Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Zwölftes Kapitel

Das Leben des Professors und Verbenas hatte nichts Erzwungenes an sich, wie Rupert im Laufe der nächsten Tage zu beobachten überreich Gelegenheit fand. – Es war nichts von »Natur-Aposteltum« in ihrem Dasein zu entdecken. – Es geschah wohl, daß der Professor vor dem Frühstück, ungefähr um sechs Uhr morgens, wenn noch die Schatten der stumpfesten Morgendämmerung den Garten verhüllten, ungefähr dreißig Mal in unbekleidetem Zustand eine Kreislinie um den ganzen Garten herum im Laufschritt beschrieb. Es hatte etwas Ansteckendes. Einmal hörte er, daß Ruperts Fenster klirrte und rief ihm zu, er solle doch herunterkommen, auch nackt. – Rupert tat's und trabte hinter dem 129 Siebzigjährigen. Zuerst wurde er ein wenig atemlos dabei, doch das zweite und dritte Mal ging es bereits besser. Auch kam er in Schweiß, so daß ihm die eisige Kälte sofort Bedenken machte, sobald er aufhörte, sich zu bewegen. Er schlüpfte, so rasch er konnte, ins Zimmer zurück und rieb sich mit aller Macht den Körper warm. – In dieser völligen Erhitzung stürzte er sich in seine Kleider und war bereits unten im Studierzimmer, wo der Professor, oder war es Verbena? – bereits eine Tasse starken Kaffees bereitgestellt hatte. – »Reiner Absud aus den Kernen von Sträuchern,« hatte der Professor unwirsch zugegeben. »Sie werden das noch verlernen; aber immerhin, Sie fallen damit auch nicht ganz aus dem Rahmen.«

Wenn der Professor sich angezogen hatte, – (er trug schon in der Frühe seinen lächerlichen Gehrock) – so geschah es wohl, daß Rupert ihn vom Fenster des Studierzimmers durch den Garten wandeln sah und im Treibhaus verschwinden. – Hilfe während der Hantierungen bei den Pflanzen hatte er schroff abgelehnt. – »Ich züchte da einige sehr empfindliche Kreuzungen,« hatte er einmal gesagt. »Da pfuscht man mir leicht in wohlgemeinter Weise hinein. Ich lasse Sie ja dies oder jenes einmal sehen.«

Rupert hatte mit der Vermutung Recht gehabt, daß der Alte unter anderem Orchideen zog. Auf dem Eßtisch oder im Studierzimmer fanden sich bisweilen Blumen vor, die den Häuptern von Fabeltieren glichen. Hier gähnte ein violetter Gaumen mit schwefelgelber Zunge; dort schnappten winzige bizarre Rachen wie nach Insekten, die es nicht gab. Nur einmal war eine staubige Winterfliege in eine dieser farbenleuchtenden Fallen gestürzt und surrte sich da mit klebrigem Ton zu Tode: – eine deutsche Winterfliege, deren Fatum 130 es war, in den Tropen zu enden. Verbena hatte die Tragödie entdeckt und wurde ganz nachdenklich darüber. Der Professor schrieb einen Aphorismus.

Sei dem wie es wolle, es kamen manchmal seltsame Dinge aus diesem Treibhaus hervor. Der Professor hielt sie in den Schoßfalten seines blanken, jedoch stets sauberen Großvaterrockes versteckt, ehe er sie zögernd preisgab. Bisweilen konnte er sich mit einer Lupe oder einem Mikroskop in einer Ecke seiner Studierstube nicht satt daran zupfen und basteln. – »Vor einer Orchidee,« meinte er zwischendurch, »sieht Eure ganze Technik aus wie kindliches Stümperspiel.«

»›Eure . . .‹!« echote Rupert verletzt.

»Nun gut, die Technik von ›denen da draußen‹. Sind Sie nicht so kitzlig, junger Mann. Dafür ist noch Zeit, wenn Sie einmal ganz zu uns gehören.« – Dies machte die Bemerkung nicht besser, aber es half nichts.

Äußerlich betrachtet, wie schon gesagt, war in dem Zusammenleben der beiden weiter nichts Auffälliges zu bemerken, außer, daß es ganz ungewöhnlich still und wortkarg zwischen ihnen herging. Ob das vor Ruperts Eintreffen auch so gewesen sei, konnte er nicht entscheiden. Mit der Zeit jedoch wollte es ihm immer deutlicher so vorkommen, als habe er selbst mit dieser Wortkargheit und dieser oft beklemmenden Stille wider seinen Willen etwas zu tun.

Verbena behandelte ihn mit gleichmäßiger Freundlichkeit, die jedoch auf jener etwas sarkastischen Stufe stehengeblieben war, die sie ihm bei ihren ersten Zusammenkünften gezeigt. In den ersten Tagen tröstete sich Rupert, daß das Mädchen, das ihn ständig beobachtete, später ein größeres Zutrauen zu ihm schöpfen und ihn plötzlich mit einer ganz unerwarteten Offenheit beglücken werde. – Er kam besser über dies 131 Warten hinweg, wenn er sich mit Feuereifer in die Manuskripte des Professors vertiefte, die er auf Orthographie und Periodenbau durchzusehen hatte. Merkwürdigerweise schrieb nämlich der Alte bei weitem nicht so flüssig, wie er sprach. Es war, als stürmten die Gedanken seiner knorrigen Hand weit voraus, wenn er den vorsintflutlichen Gänsekiel zwischen den Fingern zückte. Es schien überhaupt ein Wunder, daß es ihm gelang, ein klares Wort hinzumalen, so zerbrechlich machte sich dieser Federkiel in der blondbewachsenen Bauernfaust. Oft war es eine mühsame Entzifferung, die Rupert betreiben mußte, und es ging ihm selber zu langsam.

»Haben Sie schon bald vor, die Sachen in Druck zu geben?« fragte er.

»Die Zeit kann bald reif sein,« sagte der Alte, »dann kommt eines nach dem andern.«

»Erlauben Sie, daß ich eine klare Abschrift davon anfertige?« erbot sich Rupert.

»Ich lege es vertrauensvoll in Ihre Hände, aber werfen Sie meine Blätter nicht weg.«

»Da sei Gott davor,« meinte Rupert erschrocken. Er hatte immer das Gefühl gehabt, daß es sich um Dinge handle, die von einem späteren Geschlecht als Reliquie gehütet werden würden.

Während des Abschreibens und Umstellens der Worte, während orthographischen und stilistischen Feilens verlor er sich immer tiefer in das labyrinthische Dunkel dieser ungeheuer trächtigen Gedankenwelt. – Zwanzig Seiten konnte er pfadlos irren im geil wuchernden Gestrüpp dieser unerhörten Ideen und schier verzweifeln, dann auf einmal glühte etwas auf, wie der magische Knäuel, von dem sich der Ariadne-Faden abspulen ließ. Da ordnete sich auf einmal dieser 132 Urwald, bekam Gesicht, Maß und Straße. Schnurgerade Pfade taten sich auf wie Schneisen im Forst, die zu sonnenfunkelnder Lichtung führten.

Der große Gedanke, der alles dies auf den ersten Blick wirre Geschreibsel zu großem Schrifttum umschuf und erhellte, so daß es vor ihm lag wie ein Stück Bekennerliteratur, war immer wieder derselbe. – Er hieß »Rückkehr zur Natur«. – Es war jetzt bereits unsägliche Zeit her, daß ein gewisser Rousseau diesen selben Gedanken in sein Wimpel geschrieben hatte. Aber jener war der Ritter einer Romantik gewesen, die gegen die von Ästhetengeschwätz betriebenen Windmühlen ihrer Zeit vergebens anrannte. Ein Außenseiter der Salons, ein Zurückgesetzter, der sich selbst verfehmt hatte und nun den Verzweiflungssprung in eine billige Philosophie tat, die ihrerseits sofort wieder Modesache wurde und in die Salons zurückkehrte. – Jener hatte gegen die Verflachung von Kulturideen gekämpft mit den Mitteln eben dieser Kultur. – Örvandill jedoch, in welchem er seine, vielleicht zehnte, Auferstehung erlebte, kämpfte nicht gegen die »Kultur«. Sein eigenstes Geschöpf, diese Verbena, war ja gerade ihrer Ursprünglichkeit halber höchste Kultur, denn ihre Empfindungen waren grundecht. – Nein, Örvandill hatte mit eigenen Mitteln gegen die »Zivilisation« den Krieg erklärt, die gar nichts mit Kultur zu tun hatte. – In derselben Zeit, da Rousseau eiferte, konnte ein König, der die Spitze einer Kultur darstellte, in dessen Atmosphäre die »Salons« blühten, zwölf Rebhühner auf einen Sitz vertilgen und noch nicht einmal satt werden. Auch Örvandill konnte das. Rupert hatte gesehen, daß er einem maßlos animalischen Appetit fröhnen konnte. Was der Alte bekämpfte, war gerade das Gegenteil dieses gesunden Appetits, also auch das 133 Gegenteil der menschenwürdigen Kultur. Er bekämpfte die Schleckerei, die Vergiftung des Körpers und der Seele, die Verweichlichung und die ertötenden Bequemlichkeiten seiner Periode. Er bekämpfte alle Fortbewegung mit mechanischen Mitteln. – Er war unendlich radikal. So radikal, daß es dem Schüler oft graute, wenn er sich vorstellte, wie diese Ideen in die Wirklichkeit umgesetzt sich auswirken müßten. – Dieser Athlet warf alles über den Haufen, schuf seine neue Ästhetik, seine Ethik und die Inbrunst, mit der er sich vertrat, war lodernder als der Fanatismus eines Luther. Auch dem sanften Heiligen Franz, der mit den Vögeln sich besprach, glich er nicht. Sanftmut war ihm überhaupt fern. Die Vögel mochten wohl zu ihm kommen und zu Verbena, aber das hatte andere Gründe. Er verstand ihre Bedürfnisse und durchschaute ihre Sinne, besonders jene verborgenen, die dem Menschen abhanden gekommen sind. Sie kamen blind zu ihm, von einer tastenden Verwandtschaft erfaßt und herangeholt. – Der Heilige Franz hingegen hatte sich freundlich hingestellt, mit der Zunge geschnalzt und Saatkörner, die er mit Gotteswort weihte, umhergestreut. Das war nicht die Art Örvandills. – Wo andere lockten, knallte er wie ein Fuhrknecht mit der Peitsche; denn auch so kam Bewegung in die Geschöpfe Gottes.

Was Rupert abschrieb, waren Bekenntnisse vieler Menschen. Diese Menschen waren sich alle ähnlich darin, daß sie abseitsliegende und wunderbare Erlebnisse kannten und hervorzurufen verstanden. – Jede dieser Selbstbiographien enthielt eine kleine Vorrede, gleichsam eine Verbeugung vor dem Geist, der sie auf den richtigen Weg gewiesen. Jeder hatte je nach Bedürfnis und Laune jedes Jahr einen Beitrag hinzugesteuert. Jeder dieser Beiträge war von Örvandills 134 unleserlicher Klaue ausgiebig kommentiert. – Das Abschreiben beschränkte sich demnach auf die Kommentare, denn unter den eingesandten Berichten gab es viele leserliche. Skandinavische und englische lagen in Massen vor. – Die ersteren übersetzte Verbena, während die englischen Rupert verdeutschte. Täglich kam sie ins Studierzimmer und holte sich ein paar Texte und dies war auch in der Hauptsache der Moment, wo Rupert ihr einiges sagen konnte; denn tagsüber entwickelte sie eine merkwürdige Scheu.

Da nun Tag um Tag verging, wuchs die Spannung in Ruperts Seele. Er sah sie zu den Mahlzeiten, sie ging auch wohl einigemal mit ihm zusammen aus. Sie scherzte und plauderte zwanglos, aber in ihm war so ein ausschließliches Bedürfnis nach mehr, daß ihm ein solches Zusammensein weh tat. – Er sah sie vollerblüht neben sich, in der Wärme ihrer reifen Jugend, und doch war ihm, als sei sie durch eine Scheidewand von ihm getrennt. Streifte sie ihn flüchtig, wie damals beim Mittagessen, so empfand er es immer deutlicher wie einen elektrischen Schlag, der ihm durch den ganzen Körper ging. – Und diese übergroße Empfindlichkeit seiner Nerven lähmte ihn wiederum, so daß er sich scheute, eine solche Berührung absichtlich herbeizuführen. – Mit der Zeit steigerte sich die Leidenschaft zum Paroxysmus. Wenn sie ihn einmal küssen würde, das empfand er, würde er sofort die Besinnung verlieren. – Dies Geschöpf war so stark, und ihm war, als nähre sie sich von ihm, um ihn immer schwächer zurückzulassen. Sie sog ihm das Mark aus den Knochen, aber sie schien es nicht zu spüren. Sie gab ihm auch nicht die geringste Handhabe zu einer Intimität, die über das Maß des Gewohnten hinausging. Dabei schien ihm, als werde sie immer lieblicher und sein ganzes Sein 135 war so von ihrem Glanze durchsättigt und durchsonnt, daß es die Schatten, die sie unwillkürlich darauf warf, mit einem gedankenlosen Wort, oder einem gleichgültigen Blick, wie Reif empfand.

Er litt, doch dies Leiden war Bedürfnis insofern, als er mit ihm auch die Ursache genoß. Dies Leiden war produktiv im höchsten Grade. Diese Spannung war schöpferisch. – Noch nie war sein Geist so beweglich gewesen, noch nie war er sich des eigenen Körpers so bewußt gewesen. Diese stete Sprunghaftigkeit, dies Auf-der-Lauer-Liegen bei allem, was sie sagte oder was sie tat, schärfte all' seine Sinne. Wohl wurde er nicht behäbig vor Gesundheit, aber er litt auch keinen Schaden, er magerte nicht ab. Seine Augen wurden nicht hohl, seine Hände nicht zittrig. Ihm war, als weile er auf steiler Höhe in der beizenden Luft der Firne, wo ein Eiswind die Wangen peitscht, bis sie glühen. – Dieses Glühen war das Fieber eines Gesundheitsprozesses. Diese Entnervung war ein Geschenk. Er wußte es damals noch nicht und haderte mit sich. Er wollte hassen und konnte nicht hassen. Er lag schlaflos, er schluchzte und er tobte. Aber er kam nicht um dabei, denn er wußte, daß er am nächsten Morgen wieder Seite an Seite mit ihr sitzen oder gehen durfte, daß sie ihm nicht entzogen sei. Dies eine jedoch fühlte er mit schreckhafter Deutlichkeit: – wenn er sich dies Glück zerstöre durch unvorsichtiges Benehmen, so könne er die Trennung nicht überleben.

Es war ja auch klar, daß Verbena diese Spannung nicht fühlen wollte; daß sie sie fühlen mußte, war kein Zweifel. Aber es war, als sitze sie außerhalb und betrachte sein Gehaben als ein Schauspiel, voll freundlichen Interesses; sie schien jedoch die ungeheure Kraft aufzubringen, um der 136 Spannung spielerisch zu begegnen und sie dadurch lächelnd zu entkräften. Denn so oft sie in seiner körperlichen Nähe war, empfing er plötzlich diese wohlige Ruhe, diese innere anschmiegende Schlaffheit, als sei er ein anspruchsvolles Kind, dessen tobende Wünsche wie durch Mutterhand geglättet werden. – Natürlich war keine Rede davon, daß irgendwelche mütterlichen Gefühle hier vorhanden waren. Sie standen sich gleichwertig gegenüber. – Äußerlich betrachtet, war sie genau so hochgewachsen als er; das sah man aber nur, wenn sie sich voll aufrichtete. Sonst vergaß man es, da ihre rhythmische Beweglichkeit den Gedanken an Größe gar nicht ins Bewußtsein gelangen ließ. – So stand sie all' dem Tumult kühl gegenüber; und je öfter sie ihm ihre Gegenwart versagte, desto sprunghafter wuchs die Spannung bei ihm. Am Schluß bestand sein ganzes Dasein aus diesen grellen Kontrasten zwischen hoffnungsarmer Verzweiflung und süßem Gesättigtsein. Wie lange er diesem Zustand noch gewachsen sein würde, wußte er nicht.

Eines Tages geschah es, daß sie länger als gewöhnlich mit ihm plauderte und daß er sich an dem großen Projekt in Feuer geredet hatte. Sie sah ihn an mit Augen voll so ehrlicher Bewunderung, daß er dieses Aufleuchten auf sich selbst bezog. Daß diese Bewunderung mehr dem Inhalt seiner Erklärung gegolten, spürte er nicht. – Er ließ alles fallen und taumelte auf sie zu. Sie richtete sich auf, so daß die kleinen Brüste sich im anliegenden Kleide strafften, und blickte geradewegs auf seine Stirn. – Mit ausgebreiteten Armen sank er an ihr nieder. Seine Hände wanderten langsam die knappe Linie ihrer Hüften hinab bis zu den Knien. Diese Berührung durchdrang ihn wie ein plötzlicher Regenfall aufgedörrte Wüstenpflanzen. – Er erschauerte bis ins 137 innerste Mark. Schon das Gefühl ihrer Haut war Erquickung, war sie doch durch den dünnen Stoff des Kleides kaum von ihm geschieden. – Kurz dauerte diese Szene, unheimlich kurz. Er schlug mit der Stirn an ihre Knie. Sie rührte sich nicht. Sie stand wie eine Birke, windgeschützt, und blickte mit plötzlichem Staunen auf ihn herab, mit einem Ausdruck völliger Ratlosigkeit und holder Verwirrtheit, zugleich aber auch beginnenden Unmuts. – Er merkte nichts. Er stammelte nur atemlos dieses große erlöste »Du«. Die Saite war überspannt, sie barst. – Da war ein Mißklang; er blickte auf, der Halt wurde ihm entzogen. – Sie trat einige Schritte von ihm zurück, und unter gesenkten Lidern hervor sah er die sanfte Bewegung ihrer Beine, deren Linie wie ein Akkord war. Dann aber wurde sein Blick scheu und glitt höher zu ihrem gesenkten Gesicht, auf dessen runder weißer Stirn die gefürchtete Falte nistete. – Die Augen sahen ihn an in flammender Bläue, die Hände waren leicht nach vorwärts gestreckt, als wehrten sie ihn ab. Sein »Du« war nicht erwidert worden. Die unnennbare Einheit und Verschmelzung, die er blitzartig vermeint, war entwertet. So beraubt war er sich noch nie zuvor erschienen: – ein Fortgestoßener, der das blinkende Almosen, das der Reiche schon in der Luft geschwenkt, nicht haschen durfte. – Es war keine Verhöhnung, die ihm widerfuhr; es war weit Schlimmeres, etwas wie verständnislose Trauer über seine Fassungslosigkeit; und dann schüttelte sie leise den Kopf und verschwand. Kaum hörte er die Tür klappen. – Diesmal hatte sie viel fortgenommen. Hatte den ganzen Rest sich noch geholt aus goldener Schüssel. – Langsam erhob er sich von der Bastmatte, seine Knie waren kraftlos. Was soll nun werden, dachte er wirr. Leer, sinnlos und inhaltslos starrte ihn alles 138 an. All' dieses, was da auf dem Tisch lag, schien ihm ohne Bedeutung; das ganze große Projekt eine Farce, und Örvandill selbst . . .

Der Professor? Und ohne, daß er's wollte, stieg ihm ein Gedanke ins Hirn. Ein unabweisbarer Gedanke, der mit der Schärfe eines Scheinwerfers über das Dunkel seiner Seele tastete. Was hatte ihm dieser doch gesagt bei der ersten langen Aussprache? Hatte er nicht gesagt: – das Weibchen ist mein Geschöpf! – und etwas von einem kleinen Experiment gesprochen, seinem Privatgefallen? Seinem Studienobjekt? – Hier mußte er einsetzen. Nicht Verbena war's, die sich ihm versagte, nein, Örvandill versagte sie ihm. Der Einfluß dieses Mannes war's, der diese ewig sich erneuende Scheidewand errichtete. Dieser Mann hatte im selben Moment, als Rupert lechzende Arme ausstreckte, sein Veto eingelegt. – Wie das zugegangen, war ihm nur dumpf klar. Daran war kein Zweifel: es bestand eine telepathische Verbindung zwischen den beiden, so daß sie sich auch, wenn es not tat, auf Entfernungen verständigten. War Verbena stark genug gewesen, Rupert mit ihrem bloßen Wunsch aus dem Schlafe zu rütteln, um wieviel mehr mußten des Professors innere Ohren gegellt haben, als diese leidenschaftliche Attacke auf sein liebstes Eigentum vor sich ging? – Aber hatte er ein Recht dazu, dieses junge Geschöpf so zu knebeln? Ein Siebzigjähriger? – Was hatte er vor? War es nicht in seinem Sinne, daß sie ihrer Bestimmung folge? War dieser blühende Körper etwas, was man in den Käfig setzen durfte? – und sei dieser Käfig auch nur aus unausgesprochenen Befehlen errichtet? – War diese wundervolle, traumhaft keimende, unerschlossene Seele eine Sache, die man in die Tasche eines lächerlichen Gehrockes stecken durfte? – Und 139 je tiefer Rupert sich in diese Vorstellung hineingrübelte, desto mehr wuchs in ihm die Empörung. Er wußte genau, daß die Gegenwart des Mannes, sein persönlicher Anblick, wieder Macht über ihn ausüben würde, der er nicht gewachsen sei. Fühlte er sich stark genug, um dieser Macht auf die Dauer standzuhalten? – Wer steifte ihm den Nacken? Wo nahm er die Kraft her? – Alles, alles mußte er aus sich selber schöpfen, denn die, die ein Stück von ihm war, leugnete die Verwandtschaft und ließ ihn im Stich.

Nach langer Überlegung schien ihm das beste, ruhig abzuwarten. Er konnte sich ja danach richten, wie Verbena sich beim Abendmahl benehmen werde.

Es verlief wie immer. Nichts war ihr anzumerken. Sie verriet nichts. – Darüber war in ihm eine jubelnde Dankbarkeit. So war für ihn noch nicht alles verloren. – Zuweilen glaubte er zu bemerken, daß der Professor eine etwas grimmigere Miene zeigte; doch ob er sich täuschte oder nicht, ward ihm nicht klar. 140


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