

Rupert fühlte ein Bedürfnis, dieser kolossalen Sicherheit gegenüber ein wenig einzulenken und nicht so zu erscheinen, als sei er auf den ersten Griff zu haben. – »Ich denke wohl,« und er sah dabei dem Alten auf den dritten Westenknopf, »daß ich mich für Sie, Herr Örvandill, stets freimachen kann, wenn es nötig ist.«

Der Professor fing diese Phrase auf und behandelte sie, als sei sie ein Zelluloidball, den er zwischen seinen beiden Pranken hin und her zu werfen schien. – »Frei machen,« wiederholte er. »Ja –« sprach er mit pastoralem Ton . . . »freimachen, das müssen Sie sich. Frei zu sein ist die Hauptsache. Anders kommen wir nicht zusammen.«

Er geleitete Rupert hinunter. Unten im Vorplatz stand, als sei sie, sein Fortgehen ahnend, blitzschnell zurückgekehrt, Verbena und bot ihm den Abschied. Ihre Hand war dabei seltsam kühl und schlaff, und ihre Augen schienen durch ihn hindurchzublicken, als sei er Glas.

Ihr Benehmen war ihm völlig unverständlich. 114


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