Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Drittes Kapitel

Diese Worte des Alten klangen so gelassen und ruhig, mit so selbstverständlicher Gebärde dahingesagt, daß Rupert den Aufschrei, der ihm in die Kehle stieg, unterdrückte. – Es war etwas wie eine hohe Unglaubwürdigkeit in dem Ausspruch, als ob er eigentlich symbolisch gemeint sei. – Zu dem Fest hatte sich der Alte geputzt. Er trug ein dunkelblaues Gewand wie das eines Mandarinen oder Priesters. Auch wenn er meinte, was er sagte, das fühlte man, so würde er fast unmerkbar in diesen Zustand hinüberwandeln, nur vom Rascheln seines Mantels begleitet; würde die Stufe leicht nehmen, mit Grazie ohne Erschöpfung. Denn 26 sie führte ja hinauf und nicht hinunter. Dieser ganze Aufwand; die überall flammende Beleuchtung, die besonders schöne, auf dem Tisch entbreitete Decke, gaben der Handlung häuslich Intimes, und nahmen dem Vorsatz (denn das Ganze glich irgendwie einem Vorsatz) durchaus alles grausig Erzwungene. – Der Alte sah sogar noch frischer aus als gewöhnlich und es war schier unglaublich, mit welch freudiger Anteilnahme an sich selbst er der eigenen Auflösung beiwohnte. In seinen Augen, die wie blasse Aquamarine schimmerten, spiegelten sich schöne Dinge, die jenseits der Grenze lagen. Er leuchtete von innen heraus. Die Seele rüstete sich zum Fest. Sie war wie ein Haus, das kurz vor dem Abschied seiner Gäste alle Räume hell erstrahlen läßt und hier und da ein Fenster öffnet, aus dem man noch die letzten Takte einer Musik vernehmen kann. – Dies alles nahm Rupert mit keinerlei Erstaunen wahr; er war ja vorbereitet auf einen ähnlichen Empfang; nur auf dem Fernsprechbild war es ihm erschienen, als habe der Alte einen Moment gewankt und die Hilflosigkeit dessen gezeigt, der dem Abgrund einen unvorsichtig verfrühten Blick geschenkt. Da hatte er sich noch mitten auf der dünnen Brücke befunden, von der aus man weder rechts noch links schauen darf. Hatte mit aller Willenskraft sich Gleichgewicht bewahrt und war dann mit der Zielbewußtheit eines Gebirgstieres geschritten. – Jetzt, mit Ruperts Eintreffen, war die Brücke überwunden. Noch war das jenseitige Ufer nicht ganz erreicht, aber schon dämmerten die Wäldermassen des Jenseits am Horizonte auf. Je mehr die äußere Sehkraft abnahm, desto schärfer blühte die innere auf. Hinter den blauen Bällen seiner Augen schienen innere Lichter aufzugehen; von innen heraus schienen sie neuen und fremdartigen Glanz 27 aufzusaugen und von sich zu strahlen. – Rupert trat einige Schritte auf ihn zu, aber er vermochte es nicht über sich, ihm wie gewöhnlich die Hand zu schütteln. Denn der Alte behielt seine meditierende Haltung bei und hatte etwas Abweisendes trotz aller freundlichen Worte. Ein quälender Zwiespalt regte sich in Rupert, ob er nicht die Stirn zwischen die dürren Knie des Vaters betten solle, mit einem letzten Versuch ihn von diesem Vorhaben zurückzureißen durch die wilde Anklage: »Du gehst zu früh, du hast mir noch nicht alles gesagt.« – Er unterließ es, denn der Alte gab ihm sofort die Ruhe wieder. Mit seltener Hellhörigkeit hatte sich das Haupt geneigt; es war wie ein ganz leichter Schimmer zwischen den Augenbrauen, als er kopfschüttelnd sprach: – »Du mußt nicht glauben, daß ich mich auch nur um eine Minute zu früh auf den Weg mache. Ich habe Dir nicht umsonst gesagt, daß ich Dir Aufklärung schuldig bin. Was ich an Gütern habe, bekommst Du, aber darüber hinaus bekommst Du ein paar Worte, die Dich verhindern werden, denselben Enttäuschungen nachzulaufen wie ich.«

»Ich ahne, was das in der Hauptsache für ein Wort sein wird,« sprach Rupert und setzte sich mit grenzenloser Erleichterung auf den Sessel, der um einige Meter von dem des Alten entfernt stand. Seine Stimme war hell und voll Keckheit, gelassen gemacht durch die Sachlichkeit des Alten. – »Es wird dies alles auf eins hinauslaufen,« – und er sah dabei zum Vater lauernd hinüber, – »nämlich auf das Wörtchen ›Natur‹.« – In dem runzeligen Gesicht drüben blühte ein Lächeln auf, das vorüberwanderte wie Sonnenblitz auf einem Strom in regengrauer Steppe.

»Du hast da ein Wort gesprochen, worin sich freilich vieles zusammenfassen läßt. Wer hat es Dir gesagt?«

28 »Kurz bevor Du mich riefst,« berichtete ihm Rupert lebhaft; »ein blonder Mann, den ich im Café traf.«

»Du erweckst mein Interesse.« Die Stimme des Alten steigerte sich und wurde hell. Aus dem tiefen Celloklang, mit dem er die Begrüßung geleitet, wurde seine Rede fast zum Staccato auf heller Geigensaite. »Ein blonder Mann! – Wie sah er aus?«

»Er war groß und hatte blaue Augen, denen die Deinen jetzt gleichen.« – Rupert suchte nach Worten. – »Es war etwas an ihm, was ich noch nie bei einem Menschen erlebt. Er las meine Gedanken; ein blonder Henker war's, versichere ich Dich, der mit einem einzigen Hieb seines stählernen Gedankenschwertes die Köpfe um uns herum absäbelte. Ja, wahrhaftig; ich hatte nach seiner Rede das Gefühl, als wären wir einsam unter lauter Kopflosigkeiten. Er ließ dem ganzen Zeitgeist keine Krücke mehr, um daran zu humpeln, am Schluß war dieser nur noch ein formloser Rumpf, der sich mit Motorbetrieb fortbewegte. Um es deutlich zu sagen: er öffnete mir die Augen dafür, wie vollkommen scheußlich und nichtssagend das ist, was wir heutzutage Kultur nennen.«

»Ein prachtvoller Mann,« schwirrte die Stimme des Alten auf; »ein guter Mann das. Er hat mir vorgearbeitet, dieser Sendbote. Du bist in der richtigen Verfassung. Er gehört auch zu den Seltenen, die . . . Hat er Dir seinen Namen genannt? Er gehört einer Sekte an, verstehst Du; und es gibt ein Oberhaupt dieser Sekte . . .«

»Nein, einen Namen hat er nicht genannt, er warf mir nur das Wörtchen ›Natur‹ auf den Tisch und sagte, damit könne man allerhand machen. Es ist merkwürdig, wenn mir jemand anders diesen Rat gab, so kam er mir abgegriffen 29 vor, als könne man nichts damit kaufen. Aber bei ihm hatte er einen Klang wie von Gold.«

»Versteht sich, versteht sich,« murmelte der Alte beifällig. »Nun, neugierig bist Du ja schon. Du wirst den Mann auch wohl nicht das letztemal gesehen haben. Nun laß Dir erzählen, daß diese Begegnung keine rein zufällige ist, sondern daß diese Leute die Witterung voneinander in der Nase haben. Denn daß Du nicht schon dieser Sekte angehörst, liegt nur an meiner eigenen unfaßbaren und unverantwortlichen Blindheit.«

»Wie das, Vater?«

»Also höre!« – Der Alte hob das Gesicht zur Decke. Es war, als ob seine Nüstern leise vibrierten. – »Vor dreißig Jahren; ja, – genau vor dreißig Jahren war es, daß ich auf diesem selben Stuhl saß, mit dem abgestempelten Patent in der Tasche, und mich freute. Ich fingerte an dem Patent, zog es hervor und roch an dem frischen Stempel. Er duftete nach Siegellack, und das kam mir so schön vor, wie das seltenste Rüchlein Arabiens. Ich hatte jahrelang darum gekämpft, und nun hatte ich die Beglaubigung und die offizielle Erlaubnis, Gelder einzuschaufeln, die mir vor der Nase lagen. – Bonaparte hätte sich nicht kindlicher über sein Lentnantspatent freuen können als ich, der ich damals schon an die fünfzig war. Die Macht! – verstehst Du. Ich saß hier im Sessel und streichelte meine Macht. Ich war so vom Amerikanismus und falschen Ideen geblendet, daß ich mir einbildete, auf dem Höhepunkt des Menschentums zu sein. – Ich hielt damals, wie Du Dich wohl erinnerst, eine Horde von Dienstboten, die ich dazu brauchte, um mich gegen unerwarteten Besuch zu schützen. Denn andere Leute waren auch amerikanisch, und ich war sozusagen über 30 Leichen gegangen. Aber diese Leichen hatten noch Ellenbogen übrig, und ich mußte auf allerhand gefaßt sein. – Plötzlich, wie ich so dasitze, spüre ich einen Duft in der Nase, der mich von dem Siegellack ablenkt und mich zwingt, genauer nachzuschnuppern, was das sein könne. Es roch auf einmal in der ganzen Wohnung wie in einem – Treibhaus. Ich hatte zwar nie eines betreten, aber dieser erdige, von Blütendünsten und dem Aroma sprießender Blätter gesättigte Hauch konnte nur solchen Ursprung haben. Ich war mehr als erstaunt. Schon damals zog man jeden erdenkbaren Naturgeruch täuschend auf Flaschen, aber ich besaß kein einziges Parfüm und hatte immer dergleichen gehaßt. (Mit ›Literatur‹ ging es mir ähnlich, weil ich mir einbildete, alles auf Flaschen gezogene sei gefälscht, und Literatur sei von Grund aus gefälschtes Leben.) – Ich stand also auf und guckte durch die Zimmer. Immer rätselhafter wurde mir die Sache. Dann setzte ich mich wieder hin und hatte dann die Vorstellung von Grün, unabweisbar. Berlin sah schon damals aus wie heute, ich war jahrelang nicht hinausgekommen und hatte keinen Baum gesehen. Dieses Grün in meinem Hirn ärgerte mich, es war nicht wegzudenken, es war aufdringlich und besiegte mich wie eine Blendung. – Aus einmal höre ich draußen die Tür aufspringen wie von selber. Ich höre protestierende Ausrufe der Dienstboten, denn der Mann mußte durch mindestens vier Türen gelangen bis zu mir. Im Handumdrehen hatte ich mich selbst wieder in der Hand. Ich war überzeugt, daß es jemand sei, dem ich in der Ausschlachtung der Erfindung zuvorgekommen. – Mit einer gewissen Willenskraft löschte ich das Grün aus, um der nackten Wirklichkeit mit aufgekrempelten Ärmeln zu begegnen. Tatsächlich schien der Mann sich vorwärtszukämpfen. Ja 31 eigentlich war es gar kein Kampf, sondern ein siegreicher Einzug ohne nennenswerte Hindernisse, in dessen Kielwasser alle Proteste hilflos verhallten. – Und nun kommt ein Mann herein, sage ich Dir, ein Mann . . .« – Der Alte schien Rupert anzusehen, und Rupert suchte nach Ausdruck in seinen Augen, jedoch waren sie wie Kristalle voll verhaltenen Feuers, die ihn nicht sahen, sondern von der einen Erinnerung loderten. Die Pupillen waren ganz klein zusammengezogen. Eine visionäre Rückschau war im vollen Gang. – »Der Mann kommt herein und setzt sich einfach auf den Sessel, auf dem Du heute sitzest. Er paßte kaum hinein. Es war ein Koloß von einem Mann. Er war nicht sehr viel größer als Du, dafür aber doppelt so breit. Ohne fett zu sein, besaß er eine derartig massive Wuchtigkeit, daß er an ein Geschöpf der Vorwelt erinnerte. Er war weißblond und hatte ganz tiefliegende Augen, aus denen er mich anfunkelte wie ein Raubtier vom Polarkreis. Vielleicht treffe ich es, wenn ich ihn mit einem gereizten Bären vergleiche. Das Allerfrappierendste an ihm war, daß er gar nicht gereizt war, sondern sich äußerst sanft und gesetzt ausdrückte. Ja, aus diesem Mann kam eine Stimme, wie wenn sich der Wind in geborstenen Telegraphenstangen verfängt; ich habe solchen Ton in früher Kindheit empfunden wie die Rückkehr des geschändeten Baumes zur Erde. So also orgelte die sanfte Stimme aus dem mächtigen Kerl heraus. – Er hatte breite Schultern, und von seinem Hals sah man wenig, da die Kinnbacken, mächtig ausladend, den weitgeschnittenen Hemdkragen fast ausfüllten. Seine Nase war ungeheuer groß und gebogen; an ihrer Seite saß eine mit leichten Härchen bedeckte Warze. Sein Mund war von Flaum beschattet. Er war nicht glatt rasiert, aber wie auf einem steinigen Acker 32 kein Hälmchen gedeihen will, so machte sich auch auf diesem wildgefurchten, roten Gesicht kein Wachstum breit. Nur die Augenbrauen wucherten, als wollten sie es wieder gutmachen, in Büscheln hervor und schwankten vor den höhlenartigen Eingängen, in denen seine Augen umherrollten. – So eine Stirn gibt es auch nicht wieder auf der Welt, wie die dieses phantastischen Athleten. Es war eigentlich eine Arbeiterstirn mit kantigen Jochbeinen; und doch leuchtete Intelligenz von ihr. Sein äußerst dichtes Haar war zurückgestrichen und stand wie eine Mähne um den Schädel und um die enormen Ohren. Die weißblond bewachsenen Pranken umklammerten die Stuhllehnen. Er trug eine Art von Gewand, das man früher einmal, wie ich nachforschte, mit ›Gehrock‹ bezeichnete, und weite Hosen. Die Stiefel bedeckten mehrere Quadratzoll des Teppichs. – So saß er nun da, und ich hatte mit ihm fertig zu werden. Ich konnte nicht einmal sagen: ›Herr, wie kommen Sie hier herein,‹ denn ich hatte es ja selber mit erlebt. Ich blickte ihn nun fragend an, und er saß dort und fixierte mich, in, wie mir schien, empörender Weise. Er war sich augenscheinlich der Verblüffung bewußt, die er hervorrufen müsse; denn etwas wie ein verlorenes Grinsen entstand an seinen Lippen und entblößte Zähne, um die ihn ein Rassepferd beneidet hätte. – Ich steckte mir langsam eine Zigarette an und sagte dann langgezogen: – »Es gibt eine Menge zu erklären für Sie, mein Herr.« – »Stimmt,« sagte die blonde Bestie; und das war für einige Zeit das einzige, was sie von sich gab. Er warf es hin wie gebellt. Ich war amüsiert und bot ihm eine Zigarette an. Er blickte höchst angewidert darauf und lehnte sie ab. Meine Stimmung wurde immer lustiger. – »Ich habe noch nie den Rauch von verkohltem Papier 33 eingeatmet,« sagte er brummig. »Aber wenn Sie mir Gehör schenken, komme ich Ihnen vielleicht geselliger vor.«

»Nun, was für einen Vorschlag haben Sie?«

»Ich heiße Ole Örvandill,« sagte der Mann.

»Ein nordischer Name,« rief ich.

»Sehr nordisch,« bestätigte er und geriet in ein beifälliges Kopfschütteln. Ich wartete, bis das Haupt ausgependelt hatte, und sprach:

»Ja, bei der Vorstellung wollen wir es aber nicht belassen. Keine Zeit . . .«

»Sie werden für meinen Vorschlag Zeit haben. Sie werden lange Jahre für meinen Vorschlag Zeit haben.« – Der Mann blickte mich starr an. Sein Lächeln war wie ausgelöscht.

»Nun, wir wollen sehen. Erklären Sie sich.« – Und was nun kam, mein lieber Rupert, war eine seltsame Sache, die ich Dir in kurzen Zügen möglichst deutlich machen will. Der Mann war, wie ich gleich vermutete, natürlich ein Sektierer, so eine Art Naturapostel. – Unsere Zeit, so erklärte er, schien ihm auf völlige Verödung unrettbar hinzusteuern. Er wolle eine Gemeinde gründen, die sich zur Aufgabe mache, das »menschenwürdige Dasein« wieder einzuführen. Er wolle der Natur als solcher und der menschlichen Natur im besonderen zu ihrem Recht zurückverhelfen. Er wurde äußerst gesprächig. – Ich höre noch seine in allen Tonlagen orgelnde Stimme, die länger als eine Stunde das Zimmer füllte. Er gebrauchte Bilder und Vergleiche, die mir im Augenblick absurd vorkamen, die aber später wieder in mir lebendig wurden, wie das Gedächtnis verlorener Landschaften. – Natürlich wollte er Geld. Er wollte es aber als Mittel zu seinem phantastischen Zweck. Er wollte eine 34 unerhörte Propaganda ins Werk setzen. Europa solle die Keimzelle für ein neues Empfinden werden, das, zur Religion angewachsen, die ganze Menschheit überschwemme. Veredelt würde alles daraus hervortauchen. Der Sinn für die verlorenen Urbedürfnisse des Leibes und der Seele würde wieder lebendig sein und mit dem heiteren Glanz des Glückes die Menschheit ergreifen. Sie würde sich ihres Körpers wieder entsinnen und all' jener Empfindungen, die man vor zweihundert Jahren »romantisch« nannte. ›Dutzende von Schlagwörtern gab es seitdem,‹ erklärte er, ›die ein ähnliches Empfinden einzusaugen versuchten, und oft genug hat das Wort ›Romantik‹ von furchtlos gehißten Fahnen geschimmert. Immer wieder sind die Wimpel in den Schmutz gerissen worden. – So oft, daß diese Hoffnung drauf und dran sei, nun endgültig nach langem Ringen ihren schweren Todeskampf zu beschließen. Man habe jedoch, sei auch alles verödet und hoffnungslos, mit ihm selbst, Ole Örvandill, nicht gerechnet. Er sei ein Überbleibsel. Er sei nicht von gestern oder morgen, sondern er sei immer dagewesen und eine lebendige Kraft. Er könne die Fahne schwingen, und er fühle das Zeug in sich.‹ – ›Ob er nichts geschrieben habe,‹ fragte ich so nebenhin. – »Berge von Manuskripten, mein lieber Herr, schlummern aufgehäuft in meiner Stube. Der Tag wird kommen, wo sie entweder vergehen oder auferstehen. Aber ich kann sie jetzt nicht veröffentlichen. Die Weltstadtliteraten, die Geistlosigkeit und der Sensationshunger würden ihnen einen falschen Empfang bereiten. Ich will nicht als Original in die Vergessenheit sinken, sondern als Triumphator wachsen. – Ja, wachsen will ich, wenn ich einmal tot bin, nicht verschwinden. In dreißig Jahren von heute ab, mein verehrter Herr, werde ich auf dem 35 Höhepunkt meiner Kraft stehen. Ich habe die Dauer meines Lebens bemessen, ich kenne mich wie eine Pflanze. Auch eine Pflanze hat einmal ihren Tod. Aber sie setzt noch viele Jahresringe an ohne Erschlaffung und ich habe den Humus zu Hause, der mich erhält. Das ist meine herrliche, unzerstörbare Gewißheit, daß ich nicht auszulöschen bin. Aber wenn Sie mir helfen wollen, die neue Ära heraufzuführen, so greifen Sie zu; werden Sie einer von uns. Wenn unsere Zahl auf hundert angewachsen ist, (– vielleicht ist das in dreißig Jahren der Fall –) so wollen wir hervortreten. Aber ich werde Ihr Geld nur als Mittel benutzen, um diese Hundert möglichst bald zu ermitteln und zusammenzuschließen; dann werden Sie es noch erleben können.«

Ich bewegte mich im Stuhl, denn vieles von diesem erhabenen Gefasel, wie ich es damals innerlich nannte, hatte mich doch dunkel angeregt. – Wie ich mich so bewegte, knisterte das Pergamentblatt des Patents in meiner Tasche. – Es hatte mir wiederum bei seinen Worten grün vor den Augen geflimmert. Nun aber, da ich auf einmal das Knistern hörte, wurde ich töricht. – Meine wie ein langsames Rad in Betrieb gesetzte Phantasie stellte ihre Bewegung ein. Nackte Zahlen waren's, woran ich dachte. Mein Egoismus kroch mir ernüchternd ins Hirn zurück. Mein törichter Verstand, mein »Erfolg« zwinkerte mir zu; überall tauchten die Fratzen auf, die wir in unserer Blindheit als »unumgängliche Bequemlichkeit« bezeichnen. Wie würde ich dastehen vor den Leuten, die von mir abhängig waren, wenn ich mich einer lächerlichen Schimäre wie dieser ergäbe? – Und so war es teils Angst vor dem Urteil der Welt, teils eine gewisse Unsicherheit, dem Mann nicht standhalten zu können, die mich trieb, das Gespräch brüsk abzubrechen. Ich 36 spürte auch, daß von diesem unablässigen Wortschwall eine hypnotische Kraft ausging; der Mann war wie eine Batterie, mit einer unerhörten Energie geladen. Er schoß einem seine Sätze in den Kopf wie Leuchtraketen, die im Hirn des Gegenübers versprühend dort nur Unheil und Verwirrung erzeugen mußten. – Ich sagte daher, nachdem er endlich schwieg und wie ein großer schwarzer Dämon, mit seinem noch tiefer geröteten Gesicht, vor mir hockte: – »Es klingt alles sehr schön, aber Sie wollen Geld. Geben Sie mir Rechenschaft über dies Geld?«

»Das kann ich nicht! Denn die Posten, die da verrechnet werden müßten, sind namenlos. Entweder Sie glauben mir oder nicht.«

»Sie sind ein Phantast.«

»Ja,« sagte der Mann aus tiefster Überzeugung heraus und sein mächtiger Brustkorb schien sich weit auszudehnen. »Wenn Phantasten Leute sind, die Phantasie haben, so bin ich im wahrsten Sinne einer; denn Phantasie ist das einzig Schöpferische.«

»Es war mir anregend, was Sie mir da erzählten,« meinte ich kühl und geschäftsmäßig. (Ich muß dabei, was Sachlichkeit anbelangt, jeden amerikanischen Geschäftsmann in Schatten gestellt haben.). – »Ich muß aber eine ganze Menge Sicherheiten haben. Reichen Sie mir eins von den Manuskripten ein; einen Verleger will ich vielleicht bezahlen, Herr . . .«

». . . . Ole Örvandill,« sprach der Mann jetzt und erhob sich, »damit Sie auch meinen Namen nicht vergessen! – Denn mein Name wird das Einzige sein, was Sie, auf Ihre Absage hin, von mir wissen werden. – Und jetzt will ich Ihnen noch sagen, daß Sie es mit all Ihrem Geld nicht zuwege bringen 37 werden, meine Adresse ausfindig zu machen. Für unwürdige Einzelne bin ich unauffindbar. – Es mag sein,« sagte er noch, als er schon bei der Tür stand, wie eine schwarze Gewitterwolke im Abziehen, »daß Sie es mit der Zeit bereuen, mir kein blindes Vertrauen geschenkt zu haben. Meine Gemeinde wird auch ohne Sie wachsen und vielleicht später erinnern Sie sich meiner. Denn dann wird etwas geschehen, wie das Aufreißen einer Tür. Ja, mein Herr, durch diese ferne Türritze wird es grün leuchten, und dann werden Sie einen sehr leichten Tod haben. Dann werden Sie dem, der Ihnen nahesteht, nichts Positiveres zu vermachen haben, als meinen Namen. – Aber das wird Sie trösten.« Die Tür klappte wieder zu. Es war noch bei seinem Weggang etwas von dem Duft zu spüren, den ich plötzlich wieder empfand.

Ich schickte einen Bedienten nach, wohin er gehe, aber seltsamerweise hatte er sich mit einer Behendigkeit, die ich dem Koloß nie zugetraut hätte, aus dem Staub gemacht. –«

Der alte Dux machte eine lange Pause. Rupert hatte fasziniert gelauscht. Der Alte nahm ein zerschlissenes Notizbuch hervor, aus dem er sorgsam mit dürren Fingern eine Seite herausriß und sie Rupert hinüberreichte. Der Name Örvandill stand in großen Lettern darauf geschrieben, und dabei das Datum des damaligen Tages . . . – »Verliere ihn nicht,« sprach der Alte mit dunkler Stimme, »verliere ihn nicht. Ich habe nach diesem Mann seitdem gesucht, ich habe ein Vermögen geopfert, es war vergeblich. Schon einige Monate, nachdem er mich verlassen, merkte ich, daß ich von ihm angesteckt war wie von einer Krankheit. Ja, eine Krankheit nicht eigentlich war's, Rupert, sondern eine Befeuerung des Blutes, das sich nach Erfüllung sehnte. Du kamst damals zur Welt und Deine Mutter starb bei Deiner Geburt. 38 Doch sie ging leicht hinüber, weil ich ihr immer und immer wieder von diesem Mann erzählen mußte. In ihrer letzten Stunde, so sprach sie, fühlte sie Pflanzenduft um sich. Und die Worte des Mannes habe ich seitdem immer wieder durchgedacht, neu gedacht, und sie haben sich in mir festgesetzt wie unauslöschliche Wahrheiten. – So wahr, als in Norwegen Tannenwälder wachsen, so wahr bleibt das, was er gesagt. Aber er hatte mir nichts hingeworfen als die Idee, die große, trächtige Idee. Ich habe sie verlieren müssen, weil ich sie nicht hüten konnte. – Es war zu schmerzlich und enttäuschend, damit arbeiten zu wollen wie mit einer Maschine, an der die wichtigste Schraube fehlt. Ich habe sie mir entgleiten lassen und dumpf über den Verlust hinweggelebt. – Jetzt, wo ich Abschied nehmen will, ist sie mir wieder lebendig geworden und ich weiß, sie ist nicht verloren. Sie ist nur versteckt, wie ich Dir sagte, unter den Rädern des Lebens. Aber wenn es Dir gelingen sollte, diesen Mann zu treffen, dann wirst Du sie auch gleichzeitig wieder finden –.« – Er seufzte und legte den Kopf wieder zurück. – »Wenn es mir doch gelingen wollte, Dir den Weg zu weisen zu ihm!« – Er blieb eine Zeitlang ruhig, wie erstarrt. Sein Gesicht, scharf bestrahlt durch die verschwenderische Beleuchtung, lag wie eine feinmodellierte Maske auf der Rückenlehne des Sessels. – Eine Stille machte sich breit, die nur durch die hastigen kurzen Atemstöße des Alten Leben erhielt. Auf einmal zuckte er zusammen und Rupert sprang empor, da er es für das Ende nahm. Aber die Augen hatten sich geschlossen; ein Lächeln spielte um den Mund und die Finger raschelten auf der Seide des Mantels. – »Bleibe sitzen,« flüsterte der Alte hastig, »bleibe sitzen.« – Eine innere Vision schien ihn mächtig zu überkommen. – »Ein Toreingang.« – Seine Augen 39 gingen wieder auf, die Pupillen waren so zusammengeschrumpft, daß sie kaum nadelkopfgroß erschienen. – »Ein Haus mit einer kleinen Loggia, vier Holzsäulen, abgebröckelte weiße Farbe, grüne Fensterläden, ein mit Fliesen gepflasterter Eingang, eine Schnur mit einem bunten Quastengriff daran . . . Wo ist das, mein Gott? Es gibt solche Häuser ja nicht! Es gab sie vielleicht! . . . Sehr sonnig ist das Bild. Grün ist dabei, eine Mauer auch dahinter, weiß hervorblitzend . . . Eine Gestalt!« – Der Alte wurde verwirrt; er kämpfte nach Worten. »Ja, eine Gestalt, aber er ist es nicht,« ächzte er auf. »Eine weibliche Gestalt,« murmelte er dann. »Jung, seltsam geschnittenes Haar; braunes Gold.« – Er verstummte und sank in sich zusammen. Rupert berührte ihn leicht an der Schulter. – Nach einer Weile vibrierte die Gestalt und die Hände schlossen sich krampfhaft ineinander. – »Der Garten,« murmelte er fast unhörbar; und dann ging ein Ruck durch ihn. Er sank leicht zusammen. Sein Kopf fiel schlummernd auf die rechte Seite. Die Hände öffneten sich, wie ermattet auseinanderfallend, und aus ihnen hervor glitt, – Rupert traute seinen Augen kaum, – ein frisch abgepflücktes Blatt. Ein Pflanzenblatt, am Rande gezackt. – Er nahm es vorsichtig heraus; es schien noch feucht von Tau. – Erstarrt stand er vor dem Entschlafenen. Nach einer langen, langen Pause nahm er das mit dem Namen beschriebene Papier, wickelte das Blatt sorgfältig hinein und steckte es zu sich. Unendlich vorsichtig ergriff er den Greis an Schultern und Kniekehlen und trug ihn als flaumleichte Bürde langsam durch die Räume ins Schlafgemach hinüber. – Erstaunlicherweise war bereits alles sorgfältig hergerichtet. Vier große Kandelaber, mit gelben Kerzen besteckt, brannten an den Ecken des Bettes, das keinen Wäschebezug 40 hatte, sondern mit einer einzelnen grünen Decke belegt war. – Er bettete den alten Mann sorgfältig darauf. Die Augen brauchte er ihm nicht zuzudrücken, da sich die Lider wieder gesenkt hatten und seltsam faltenlos und glatt darüber lagen. Nichts, was sonst dem Tod Entstellendes gibt, war bemerkbar. Es war eine vollkommene ruhige Erlösung, ein Hinübergleiten von einem Zustand in den anderen von einer himmlisch-dämonischen Selbstverständlichkeit. –

Nachdem Rupert das Bild, stumm betrachtend, längere Zeit auf sich hatte wirken lassen, ging er langsam zurück und setzte sich wieder nieder. Merkwürdig wenig Trauer verspürte er; eher, wie der Alte sich ausgedrückt, die Heiterkeit eines feierlichen »Festaktes«. Ein Talisman war in seine Tasche gesenkt worden, der ihn der Zukunft gegenüber seltsam erwartungsfreudig stimmte.

Mittlerweile gingen seine Gedanken zurück in einen Bereich, den er fast vergessen; in seine Jugend. 41


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