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Zwanzigstes Kapitel.

Nach dreiviertel Stunden, die Bertram sowohl wie auch Dinmont in ihrer Ungewissen, gefahrvollen Lage wie eine halbe Ewigkeit dünkten, wurde draußen Hazlewoods Stimme laut und im andern Augenblick er selbst sichtbar. Unter den Leuten, die er mitbrachte, war ein Gerichtsfron, der den Weitertransport des durch den jähen Wechsel von Dunkel und Helle schier geblendeten Gefangenen übernahm, während die übrigen sich mit der Zigeunerin befaßten. Als der Fron die Schmuggler aufforderte, sich auf einen Felsblock dicht am Strande nahe der Fluthöhe zu sehen, ergriff es ihn wie ein Schauder, und er schrie: »Alle Hagel! Bloß hier nicht! Bloß hier nicht!«

Seinen Leib- und Magenfluch abgerechnet, waren es nur drei Worte; aber das tiefe Entsetzen, das aus ihnen sprach, ließ deutlich erkennen, was in seinem Innern vorging.

Auch nach einem Wundarzt hatte Hazlewood geschickt und riet, das verwundete Weib bis zur Ankunft desselben nach der nächsten Hütte zu schaffen; aber sie wehrte sich mit aller Kraft dagegen ... »In den Turm von Dernclengh bringt mich – in den Turm von Derncleugh! Nirgends wo anders als dort kann die Seele frei werden vom Leibe.«

»Es wird am besten sein, ihr den Willen zu tun,« meinte Bertram! »wir müssen sonst befürchten, daß ihr verstörtes Gemüt das Wundfieber verschlimmert.«

Man trug sie auf einer Weidenbahre in den Turm; auf dem Wege dorthin schien sie sich mehr mit den letzten Vorgängen als mit Gedanken an ihren nahen Tod zu beschäftigen ... »Drei Männer waren über ihm,« meinte sie; »und ich hatte doch nur zwei mit hergebracht, Wer war der dritte? Ist er etwa selbst zurückgekehrt, seine Rache zu stillen?«

Offenbar hatte Hazlewoods unerwartetes Erscheinen tiefen Eindruck auf sie gemacht, da sie, auf den Tod verwundet, ihn nicht hatte erkennen können, und sie kam oft auf ihn zurück. Bertram war über das Zusammentreffen mit ihm nicht weniger verwundert, bis Hazlewood ihm erzählte, wie er der Zigeunerin und ihren beiden Begleitern durch Heide, Tal und Wald bis zur Höhe gefolgt und endlich dem Landmanne nachgekrochen sei und ihn in dem dunklen Gange am Beine festgehalten Hab?,

Vor dem Turme angelangt, zog Meg Merrilies den Schlüssel aus der Rocktasche; als man sie aber auf einen Heuhaufen betten wollte, rief sie unruhig: »Nein, nein! so nicht, nicht mit dem Gesicht gen Abend! Zum Morgen hin! Zum Morgen hin!« Sie nahm die Schmerzen, die der Wechsel ihrer Lage verursachte, willig hin und wurde, als sie zur Sonne hin lag, zusehends ruhiger.

Bertram fragte, ob kein Geistlicher in der Nähe sei, der unglücklichen Frau in ihrer letzten Stunde beizustehen. Dem Ortspfarrer, Hazlewoods einstigem Lehrer, war, wie anderen Leuten auch, die Kunde, daß Kennedys Mörder endlich vom Schicksale ereilt und daß ein Zigeunerweib von ihm auf den Tod bei seiner Festnahme verwundet worden sei, Zu Ohren gekommen. Neugierde und Pflichtgefühl hatten seine Schritte zum Turme von Derncleugh gelenkt, und gleichzeitig mit ihm fand sich der von Hazlewood zitierte Wundarzt ein, Meg Merrilies aber wies beide von sich ... »Menschenkunst kann mich nicht heilen noch retten,« lallte sie; »was noch gesagt werden muß, laßt mich sagen; dann sollt Ihr Euern Willen haben. Ich mag Euch nicht hinderlich sein – aber wo ist Harry Bertram?«

Die Umstehenden, denen dieser Name so lange nicht mehr zu Ohren gekommen, sahen einander betroffen an.

»Ja,« wiederholte sie, ihre rauhe Stimme verstärkend: »Harry Bertram von Ellangowan rufe ich ... Tretet mir aus dem Lichte, daß ich ihn sehen kann.«

Aller Blicke richteten sich auf Bertram, der zu dem armseligen Lager trat, Meg Merrilies nahm ihn bei der Hand ... »Seht ihn an,« rief sie, »jeder, der seinen Vater oder Großvater gekannt hat, lege Zeugnis ab, daß er beider leibhaftes Ebenbild ist.«

Die Aehnlichkeit sprang in die Augen, und durch die Reihen der Männer, die das Lager umstanden, lief dumpfes Gemurmel.

»Und nun hört mich,« fuhr die Zigeunerin fort und wies mit der Hand auf den Schmuggler, der in einigem Abstande zwischen, seinen Wächtern saß – »mag Hatteraick leugnen, was ich nun sprechen werde, sofern er's leugnen kann. Der Mann, der dort vor euch steht, ist Harry Bertram, Godfrey Bertrams, weiland Herrn von Ellangowans leibhafter Sohn, der als Knabe durch Dirk Hatteraick im Walde von Warroch geraubt wurde, an dem Tage, da der Zöllner Kennedy durch diesen ermordet wurde. Ich war Zeuge beider Vorgänge, denn mich drängte es, noch einmal den Wald zu sehen, ehe wir die Gegend verließen. Ich rettete dem Knaben das Leben; ich bat und flehte, ihn mir zu lassen. Aber sie beharrten darauf, ihn mitzunehmen, und er ist lange, lange überm Meer gewesen. Nun aber kommt er zurück, sein väterliches Erbe zu fordern. Wer will etwas wider ihn? Ich habe geschworen, sein Geheimnis zu wahren, bis er sein einundzwanzigstes Jahr vollendet habe. Daß er sein Schicksal tragen müsse, bis der Tag gekommen, habe ich gewußt und habe meinen Schwur gehalten. Mir selbst aber habe ich einen andern Schwur getan: daß ich ihn, wenn ich den Tag seiner Rückkehr erlebte, in sein väterliches Erbe wieder einsetzen wolle, sollte auch jeder Schritt über eine Leiche gehen! Auch den Schwur habe ich gehalten. Ein Schritt wird über meine eigene Leiche führen – ein anderer Schritt,« schloß sie, auf Hatteraick weisend – »über jenes Mannes Leiche – und auch ein dritter noch wird sein Leben nach uns lassen müssen.«

Hier schwieg sie. Der Geistliche meinte, es sei bedauerlich, daß ihre Aussage nicht in rechtlicher Form zu Papier gebracht werden könnte; dem Wundarzt erschien es notwendiger, die Wunden der Frau zu untersuchen, statt sie durch ein Verhör zu erschöpfen. Als der Schleichhändler hinausgeführt werden sollte, damit der Wundarzt in seinen Verrichtungen nicht gestört werde, richtete Meg Merrilies sich in die Höhe und richtete die laute Frage an ihn: »Dirk Hatteraick, erst vor Gottes Richterstuhl sehen wir uns wieder. Wollt Ihr bekennen, was ich Euch gesagt?« Der Schmuggler sah sie mit frecher Stirn an; aus seinen Blicken sprach unbeugsamer Trotz.

»Dir! Hatteraick, Blut klebt an Euren Händen, wagt Ihr's, ein Wort von dem zu leugnen, was mein sterbender Mund gesprochen?«

Noch immer sah er sie frech und verstockt an, und noch immer fand sich kein Wort über seine wildarbeitenden Lippen.

»Lebt Wohl denn, und vergeb Euch Gott!« sprach die Zigeunerin, das Wort zum drittenmal an ihn richtend, »Eure Hand hat durch Blut mein Zeugnis besiegelt, Unter Menschen galt ich nie anders denn als wahnsinniges Zigeunerweib, das man auspeitschen, brandmarken, des Landes verweisen lieh – das sich von Haus zu Haus betteln mußte, das von Kirchspiel zu Kirchspiel gehetzt wurde, wie ein verlaufener Köter ... Wer hätte da wohl auf mein Wort gehört? Jetzt aber bin ich Mensch wie sie, denn ich liege im Sterben; jetzt werden meine Worte nicht tot auf die Erde fallen, die bald mein Blut tränken wird.«

Sie hielt inne. Alle verließen die Höhle, bis auf den Wundarzt und zwei bis drei Frauen. Seine Untersuchung währte nur kurze Zeit. Er gab alle Hoffnung auf und räumte seinen Platz dem Geistlichen.

Der Gerichtsfron hielt, um Hatteraick wegzuführen, einen Wagen an, der leer nach Kippletringan unterwegs war. Als der Kutscher horte, was in Derneleugh vorgegangen, übergab er einem Burschen seine beiden Pferde und rannte zum Turme hin und drängte sich durch das Landvolk, das sich inzwischen angesammelt hatte, den wiedergefundenen Sohn des verstorbenen Grundherrn zu sehen. Kaum hatte er den Blick auf Bertram geworfen, so rief er feierlich: »Fürwahr! das ist Ellangowan, vom Tode auferstanden!«

Diese spontane Erklärung eines einwandfreien Zeugen setzte, wie ein Funke, die Gemüter der vor der Hohle gruppierten Menschen in Flammen. »Hoch Bertram,« erklang es von allen Seiten – »lang lebe Ellangowan! Möge Gott ihn in sein Erbe einsetzen, daß er uns ein gütiger Herr sei, wie es all seine Vorfahren waren!«

»Hört ihr's? Hort ihr's?« rief, aus der die nahe Auflösung kündenden Betäubung wild emporfahrend, die Zigeunerin, der der Geistliche vergeblich Gebete vorsagte – »hört ihr's? Alle kennen ihn wieder, – O, nur so lange hat mein Leben reichen sollen – ich bin ein sündiges Weib ... was aber mein Fluch über ihn brachte, das hat mein Segen von ihm wieder genommen. O, daß mir noch andere Worte vergönnt gewesen wären! Doch kann's nicht sein und soll's nicht sein. – Aber halt!« fuhr sie fort, ihr Gesicht zu dem Lichtschimmer hin wendend, der durch die enge Mauerspalte fiel: »Steht er nicht dort? Geht mir aus dem Wege, daß ich ihn noch einmal sehe . ... Ueber meine Augen legt sich die Finsternis« – starr schaute sie in das Dämmerlicht – dann sank sie zurück, und nur undeutliches Lallen fand noch den Weg über ihre Lippen. – »Alles ist aus! Alles!« schien sie sagen zu wollen –

»Odem muß gehn,
Tod, laß Dich sehn!«

Mit diesem letzten Wunsche verschied sie ohne einen Seufzer, Pfarrer und Wundarzt brachten die Aussage der Frau zu Papier, in der festen Ueberzeugung von ihrer Wahrhaftigkeit, doch mit dem Bedauern, daß man sie nicht schärfer verhört hatte.

Hazlewood war der erste, der dem Erben von Ellangowan zu der erfreulichen Aussicht gratulierte, die sich ihm eröffnete. Der Kutscher erzählte nun von dem Renkontre, das der junge Laird mit Bertram gehabt, und von dem unglücklichen Zufall mit dem Schusse, und nun gedachten die Anwesenden auch Hazlewoods mit ehrenden Zurufen.

Hatteraicks starrer Sinn schien während der letzten Auftritte doch zu weichen. Wenigstens ließ sich wahrnehmen, daß er die Augen niederschlug und mit den gefesselten Händen den Hut tiefer ins Gesicht hineinzuziehen suchte, ja sogar unruhig nach der Straße hinblickte, als ob er sich vor dem Wagen gefürchtet hätte, der ihn wegführen sollte. Hazlewood bangte es davor, daß sich die Volkswut gegen den Gefangenen richten möchte; er ließ ihn nun nach Kippletringan abführen, während er Mae Morlan durch einen besonderen Boten von den Vorgängen des Tages unterrichten ließ ... »Es würde mir recht lieb sein,« sagte er schließlich zu Bertram, »wenn Sie mich nach Hause begleiteten. – Da ich aber wohl annehmen darf, daß es Ihnen heute weniger recht sein möchte als hoffentlich in ein paar Tagen, so bleibt mir nur übrig, Sie nach Woodbourne zu begleiten. Aber Sie sind nicht beritten –«

Ein halbes Dutzend Stimmen auf einmal wurden unter den Landleuten laut, um dem jungen Laird ein Pferd anzubieten, und einer suchte dem andern die Gunst streitig Zu machen. Während das Pferd, zu dem sich Bertram entschlossen hatte, weil es von ihm hieß, es laufe fünf Meilen in einer Stunde, ohne daß man ihm die Peitsche oder den Sporn zu geben brauche, gesattelt und gezäumt wurde, begab sich Bertram mit dem Geistlichen in den Turm. Dort heftete er minutenlang schweigend den Blick auf den Leichnam. Der Tod hatte die Züge der Zigeunerin noch verschärft: noch immer aber verrieten sie den ernsten, kräftigen Geist, durch den sie die rohe Horde beherrscht hatte, unter der sie gelebt hatte, – Dann bat er den Geistlichen, für ein anständiges Begräbnis zu sorgen, mit dem Bemerken, daß er noch Geld in Händen hätte, das der Verstorbenen gehöre, und daß er also für die Kosten unter allen Umständen eintrete.

Jetzt rief Dinmont, der von einem Bekannten ein Pferd geliehen, daß alles bereit sei. Bertram und Hazlewood legten dem auf etliche hundert Köpfe angewachsenen Landvolk ans Herz, durch unbedachtsamen Eifer dem jungen Laird, wie sie ihn nannten, nicht etwa zum Schaden zu sein, und verabschiedeten sich dann herzlich von der ihnen von neuem zujubelnden Menge.

Ein schneller Ritt brachte sie nach Woodbourne, wohin die große Neuigkeit ihnen vorausgeeilt war, und von allen Insassen der Gutsherrschaft wurde Bertram mit Heilrufen bewillkommt.. »Den treuen Freunden hier,« sprach er zu der ihm zuerst von allen zufliegenden Schwester, »hast Du es zu danken, daß Du mich wiedersiehst.« Während Julie Manning einen Blick von ihm zu erhaschen suchte, dankte Lucy unter holdem Erröten dem Geliebten durch ein Nicken, und dem wackern Dinmont durch einen Händedruck. Dinmont nahm sich im Uebermaß seiner Freude die Freiheit, dem Mädchen durch einen Kuß seinen Tank abzustatten, wich aber im andern Augenblick wie ein betrippter Pudel ein halbes Dutzend Schritte zurück und stotterte, schier außer sich vor Schreck: »Um Jesu Christi willen, liebes Fräulein, nehmen Sie es mir nicht übel! Hab ich doch, weiß Gott im Himmel, gedacht, eins von meinen Kindern vor mir zu haben. Ueber der Liebe und Leutseligkeit unsers Rittmeisters lernt man wahrhaftig vergessen, wer man ist.«

»Oho! wenn hier mit solcher Münze die Sporteln bezahlt werden –« rief der Anwalt, der gerade hinzutrat, mit lustigem Lachen.

»Gemach, gemach, Herr Pleydell,« fiel ihm Julie ins Wort, »Sie haben sich für Ihre Gebühren den üblichen Vorschuß zahlen lassen – Sie wissen doch – gestern abend?«

»Zu einem einmaligen Vorschuß bekenne ich mich,« erwiderte der alte Herr, »aber ich werde doppelte Gebühren zu kassieren haben, von Ihnen und von Fräulein Lucy, wenn ich morgen Hatteraick verhört habe – und kirre will ich den Patron schon machen! Darum keine Sorge! Sie sollen's erleben, Oberst, und die spröden jungen Damen auch – zum wenigsten hören sollen's die beiden, wenn sie's nicht sehen mögen.«

»Vorausgesetzt, daß wir es hören wollen,« bemerkte Julie.

»Wollen wir wetten, daß Ihnen die Neugierde schon Lust machen wird, einen kleinen Appell an Ihre Ohren zu richten?« fragte neckisch der Anwalt.

»Im Verkehr mit so naschhaften Herren, wie Ihnen, wird es nichts schaden, sich ein bißchen Fingerfertigkeit anzueignen,« meinte Julie mit Lachen.

»Die ist am besten Platze am Klavier, mein schönes Fräulein,« erwiderte Pleydell, scherzhaft die Hand gegen sie schwenkend – »dort schadet sie zum wenigsten nicht.«

Die Tür ging auf, und Oberst Mannering führte Mac Morlan, den Untersheriff, herein, um ihn seinem Gaste vorzustellen.

»Sie haben meiner Schwester Ihr Haus geöffnet,« rief Bertram bewegt und schloß ihn in die Arme, »als sie sich von Verwandten und Freunden verlassen sah.«

Da aber drängte sich Sampson vor, versuchte zu lachen, brachte es aber nur zu einer Art von Geknurr, versuchte zu Pfeifen, was ihm aber noch weniger gelang, und rannte schließlich hinaus, um sich unbehelligt von andern auszuweinen.


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