Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Elftes Kapitel

Die nächsten Tage verliefen ihm unter Grübeleien, die ihm kein Resultat bringen wollten. – Er hatte dem Professor seine Telephonnummer im Zentrum gegeben. – Ihm war, als müsse er sich auf das Folgende irgendwie vorbereiten, als gehe es zu einem rituellen Fest. Das Beste zur Sammlung erschien ihm seine eigene Wohnung. Stieß er doch hier überall auf lebendige Erinnerungen an seinen Vater und ihm war, als ob ihn dessen Geist umschwebe. – Im Traum war ihm einmal, als öffne sich eine Tür; sein Vater erscheine im Spalt vor einem Hintergrund von funkelndem Grün und nicke ihm hochbefriedigt zu, wobei er eine 115 halbheranwinkende, und sodann gütig anheimstellende Bewegung mache. Es war sonderbar, daß Rupert, der seinen Vater nur im nüchternsten Alltagskleid gesehen, von jenem phantastischen Aufputz eine so lebendige Vorstellung bewahrt hatte, daß er ihn nun im Traum stets vogelbunt sah, meistens laubfarbig und sehr festlich. Auch hatte der Alte gar nichts Verfallenes mehr in dieser Maske des Traumes, sondern bewegte sich schier rebellisch jung vor einem Hintergrund, in dem strotzendes Leben sich regte.

Rupert erwachte von diesem Traum seltsam gekräftigt. All' dies schien ihm wie Vorbereitung auf die große Aussprache, die der Professor ihm verheißen.

Nach etwa vier Tagen rührte sich das Telephon. Diesmal sah er die Silhouette dieses ungeschlachten Kopfes. Zuweilen, wenn er sich seitwärts drehte, sprang die Nase mächtig und gezackt hervor.

»Kommen Sie und bringen Sie für ein paar Wochen Ihre Sachen mit,« sprach der Professor; und es war wie orgelndes Windsausen in Telegraphenstangen, das aus dem Mahagonibehälter kam.

Mit der schnellsten Verbindung gelangte Rupert hinaus und als er diesmal den fliesenbelegten Gang dem kleinen Portikus zu entlangschritt, war ihm, als gelange er in die eigenste Heimat seines Selbst. Es war nicht Verbena allein, auf deren Anblick er sich freute, es war irgendwie ihre Atmosphäre, die ihn wieder in den Bann zog, und er überließ sich mit Bewußtsein dieser Gedankenverführung wenn er dabei auch in sein Verderben rennen sollte.

Sie war nicht sichtbar, als er im Hause eintraf. Seinen Koffer gebot ihm der Professor in das ihm schon bekannte Zimmer oben hinaufzutragen, dann solle er herunterkommen. 116 – Er tat es und war nun im Studierzimmer mit dem Gelehrten allein, der in jenem aus Büchern gebauten Verließ hockte und ihn, wie er alsbald spürte, durch die Ritzen scharf betrachtete. – Noch nie hatte Rupert so das Gefühl gehabt, daß er sich in den Zwinger eines Löwen begebe, wie diesmal. Der Professor war für ihn unsichtbar. Er hockte versteckt wie ein orakelnder Priester, den man nicht aufstöbern noch aus dem Konzept bringen durfte. – Das Rüchlein einer verbrannten Pflanze, penetrant, süß beklemmend und ihm unbekannt, schwängerte den Raum. Es war ein Aroma, das den Geist zugleich beruhigte und schärfte, wie er bald genug merkte.

»Alles Heil, junger Mann,« traf ihn die Stimme. »In der Ecke neben der Tür liegt ein Mantel, den ich Sie umzulegen bitte; es ist die Tracht unserer Gemeinde.«

Rupert sah einen dunkelgrünen Mantel von der Form eines Beduinen-Burnusses. Er war aus Seide und mit Pflanzenornamenten bestickt. Er zog ihn an, er paßte ihm wie angegossen. Die Ärmel waren bauschig und lang. Ärmel waren es nicht eigentlich, sondern da das Gewand aus einem Stück geschnitten war, kamen die Arme aus Schlitzen hervor und hoben rechts und links zwei Falten in die Höhe, die Flügeln glichen. Obwohl das Ganze verzweifelt nach einer Maskerade aussah, so kam ihm doch keinen Augenblick ein Gedanke, der die Weihe des Momentes hätte stören können.

Er trat in die Mitte des Raumes, und gleichzeitig kam auch der Professor aus seinem Verließ heraus. Er trug dasselbe Gewand, das jedoch zum Unterschied von dem seinen golddurchwebte Ränder zeigte und eine dunkle Smaragdschließe von ungewöhnlicher Schönheit. Sehr eigentümlich sah dieser Mann in dieser Tracht aus. – Er glich einem alten 117 Barden. Er war wie aus einem nordischen Mythus herausgestellt und in irgendeine östliche Beleuchtung gerückt durch diese kostbare Bekleidung. – An den Füßen trug er hellgelbe lederne Sandalen. Er legte Rupert seine beiden Hände auf die Schultern und blickte ihn durchdringend an. Rupert fühlte sich zunächst von diesem Blicke nicht getroffen und erwiderte ihn mit freimütiger Gemächlichkeit, doch allmählich schien das große rötliche Gesicht da vor ihm zu verschwimmen und das Bild einer Landschaft zeigte sich auf der Tafel seines Hirns. – Eine unendliche wohlige Schlaffheit überrieselte seinen Körper. Wie er auf einen Stuhl geriet, wußte er nicht. – Der Professor half ihm, sich setzen. – Es war eine seltsame Landschaft. Sie zeigte die sprunghaftesten und bizarrsten Formen. Es war mächtig-primitives Leben darin, wie auf schwimmender Insel in tropischem Sumpf, der ganze Horizonte füllte. – Irgendwo, das dünkte ihm, bewegten sich steile Reptil-Häupter wie in Bewegung geratene fleischige Stengel von unerhörtem Ausmaß. Sie hatten etwas Lüsternes, teils einzeln, teils zu Gruppen verschlungen. – Der Professor legte ihm die mächtigen großen Handflächen, die sein Gesicht fast bedeckten, über die Augen, und er spürte den Geruch von Humus. Die Handflächen wurden weggezogen wie ein Vorhang. – Da sah er wieder das alte Bild der Stube und den Mann, der einige Schritte von ihm entfernt am Schreibtisch Platz genommen hatte und ihn mit einem langsamen Grinsen betrachtete.

»Na, junger Freund,« sprach Örvandill, »wir haben da gerade einen kleinen Ausflug gemacht, wie?«

»Wohin war das, um Gottes willen; wohin?«

»Nun, das war nur eine kleine Gedankenprojektion aus der Frühzeit der Welt. Sehen Sie, ich habe eine lebhafte 118 Phantasie, und habe Ihnen ein Bildchen vermittelt. Doch lassen wir das beiseite; derartige Spaziergänge können wir uns später öfter leisten. – Nun hören Sie mir zu, ich will Ihnen eines sagen. Wenn es überhaupt Sinn haben soll, daß wir uns kennen gelernt, so ist dies in bezug auf die Zeitperiode, die die Menschheit augenblicklich durchmacht. Unsre Zeit ist nicht schön, das geben Sie mir zu, wie? – Ich glaube, es ist noch nie, seitdem die Menschheit diese Erde bevölkert, in allen Wellen und Phasen ihrer Entwicklung, ihrer Vertierungen und Vervollkommnungen eine ähnliche Abwärtskurve dagewesen, wie heute. – Wir können uns ausmalen, daß große Kulturen erklettert und wieder zu Staub wurden. Dies ewige Gemengsel, dies Hinüberfluten des Barbarischen in das Kultivierte, ist kaum durchschaubar mehr. Ich lobe mir das Barbarische, es ist mir das Ferment; eigentliches Menschentum ist barbarisch. Und so haben die Germanen eine Zeit gehabt, wo sie als Ferment dienten; diese ganzen Hunderte von Jahren hindurch; wo die anderen sie ausgeplündert, ausgesogen haben. Soll man von den spanischen Fledermäusen reden, die sich an der Gurgel des blonden Recken verbissen? Hat sich nicht ein Popanz auf ihren Leibern gütlich getan und einen Troß romanischer Blutsauger auf sie losgelassen? – Mein Gott ja, die guten Germanen sind angezapft worden. Mark haben sie hergeben müssen und immer wieder neues Mark. Sie sind ein bißchen schwerfällig geblieben, aber sie haben sich stets regeneriert und sich heute zu einem Zehntel wohl noch rein erhalten. – Sehen Sie, da oben auf der Landkarte, wo dieses spitze Zulaufen der Länder nach dem Nordpol herrscht, wo diese gotischen Länder sind mit ihren Kirchtürmen von Tannen, da sitzt noch das blonde Überbleibsel, das 119 Unverfälschte. Aber hier, auf dem Kontinent, ist alles verseucht. Hier herrscht nun das Resultat konturenloser Blutmischung, aus Osten, Süden und Westen. Hier herrscht nun das vergorene Ferment, und es ist nicht mehr genießbar. Alle Landesgrenzen stehen offen, und bis sich dies Durcheinander läutern kann, bedarf es noch unendlicher geistiger Durchschüttelung.

Die Deutschen waren immer voran in der Spekulation, nun sind sie mir, den Teufel auch, um einen Sprung zu weit gediehen. Dies hemmungslose Durcheinanderzüchten hat sie gänzlich ausgeleert. – Wo gibt es noch einen Menschen, der rein an Rasse wäre? Sehr viel lobenswerte Eigenschaften mögen da durcheinander spielen, aber sehen Sie einmal, wo ist da noch eine runde Persönlichkeit, voll von dem aggressiven Humor jener Blondheit, jener durchaus naiven Unbeholfenheit, wie sie unsere Größten in besten Stunden zur Schau zu tragen vermochten? Es gibt keine Großen mehr. Es gibt nicht einmal mehr relative Größen. Wir haben es mit unserer Spekulation so weit gebracht, daß wir die Amerikaner an Amerikanismus nunmehr überflügeln und eine schauderhafte Gleichförmigkeit in dieser vielrassigen und darum rasselosen Physiognomie erzeugten. Wir sind die Ersten jetzt auf dieser Welt. Zweifellos; denn also sprechen unsre Häuptlinge in Berlin.

Die Ersten! Ich bitte Sie! Und worin sind wir die Ersten? In einer Leere, Kälte, Verschmitztheit, verstandesmäßigen Knebelung niedurchschauter »Naturgesetze«; in einer derart tödlichen und verwüstenden Mechanisierung des Menschendaseins, daß sie tiefstehender unvorstellbar ist.«

Rupert atmete tief auf. Dieser Mann schlug mit jedem Wort einen goldenen Nagel ein. –»Schön ist diese Zeit,« fuhr der 120 Professor fort, »weiß Gott. Setzen Sie mir irgendeinen aus dem unendlichen Geschmeiß hierher, und er wird mich ermorden wollen. Diese Leute, unter denen Sie aufgewachsen sind, hätscheln und pflegen ja diesen Zeitgeist. Eigentlich eine falsche Benennung ›Zeitgeist‹; denn es ist nicht einmal Geist zu spüren. Es sind Gewohnheiten, schändlicher und nüchternster Natur, denen sich ein heutiges Lebewesen verschrieben hat. Geben Sie mir das zu?«

Ruperts Augen blitzten begeistert. – »Nun, so sind Sie mein Mann,« sprach der Professor und stand auf. Er ging von nun ab langsam in der Stube umher in seinem wallenden Burnus und schleuderte die Worte kurz und bellend hervor. – »Ich bin noch einer von dort oben, ich stamme aus norwegischem Bauernstamm und wir haben es im Blute bewahrt, zwischen einigen Sturzbächen, kahlen Klüften und schwarzen Tannen. Wir haben das Gebot im Blute weiter gepflegt und ich habe mich als einen Propheten gefühlt, seit ich denken kann. Ich bin der erste aus meiner Sippe, der in den Pestherd des jetzigen Europa hinunterverschlagen wurde. Als Knabe schon, sage ich Ihnen, spürte ich das. Ich war von jeher ein Mensch und werde immer mehr zum Menschen. Und ich habe die Empfindung, daß ich nicht allein stehe.

Schon von früh auf suchte ich Gesinnungsgenossen. Bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr sammelte ich Menschen, wie ein anderer kostbare Steine. Menschen sind aber ein so rarer Artikel, daß ich mir jahrelang keines Fortschrittes bewußt war. Sie strömten mir nicht in hellen Haufen zu. Ich mußte sie aufstöbern und dann erst aufwecken. Bei manchen verrannte ich mich, da ich um jeden Preis Erfolg haben wollte, und kam nicht weiter; es war mir dann, als 121 ob mir ein Glied abgehackt würde. – Bei anderen wieder entdeckte ich jene sprunghafte Bereitschaft des Unterbewußtseins. Sie haben mich nicht vergessen; sie haben sich mir anvertraut. Ich bin ihr Führer geworden. Langsam geht diese Sache, langsam. Aber mein Leben hat noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht, trotz meiner siebzig. Ich befinde mich noch immer in aufsteigender Linie. Ich habe mit diesen Leuten korrespondiert, sie haben mich hier besucht. Ich stehe mit ihnen in Verbindung und es ist mir ein Leichtes, sie zu zitieren, wann ich will. Bevor ich Sie fand, waren es achtundneunzig.

Sie erinnern sich, daß Ihr Vater Ihnen erzählte, daß ich zu ihm gekommen sei und gesagt habe, ich will das Hundert vollmachen in dreißig Jahren. Bei Ihrem Vater war es mir wie eine Krankheit, daß ich ihn verstockt fand. Ich konnte damals gegen den vertrackten Geist seines rationalen Denkens nichts ausrichten und holte mir blutige Schrammen. Aber der Funke hat in ihm weitergeglommen und seine Seele war Zunder, der langsam brannte, aber allmählich in Glut geriet wie ein schleichender Brand im Torfmoor. Er ist darüber gestorben, ohne daß eine helle Flamme daraus schlagen durfte; er erstickte im beizenden Rauch seiner verkohlenden Entsagungen.

– Sehen Sie, wenn Ihr Vater damals reif gewesen wäre, so wäre er damals schon der Neunundneunzigste geworden. Aber er wurde erst reif, als es zu spät war. Eine Stunde vor seinem Tode gehörte er uns. Er konnte nicht mehr aufgenommen werden, es war zu spät. So war es ganz natürlich, daß Sie nach der Erbschaft, die er Ihnen ließ, die Stelle einnahmen. Sie sind nun selbst dieser Neunundneunzigste geworden. Und wenn wir zusammen noch einen Einzigen 122 finden, dann haben wir das volle Hundert, dann können wir hervortreten.

Schon Ihr Vater wäre reif für uns gewesen, denn im letzten Augenblick bewies er die Gabe. Wissen Sie, wie das vor sich ging? Ein schußähnliches Geräusch geschah in der Vorhalle, und ein Riß an der Klingelschnur. Ich ging hinaus und machte auf. Da sah ich den alten Dux draußen stehen. Er blickte mich mit den Augen an, die auch Sie jetzt haben, und machte eine Bewegung, als wolle er mich über etwas verständigen. – Er trug ein frisch gebrochenes Pflanzenblatt in der Hand, und die stets streng verschloss'ne Tür des Treibhauses stand offen.«

»Wann war das?« fragte Rupert zitternd.

»Etwa am ersten November.«

»Am ersten November!!«

»Ja; an diesem Tage,« bestätigte der Professor. – Rupert schlug die Hände vors Gesicht. »Es stimmt.«

»Aber,« fuhr der Professor in ablenkendem Tone fort, »ich habe Ihnen da etwas erzählt, was bei den Mitgliedern unserer Gemeinde gar nichts Verblüffendes, ja eigentlich etwas Selbstverständliches ist. Je bewußter wir uns der Natur nähern, desto klarer werden auch die materiellen Wirkungen unsrer Wünsche. Das ist keine Zauberei, mein lieber, junger Freund, sondern einfach Gestaltungsvermögen, das wir gemeinschaftlich in uns geweckt haben. Wer gibt dem Zugvogel die Richtung? – Wer weiß um die Biene Bescheid? Wer um die Traumvision des Jagdhundes? – Glauben Sie, der menschlichen Natur ist das fremd?

»Nein,« wiederholte er mit dem vollsten Orgelton tiefster Überzeugung. »Das ist das Fundament unserer Natur. Es ist nur verbaut worden und verkleistert und zerstört. Reißt 123 man aber das ganze Gebäude, das jahrhundertalte ›Verstandesgebäude‹ nieder, so kommt dies leuchtende Formungsvermögen wieder zum Vorschein.

Denken Sie nicht,« sprach er ungeheuer bedeutsam, »daß ich fasele. Nicht bloß die achtundneunzig Leute wären mir Beweis. Nein, ich habe ein Experiment gemacht an einem einzigen Menschen. Ich habe diesen Menschen so von Grund auf studiert, beobachtet und in der richtigen Atmosphäre gezüchtet, daß mir keine Zweifel bleiben an dieser Urkraft, die in uns steckt und die außer uns wenigen Leuten alle so jämmerlich verloren haben.«

»Es muß dies,« rief Rupert aus, »ein ganz außergewöhnlicher, wunderbarer Mensch geworden sein. – Wer ist es? – Wo kann man ihn treffen?«

»Es ist ein Mädchen,« – sagte der Professor still. – »Es ist Verbena.«

»Das habe ich in allen Fibern gespürt,« bestätigte Rupert fliegenden Atems. – »Das erstemal, da sie ich sah, spürte ich das.«

»Nichts Verwunderliches,« sprach der Professor fast geschäftsmäßig und unwirsch. »Ich wollte Ihnen nur ein Beispiel nennen; weiter nichts.« Es war seltsam zu sehen, daß ihn ein Schatten von Unmut sekundenlang entstellte. »Sie haben reichste Auswahl an Leuten, an die Sie sich halten können. An dem Weibchen lassen Sie mir mein Privatvergnügen.«

Rupert starrte ihn verständnislos an.

»Das Weibchen,« sagte der Professor noch schärfer, »ist eine Sache für sich. Natürlich verstehen einander alle Sekten-Mitglieder. Ich verstehe ja, daß Sie sich mit Feuereifer auf das Nächsterreichbare stürzen; aber es wird nicht lange dauern, 124 dann werden Ihnen solche Beweise in reicher Auswahl zur Verfügung stehen und der eine wird den andern verdunkeln oder aufheben in der Wirkung. So etwas wie Verbena gibt es noch da und dort, und ich will, da ich Sie hier mit in unseren Bund aufgenommen habe, auch nicht mit Möglichkeiten geizen; aber es bedarf einer langen Schulung.«

Rupert biß sich auf die Lippen und schwieg. Es hieß vorsichtig sein. Man durfte den alten Löwen nicht reizen oder kopfscheu machen, er hatte noch zu viele Trümpfe.

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen beiden. Dann sagte der Professor rasch wie etwas auswendig Gelerntes, tausendmal Erprobtes, das sich ihm als unumstößliche Wahrheit eingeprägt; sagte es wie einen Katechismusvers, den ein dumpfes Gehirn bereits mechanisch wiederholt als eingestempelte Formel: – »Wir haben auch eine Bibel, mein Lieber. Diese Bibel brauchte nicht mit Worten abgefaßt zu werden. Sie besteht aus einem einzigen Wort und es heißt ›Pflanze‹. Daraus können Sie alles ableiten. Die Pflanze ist das absolut harmonisch Unbewußte, das Triebhafte, das Selbstverständliche. – Sie erfüllt einen Kreislauf, der unausdenkbar rund verläuft. – Sie nährt und vermehrt sich nach leicht überschaubaren Gesetzen. – Sie will nichts, als sich selbst; sie ist das hemmungsloseste Ego, das sich gleichzeitig hemmungslos vergeudet. Sie erzeugt nur Wesen, die vollkommen sind wie sie selbst. – So ist der Baum das Gesetz an sich. Wir müssen werden wie Bäume, mein Lieber, dann sind wir vollkommen. Deshalb ist auch Grün unsere Farbe, weil wir das Pflanzenhafte zum Gesetz nehmen. Und wenn wir in unsere Eigenschaften und Bedürfnisse diese vollkommene Harmonie bringen, so sind auch wir vollkommen. Höher organisiert, wie wir sind, entfalten wir dann Kräfte, die ungleich 125 intensiver sind als irgend etwas Mechanisches, oder durch Erfahrung mühsam Errungenes.«

»Ich sah,« murmelte Rupert in eine schwangere Pause hinein, »ein Treibhaus in Ihrem Garten.«

Örvandill blickte rasch auf. Seine Brauen traten zusammen. Seine Augen wurden wieder kalt und berechnend und zögernd sagte er: – »Nach dem, was ich Ihnen sagte, kann es Sie weiter nicht wundernehmen, daß mir die Zucht von Pflanzen Freude macht. Es ist eine Marotte, es wäre eigentlich nicht nötig. Dieses Treibhaus, mein lieber Freund, hat weiter nichts Interessantes. Daß der alte Dux, Ihr Vater, einen kleinen Diebstahl dort verübte, – (Sie wissen schon bei welcher Gelegenheit) – war nichts aus dem Rahmen Fallendes. Es war lediglich sein Bedürfnis, einen Beweis in der Hand zu haben. Und den,« – hier lächelte er ungeheuer listig – »hatte er ja auch in Händen: für mich, und für Sie.«

Es schoß Rupert mit einemmal der quälende Gedanke durch den Kopf: ›Aber hier vermengt sich ja alles! – Neben abgründigen Wahrheiten werden hier Unmöglichkeiten aufgeworfen; Dinge, die sich in die gewohnte Logik meiner Gedanken kaum einfügen wollen; aber an die ich doch glauben muß, um glücklich zu sein!!‹ – Es war ein Gemisch in ihm von tiefer Freude und der Empfindung, daß ihm immer wieder diese logischen Gedanken wie kleine Dämonen kalten Wind der Wirklichkeit ins Genick blasen wollten. – »Helfen Sie mir,« rief er plötzlich außer sich, – »helfen Sie mir; es ist zu viel auf einmal, mein Kopf zerspringt.«

Der Professor beobachtete ihn eine Weile mit seinem erhaben listigen Ausdruck, als weide er sich an der mystischen Qual, in die er den armen Rupert gestürzt; dann aber stand er mit einem tiefen Atemzug von seinem Stuhle auf und trat auf 126 ihn zu. – Er legte ihm wieder seine großen Handflächen auf Stirn und Augen und mit einemmal kam jene süße, wohlige Erschlaffung wieder in Ruperts Nerven. Sein ganzer Körper versank in dem lauen Bad besinnungslosen Glaubens. – Wieder dämmerte ihm, aber diesmal nur ganz flüchtig, jene geisterhafte Landschaft vor dem inneren Blick auf, jener von schachtelhalmgefiederten Bäumen starrende Horizont verschollener Fruchtbarkeit. Örvandill hob die Hand und strich ihm an der Brust entlang. Nun war er wieder munter und wach, ohne auch die leiseste Spur eines Zweifels mehr zu spüren. Fast betroffen blickte er auf.

»Sagen Sie mir jetzt,« sprach Örvandill und ließ die Augen nicht von den seinen, »wo lebten Sie, bevor Sie zu mir kamen?«

Rupert wühlte in seinem Gedächtnis. – Tausend Formen drängten sich darin. Ganz verschwommen bewegten sich Maschinen, Menschenmassen. Aber das Bild zog vorüber wie auf einer undeutlich beleuchteten Leinwandfläche und verlosch. – »Wo lebten Sie?« fragte der Professor dringend und ließ die Augen nicht von den seinen.

Rupert schüttelte langsam den Kopf. – Mit einemmal kam ihm die Klarheit über die früheren Jahre wieder, doch war dies alles nur sichtbar wie von hoher Warte, so als brächte er ein Opernglas verkehrt ans Auge. So weggeschwommen war das alles, so entfernt, so belanglos, wenngleich auch in der Winzigkeit erkennbar. Ihm war, als sitze er gesichert hinter einer Mauer, vollkommen gesichert in der Wärme, die ein gütiges, machtvolles Herz verstrahle, und als sei draußen nichts als Frost und schmutziger Nebel. Dies alles ging ihn nun nichts mehr an. Er fühlte sich gefeit.

»Sind Sie bereit?« fragte der Professor. »So stehen Sie 127 auf.« – Rupert stand auf. – »Ich ernenne Sie,« sprach Örvandill – »zu meinem Freund und Gehilfen. Sie werden mir beim Werke helfen und meine Manuskripte sichten. Ich werde Sie dann und wann zum Schreiben benötigen, denn, obwohl ich viel geschrieben, ist meine Hand doch ungelenk. Sie werden von heute ab einige Zeit bei mir wohnen und Ihr Herz prüfen, ob Sie dieser großen Aufgabe gewachsen sind. Zu gehen wird Ihnen freistehen, aber ich weiß es jetzt schon und prophezeie Ihnen, es wird Ihnen nicht leicht fallen.« 128


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