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Siebentes Kapitel.

Die beiden Männer schieden mit der Abrede, daß Pleydell am nächsten Donnerstage Mannerings Gast sein solle, denn Mannering hatte sich vorgenommen, acht Tage lang in Edinburg zu bleiben. Er verlebte die Zeit aufs angenehmste, denn Pleydell versäumte nicht, ihn mit allen Edinburger Berühmtheiten jener Zeit, David Hume, Adam Smith, Robertson, Ferguson, Home, bekannt zu machen. Am festgesetzten Tage stellte sich Pleydell, ein großer Freund von Tafelfreuden, bei ihm ein; aber mehr noch als durch ausgezeichnete Bewirtung erfreute ihn Sampson durch seine kurzen, ernsten Antworten auf die oft recht verfänglichen Fragen, die ihm Pleydell stellte, und seine gutmütige Einfalt, die selbst dem Obersten manche neue Seite an dem Manne offenbarte,

»Was sie nur bestimmt haben mag, unsere alte Mamsell,« meinte Pleydell im Verlaufe des Tischgesprächs, »der armen Lucy das Erbe vorzuenthalten, um jemand, der schon als Kind für tot und verschwunden gegolten, zu ihrem Erben einzusetzen? Ach, bitte, mein lieber Herr Sampson,« wandte er sich an den Magister, »Sie müssen mir es schon zu gute halten, daß ich dieses Thema berühre – ohne Rücksicht darauf, daß es Ihnen so nahe geht. Ich weiß ja, wie schwer es mir bei Ihrer Vernehmung wurde, auch nur drei zusammenhängende Worte aus Ihnen herauszuzapfen. Erzählen Sie mir noch soviel von Ihren stummen Brahminen, lieber Herr Oberst, gegen unsern Gelehrten hier kommen sie im Punkte der Schweigsamkeit ganz bestimmt nicht auf ... Aber, wie es im Sprichworte heißt: eines Weisen Worte sind kostbar und sollen nicht in den Wind gesprochen sein,«

»Das muß ich Wohl sagen,« versetzte Sampson, indem er sein blaugewürfeltes Taschentuch von den Augen nahm, »das war ein herber Tag! Aber wem der Herr Lasten gibt, dem gibt er auch Kräfte, sie zu tragen,«

Mannering lieh sich von Pleydell die näheren Umstände auseinandersetzen, unter denen der Knabe verschwunden war, und fragte den neuen Freund, als er ihm diesen Wunsch erfüllt hatte, wie er wohl selbst über den Fall dächte.

»Daß Kennedy ermordet worden, daran besteht kein Zweifel,« meinte Pleydell,

»Aber, was ist aus dem Knaben geworden?«

»Meiner Meinung nach ist er mit ermordet worden, stand er doch schon in dem Alter, über alles, was er mitangesehen, aussagen zu können, und daß sich die Schurken, sobald es ihr Interesse notwendig machte, bedacht hätten, das Kind zu morden, nachdem sie den Mann gemordet hatten, möchte ich für sehr unwahrscheinlich halten.«

»Gräßlich!« tief Sampson, tief aufseufzend; »gräßlich! gräßlich!«

»Es war ja aber in der Erbenversammlung auch von der Zigeunerin die Rede,« bemerkte Mannering, »und was jenes ordinäre Subjekt nach dem Begräbnisse sagte, zu der Magd Rebekka, meine ich –«

»Sie haben recht,« fiel Pleydell ihm ins Wort, »die alte Mamsell hat auf die Aussage einer Zigeunerin gefußt, daß das Kind noch am Leben sei ... Das muß ich sagen, Herr Oberst, Ihre Divinationsgabe ist außerordentlich, und ich als Rechtsmensch beneide Sie darum! ja, es ist direkt unverzeihlich, wenn nicht beschämend für mich, daß ich auf diesen Schluß nicht selbst gekommen bin ... Aber wir wollen den Fall sogleich festnageln.«

Der Anwalt ließ seinen Schreiber holen. Er saß im Gasthause, bei einer Partie »Großschlemm«, wie Herr Pleydell mit dem Bemerken andeutete, daß Rechtsleute nun einmal bei aller Geregeltheit ihres Berufes die »ungeregeltsten« Leute seien, und sagte zu dem Boten, er solle nicht vergessen zu sagen, daß er, Pleydell, für die Buße aufkomme, die der Schreiber wegen zu frühen Aufstehens von der Partie zu zahlen haben dürfte.

»Erscheinen wird er doch?« fragte Mannering.

»Bitte, nichts mehr davon,« versetzte Pleydell; »aber es wird notwendig sein,« fuhr er lächelnd fort, »uns Nachrichten aus dem Lande Aegypten zu verschaffen. Habe ich nur erst das eine Ende des Fadens in den Händen, dann soll es nicht lange mehr dauern, bis ich Sie in das Labyrinth hineinführe. Die Zigeunerin will und werde ich schon zu einem Geständnis bringen,«

Der Schreiber kam so eilig, daß er sich nicht einmal Zeit genommen, die Spuren des eben genommenen »Liebesmahles« aus den Lippenwinkeln zu wischen.

Pleydell hieß ihn, die alte Magd der alten Mamsell aufzusuchen und unter irgend welchem Vorwande zu bewegen, daß sie sich am andern Morgen früh um acht Uhr bei ihm in seiner Wohnung einfände. Als der Schreiber sich wieder entfernt hatte, wandte Pleydell sich an Mannering: »Sie glauben gar nicht, wie verwendbar dieser Mensch ist. Dreimal in der Woche schreibt er mir nachts nach Diktat, ohne einzuschlafen, oder wenn er 'mal nickt, dann schreibt er ganz ebenso schnell und korrekt, wie wenn er munter wäre. Dabei ist er ein Muster von konservativer Denkungsart. Er verkehrt Sommer und Winter in der gleichen Schenke und beschränkt seine Spaziergänge auf diesen engen Raum hier, so daß ich immer weiß, wo ich ihn zu suchen habe, sobald Ich ihn zu irgendwelcher Arbeit brauche, was begreiflicherweise von unschätzbarer Wichtigkeit in unserm Berufe ist.«

»Er trinkt aber gern einen?« fragte der Oberst.

»Freilich, Ich meine fast, Bier müsse ihm alles ersetzen, Essen, Anziehen, Schlafen, Waschen und Bier: das ist sein ganzer Lebenslauf.«

»Bei solchem Menschen laßt sich aber doch ständige Tauglichkeit zur Arbeit kaum voraussetzen?«

»O, er kann schon einen tüchtigen Rausch haben, ohne daß es ihn bei der Arbeit molestierte. So habe ich ihn einmal Sonnabends, vom Biertisch weg zu einer höchst pressanten Arbeit holen lassen müssen. Er befand sich in solch bedenklichem Zustande, daß ich selbst kaum glaubte, ihn brauchen zu können: und siehe da! sobald er den weißen Bogen vor sich und die Feder zwischen den Fingern hatte, ging die Sache wie geschmiert; nur um eines kam er nicht herum: er fand das Tintenfaß nicht, und so mußte ich mich dazu bequemen, ihm immer die Feder einzustippen,«

»Und wie sah die Schrift am andern Morgen aus?« fragte Mannering.

»O, ganz ausgezeichnet. Nicht drei Worte brauchten geändert zu werden, und wir konnten das Schriftstück ohne Verzug auf die Post bringen. Aber morgen zum Frühstück sehe ich Sie bei mir? Sie werden doch mit anhören, was diese alte Magd der alten Mamsell zu Protokoll gibt?«

»Sie fangen leider recht früh am Tage an?«

»Später läßt es sich nicht machen, Herr Oberst. Wollte ich nicht pünktlich früh in der Kanzlei erscheinen, möchte sogleich das Gerede aufkommen, daß mich der Schlag gerührt haben müsse und unter den Folgen solches Geredes hätte ich während der ganzen Verhandlung zu leiden.«

»Nun, meinetwegen,« erwiderte der Oberst, »ich werde schon nicht auf mich warten lassen.«

Hierauf gingen die Herren auseinander. Am andern Morgen stellte sich der Oberst pünktlich in der Kanzlei des befreundeten Anwalts ein, wo er die Jungfer Rebekka bereits antraf, bei einem Täßchen Schokolade, das ihr der Anwalt hatte vorsetzen lassen.

»Seien Sie ganz ohne Sorge, Fräulein Rebekka,« eröffnete der Anwalt das Verhör, »es liegt nicht im geringsten in meiner Absicht, den letzten Willen Ihrer verstorbenen Herrschaft anzufechten. Das Vermächtnis, auf das Sie doch wahrlich so gerechten Anspruch haben, bleibt unbedingt aufrecht.«

»Nun, wenn sich die Dinge so verhalten,« erwiderte Rebekka, »so will ich Ihnen gern erzählen, wie die Geschichte verlaufen ist. Sehen Sie, es mag so ungefähr ein Jahr her sein, da ging meine Dame auf ein paar Wochen nach Gilsland, zu ihrer Erholung. Es wurde schon damals viel von den zerrütteten Vermögensverhältnissen des Lairds von Ellangowan gesprochen, und darüber bekümmerte sich das Fräulein ganz außerordentlich, denn sie war sehr stolz auf ihr Haus und ihre Familie. Mit dem Laird hat sie sich manchmal vertragen, manchmal nicht; aber in den letzten drei Jahren waren alle Differenzen ausgeglichen, und es hatten sich recht gute Beziehungen zwischen ihm und meiner Herrin angebahnt. Der Laird wollte Geld borgen, und das konnte und wollte sie ihm nicht geben, weil sie dachte, er könnte es ihr doch nicht wieder bezahlen. Da erzählte ihr jemand von der Gesellschaft zu Gilsland, die Herrschaft Ellangowan sollte verkauft werden, und ich möchte sagen, von dem Augenblick an mochte sie von Fräulein Lucy Bertram nichts wissen. Wohl hundertmal sagte sie zu mir: »O Rebekka, wenn doch das unnütze Ding, das Mädchen in Ellangowan, das ihren Vater nicht in Ordnung halten kann, ein Junge wäre! Dann könnte man das alte Stammgut nicht verkaufen, wegen der Schulden des einfältigen Narren.« Das mußt ich immer und ewig von ihr hören, so daß ich seiner am Ende ganz überdrüssig werde. Einmal als ich mit ihr spazieren ging, sah sie einige hübsche Jungen, die einem Landmann gehörten. Und sie sagte zu mir: »Es ist doch recht unglücklich, jeder arme Bauersmann hat hier einen Sohn und Erben und das Haus Ellangowan hat keinen männlichen Erben.« Da stand eine Zigeunerin hinter uns und hörte das – ich habe in meinem Leben nicht eine Frau gesehen, die so schrecklich aussah. »Was ist das?« sagte sie, »wer darf sagen, daß das Haus Ellangowan ohne männlichen Erben untergehen solle?« Meine Herrschaft sah sich um – sie war nichts weniger als schüchtern und hatte immer eine Antwort bei der Hand. »Ich sage es,« antwortete sie, »und mit schwerem Herzen,« Da nahm das Zigeunerweib ihre Hand und sagte: »Ich kenne Euch recht gut, wenn Ihr mich auch nicht kennt. Aber so gewiß die Sonne am Himmel scheint, so gewiß dies Wasser ins Meer fließt, und so gewiß als ein Auge ist, das uns beide sieht, und ein Ohr, das uns beide hört, Harry Bertram, der bei dem Warroch-Felsen umgekommen sein soll, ist dort nicht gestorben. Er hat viel ausstehen müssen, bis er einundzwanzig Jahre alt war, das wurde ihm gewahrsagt: aber wenn Ihr am Leben bleibt, und ich's erlebe, so sollt Ihr mehr hören von ihm in diesem Winter, ehe der Schnee zwei Tage auf den Feldern von Singleside gelegen hat .. Ich brauche Euer Geld nicht,« sprach sie weiter, als meine Dame ihr einige Münze geben wollte, »Ihr möchtet sonst glauben, ich wollte Euch blauen Dunst vormachen. Lebt wohl bis nach St. Martinstag,« Und so ließ sie uns stehen,

»Sie war sehr groß, die Zigeunerin – nicht wahr?« fragte Mannering,

»Sie hatte schwarzes Haar, schwarze Augen und eine Schmarre auf der Stirn?« fügte Pleydell hinzu,

»Ich habe mein Lebtag kein so großes Weib gesehen,« antwortete Rebekka, »Ihr Haar war schwarz wie die Nacht, und sie hatte eine Schmarre überm Auge, in die man einen Finger legen konnte. Wer sie einmal gesehen hat, der kann sie nimmer vergessen. Ich bin gewiß, meine Herrschaft hat bloß auf das Wort der Zigeunerin hin ihr Testament gemacht, da sie das Fräulein von Elangowan nicht mehr leiden konnte, Und sie konnte sie noch um so weniger leiden, als sie ihr zwanzig Pfund hatte schicken müssen, und sie sagte mir oft: Es ist nicht genug, daß Lucy das Gut in fremde Hände gehen lassen muß, weil sie ein Mädchen und kein Junge ist, sie wird auch durch ihre Armut uns Verwandten noch zur Last fallen,«

Pleydell beruhigte noch einmal die wiedererwachten Besorgnisse der Magd um ihr Vermächtnis und fragte sie nach der Janet Gibson. Rebekka erzählte, die Waise habe Dinmonts Vorschlag angenommen, was sie selbst auch getan, »Die Dinmonts,« sagte sie, »sind gute Leute: Meine Herrschaft mochte freilich nicht gern etwas von diesen Verwandten hören. Aber die Schinken von Charlieshope nahm sie ganz gern, und den Käse und das Geflügel, und was man ihr sonst schickte, und die Strümpfe und Handschuhe von Lämmerwolle, das war ihr alles mehr als recht.«

Als Rebekka entlassen worden, hub der Rechtsgelehrte an: »Ich glaube, ich kenne die Zigeunerin.«

»Meg Merrilies,« antwortete Mannering.

»Wissen Sie das gewiß?« fragte Pleydell.

Mannering erwiderte, er habe ein solches Weib gekannt, als er vor fünfundzwanzig Jahren in Ellangowan gewesen sei, und erzählte darauf die merkwürdigen Umstände, die jenen Besuch ihm so unvergeßlich gemacht hatten.

Pleydell hörte ihm sehr aufmerksam zu. »Ich habe mich gefreut,« sagte er darauf, »in Ihrem Kaplan einen grundgelehrten Theologen zu finden, aber das hatte ich wahrlich nicht erwartet, in seinem Gönner einen Schüler von Albumasar und Messahala zu finden ... Aber ich denke, die Zigeunerin wird uns wohl mehr von der Sache erzählen können, als Sie aus den Sternen gelesen haben, oder sie selbst aus ihren Wahrsagekünsten weiß. Ich habe sie schon einmal unter den Händen gehabt, konnte damals aber wenig aus ihr herausbringen,«

Pleydell versprach, seinen alten Freund, Mac Morlan, der Zigeunerin an die Fersen zu heften und, wenn er sie aufgestöbert hätte, selbst in die Grafschaft zu kommen und ihrem Verhöre dort anzuwohnen. Er mußte dem Obersten weiter versprechen, in diesem Falle sein Quartier in Woodbourne zu nehmen. Am folgenden Tage trennten sich die beiden Männer, beide sehr froh, sich gefunden zu haben, Pleydell ging in seine Kanzlei, und Mannering gelangte wohlbehalten nach Woodbourne zurück.


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