Willy Seidel
Der Gott im Treibhaus
Willy Seidel

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Dreizehntes Kapitel

Seitdem Rupert das Gespräch zwischen Verbena und dem Alten belauscht, war er vollkommen überzeugt von der Anwesenheit eines dritten Mitbewohners des Hauses.

Zwar wohnte dieser offenbar nicht im Hause selbst, sondern war dort hinten im Treibhaus untergebracht worden.

Ob der Aufenthalt dieses Menschen, den sie »Unser Freund« nannten, dortselbst ein freiwilliger war, oder ob er durch irgendeinen Zwang festgehalten wurde, gab reichlichen Stoff zu quälenden Vermutungen. – Um einem Gegner zu begegnen, muß man sich mindestens eine schwache Vorstellung von seinem Wesen machen können. Rupert konnte sich unmöglich darauf verlassen, durch das bloße Gewicht der 141 eigenen Persönlichkeit diesem verschmitzt versteckten Rivalen wirksam die Spitze zu bieten. – Verbena hatte es allzu deutlich abgelehnt, ihn mit jenem zusammenzubringen. Nach dem leidenschaftlichen Auftritt, der so kläglich für ihn im Sande verlief, lauerte er mehrere Tage schon von der allerersten Frühe an, oder wann sich sonst eine Gelegenheit bot, auf den Anblick des Unsichtbaren. Nie wollte es ihm gelingen, Augen auf ihn zu legen. Hörte er ein Geräusch im Garten, wenn dieser ganz in Nebel ertrunken unter seinem Fenster lag, so konnte es geschehen, daß er katzenhaft leise hinunterschlüpfte und spionierte. Von einem Gang in die Stadt brachte er eine Blendlaterne mit stark verschärfter Linse mit, die mit ihrem Strahl vom Fenster aus jedes dunkle Gartenstückchen blitzartig abtastete. Hier mußte der Teufel irgendwie im Spiele sein, denn alles war umsonst.

Mitten in der Nacht, in der samtenen Schwärze des Hauses, schlich er zum Fenster und vermeinte dort drüben ein unfaßbar feines Glühen unter dem flaschengrünen Glasdach zu entdecken. – Ein sanftes Phosphoreszieren, das die ganze Linie des Treibhausfirstes aus dem Schatten zu heben schien. Er strengte die Augen an. – Wellen und Kreise schwammen herzu und verlöschten dies Bild, dessen stille Rune wohl nur durch die Einbildung auf seine Netzhaut gezaubert blieb. Er wollte etwas sehen, und darum sah er es scheinbar auch. – Dann und wann glaubte er im Schacht der Finsternis Fußspuren aufblinken zu sehen in der Richtung der kleinen Tür dort hinten. Es waren die Spuren nackter, schmaler Füße . . . War es die Erinnerung an die Füße der Geliebten, die so leicht durchs Haus huschten, und deren Abbild, aus seinem sehnsüchtigen Gedächtnis geholt, dort unten unirdisch aufglänzte? Phantastereien waren das. Seine 142 Einbildung spielte mit ihm. Seitdem sie ihn zurückgewiesen damals, war es, als sei ein Loch in seiner Brust, das mit Trostbildern gefüllt werden müsse, um nicht allzustark zu schmerzen.

Inzwischen wuchs das Rätsel dort drinnen im Treibhaus und nahm für ihn tolle Formen an. Da er nicht den geringsten Anhaltspunkt für das Aussehen jenes Mannes hatte, so erschuf seine Phantasie ihn sich neu, und er konnte nicht umhin, ihn dem Professor ähnelnd auszustatten. Da er sich der großen Abhängigkeit Verbenas von Örvandill bewußt war, so übernahm der Fremde dessen Eigenschaften und spielte damit verruchte und gefährliche Spiele im Traumleben Ruperts. Er sah sie ihm ausgeliefert. Es war ein Tumult von Farben, drinnen dunkles Grün beherrschend strotzte. Es waren keine deutlichen Bilder, aber das Verlangen rief in ihm das Zerrbild eines von Kraushaar bedeckten alten Satyrs hinter diesem Grün hervor, und darunter spielerischen Glanz blasser Glieder. Visionen von tobender Zuchtlosigkeit hetzten seinen Puls. – Er fuhr empor und starrte in die Schwärze des Zimmers. Sein Verlangen überdauerte das geschaute Bild und malte es ins Kleinste aus. Wie auspeitschendes Gift durchdrang ihn die Möglichkeit solcher Verwirklichung; und der Krampf einer Wollust, die in ihrer Tiefe und Unersättlichkeit unmöglich überboten werden konnte, schüttelte ihn und schwächte ihn in fruchtlosen Ekstasen.

In seinem Hirn verschmolz Örvandill mit dem Fremden auf seltsame Weise. Gestand er dem Fremden das Dasein zu, so schien ihm letzten Endes doch nur Örvandill übrigzubleiben, an den er sich halten könne. Notgedrungen lenkte sich der allmählich wachsende Strom eines trüben Neides 143 gegen Örvandill, und er sah ihn nicht mehr mit denselben Augen an wie sonst. – Der Professor schien nichts zu bemerken. Seine Laune war von einer grimmigen Heiterkeit. Es geschah, daß er Verbena vor Ruperts Augen mit seiner Pranke liebkoste, ja sie auch einmal in seine gorillahaften Arme nahm und darin schaukeln ließ wie zwischen Urwaldranken. Sie stieß hohe, vor Vergnügen melodisch kreischende Vogellaute aus, während er dies tat; ein anderes Mal, als er sie auf den Schultern trug, schlang sie die schlanken, graubestrumpften Beine rittlings um den Nacken des Bären. Rupert wandte die Augen ab und ging hinaus, kalt vor Neid, aber machtlos.

Eines Nachts hatte er wieder vermeint, ein Geräusch zu hören, und spähte aus dem Fenster. Während er die Finsternis mit den Augen zu durchbohren sich mühte, kam ihm in äußerster Verzweiflung eine Idee. Er schlich sich hinunter, die Blendlaterne in der Tasche. Er tastete sich nach der Tür des Treibhauses und prüfte, was er bei Tage nie zu tun gewagt hätte, mit Hilfe des fadendünnen Lichtstrahles die Beschaffenheit des Schlosses. Es schien nicht kompliziert zu sein. Am nächsten Tag besorgte er sich Wachs und machte in der nächsten Nacht einen Abdruck, nach welchem er einen Schlüssel fertigen ließ. Diesen Schlüssel trug er ständig bei sich.

Sein Warten sollte endlich belohnt werden. Es war einer der blauesten Tage, die der Spätnovember dieses selten schönen Jahres brachte. Die Sonne funkelte auf dem Treibhausdach und warf Reflexe in sein Fenster. Sie malte einen bebenden Kringel an die Wand oberhalb seines Waschtisches. – Er stand soeben davor und rieb sich ab, als ihn dieser Kringel bei einem unwillkürlichen Heben des Kopfes 144 blendete. Er drehte sich um und erkannte die Ursache. – Das große Funkeln dort drüben, das nur ein paar Minuten verweilte und langsam vorüberwanderte, schien wie eine Lösung, ein Wink. Halb mechanisch ging er zum Fenster und sah Verbena, wie sie dort drüben in der Tür verschwand, die sich mit leisem, rostigem Knirschen hinter ihr schloß. Auf der noch vom Nachtnebel feuchten Erde, seitwärts des mit Fliesen belegten Pfades, saßen ihre Fußspuren leise eingedrückt wie Modellierformen: sie war nacktfüßig gewesen. – Nun hieß es handeln.

Zunächst mußte er feststellen, wo der Professor sich befand. Er ging hinunter. – Der Alte hatte gefrühstückt und saß in Ruperts Arbeiten vertieft am Schreibtisch. Er blickte kaum auf. Zuweilen sandte er einen stechenden Blick durch die Fransen seiner zottigen Brauen hindurch nach dem jungen Mann. – Rupert mußte feststellen, ob der Professor von seinem Sitz aus jenes Türchen bemerken konnte. Nach einem langwierigen Manöver überzeugte er sich, daß die Ecke des Fensterrahmens sich gerade vor die bewußte Stelle schob. Indem er sich sitzend dachte, war es klar, daß Örvandill nichts bemerken würde, wenn Rupert sich dort am Türchen zu schaffen mache. – Es hieß den Alten aber noch für alle Fälle abzulenken und zu beschäftigen, daß er nicht durch tückischen Zufall zufällig aufstehe. Deshalb verwies Rupert ihn auf einige frisch eingelaufene Briefe, die er selbst noch kaum überflogen hatte, als auf besonders interessante Dokumente und gab ihm zu verstehen, er könne doch an einem Kommentar, der vollkommen unleserlich ausgefallen sei, den Sinn herausstellen, bevor er selbst weiterarbeite. – Der Alte verstand sich mit krächzendem Geräusper zu dieser Arbeit, und Rupert ging hinaus, wobei er die Tür nicht allzuleise schloß. 145 Er machte noch eine kleine akustische Komödie, indem er die Treppenstufen zum Knirschen brachte und dann lautlos über das Geländer zurückturnte. – Die Strecke, auf der Örvandill ihn bemerken konnte, mußte laufend zurückgelegt werden, und er durfte keine Spur hinterlassen, da die zurückkehrende Verbena solche sofort bemerken würde. Er mußte sich also auf dem Fliesenpfad halten. – Er hatte seine Segeltuchschuhe mit Gummisohlen angezogen, also hörte man nichts. Mit einem tiefen Atemzug sprang er wie ein Schnelläufer über die gefährliche Strecke hinweg. Er hatte genau ausgerechnet, wann der Alte ihn, blieb er sitzen, nicht mehr bemerken könne. Er gönnte sich deshalb Zeit und handelte zielbewußt und nicht überstürzt. – Das knirschende Tor konnte ihm zum Verderben werden, wie er schon damals erkannt, deshalb ölte er die verrosteten Scharniere mit möglichster Schnelligkeit ein und versuchte dann den Schlüssel. – Unendlich vorsichtig drehte er ihn um und das Türchen sprang auf. Ein einziges kleines Quietschen entstand, das ihm das Blut in den Adern gefrieren machte. Es war wie der spitze Aufschrei eines tückischen Kobolds, der sein Vorhaben vereiteln wollte. Es half aber nichts, hinein mußte er. – Er schloß die Tür wiederum so leise als möglich. Der kleine Dämon quietschte wiederum, aber diesmal kürzer, als werde ihm der Hals umgedreht. – Er war drinnen. Es war ein kleiner Vorbau, den er zunächst betrat, mit Zement unterlegt. Eine der üblichen Gasanlagen, die man für diese Zwecke gebraucht, befand sich hier. Der Alte hatte also offenbar seinen Pflanzen mehr Komfort angedeihen lassen als sich selbst. Das Vorräumchen bestand aus dicken Wänden verschimmelter Ziegeln und im Hintergrund war es durch die Gartenwand abgeschlossen, an der noch, von der Feuchtigkeit halb zerstört, alter 146 Kalkbewurf hing. – Nach dem eigentlichen Treibhaus führte ein Türchen, durch das man nur geduckt schleichen konnte. – Rupert spähte um die Ecke und huschte hinein. Feuchter Dunst quoll ihm entgegen und beklemmte seine Brust. Kurzes Asthma befiel ihn, er glaubte sich einer Ohnmacht nahe. Aber er überwand diesen Schwindel und spähte in die grüne Dämmerung hinein.

Bald genug entdeckte er, daß der Teil des Treibhauses, den er sah, unmöglich die ganze Länge des Gebäudes in Anspruch nehmen könne. Auch Verbena war nirgends zu entdecken. Es mußte demnach ein hinterer Teil vorhanden sein und nun hieß es, sich mit möglichster Vorsicht heranzupirschen. Dies fiel ihm ziemlich leicht, da der Alte hier nur großblättrige Gewächse züchtete. In der Mitte war ein breiter Humusstreifen gelegt, der ein Dickicht auf dem Rücken trug. – Legt man sich hier, dachte Rupert, auf den Rücken und schließt die Augen halb, so kann man sich wohl einbilden, man ruhe auf weichem Grunde tropischen Regensumpfes, und über einem spiele die smaragdene Wasseroberfläche, wenn fallende Blüten oder verweste Zweige auf ihrer empfindlichen Haut Kreise zum zerrieselnden Aufkeimen und Verlöschen bringen. Die einzige Sorge, keine Fußspuren zu hinterlassen, hielt Rupert davon ab, in dieses verlockende Dickicht einzutreten und sich solchen Vorstellungen hinzugeben. – Es war verzaubert hier. Zuweilen gab es Ausblicke, die ganz vergessen ließen, wo man sich befand. Die Blätter schlossen sich zu wimmelnden Hintergründen. Die Raumausnutzung war so vollkommen, daß man sich im Urwald verloren wähnte. – Mit einemmal schrak Rupert zusammen und lauschte. Er hatte ein seltsames, von Entfernung ersticktes Geräusch gehört, das dem Trillern eines Vogels glich. Geräusche gab es übergenug in dieser sprossenden Miniaturwelt. Überall klangen Tropfen, sickerten von gebeugten Blättern, die sich raschelnd wieder streckten; jedoch in all dieser Tropfenmusik, diesem versteckt schwirrenden Leben, auseinander drängender Keime, hatte der Laut etwas besonderes. Auf einmal wußte er's: es war Verbenas Stimme gewesen, wie hinter einer Mauer von Grün erstickt. – Schritt nach Schritt wagte er sich weiter. Hier geriet er an eine gläserne Zwischenwand; sie war so von grünem Schimmel übersponnen, daß sie nur mattes Licht hindurchließ. Die Symmetrie in der Anlage der vorderen Treibhaushalle schien hier aufgehoben. Was er sah, war ein regelloses Durcheinander saftreicher Schäfte, hochgetürmter Wedel, schlanker Stämme. Klettersträucher mit purpurnen Blattstielen und herzförmigen Blättern wanden sich vielrankig um Dracaenen, die erstarrten Springbrunnen glichen: – diese schleuderten smaragdene Garben spitzer Blätter zwischen Ziersträucher, Schraubenbäume und goldbesternte Mimosen. Ein schweres Duftgemenge verlor sich unter den lastenden Blätterschichten. Die Dolden der Porzellanblume rieben sich kosend an der karminroten Wange strotzender Hibiskuskelche. Gelbblättriger Jasmin und Heliotrop hauchten ihren Duft vereint aus.– Ruperts Blicke kletterten langsam in die Höhe. Dort über der edlen Form der Passiflora begann das Reich der Orchideen. Was dort herabpendelte wie erstarrter Formenstrom aus unerschöpflichem Füllhorn und wie das traumbefang'ne Spiel duftbetäubter Schmetterlinge im Dampfe hing, war unvorstellbar mannigfach. Das ganze Glasdach war unterwoben von den Nestern der phantastischen Schmarotzer, die ihre Blätterbüschel herabwimpeln ließen und mit steil geschwungenen Blütenkaskaden in das derber geformte Dickicht 148 tauchten. Der ganze Himmel, so weit man ihn sehen konnte, diese Zweihandbreit Himmel, waren ein einziges Gewebe lechzender Kelche vom Aussehn zerfranster Mäuler oder lauernder Tropenspinnen, deren türkis- oder blutfarbene Greiforgane vor Lebensgier leise vibrierten. – Es war ein toller Traum; es war eine Orgie; in dieser ganzen geil verknoteten, still blühenden und duftatmenden Pflanzenwelt herrschte die Stummheit jener ganz frühen Schöpfertage, da all' dies noch in heiterem Selbstzweck wuchern durfte, ohne von abschätzenden Menschenaugen vergewaltigt, von hamsternden Hirnen eingeschachtelt, mit Namen belegt und abgetan zu werden.

Es war schwer, sich vorwärtszukämpfen, denn ein Kampf mußte Ruperts Schleichen genannt werden. –Tausend grüne Finger stießen nach ihm. Tausend Ranken, haarig, klebrig und zäh, wehrten sich und wollten einzeln erobert sein. Es war in diesem üppigen Wachstum etwas Ausschließendes, das sich drohend wider ihn erhob. Er war der Eindringling. Jedes Blättchen wußte darum und gab es tuschelnd dem anderen weiter. – Bog er eine Ranke zurück, so schnellte in einiger Entfernung eine zweite empor, die Blüten hochstellte wie empörte Natternhäupter. – Aber Ruperts Wille trieb ihn weiter. Er lag auf der Brust und kroch auf den Knien. Endlich gelang ihm der Blick in das Sanktum, das von dieser erbosten Pflanzenmauer gehütet schien. – Er sah die Oberfläche eines Teiches. Es war ein von dunklem Porphyr umrahmtes Becken fahlgrünen Wassers. Zwei Stufen führten hinein, und dieser Teich warf einen Widerschein zurück, der ihn blendete. Er war ein so vollkommener Spiegel, daß das Pflanzengewebe des Himmels sich, in unendliche Ferne verdämmernd, fast ohne Übergang fortzusetzen schien. Und in dieser Tiefe 149 blühte, mit stiller Gebärde und verhaltenen Lebens voll ein nackter Mädchenleib, der regungslos vor dem Hintergrunde breiter, dunkler Blätter stand.

Es mochte die ganz tiefe Bronzefarbe des Grüns sein, die diesen Leib in so unirdischem Weiß erscheinen ließ. Ihre Haut zeigte den satten Perlmutterschimmer des Kerns im Elefantenzahn. Er hatte noch nie eine so vollkommene Bildung gesehen. Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und blickte mit herabgesenkten Wimpern ins Wasser. – Ob sie ihr Spiegelbild betrachtete, blieb ungewiß. Es war nicht die geringste Spur eitlen Gehabens an ihr. Sie stand dort wie gottgewollt, Pflanze unter Pflanzen, Form unter Formen. – Nun regte sie sich und stieg langsam ins Wasser hinab. Es ging ihr zu halber Höhe der Schenkel. Mit einem Male beugte sie sich mit entbreiteten Armen nieder und ließ sich hineingleiten. – Sie drehte sich und spielte das behagliche Spiel eines edlen Tieres, das sich kühlen und bewegen will. Hob sie sich halb aus dem Wasser, so rannen die Perlen von ihren knappen Brüsten und aus dem goldbraunen Flimmern der Achselhöhlen und des Schoßes wie feinzerstäubtes Silber hernieder. – Sie schüttelte das kurze, dichte Haar, dessen seidige Kappe das Naß umhersprühte. Sie wand und tummelte sich dort, und jede Bewegung beschämte in ihrer Vollkommenheit die nächste. – Nach einer Weile schien sie genug zu haben. Ihr Gesichtsausdruck war voll tiefen Friedens; ihre Stirnhaut glatt wie die Schale des Straußeneies. Keine Gedanken, die mit ihrem täglichen Dasein zusammenhingen, schienen darunter zu leben. Es war die Glücksempfindung völlig triebhaften Genusses, die sie beseelte. – Ihm war als nehme sie ein Bad der Jugend; als feie sie sich in der weihevollen Stunde wiederum gegen alles, was sie dort draußen 150 erwarten werde. Dann stieg sie elastisch heraus – perlenüberronnen der kraftatmende straffe Leib, wie ein Gebilde aus Dampf und Silber.

Eine Wolke von Vanilleduft trieb über Rupert hin, als seien irgendwo hinten neue keimende Dolden aufgebrochen und hauchten ihre Seelen herüber. – In seinem Kopf brauste es. Dies war ein Übermaß. – Wie verschwommen, wie durch einen ganz leisen Schleier schillernden Wassers hindurch, wie er im Urwald aus regenzerweinten Lavatrümmern rinnt, sah er ihre Regung. Ihre weißleuchtende Gestalt bewegte sich dort still; – war es ein selbstvergessener Tanz, der sie beseelte? – Oder war es das Nachklingen jener gewichtslosen Wasserfreude, die ihren Körper dort rhythmisch bewegte? – Plötzlich hielt sie an und senkte sich in die Knie, den Rücken ihm zugewandt. – Es war dies an einer Stelle, wo eine runde Öffnung im Grün sichtbar war. Er hörte plötzlich ihre Stimme, die leise sprach. Es waren kleine melodisch fragende Sätze; die Worte verstand er nicht. Nach jedem dieser Sätze machte sie eine Pause, schüttelte Wasser aus ihren Haaren und streckte den Kopf vor, als ob ihr nichts entgehen dürfe. Sie sprach mit jemandem, das war klar, aber die Antwort schien so geflüstert, daß sie sich in nichts von der tröpfelnden Stille unterschied. – Sie schien jedoch durch die Antwort befriedigt zu sein, denn sie nickte mehrmals mit dem Kopf und lachte klingend vor sich hin. Dort hinten also, dort hinten steckte der Dritte. – Rupert beschloß, sich nicht zu rühren, bis er das Geheimnis ganz durchforscht. Über kurz oder lang mußte der Rätselhafte ja zum Vorschein kommen, mußte er ein Stück seines Körpers oder seines Kopfes entblößen. Weiter vorzurücken erlaubte Rupert die Vorsicht nicht. Sie hätte ihn unfehlbar entdeckt. Ein einziges 151 Bergbananenblatt war die Scheidewand zwischen ihm und dem Wasser und schwankte, von seinem mühsam zurückgehaltenen Atem getroffen, bedenklich auf und ab. Und während er mit jeder Sekunde zitternd erwartete, daß dort eine Begegnung erfolge, die das ganze Mysterium enthüllen müsse, geschah plötzlich etwas Furchtbares.

Etwas wie eine große Klammer schloß sich langsam und sicher um seinen Nacken.

War dies, so kam ihm im Augenblick ein magischer Schreck, die Rache einer eifersüchtigen Pflanze, durch üblen Zauber zu tierischem Leben erweckt?

Er wollte den Kopf wenden, es gelang ihm nicht mehr. Er sah mit halbem Blick vier breite Finger, mit rötlichen Härchen besetzt, und indem er sich dem quälenden Zwang zu entwinden suchte, zerbarst der Stiel des Bananenblattes, und Verbena, durch das klatschende Geräusch seines Niederfalls aufgeschreckt, fuhr herum und erblickte ihn. – Ihre weitaufgerissenen Augen schienen von der nun erweiterten Pupille fast schwarzblau. Sie versteckte sich nicht. Sie blickte ihn nur an. – Einen einzigen tiefen Atemzug tat sie, aber anstatt zu verschwinden mit einem Aufschrei, wie es wohl jedes Mädchen getan hätte, schritt sie langsam mit gefurchter Stirn und reglos herniederhängenden Armen ganz an das Wasserbecken heran und starrte zu ihm hinüber. Ihr ganzer Körper trotzte. Sie warf ihm ihre blanke Nacktheit wie einen Schlag ins Gesicht. Es war eine erhabene, sieghafte Schamlosigkeit und gleichzeitig unerhörte Schönheit in dieser unwillkürlichen Ansage des Kampfes.

»Ole,« schrie sie auf, mit dem Schrei eines Raubvogels –: »Du kommst zur rechten Zeit!«

Rupert schwang sich krampfhaft herum; die Faust 152 Örvandills im Nacken lockerte sich nicht. – Mit aller Spannkraft bewegte er sich ruckartig und stand ihm endlich gegenüber.

Des Professors schwarzer Gehrock sperrte wie ein höllischer Vorhang alles Leben hinter ihm ab. – Sein Gesicht war lachsrot. Seine Augen hatten sich schier noch tiefer in den Höhlen versteckt als gewöhnlich. Es waren völlige Bärenaugen, schier bis zur Bewußtlosigkeit gereizt. – Rupert erkannte, daß es nicht gut um ihn selber bestellt sei, wenn er nicht die Flucht ergreife, denn er hätte mit demselben Erfolg einer Naturgewalt gegenübertreten können. Er wäre zerschmettert worden ohne viel Aufhebens, mit der mechanischen Selbstverständlichkeit eines Dampfhammers. Er schlüpfte an der Seite des Tobenden vorbei, dem ein heiseres, halbersticktes Ächzen in der Kehle stecken blieb, und schlug sich besinnungslos durch das Dickicht. Er lief Spießruten. Das ganze Treibhaus schien in Aufruhr. – Als er im Vorraum war, hörte er den mächtigen Schritt Örvandills hinter sich herstapfen, jedoch war es nicht der Schritt eines Läufers, sondern er erkannte, daß dieser wieder halbwegs zur Vernunft gekommen sein müsse. Rupert atmete tief die grausame Kälte ein, die seine Lungen draußen mit feinen Nadeln zerprickelte, und blieb dann ruhig stehen. Jetzt, fühlte er, könne er es auf eine Aussprache ankommen lassen. – Eine furchtbare Pause verging. Endlich öffnete sich die Tür und der Professor trat gebückt heraus. Er ging nicht sofort auf ihn zu, sondern blieb vor der Tür stehen mit einem Ausdruck schlaffer Trauer. Es war ein mächtiger Vorwurf über seine ganze Gestalt geschrieben. Der Kopf hatte sich tief zwischen die breiten Schultern gesenkt. Er blickte von unten herauf. Seine Lippen bewegten sich, dann reckte er sich plötzlich auf und sprach:

153 »Ich hindere Sie nicht, gehen Sie.«

Rupert rührte sich nicht vom Fleck. Er wollte vorstürzen, Entschuldigungen stammeln, aber irgend etwas im Benehmen Örvandills hielt ihn ab. – »Gehen Sie,« rief dieser wie eine Posaune. Rupert ging langsam, stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und sammelte mit toten Augen seine Habseligkeiten in den Koffer. 154


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