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Fünftes Kapitel.

Mannering säumte keinen Augenblick, die Reise nach Edinburg anzutreten, und lotste mit Hilfe seines Dieners den braven Sampson, trotzdem er zweimal in Gefahr geriet, ihn unterwegs zu verlieren, glücklich in ein Edinburger Gasthaus. In einem Städtchen, wo gehalten werden mußte, war er mit dem Schulmeister über einen Vers in einer horazischen Ode in endlosen Diskurs geraten; das andere Mal war er entschlüpft, um sich das Schlachtfeld von Rullion-Green Im Jahre 1566 wurden die Presbyterianer von dem königlichen Heere, unter dem tapfern General Dalzell, hier geschlagen. Siehe hierüber den Roman: »Die Schwärmer« von Walter Scott. anzusehen, das für den eifrigen Presbyterianer ein höchst sehenswertes Objekt darstellte. Als ihn der Diener Mannerings endlich aufstöberte und ihn barsch anfuhr, daß alles bloß auf ihn wartete, schreckte er ordentlich zusammen und ließ den stereotypen Ausruf seiner Verwunderung: »Komisch! komisch!« hören – um noch hinzuzusetzen: »Du liebe Zeit! Wie konnte ich mich so vergessen!«

Diener Barnes konnte sich über seines Herrn Geduld Sampson gegenüber nicht genug wundern, wußte er doch, wie verhaßt seinem an militärischen Drill gewöhnten Herrn jeder Zug von Saumseligkeit und Lässigkeit war. Aber Sampson und Mannering harmonierten immer ausgezeichnet, ja sie schienen zu Lebensgefährten förmlich wie geschaffen. Brauchte Mannering irgend ein Buch, so schaffte der Magister es zur Stelle; galt es Rechnungen zu prüfen oder zu ordnen, war Sampson im Nu bereit; suchte Mannering irgend eine Klassikerstelle, so wußte sie Sampson auf den Moment, war er doch ein lebendiges Wörterbuch; und für einen so stolzen, in sich abgeschlossenen Mann, wie Mannering, hatte solch ein auf die Minute bereiter »zweibeiniger Universalkatalog« und »allzeit dienstbares Faktotum« natürlich der Vorteile mancherlei.

Kaum in Edinburg angekommen, ließ sich Mannering zu dem Rechtsgelehrten Pleydell führen, an den ihn Mac Morlan empfohlen hatte, schärfte aber seinem Diener ein, dieweil ein wachsames Auge auf Sampson zu haben. Damals – gegen Ausgang des amerikanischen Krieges – hatte sich Edinburg nur wenig entwickelt. Mit dem Bau der Neustadt auf der Nordseite, die jetzt fast eine Großstadt für sich geworden, wurde gerade erst begonnen. Die höhern Stände, besonders aber die Rechtsgelehrten, hatten ihre Wohnungen noch fast ausschließlich in der dunklen, verräucherten Altstadt, und dort wohnte auch Herr Paul Pleydell, ein strammer Verfechter der sogenannten »guten alten Zeit,« der mit Eigensinn an sanktionierten Bräuchen der Vergangenheit festhielt, und dementsprechend nicht bloß ein trefflicher Rechtsmann, sondern ein Bieder- und Ehrenmann war.

Als Mannering mit seinem Führer durch einige Straßen zwischen den himmelhohen, bis unter das Dach erleuchteten Häusern der High-Street gegangen war, kamen sie endlich zu einem unscheinbaren Gebäude und waren schon ziemlich hoch auf steilen Treppen gestiegen, als sie, zwei Stockwerke höher, ein lautes Pochen horten. Eine Tür tat sich auf, und alsbald wurde das wilde Gebell eines beißenden Hundes, Weibergeschrei, Katzengeheul, und dazwischen eine Männerstimme laut, die gebieterisch rief: »Kusch dich, Senf! kusch!«

»Gott sei uns gnädig!« rief die Weiberstimme. »Hält' er die Katze erwürgt, dann wäre mein Herr schier außer sich.«

»Ach, was soll denn der Katze geschehen sein? Also nicht da, sagst Du?« fragte der Mann, Dinmont mit Namen.

»Nein, Herr Pleydell ist Sonnabends nie da!«

»Und morgen ist Sonntag,« versetzte Dinmont, »was soll man da machen?«

Mannering kam inzwischen die Treppe herauf und sah sich einem rüstigen Landmann in grauem Rocke mit dicken Metallknöpfen, einem glänzenden Hut auf dem Kopfe, in blitzblanken Stiefeln, mit langer Reitpeitsche unter dem Arm, gegenüber – der mit einem Mädchen sprach, das in der einen Hand das Türschloß, in der andern eine Gelte mit weißer Tünche hielt, dem in Edinburg Sonnabends üblichen Säuberungsmittel.

»Herr Pleydell also nicht da, Kind?« fragte Mannering wieder.

»Da ist er, Herr, aber nicht daheim.«

»Aber ich komme weither, Kind, und habe es höchst eilig,« erwiderte Mannering; »wo treffe ich Deinen Herrn?«

»Herr Pleydell wird wohl im Wirtshause sein,« meinte sein Führer.

»So bringt mich dorthin,« wandte der Oberst sich zu seinem Begleiter; »er wird mich hoffentlich dort anhören, da ein sehr wichtiges Geschäft mich zu ihm führt.«

»Darüber kann ich nichts sagen,« antwortete das Mädchen, »Sonnabends läßt er sich nicht gern stören; aber die Höflichkeit gegen Fremde läßt er nicht außer acht.«

»Ich gehe mit in die Schenke,« meinte Dinmont; »ich komme auch weither und habe auch wichtige Geschäfte.«

»Je nun,« meinte die Magd, »wenn er mit dem Herrn da redet, wird er für Euch gemeineren Mann wohl auch ein Wort übrig haben. Sagt aber um Himmels willen nicht, daß ich Euch schicke.«

»Nun, wenn ich auch nicht zu den Vornehmen rechne, so verlange ich doch von niemand was umsonst,« versetzte der Pächter in ehrlichem Stolze und ging schweren Schrittes die Treppen hinunter.

Mannering, ihm auf dem Fuße folgend, konnte nicht umhin, den festen Schritt des Bauern zu bewundern, der ihnen durch das Straßengewühl den Weg bahnte ... »Nun, der mag nicht aus der Straßenmitte,« meinte der Führer zum Obersten, »aber wundern sollte es mich, wenn nicht schließlich jemand mit ihm anbände!«

Die Vermutung bestätigte sich aber nicht. Dinmonts urkräftige Gestalt flößte solchen Respekt ein, daß sich niemand an ihn herantraute, sondern ihn ungestört ziehen ließ. Endlich drehte sich Dinmont um und sagte zu dem Führer: »Da geht's wohl hin zu der Schenke, nicht wahr, Freund?«

Der Führer nickte, und Dinmont ging erst einen dunklen Gang entlang, dann eine dunkle Treppe hinunter und geriet endlich vor eine offene Tür. Dort pfiff er laut nach dem Aufwärter wie einem seiner Hunde; und Mannering sah sich um, außerstande zu begreifen, wie ein Mann von Bildung, der an gute Gesellschaft gewöhnt ist, in einem so armseligen, halbverfallenen Hause Unterhaltung suchen könne. Der Korridor, in welchem sie standen, hatte ein kleines Fenster, das zur Küche führte. Beim Scheine eines hellflackernden Feuers erblickte man dort Männer und Weiber in der muntersten Tätigkeit – teils mit Backen und Braten, teils mit dem Rösten von Austern beschäftigt, während die Beherrscherin dieses Feuerreiches in ausgetretenen Schuhen, mit wildfliegendem Haar, das zu einer kleinen Haube heraushing, wie eine Megäre herumschoß, kommandierend, arbeitend, und Befehlen einer noch höheren Gewalt fügsam ... Aus verschiedenen Teilen des Hauses erscholl munteres Gelächter, ein Zeichen dafür, daß die Megäre es verstand, durch gute Speisen ihre Gäste in gute Stimmung zu setzen. Endlich lieh sich der Kellner herbei, den Obersten und den Bauern nach dem Zimmer zu geleiten, in welchem der vielbegehrte Rechtsgelehrte seine Wochenkneipsitzung abhielt. Das Schauspiel, das sich den beiden Fremden bot, setzte sie in das größte Erstaunen.

Pleydell war ein munterer Herr mit klugem Gesicht, pfiffigen Augen und von jener Förmlichkeit im Wesen, die der Amtsberuf mit sich bringt. Sonnabends aber streifte er mit seiner dreizöpfigen Perücke und seinem schwarzen Rocke auch alle Förmlichkeit ab und war unter fidelen Kameraden der fidelste. Seit vier Uhr saßen sie schon beisammen, all die starken Trinker vorm Herrn, unter Leitung eines wackern Vortrinkers, der schon drei Menschenalter hindurch diesen Gelagen beiwohnte und während der Hälfte dieser Zeitspanne auch präsidierte. Ein uraltes, jetzt vergessenes Spiel, »Highs-Jinks« genannt, wurde dabei getrieben, aber auf höchst verschiedene Weise: mit Karten, Würfeln, Brettsteinen usw. Wen das Los traf, der mußte entweder eine Zeitlang im Geiste einer bestimmten Rolle handeln oder eine gewisse Menge von schnurrigen Versen in bestimmter Ordnung herleiern. Wer aus der Rolle fiel oder steckenblieb, mußte büßen und zur Strafe entweder einen Becher mehr trinken oder einen Strafgroschen in die »Pinke« stiften.

Als Mannering eintrat, war Pleydell eben zum König ausgerufen worden, saß auf einem Lehnstuhl, der auf den Tisch gestellt worden war, hatte die zerzauste Perücke schief auf dem Kopfe und an Stelle einer Krone einen Flaschenuntersatz darüber, während ihm alle fidelen Geister des Weines aus den Augen blitzten. Von dem lustigen Hofe, der ihn umringte, wurden allerhand schnurrige Reime gesungen, wie: »Ei, wo ist Gerunto jetzt? Was ist aus ihm worden letzt? Ach, er war ein Schwimmer nie – drum ist er ersoffen letzt, drum ersäuft er wieder jetzt!

Dinmont rief von der Schwelle aus: »Weiß Gott! er ist's! aber so etwas ist mir mein Lebtag nicht vor Augen gekommen! mein Lebtag nicht!« und wie außer sich vor Verwunderung und Staunen klatschte er in die Hände.

»Herr Dinmont und Oberst Mannering möchten Sie sprechen, Herr Pleydell!« wandte sich der Aufwärter jetzt zu dem lustigen Zecherkönig – und dieser schaute sich um, wurde rot bis hinter die Ohren, als er den vornehmen Herrn aus England erblickte; aber er dachte wie Falstaff: »Ausgespielt, ihr Schelme, das Spiel ausgespielt!« und hielt es für gescheiter, den Harmlosen zu spielen. »Wo ist unsere Leibwache?« rief er lustig: »seht Ihr nicht den fremden Ritter, der aus fremden Landen kommt, unsern Hof zu besuchen? Da ist ja auch unser wackrer Freisasse, Andrew Dinmont, der Hüter unserer königlichen Herden, im Kedwooder Walde, die dort, dank unserer königlichen Fürsorge, sicher weiden, wie in Abrahams Schoße! wo ist unser Lord Lyon? Das schottische Herolds-Kollegium wird »Lyon-Office« genannt und besteht aus dem Lord Lyon und mehreren Herolden und Persevanten. wo stecken unsere Herolde und Persevanten? Geleitet die Fremden zu unserer Tafel und traktiert sie ihrem Range gemäß, würdig dem hohen Feste! Morgen wollen wir hören, was uns die Gäste bringen.«

»Morgen, mit Verlaub, ist Sonntag,« meinte einer von der Sippe.

»Sonntag? Morgen? Nun, dann sei der Kirche kein Anlaß zum Aergernis gegeben; dann sollen sie am Montag Gehör erhalten.«

Mannering, einen Augenblick unschlüssig, ob er den Fuß weiter hinein, in die Stube oder wieder aus ihr heraussetzen sollte, hielt es im andern Augenblicke für klüger, das Possenspiel eine Weile mitzumachen, obgleich er im stillen Mac Morlan grollte, ihm solch seltsamen Herrn zum Berater in solch wichtiger Sache empfohlen zu haben. Sich dreimal hintereinander tief verneigend, trat er zu dem Throne der Trinkermajestät und ersuchte um die Vergünstigung, sein Beglaubigungsschreiben zu den Füßen des Monarchen niederzulegen. Seine gut gespielte Gravität und seine tiefen Bücklinge, mit denen er den ihm vom Zeremonienmeister angewiesenen Sitz erst ablehnte, nach einigem Zieren aber annahm, wurden mit dreimaligem Applaus belohnt.

»Da soll mir doch der Teufel ins Genick fahren, wenn sie nicht alle miteinander fürs Narrenhaus reif sind!« meinte Dinmont, indem er sich ohne viel Umstände einen Platz am Ende der Tafel suchte.

Ein Becher Bordeaux wurde dem Obersten kredenzt, der ihn auf das Wohl des Königs leerte ... »Ihr seid meines Vermutens,« hob darauf der König an, »der vielgerühmte Miles Mannering, der sich in den Kriegen gegen Frankreich hervorgetan – und werdet uns sagen können, ob die Gascogner Weine in unserm nördlicher gelegenen Reiche an Geschmack und Blume Schaden leiden oder nicht.«

Mannering, durch diese Anspielung auf den Ruhm seines gefeierten Ahnherrn geschmeichelt, erwiderte, zwar nur ein entfernter Verwandter des biedern Ritters zu sein, erklärte aber den Wein für vortrefflich.

»Für meinen Magen nicht,« sagte Dinmont, das leere Glas auf den Tisch setzend.

»Dem wollen wir abhelfen,« sagte König, Paul, der erste dieses Namens. »Es war uns aus dem Sinn gekommen, daß die dicke, feuchte Luft in unserm Liddes-Tale stärkeres Getränk erfordert. Seneschal, reicht unserm getreuen Freisassen einen Becher Branntwein; der wird ihm besser tun.« »Wir haben Eure huldvolle Majestät unbedachterweise bei fröhlicher Erholung gestört,« nahm Mannering das Wort, »darum geruhen dieselben wohl zu sagen, wenn ein Fremdling in der wichtigen Angelegenheit, die ihn nach Eurer Hauptstadt geführt hat, vorsprechen darf mit der Zuversicht, Gehör zu erhalten?«

Der König brach Mac Morlans Schreiben auf, überflog es geschwind und rief mit seiner Amts- oder Berufsstimme: »Lucy Bertram von Ellangowan? Ach, das arme Ding!«

»Buße! Buße!« riefen ein paar Dutzend Stimmen; »Majestät sind aus der Rolle gefallen.«

»Nicht doch! nicht doch!« antwortete der König; »dieser wackere Ritter sei Richter! Auch ein König darf einer Maid von geringem Blut Liebe weihen! Ich zitiere den König Cophetua mit seiner Bettlermaid als casus in terminis

»Schusterrede! Schusterrede!« riefen die stürmischen Edlen; »abermals Buße! abermals Buße!«

»Hatten nicht Unsere Vorfahren im Reiche,« nahm der König wieder das Wort mit gehobener Stimme, bemüht, das Geschrei der Mißvergnügten zu betäuben: »hatten nicht auch sie ihre Johannen und Lisen? ihre Oliphants, Sandilands usw.? Uns soll's verwehrt sein, den bloßen Namen einer Maid zu nennen, der Wir Unsere Gunst schenken? Nein! so stürze der Thron, und die Herrschaft versinke! Gleich Karl V. lege ich die Krone nieder und danke ab, um im stillen Schatten bürgerlichen Lebens die Freuden zu genießen, die dem Königsthrone versagt sind.«

Mit diesen Worten schleuderte er die Krone vom Haupte, sprang von seinem Throne Zur Erde, um vieles behender, als sich bei seinem Alter erwarten ließ, bestellte Lichter, Waschbecken und Tee in ein Nebenzimmer und winkte Mannering, ihm zu folgen. Im Nu hatte er Hände und Gesicht gewaschen, die Perücke vor dem Spiegel zurecht gerückt und wurde zu Mannerings nicht geringem Erstaunen ein ganz anderer Mensch als jener König eines kindischen Gelages ... »Herr Oberst,« sagte er, »gewisse Leute sollten, wenn sie sich als Narren aufspielen, scharf aufs Korn genommen werden, weil sie entweder zu viel bösen Witz oder zu wenig gesunden Sinn haben. Ich kann Ihnen kein besseres Kompliment machen, als Ihnen zeigen, daß ich mich schäme, vor Ihnen zu stehen, und wenn ich nicht sehr irre, habe ich das Ihrer freundlichen Nachsicht schon heute abends bewiesen ... Aber – entschuldigen Sie, bitte – was mag der stämmige Patron dort wollen?«

Dinmont war hinter dem Obersten eingetreten und machte nun einen Bückling und einen Kratzfuß über den andern – dann hub er an: »Ich bin Andrew Dinmont aus Charlieshope im Liddes-Tale. Sie haben 'mal für mich einen Prozeß gewonnen.«

»Prozeß? Was für einen? Sie meinen doch nicht, daß ich mich auf alle Toren besinnen soll, die mir meine gute Laune verderben?«

»Aber, Herr Pleydell, es war doch der große Prozeß um die Hutweide!« sagte Dinmont,

»Weiß von nichts, Mann! Geben Sie mir die Urteilsschrift oder was Sie sonst wollen, und kommen Sie Montag früh um zehn Uhr in meine Kanzlei.«

»Ich habe nichts Schriftliches bei mir, Herr Pleydell. Sie haben doch immer gesagt, es wäre Ihnen am liebsten, wenn wir Leute aus dem Tale unsere Sache mündlich vorbrächten.«

»So? na, wenn ich das gesagt habe, mag meine Zunge der Geier holen. Meine Ohren müssen nun dafür büßen! Also was führt Sie her? Kurz, bitte! Sie sehen ja, daß der Herr dort wartet.«

»O, wenn es dem Herrn lieber ist, kann er seine Sache ja zuerst vortragen und ich nachher.«

»Was soll sich der Herr Ihren Kram mit anhören? Und daß Sie anhören, was er zu sagen hat, läßt sich ihm doch nicht zumuten.«

»Auch gut! Ganz, wie's Ihnen und ihm beliebt,« meinte Dinmont und berichtete nun mit vielen Worten und haarkleinen Ortsschilderungen den Streit, in den er mit zwei seiner Nachbarn über die Grenze einer Weide-Parzelle geraten sei.

»Nun, liegt denn gar so viel an dem bißchen Land?« fragte Pleydell; »wieviel Schafe könnt Ihr denn drauf füttern?«

»Nun, Schafe nicht eben viel,« meinte Dinmont, »dazu liegt's zu hoch und zu kalt, höchstens ein Ferkel wird darauf satt, in guten Jahren vielleicht zwei.«

»Und um des bißchen Grases willen, das höchstens fünf Schillinge wert ist, wollt Ihr ein Paar hundert Pfund wegwerfen?«

»Nein, Herr Pleydell, um das Gras geht's mir nicht, aber um die Reputation – um Recht und Gewissen.«

»Mein Lieber, in Sachen von Recht und Gewissen, meine ich, ist sich jeder selbst der Nächste. Denkt an Euer Weib und Kind und laßt die Sache schießen!«

Dinmont blieb unschlüssig stehen, den Hut in der Hand drehend ... »Es möchte ja alles sein, lieber Herr; aber bei den Nachbarn heißt's, sie wollen ein halbes Schock Zeugen bringen; und mir fehlen sie auch nicht, das kann ich wohl sagen, und jeder kann beschwören, daß mir das Stück Land gehört – wie soll ich leiden sollen, daß das Gut um eine Gerechtigkeit verkürzt wird?«

»Aber, lieber Mann, prozessiert doch nicht starrköpfig um solche Kleinigkeit!« sagte der Anwalt.

»Also, Herr Pleydell, Sie mögen den Prozeß nicht führen?«

»Nein, Mann, ich nicht! Geht hübsch nach Hause, trinkt einen Schluck zusammen und vertragt Euch miteinander!«

»Eins noch, Herr, und das betrifft die Erbschaft der verstorbenen Mamsell Bertram von Singleside.«

»Was, Mann? die Erbschaft?« fragte Pleydell, aufs höchste erstaunt.

»Ja, wir sind zwar nicht verwandt mit den Bertrams – denn das sind gar vornehme Leute, Aber die Jenny Liltup, die war Haushälterin beim alten Singleside und ist die Mutter der beiden alten Mamsells, die nun beide tot sind. Die Jenny war ander Geschwisterkind mit meiner Mutter ihrer Stiefschwester und hatte mit dem alten Singleside ihr Techtelmechtel, zum ewigen Verdruß ihrer ganzen Sippe und Verwandtschaft. Aber er hat sich doch schließlich mit ihr trauen lassen, und da ist mir nun eingefallen, ob wir nicht schließlich auch einen Anspruch auf Erbschaft hätten?«

»Keine Spur von Anspruch,« antwortete Pleydell.

»Na, armer werden wir darum auch nicht,« versetzte Dinmont, »aber wenn sie ein Testament gemacht hat, wär's doch vielleicht möglich, daß sie uns bedacht hat. So, nun bin ich fertig, Herr Pleydell. Wünsche gute Nacht und ...«

Bei diesen Worten fuhr er mit der Hand in die Tasche ... »Nein, nein, mein Lieber,« fiel ihm der Rechtsgelehrte ins Wort, »Sonnabends nehme ich von niemand Geld, zumal von Leuten nicht, die nichts Schriftliches mithaben. – Gehabt Euch Wohl, Andrew!«

»Eure Majestät haben ihren Verzicht auf den Thron mit einer milden Handlung geklönt,« sagte Mannering lachend, als Dinmunt sich entfernt hatte. »Dem guten Manne wird's wohl nicht einfallen, vor Gericht zu gehen,«

»Das glauben Sie ja nicht! Mir ist bloß ein Klient flöten gegangen – das ist alles! Aber ruhen wird er nicht eher, als bis er einen andern gefunden, der ihm zu der Torheit zuredet. Sonnabends sage ich immer die Wahrheit. Das ist meine schwache Seite.«

»Hoffentlich doch auch an Wochentagen?« fragte Mannering scherzend. »O ja, so weit es sich mit meinem Beruf verträgt. Ich bin, wie Hamlet sagt, passabel ehrlich, solange die Parteien mich nicht nötigen wollen, ihre doppelten Lügen vorm Gericht zu vertreten. Aber man muß leben; und das ist ein böses Ding ... Doch nun zu unserer Sache! Es freut mich von meinem alten Freunde, Mac Morlan, daß er Sie Zu mir geschickt hat, Herr Oberst! Mac Morlan ist ein braver Mensch und ein kluger Kopf: er weiß, daß ich lebhaften Anteil an der unglücklichen Familie von Ellangowan nehme, besonders an dem armen Mädel, der Lucy! Sie war gerade zwölf Jahre alt, als ich sie zum letztenmal gesehen, ein hübsches, liebes, süßes Ding! Schade, daß ihr Vater solch gutmütiger Schwachkopf war! Aber meine Anteilnahme an ihrem Schicksal rührt aus früherer Zeit hei – ich führte damals als Sheriff der Grafschaft die Untersuchung in einer Mordsache, Gerade an dem Tage, als das arme Kind zur Welt kam, war ein gewisser Kennedy in der Nähe von Ellangowan umgebracht worden, und durch eine sonderbare Verkettung von Umständen, in die ich leider kein Licht bringen konnte, war dabei auch ihr Brüderchen verschwunden, entweder geraubt oder auch ermordet – ihr einziges Brüderchen, ein fünfjähriger Knabe! O, Herr Oberst, nie im Leben vergesse ich, wieviel Elend in dieser Zeit über die arme Familie hereinbrach! Der Vater halb wahnsinnig – die Mutter nach der Frühgeburt auf dem Totenbette – so kam das hilflose Kind unter Tränen und Jammer in diese unglückliche Welt, in der sich kaum jemand fand, es abzuwarten und zu pflegen. Wir Rechtsleute find nicht von Erz und Eisen, so wenig wie Ihr Kriegsleute von Stahl. Wir haben mit Verbrechen und Unglück der Menschheit zu schaffen, Ihr mit den Drangsalen des Krieges – und wer von uns seine Pflicht tun will, – braucht schon eine Dosis von Kaltblütigkeit – aber der Teufel hole solchen Krieger, dessen Herz hart ist wie sein Schwert, und jeden Rechtsmenschen, der statt der Stirn sich die Brust bepanzert! – Doch ich komme ja ganz um meinen Sonnabend! Bitte, lassen Sie mir die Schriftstücke, die sich auf Fräulein Lucys Fall beziehen. Morgen mittag seien Sie, bitte, in meinem Junggesellenheim mein Gast. – Um drei Uhr erwarte ich Sie. Die alte Mamsell wird am Montag begraben. Da es sich um ein Waisenkind handelt, dürfen wir schon eine Stunde vom Sonntage wegnehmen, um über den Fall zu verhandeln. Jetzt lassen Sie mich zu meinen Untertanen, denn sie werden ungeduldig über das Interregnum, An unserm Fest teilzunehmen, mag ich Sie nicht einladen, Herr Oberst – das hieße Ihnen zuviel, zumuten.«

Darauf trennten sie sich. Mannering kehrte nach seinem Gasthof zurück, jetzt vollauf zufrieden mit dem Manne. Nicht wenig erstaunt war er, am andern Morgen, als er mit Sampson beim Frühstück saß, Pleydell plötzlich eintreten zu sehen, vom Scheitel bis zur Sohle Rechtsanwalt, wie er im Buche steht.

»Ich komme,« lautete seine höfliche Ansprache, »meine königliche Gewalt über Sie in geistlicher, wie in weltlicher Hinsicht auszuüben. Soll ich Sie in die Presbyter-Kirche oder ins Versammlungshaus der Bischöflichen Gemeinde führen? Wir Rechtsleute sind, wie Sie wissen, in Religionsfragen beidlebige Wesen – oder haben Sie Lust, den Vormittag anderweit zu verleben? Nehmen Sie mir meine altfränkische Zudringlichkeit nicht übel! Ich stamme aus einer Zeit, wo man einen Schotten für einen Verbrecher am Gastrechte hielt, sobald er seinen Gast für einen Augenblick allein ließ, die Schlafenszeit ausgenommen. Sie sagen es mir aber unverblümt, wenn ich Ihnen beschwerlich falle?«

»Aber, lieber Herr Pleydell, was konnte mir lieber sein, als mich Ihrer Führung zu überlassen? Einen schottischen Prediger hörte ich gewiß gern – machen sie ihrem Vaterlande durch ihre reichen Gaben doch große Ehre! Indessen,« fuhr er fort, Pleydell auf die Seite nehmend, mit einem Blick auf Sampson; »mein braver Freund hier ist ein bißchen unbeholfen und zerstreut, will aber auch in die Kirche gehen, ich möchte ihm aber meinem Diener, der sonst immer mit ihm geht, in solchem Falle doch nicht gern anvertrauen.«

Pleydell wußte auf der Stelle Rat und ließ einen ortskundigen Mann rufen, den der Oberst für die Dauer seines Edinburger Aufenthaltes als Cicerone für Sampson dang. Mannering besuchte mit dem Rechtsgelehrten ein paar Kirchen, um mehrere Prediger zu hören, von denen er Rühmliches vernommen. Dann schieden sie auf ein paar Stunden; zur festgesetzten Zeit aber verfügte sich der Oberst in das Haus seines freundlichen Anwalts, Nach allem, was er von dessen Wohnung gesehen, begab er sich mit keinerlei großen Erwartungen zu der Mahlzeit, zu der er geladen worden. Das Haus nahm sich bei Tage innen und außen fast noch schlechter aus als am Abend vorher. Das Bücherzimmer aber, wohin ihn ein ältlicher Diener führte, stach vorteilhaft ab von der wenig versprechenden Vorhalle. Es war geräumig und freundlich, mit Bildnissen berühmter Schottländer geschmückt, und mit Büchern, den besten Ausgaben der besten Schriftsteller, aufs reichste ausgestattet ... »Mein Handwerkszeug,« meinte Pleydell; »ein Rechtsmensch ohne Kenntnis von Geschichte und Philosophie ist eine Null in unserem Stande; verfügt er aber über solche Kenntnisse, darf er sich einen Baumeister nennen.«

Nachdem sich Pleydell an der Ueberraschung seines Gastes sattsam geweidet, brachte er die Rede wieder auf Lucys Fall ... »Ich habe noch immer, wenn auch nur schwach, gehofft,« meinte er, »Mittel und Wege ausfindig zu machen, wie sich ihr unbestreitbares Recht auf das Gut Singleside durchführen ließe; aber all meine Nachforschungen sind fruchtlos verlaufen; die alte Mamsell war allerdings unbeschränkte Herrin über ihr Vermögen und konnte damit schalten und walten nach Belieben. Es bleibt uns nur die eine Hoffnung, daß sie kein böser Geist getrieben, ihre erste Verfügung umzustoßen. Wir müssen das Leichenbegängnis abwarten; Sie werden dazu eingeladen werden, nachdem ich dem Anwalt der Verstorbenen von Ihrer Anwesenheit Mitteilung gemacht – dann werde ich Sie in der Wohnung der Verstorbenen treffen und darüber wachen, daß bei der Testamentseröffnung alles mit rechten Dingen zugeht. Die alte Mamsell hat ein junges Mädchen bei sich gehabt, eine Waise, mit ihr verwandt, die den Puttel bei ihr gemacht hat. Hoffentlich hat sie es nicht fehlen lassen, das arme Wesen für all die Härte, mit der sie sie bei Lebzeiten behandelt, zu bedenken.«

Mannering brachte den Nachmittag bei seinem Gastfreunde in Gesellschaft einiger gemütlichen Herren aufs angenehmste zu, und als er abends in seinen Gasthof zurückkehrte, fand er die Einladung zum Leichenbegängnisse vor, von der ihm Rechtsanwalt Pleydell gesprochen.


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