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Vierzehntes Kapitel.

Wir eilen den Reitern zuvor, und blicken in das Gemach, wo wir Bertram und seinen biedern Freund zurückließen. Der Landmann schlief sehr fest, Bertram aber erwachte noch vor Mittelnacht aus dem ersten tiefen Schlafe, und konnte nicht wieder einschlummern. Die Bewegung seines unruhigen Gemüts wurde durch einen Fieberschauer erhöht, den die dumpfige Luft des engen Gemachs ihm zugezogen hatte. Endlich erhob er sich und suchte das Fenster zu öffnen, um frische Luft zu schöpfen. Aber ach! der erste Versuch erinnerte ihn, daß er in einem Gefängnisse war. Er blieb vor dem fest verschlossenen Fenster stehen. Der kleine Silvan, so müde er noch von der vorigen Tagfahrt war, kroch auch aus dem Bette, rieb sich an den Beinen seines Herrn und schien durch freundliches Knurren seine Freude über die Wiedervereinigung aussprechen zu wollen. Bertram blickte einige Zeit auf das Meer. Die Flut schwoll hoch an und schlug dumpf und dicht bis an die Grundmauer des Hauses. Zuweilen stiegen hohe Wogen bis an das die Gebäude schützende Bollwerk und brachen sich hier mit heftigerer Gewalt als die am Sandufer zerfließenden. Fern in der Beleuchtung des eilenden, oft bewölkten Mondes wälzte das Meer in wildem Gedränge seine Wogen. »Ein wildes, finstres Schauspiel,« sprach Bertram zu sich selbst. »Ganz wie die drängenden Wellen des Schicksals, die mich seit meiner Kindheit durch die Welt fortgestoßen haben! Wann wird diese Ungewißheit aufhören? wann wird es mir vergönnt sein, nach einer stillen Heimat zu sehen, wo ich ruhig und ohne Furcht, ohne Unruhe die Künste des Friedens pflegen kann, von denen mich bis jetzt eine mächtige Gewalt abgezogen hat? Möchte es doch wahr sein, was man sagt, daß das geistige Ohr die Stimme der Seenymphen und Tritonen unter dem Wogengeräusch unterscheiden könne! Mochte doch eine Sirene, oder ein Proteus, aus den Wellen aufsteigen, um mir das Rätsel des seltsamen Schicksals zu lösen, das mich von allen Seiten umfängt ... Glücklicher Freund,« fuhr er fort, auf den tief schlummernden Landmann blickend: »Deine Sorgen sind beschränkt auf den engen Kreis einer gesunden und gedeihlichen Beschäftigung. Du kannst sie nach Gefallen beiseite legen und die tiefe Ruhe des Leibes und der Seele genießen, die eine gesunde Arbeit Dir bereitet hat.«

In diesem Augenblicke wurden seine Betrachtungen durch Silvan, der mit wütendem Gebell zu dem Fenster hinanzuspringen versuchte, unterbrochen. Dinmont vernahm den gellenden Ton, aber noch verschwand die Täuschung des Traumes nicht, der ihn aus dem armseligen Raum hinaus unter seine grünen Hügel geführt hatte, und einige Töne aus seiner Kehle verrieten, daß er seinen Schäferhund rief. Silvans Gebell wurde durch das Geheul des Kettenhundes im Hofe sekundiert, der sich lange still verhalten und nur einmal, als der Mond jäh aus den Wolken hervorblinkte, einen kurzen, tiefen Ton ausgestoßen hatte, nun aber ein wütendes Gebell anhob, als ob er durch irgend eine Störung gereizt worden wäre. Bertram, dessen Aufmerksamkeit nun lebhaft gespannt war, glaubte ein Boot auf dem Meere zu sehen, und unterschied deutlich Ruderschlag und menschliche Stimmen unter dem Brausen der Wogen ... »Vielleicht ein Schiffer, den die Nacht überfallen,« dachte er, »oder verwegene Schleichhändler von der Insel Man? Sehr verwegen, dem Zollhause so nahe zu kommen, wo doch Wache liegen muß? Das Boot ist groß und dicht besetzt. Vielleicht sind's Leute vom Zollamt?«

Bertram wurde in dieser Meinung durch die Wahrnehmung bestärkt, daß das Boot an einem schmalen Strandwege anlegte, der gleich hinter dem Zollhaus zum Meer hinunterlief. Die Mannschaft sprang ans Ufer, und ihrer zwanzig an der Zahl, gingen sie im Gänsemarsch eine schmale Gasse hinauf, die das Zollhaus von dem Stadthause trennte, und verschwanden dort. Nur zwei Männer blieben als Wache bei dem Boote zurück.

Der Ruderschlag und die gedämpfte Stimme der Männer hatten den Hofhund geweckt, der jetzt ein so furchtbares Geheul ausstieß, daß Mac Guffog, sein Herr, endlich erwachte. Aus dem Fenster hinaus schrie er: »Tirum! Tirum! was gibt's!« Doch Tirum schwieg nicht, sondern übertäubte die beunruhigenden Töne, die ihn munter gemacht hatten. Frau Mac Guffog aber, die ans Fenster trat, hatte ein schärferes Ohr als ihr Mann ... »Geh hinunter,« sagte sie, »und laß den Hund los. Ich wette, es sind Kerle, die zum Tor hinein wollen; muß auch der alte Narr in Hazlewood die Wache wegholen lassen! Aber, Mann, Du hast wirklich nicht mehr Mut als eine Katze!«

Sie ging hinunter, den Hund selbst los zu machen, während ihr Mann, der vor Krawall in seinen vier Pfählen größere Angst hatte als vor einem Sturm draußen, alle Türen untersuchte, um sich zu vergewissern, daß die Arrestanten nicht etwa ausbrechen könnten.

Bertram, dessen Zelle auf der Seeseite lag, konnte nur wenig von dem Lärm auf der Vorderseite hören, wohl aber alles deutlich, was im Innern vorging und zur vorgeschriebenen nächtlichen Ruhe eines Stockhauses recht wenig paßte; er konnte nicht anders als annehmen, daß etwas Ungewöhnliches im Werke sei. Von diesem Gedanken beherrscht, trat er zu Dinmont und schüttelte ihn munter. »Ih! – O! Lieschen! Es ist ja noch nicht Zeit zum Aufstehen!« rief der Mann aus den Bergen, noch halb im Schlafe. Endlich aber ermunterte er sich und fragte verdutzt: »Jesus Maria, was gibt's?«

»Das weiß ich nicht,« erwiderte Bertram, »aber es muß Feuer im Hause sein, oder sonst etwas vorgehen. Hört doch, wie man die Türen wirft, und die rauhen Stimmen! Es muß von draußen her kommen! Steht auf, bitte, steht auf! wir müssen auf der Hut sein!«

Dinmont war im Nu auf den Beinen, unerschrocken und mutig, wie jeder seiner Vorfahren, sobald die Feuerzeichen leuchteten.

»Ein verwünschter Ort!« sagte er; »bei Tage lassen sie einen nicht heraus und bei Nacht nicht schlafen. Hier käm ich in den ersten vierzehn Tagen um ... Aber was ist das für ein Getöse? Wenn wir nur Licht hätten! Silvan, Silvan, bscht! Man kann ja über Deinem Gebell nicht hören, was los ist.«

Vergebens suchten sie nach einer Kohle unter der Asche, um das Licht anzustecken. Der Lärm wuchs, Dinmont trat ans Fenster ... »Um Gottes willen, Rittmeister, kommt her! Die Schmuggler sind ins Zollhaus eingebrochen.«

Bertram eilte ans Fenster und erblickte einen dichten Schwarm Schmuggler und andern Gesindels, einige mit brennenden Fackeln in der Hand, andere schleppten Ballen und Fässer zum Boote hinab, das am Strandwege lag, wo jetzt noch einige Fischerboote sich zeigten, die nacheinander geladen wurden, während einige schon in die See gegangen waren.

»Die Sache ist klar,« hob Bertram wieder an; »aber ich fürchte, es ist noch Schlimmeres geschehen. Riecht es nicht nach Rauch? Oder ist es Einbildung von mir?«

»Einbildung?« wiederholte Dinmont; »nein, es raucht wie im Ofen. Verdammt! wenn sie's Zollhaus angesteckt haben, kommt das Feuer auch hierher, und wir verbrennen alle miteinander wie Teertonnen ... Mac Guffog! Hört Ihr denn nicht?« schrie er aus allen Kräften. »Wollt Ihr einen ganzen Knochen im Leibe behalten, so laßt uns heraus, laßt uns heraus!«

Das Feuer loderte nun hoch auf, und dicke Dampfwolken zogen an den Fenstern vorüber, wo Bertram und Dinmont standen. Zuweilen trieb der Wind den Rauch in so dunkle Wolken zusammen, daß sich nichts mehr erkennen ließ; zuweilen wieder erhellte roter Lichtglanz Land und Meer und beschien die finstern, furchtbaren Gestalten, die mit wilder Eile ihre Kähne beluden. Das Feuer nahm mehr und mehr überhand; aus allen Fenstern des brennenden Gebäudes drangen die Flammen hervor, während der Wind lohende Stoffe gegen das anstoßende Gefängnis trieb und eine finstere Rauchschleppe sich über die ganze Gegend hinzog. Von allen Seiten her erscholl Geschrei von wilden Haufen, von Gesindel, das sich aus dem Städtchen und der Umgebung zu den Schleichhändlern geschlagen hatte, sobald es ruchbar geworden, daß sie im Vorteil geblieben, und das, wie immer, ungeachtet der späten Nachtstunde überall auf den Beinen war.

Bertram war in ernstlicher Sorge. Im Hause rührte sich nichts mehr. Unheimliche Stille im ganzen Innern. Der Gefangenwärter schien Reißaus genommen zu haben und das Gefängnis mit all seinen unglücklichen Insassen den Flammen überlassen zu wollen, die es zu ergreifen drohten. Es wurde ein neuer heftiger Angriff auf das äußere Tor unternommen mit Hämmern und Brechstangen, und nicht lange, so waren die Schmuggler seiner Herr. Was von Dienstvolk noch da war, überlieferte willig die Schlüssel, und nun mischten sich die freigewordenen Gefangenen unter wildem Gejohle zwischen den Pöbel, der ihre Fesseln gesprengt hatte. Mitten in diesem Durcheinander stürzten Schleichhändler, einige mit geschwärzten Gesichtern, Fackeln schwingend und bewaffnet mit Säbeln und Pistolen, in Bertrams Gemach ... »Heidi!« rief ihr Führer, »hier kommen wir recht!« Zwei Männer packten Bertram; einer raunte ihm zu: »Keinen Widerstand, bis Ihr draußen seid!« und sich gleich darauf zu Dinmont wendend, setzte er ebenso leise hinzu: »Macht's wie Euer Kamerad – draußen aber rührt die Fäuste, sobald Ihr seht, daß es am Platze ist.«

Dinmont, unter dem Drange der Umstände Gehorsam für das beste haltend, blieb Bertram dicht auf den Fersen, der von den beiden Schleichhändlern die Treppe hinunter, über den von der Flamme nun hell erleuchteten Hof in eine enge Gasse geschleppt wurde, zu der man vom äußern Tor gelangte. Hier staute sich der Menschenschwarm, und plötzlich dröhnte es wie Pferdegetrappel aus der Ferne herüber: ein Geräusch, nicht danach beschaffen, die Verwirrung zu mindern ... »Potz Pulver und Blei!« rief der Führer, »was ist das?« und zu dem Haufen gewandt, setzte er hinzu: »Zusammengehalten, Jungens! und laßt den Kerl nicht entwischen, den wir erwischt haben!« Aber an dem Umstände, daß diejenigen beiden, die Bertram führten, die letzten im Zuge waren, vermochte all sein Rufen und Wettern nichts zu ändern, denn es war unmöglich, vorzudringen.

Alsbald kam es an der Spitze des Zuges zum Handgemenge. Schüsse fielen und Dragonersäbel blitzten über den Köpfen der Schmuggler.

»Jetzt,« rief leise die Stimme wieder, die Bertram schon einmal gewarnt hatte, »nieder mit dem Kerl, und mir hinterher!«

Es gelang Bertram, sich mit einem Ruck von dem Manne, der ihn am Kragen hielt, freizumachen. Zwar griff derselbe stracks zum Pistol, aber ein Schlag von Dinmonts kräftiger Faust streckte ihn im andern Augenblicke besinnungslos zu Boden.

»Schnell hinter mir her!« rief die warnende Stimme wieder, und der Mann, dem sie gehörte, stieß sie durch eine enge, schmutzige Gasse, die aus der Straße führte, weiter. Da die Schleichhändler mit den von Mac Morlan herbeigeführten Reitern noch vollauf zu tun hatten, blieben sie unverfolgt. Die Reiter wären früher dagewesen, vielleicht früh genug, den Ueberfall zu verhüten, aber Mac Morlan hatte unterwegs sich durch die falsche Nachricht düpieren lassen, die Schleichhändler seien in der Bai von Ellangowan gelandet, und auf diese Weise waren beinahe zwei Stunden eingebüßt worden – ein Umstand, den man wohl, ohne gehässig zu erscheinen, Glossin auf Rechnung setzen dürfte; denn, daß die Reiter von Hazelwood ausgerückt waren, konnte ihm am wenigsten verborgen bleiben, andererseits lag ihm wahrlich genug daran, ihr Erscheinen vor dem Stockhause zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern.

Bertram eilte inzwischen seinem Führer nach, und ihm folgte Dinmont. Das Geschrei, der Hufschlag, die Schüsse wurden schwächer und schwächer; aber sie machten nicht eher Halt als am Ende der Gasse, wo sie einen Wagen mit vier Pferden fanden .. »Seid Ihr zur Stelle? Sprecht im Namen Gottes!« rief der Führer den Kutscher an.

»Ja, da bin ich, wollte aber, ich wäre sonstwo.«

»Den Verschlag geöffnet! Flott in den Wagen herein, ihr Herren! Noch eine Weile, dann sind Sie geborgen!« So rief ihnen ihr unbekannter Führer zu, der gleich darauf sich zu Bertram wandte und ihm leise sagte: »Vergeßt das Versprechen nicht, das Ihr der alten Zigeunerin gabt!«

Bertram, keine Sekunde im Zweifel, dem Unbekannten, der ihm solch außerordentlichen Dienst geleistet, blinden Gehorsam schuldig zu sein, stieg auf der Stelle ein; Dinmont folgte seinem Beispiel; der treue Silvan, der sich ihnen dicht auf den Fersen gehalten, sprang gleichzeitig mit Dinmont herein, und schnell flog der Wagen davon ... »Gebt acht,« sagte Dinmont, »nun kommt das Aergste! Potz Pulver und Kanonen! sie werden uns doch nicht umwerfen? Was bloß aus meinem Rappen geworden? Lieber wär's mir schon, ich säße auf seinem Rücken, als in solcher Kutsche, mag sie gleich einem Herzoge gehören!«

Bertram erwiderte, ohne die Pferde zu wechseln, könnten sie unmöglich lange in solchem Tempo fahren; darum sei es kaum zu umgehen, daß in dem ersten Wirtshause, das sie träfen, Rast gemacht und der Tag abgewartet würde; dort würde sich Auskunft über Grund und Ziel der Fahrt einholen lassen, dort würde Dinmont nach seinem Pferde schicken können ... »Gott geb es!« meinte Dinmont; »wären wir nur erst wieder aus diesem Lärmkästen, dann sollte es ihnen schwer fallen, uns anderswohin zu schaffen, als in unserm Willen liegt.«

Da machte der Wagen eine jähe Wendung. Den beiden Insassen zeigte sich das Städtchen noch immer im hellen Feuerschein, Ein Speicher, in welchem Branntwein lag, war von den Flammen ergriffen worden, eine Flackersäule von weißglühendem Scheine! Aber das grausig-schöne Schauspiel zu bewundern blieb ihnen nicht lange Zeit, denn bald machte der Wagen eine abermalige Wendung und bog in einen dichten Wald hinein, wo die Fahrt auf schmalem Pfade in tiefer Finsternis weiter ging.


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