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Zwölftes Kapitel.

Am Abende jenes Tages, an welchem Bertram verhört worden war, kam Oberst Mannering wieder nach Woodbourne, wo er alles gesund und munter fand. Hätte seine Tochter Julie Kenntnis von Bertrams Haft gehabt, so wäre sie sicher nicht munter, vielleicht sogar nicht gesund gewesen. Die beiden Mädchen hatten aber während Mannerings Abwesenheit in solcher Abgeschlossenheit gelebt, daß sie die unselige Kunde nicht hatte treffen können. Lucy Bertram war durch den dem Obersten vorausgegangenen Brief von dem Ausfall des in Aussicht gestandenen Erbes schon benachrichtigt worden, und wenn hierdurch auch Hoffnungen zerstört worden waren, so ließ sie es den Obersten, ihren einstweiligen Vormund, als sie ihn begrüßte, doch nicht merken, schon um ihm zu zeigen, wie hoch sie seine väterliche Güte zu schätzen wußte, und gab ihrem lebhaften Bedauern, daß er in so rauher Jahreszeit ihretwillen eine so weite Reise habe machen müssen, lebhaften Ausdruck.

»Das Bedauern, mein liebes Fräulein, liegt ganz auf meiner Seite,« antwortete Mannering; »ich habe aber so interessante Bekanntschaften in unserer Hauptstadt gemacht und meine Zeit dort so angenehm verlebt, daß ich mich wirklich freuen muß, wieder einmal dort gewesen zu sein. Selbst unser Freund Sampson ist ein ganz anderer Mensch geworden, seit er sich mit den Koryphäen der Wissenschaft dort hat katzbalgen können.«

»Gewiß, gewiß,« pflichtete Sampson selbstgefällig bei, »ich habe gestritten, ohne zu wanken, so gewandt auch die Gegner waren, mit denen ich es aufnehmen mußte.«

Am folgenden Morgen aber ließ sich Sampson beim Frühstück nicht sehen. Einer von der Hausdienerschaft meldete, daß Herr Sampson schon in aller Frühe ausgegangen sei; ihn bei Tische einmal nicht zu sehen, war man schon so gewöhnt, daß man sich dadurch längst nicht mehr stören ließ. Der greisen Haushälterin, die dem greisen Herrn sehr wohlgesinnt war, blieb dann die Sorge um ihn überlassen. In der Regel ging man ihm ein Stück entgegen. Daß er aber, wie heute, zwei Mahlzeiten ausließ, das kam sehr selten vor. Die Unterhaltung des Rechtsanwalts Pleydell mit Oberst Mannering über Harry Bertrams Verschwinden hatte tiefen Eindruck auf Sampson gemacht und all die schmerzlichen Empfindungen wieder wach gerufen, die jenes traurige Ereignis in seinem Gemüt hinterlassen hatte. Den Vorwurf der Nachlässigkeit, das Kind Kennedy überlassen und dadurch mittelbar auch den Tod der Mutter und den völligen Verfall des alten Geschlechts und Hauses verursacht zu haben, war er nie losgeworden, wenn er auch nie darüber zu sprechen pflegte. Und nun war er im Verfolg der trüben Gedanken, die er sich von neuem machte, in Kummer darüber, daß dem einzig noch am Leben befindlichen Gliede des Hauses, der von ihm so verehrten Lucy, auch das Erbe der alten Mamsell Tante entging, auf den Einfall gekommen, den Schauplatz jenes traurigen Vorfalls, die Warrochspitze, wohin er seit Jahren den Fuß nicht mehr gesetzt, wieder einmal zu besuchen. Es war ziemlich weit bis dorthin, und Sampson verlief sich auch mehreremale, hatte aber doch endlich den Wald erreicht, ihn nach allen Seiten hin durchstrichen, bis hinauf zur Spitze, hatte alles, was dort vorgegangen, im Geiste noch einmal durchlebt und hatte sich dann wieder auf den Rückweg nach Woodbourne gemacht. Der Hunger hatte sich auch mit der Zeit geregt, und als er zu dem verfallenen Turme von Derncleugh kam, wo Bertram den Tod des verwundeten Schleichhändlers mit angesehen, konnte er des grausigen Gefühls, das ihn beim Anblick der alten Trümmer überkam, fast nicht mehr Herr werden.

Zudem war der brave Sampson bei aller Gelehrsamkeit, die er besaß, kein solcher Philosoph, daß er frei von dem Glauben an Zauberei, Hexen und Gespenster gewesen wäre. Der nahende Abend eines trüben Nebeltages erhöhte solche Disposition, und ein geheimer Schauer ergriff ihn, als er sich dem alten Turme näherte.

Jenes Tor, das der Sage nach von einem der letzten Lairds von Ellangowan errichtet worden, um kühnen Eindringlingen den Zugang zu sperren, und zu dem, wie es hieß, der Schlüssel im Pfarrhause läge, tat sich zu seinem Staunen jetzt plötzlich auf, und die ihm, wenn er sie auch viele Jahre nicht gesehen, doch noch recht gut bekannte Figur der alten Meg Merrilies zeigte sich vor seinen Augen. Sie stand ihm gerade im Wege, so daß er nicht vor-, sondern nur zurücktreten konnte, und das ließ sein Mannessinn nicht zu.

»Ich hab's gewußt, daß ich Euch hier treffen würde,« sagte sie mit ihrer rauhen, tiefen Stimme, »und weiß, wen Sie suchen. Aber Sie müssen sich meinem Gebot fügen.«

»Hinweg, hinweg!« rief Sampson, außer sich vor Schreck ... »Hebe Dich von mir! Conjuro te! «

Meg kehrte sich nicht an seinen Schreck und nicht an seine Stimme, nicht an seinen Beschwörungsruf, sondern erwiderte rauh und kalt: »Was fürchtet Ihr Euch vor mir? und warum rieft Ihr den Teufel an? Hört, was ich Euch zu sagen habe, oder es wird Euch leid tun, so lange Euer Leib noch in seinem Gebein hängt. Sagt dem Obersten Mannering, daß es mir nicht fremd sei, daß er mich suche. Er weiß wie ich, daß das Blut abgewaschen, und der Verlorene gefunden werden wird. – Da ist ein Brief für ihn, den ich auf anderm Wege an ihn gelangen lassen wollte. Selbst schreiben kann ich nicht, hab' aber Leute, die es verstehen, die für mich auch lesen, wie sie reiten und laufen für mich. Sage ihm, daß die Zeit nun gekommen sei, daß das Schicksal erfüllt sei, daß er nach den Sternen sehen solle, wie ehedem. Wollt Ihr's besorgen und nichts davon vergessen?«

»Will's gerne besorgen und gewiß nichts vergessen,« antwortete Sampson. »Aber, Weib! Deine Rede erschreckt mich – und Zittern befällt mich, wenn ich Deine Stimme höre.«

»Schlimmes kommt nicht durch meine Rede, aber Gutes kann aus ihr werden.«

»Hebe Dich weg! Gutes auf unrechtem Wege durch unrechte Mittel verabscheue ich.«

»Narr Du!« rief Meg zornig, dicht vor ihn hintretend, und ihre schwarzen Augen leuchteten wie Flammen unter der finstern Stirn. »Narr Du! Wollt ich Böses tun, wer möchte mich hindern, Dich von diesem Felsen zu schleudern? und würde je wohl jemand mehr von Dir drüber erfahren, als von Frank Kennedy?«

»Im Namen aller guten Geister!« schrie Sampson, seinen langen Stecken mit großem Zinnkopf wie einen Spieß gegen die vermeintliche Hexe erhebend: »Hebe Dich weg von mir! Du sollst mich nicht führen und leiten – hinweg, sage ich – oder ich wehre mich Deiner – auf Deine Gefahr!«

Meg aber – so hat er's selbst erzählt – umschlang ihn mit übermenschlicher Kraft, schleifte ihn auf den Boden hin und zerrte ihn in den Turm. Dort stieß sie ihn auf einen Schemel und herrschte ihn an: »Niedergesetzt, und beruhige, mäßige Dich, Du schwarzes Klapperbein! Hast Du heute schon was im Magen oder noch nicht?«

»Bloß Sünde, bloß Sünde hab ich gesehen, sonst nichts!« antwortete Sampson, der sich langsam zu erholen anfing. Als er aber inne wurde, daß all seine Beschwörungen bloß dazu dienten, die starre Hexe noch mehr aufzubringen, hielt er es für das klügste, sich ihrem Willen zu fügen und seine Beschwörungen, statt laut, nur im Herzen zu wiederholen; Meg trat nun zu einem großen schwarzen Kessel, der über dem Feuer auf bei Erde hing, und nahm den Deckel ab. Ein Duft stieg aus dem brodelnden Inhalt auf und füllte das Gewölbe, bessere Dinge verheißend, als Hexenkessel gemeinhin enthalten sollen: es roch lieblich nach geschmortem Hasen-, Reb-, Hasel- und anderm Geflügel-Fleisch, im trauten Gemenge mit Kartoffeln, Zwiebeln und Lachs, das, nach der Größe des Kessels, wenigstens ein halbes Dutzend Menschen zu sättigen imstande sein mußte. »Also noch gar nichts habt Ihr heut im Magen?« sagte Meg, indem sie eine braune Schüssel aus dem Kessel füllte und schmackhaft mit Salz und Pfeffer bestreute.

»Noch keinen Bissen,« antwortete Sampson, » sceleratissima wollte sagen – Frau Wirtsmutter!«

»Nun, dann greift zu,« fuhr sie fort, die Schüssel vor ihn setzend; »Essen wird Euch gut tun.«

»Habe keinen Hunger – malefica wollte sagen, Frau Merrilies ... Aber,« sagte er zu sich selbst, »gut riecht's, wär's nur nicht gekocht von einer Okranidia oder Erikothoe.«

»Eßt Ihr nicht auf der Stelle – dann bei Brot und Salz! schieb ich's Euch in die Kehle mit dem Löffel hinunter, so heiß es ist. Den Mund aufgesperrt, Sünder, und den Gaumen geschwungen!«

Sampson mochte, aus heiliger Scheu vor Salamanderaugen, Froschzehen und Tigerkaldaunen, gar nicht recht essen, aber der liebliche Duft war stärker als diese Regung, und so dauerte es nicht eben lange, bis ihm der Mund zu wässern anfing, und den Rest gaben ihm die drohenden Worte der Hexe; Hunger und Furcht sind vorzügliche Eideshelfer ... »Saul,« sprach der Hunger leise zu ihm, »speiste mit der Hexe von Endor; und das Salz,« fiel die Furcht dazu ein, »das die Alte auf das Essen gestreut, zeigt doch, daß es kein Hexenfutter ist, denn dabei kommt Salz ja niemals in Betracht.« Und das letzte Wort hatte der Hunger, denn nach dem ersten Bissen flüsterte es aus dem Magen zum Herzen hinüber und von dem Herzen nach dem Kopfe hinauf: »Nicht übel, nicht übel! Das Fleisch ist sogar delikat.«

»Na, schmeckt's?« fragte die Meg.

»Ja,« gab Sampson zur Antwort, »und ich danke Euch auch schön – sceleratissima – wollte sagen, Frau Wirtin.«

»Na, dann eßt Euch satt, genug dazu ist ja da ... aber wüßtet Ihr, wie wir dazu gekommen, dann möcht's Euch wohl kaum schmecken.«

Sampson ließ den Löffel fallen, als ihn die Hand zum Munde führen wollte.

»Sonst hat's kein Wenn und Aber?« meinte Sampson bei sich und fuhr mit dem Löffel wieder tief in die Schüssel.

»Auch ein Schluck gefällig?« fragte die Meg.

»O ja,« versetzte Sampson – » conjuro te, wollte sagen, danke von Herzen!« Bei sich aber sagte er: »Hat einen der Teufel nur erst einmal bei einem Haar, dann muß man ihm gleich den ganzen Schopf lassen« – und dabei setzte er einen Humpen voll Schnaps an die Lippen, um ihn auf die Gesundheit der Hexe zu trinken. Hiernach kam er sich gut bei Kräften vor und es war ihm, als könnte ihm etwas Böses nun nicht mehr zustoßen.

»Aber, was ich Euch gesagt habe,« fragte Meg wieder, »das vergeßt Ihr doch nicht? An den Augen seh ich's Euch an, daß Ihr ein ganz anderer Mensch geworden seid als vorher.«

»Freilich, Frau Meg, freilich,« versetzte Sampson fest, »ich werde ihm den versiegelten Brief übergeben und dabei sagen, was Ihr bestellt haben wollt.«

»Das ist kurz abgemacht,« versetzte Meg; »sagt ihm, er solle heute nacht nach den Sternen gucken und tun, was hier in dem Briefe steht, sofern er wolle,

Daß Bertrams Recht und Bertrams Macht
Auf Ellangowans Berg erwacht. –

Zweimal hab ich ihn gesehen, während er mich nicht sah! gekannt hab ich ihn, als er hier zum erstenmal im Lande war, und was ihn hergeführt hat, weiß ich so gut wie er. Nun aber auf die Beine und fort! Zu lange schon habt Ihr hier gesäumt. – Kommt und folgt mir!«

Meg führte ihn quer durch den Wald auf einem weit kürzeren Wege als er gekommen war, den er aber nimmer gefunden hätte; er führte hinaus auf die Gemeindewiese; Meg ging auch hier noch mit weiten Schlitten voran bis zum Gipfel eines kleinen Hügels, der über den Weg hinüber hing ... »Hier,« sagte sie, »warte und sieh! Sieh, wie die sinkende Sonne durch die Wolken bricht, die den Himmel heut seit dem frühen Morgen verfinstert haben. Sieh, wohin der erste Lichtstrahl fällt – auf Donagilds runden Turm, das älteste Gebäude von Ellangowan – sieh, wie der Strahl auf dem Meere spielt, dort auf das Schiff in der Bucht – hier bin ich gestanden, hier auf dieser Stelle,« fuhr sie fort, die hohe Gestalt aufrichtend, den langen, nervigen Arm und die geballte Hand von sich streckend: »hier bin ich gestanden, als ich dem letzten Laird von Ellangowan sagte, was über sein Haus kommen werde – und ist's zu Grunde gegangen? Nein – es ersteht wieder! Und hier, wo ich den Stab des Friedens über ihm zerbrach, hier stehe ich wieder und bitte Gott, daß er Segen und Gedeihen gebe dem rechten Erben zu Ellangowan, der bald wieder zu seinem Eigentume kommen wird! Und der beste Laird wird er sein, den Ellangowan seit drei Jahrhunderten besessen – wer weiß, ob ich's noch erlebe; aber manch glückliches Auge wird's sehen, wenn sich das meine längst geschlossen haben wird. – Und nun, Abel Sampson, sofern Ihr auf Ellangowan und sein Geschlecht und Haus je was gehalten habt, dann tummelt Euch mit dem Briefe zu dem englischen Obersten, tummelt Euch, als hinge Leben und Tod an Eurer Eile!«

Hierauf drehte sie sich jäh um und verließ Sampson, der so erschrak, daß er den Fuß im ersten Augenblick nicht heben konnte. Mit langen Schritten erreichte sie bald den Wald wieder, aus dem sie ihn geführt; er aber sah ihr noch eine Weile verwundert nach, dann lief auch er, gehorsam ihrem Befehle, schnelleren Schrittes als sonst, in der Richtung auf Woodbourne zu, davon – und dreimal hintereinander entfuhr es seiner Kehle: »Komisch! Komisch! Komisch!«


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