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Neuntes Kapitel.

Wir werden unsern Wanderer, nachdem er den väterlichen Boden betreten, hinfort nicht mehr unter dem Namen Brown, sondern unter dem ihm zukömmlichen Bertram dem Leser vorführen und lassen ihn durch eine, dem Anscheine nach ehedem sorgfältig befestigte Hinterpforte in die Burg treten und aus einem Gemach in das andere wandern. In dem einen setzte ihn die Pracht, in dem andern die Größe und Stärke in Staunen und Verwunderung. In zwei Gemächern sah man Spuren, daß dieselben erst jüngst noch benutzt worden waren: leere Flaschen, Knochen, Ueberreste eines ausgebrannten Feuers. Daß dergleichen geringfügige Umstände mit Vorgängen in Verbindung standen, die sein Glück, seine Ehre, vielleicht sein Leben angingen, davon konnte Bertram allerdings nur wenig ahnen.

Als er das Innere der Burg mit flüchtigen Blicken betrachtet hatte, ging er durch das große Tor, das sich nach der Landseite hin öffnete, und blickte hinaus auf die herrliche Landschaft, die sich vor ihm auftat. Vergebens aber suchte er die Lage von Woodbourne, obgleich er die Gegend von Kippletringan ungefähr bestimmen konnte. Dann warf er noch einen Rückblick auf die stattlichen Ruinen, die er eben durchwandert hatte, bewunderte die malerische Wirkung der gewaltigen Rundtürme, die, auf beiden Seiten vorspringend, den Eindruck des hohen, finstern Bogens, unterhalb dessen sich das Tor öffnete, noch erheblich verstärkten. Das über dem Tore in den Stein gehauene Wappenschild des alten Geschlechts, drei Wolfsköpfe, erblickte man unter dem Helme und dem Helmbusche, den ein von einem Pfeile durchbohrter ruhender Wolf bildete. Als Schildhalter stand zu beiden Seiten ein wilder Mann, der in der einen Hand einen entblätterten Eichbaum hielt.

»Ob sie noch immer im Besitze des Gebietes sind, das ihre Ahnherren so stark befestigten, die Nachkommen der mächtigen Herren, denen das Wappen hier angehörte?« sprach Bertram bei sich; »oder ob sie umherwandern in der Welt, unbekannt vielleicht mit dem Ruhme der Macht, die dem Geschlechte ehedem gehörte? während Fremdlinge auf ihrem Erbe hausen? Wie kommt es,« fuhr er fort, »daß so mancher Anblick Erinnerungen weckt, die zu den Träumen früher, dunkler Erinnerungen zu gehören scheinen? . ... Mein alter Brahmine mochte sie wohl für Erinnerungen aus einem früheren Dasein gehalten haben .. Selbst unter Menschen, die wir vorher nie mit einem Blicke sahen, scheint uns oft ein geheimnisvolles, unerklärliches Gefühl zu sagen, daß uns Schauplatz, handelnde Figuren, der Gegenstand der Handlung nicht völlig fremd seien, ja es kommt uns vor, als könnten wir ein noch nicht angeknüpftes Gespräch erraten, und so ist es mir, wenn ich auf diese Trümmer hier blicke .. Ich kann den Gedanken nicht los werden, als ob mir alles, was ich hier sehe, Türme, Tor und Schloßhof, nicht völlig fremd sei, ja als ob es mir in meinen Kinderjahren liebe Gegenstände gewesen seien .. Aber Brown, der mich doch sicher nicht hat hintergehen wollen, hat mir doch immer gesagt, ich sei nach einem Gefechte, in welchem mein Vater gefallen sei, von der östlichen Küste weggebracht worden, und auf solchen schrecklichen Kampf besinne ich mich wirklich, so daß ich seiner Erzählung wohl oder übel glauben muß.«

Die Stelle, von welcher aus Bertram wirklich die Burg überschaute, war gerade die Stelle, wo sein Vater das Zeitliche gesegnet hatte. Eine breitwipfelige alte Eiche bezeichnete sie: die einzige auf dem Erdhügel, die unter dem Namen des Gerichtsbaums bekannt war, weil die Herren von Ellangowan hier vorzeiten das Blutgericht abgehalten hatten ...

Glossin kam am selben Morgen mit einem Feldmesser, der auch den Baumeister der Gegend machte, die Anhöhe hinauf. Ihm waren die alten Trümmer ein Dorn im Auge, darum hatte er sich vorgenommen, sie abzutragen und zum Bau eines neuen Wohnhauses zu benutzen, Bertram stand ihnen mit dem Rücken zugekehrt und von den Zweigen des alten Baumes so verborgen, daß er von Glossin nicht früher bemerkt wurde, als bis er dicht vor ihm stand.

»Ja, ich hab's Ihnen schon oft gesagt,« hub der Feldmesser an, »das alte Schloß hat gar schöne Bausteine, und für Ihr Gut wäre es gewiß das allerbeste, wenn Sie es ganz niederrissen, im Grunde ist's ja doch kaum etwas anderes als ein Schlupfwinkel für Schleichhändler.«

In diesem Augenblicke drehte sich Bertram herum, von Glossin nur durch einige Schritte noch getrennt. »O, was sagen Sie? Sie wollen das alte, ehrwürdige Schloß abtragen lassen?«

Gestalt, Gesicht und Stimme des Fremdlings erinnerten an den Vater, als er in der Vollkraft seiner Männlichkeit stand, und Glossin, als er die Stimme hörte und diese Gestalt und dieses Gesicht so blitzartig vor sich auftauchen sah, genau auf der Stelle, wo sein Gönner das Zeitliche gesegnet hatte, meinte fast im ersten Augenblicke, das Grab habe den Toten verjüngt wieder auferstehen lassen.

Unwillkürlich fuhr er ein paar Schritte zurück, aber schnell faßte er sich und sagte sich, daß es kein Bewohner der andern Welt sei, der vor ihm stehe, sondern ein in seinem Rechte benachteiligter Mensch, dem er, falls er nicht scharf aufpasse, leicht Anlaß geben könne, sich sein Recht zu suchen, und zwar auf seine Kosten. Aber trotzdem war er so heftig erschüttert, daß er nur verlegen zu fragen im stände war: »Um Gottes willen, wie haben Sie den Weg hierher gefunden?«

»Ich bin vor etwa einer Viertelstunde in der Bucht unterhalb des Schlosses gelandet und habe mir nur auf ein paar Minuten die stattlichen Ruinen ansehen wollen. Hoffentlich habe ich mich keiner Übertretung schuldig gemacht?«

»Nein, nein, Herr, keiner Übertretung,« stotterte, noch immer verlegen, der neue Schloßherr, um nach einer Weile, als er sich gefaßt hatte, an seinen Begleiter ein paar Worte zu richten, worauf dieser sogleich sich in das Wohnhaus zurückbegab . ... »Nein, nein,« wiederholte Glossin, sich zu ihm wendend ... »Im Gegenteil, Sie sind willkommen wie jeder Fremde, den die Neugierde hierher treibt.«

»Besten Dank, Herr. Es soll ein sehr altes Schloß sein, wie man allgemein hört.«

»Ganz recht. Im Gegensatze zu dem neuen Gebäude dort unten,« versetzte Glossin, den es begreiflicherweise interessierte, festzustellen, ob Bertram aus seiner Kindheit noch Eindrücke in sein späteres Leben hinübergenommen hätte, auf der andern Seite sich aber zur äußersten Vorsicht genötigt sah, um nicht durch einen Namen oder irgend eine Redensart schlummernde Erinnerungen zu wecken ..

»Ich möchte wissen, wie das Geschlecht heißt, dem diese herrliche Burgruine gehört,« sagte Bertram harmlos.

»Wem sie gehört?« versetzte Glossin; »mir! mein Name ist Glossin.«

»Glossin? Glossin?« wiederholte Bertram, scheinbar in Gedanken, oder wie wenn er eine andere Antwort erwartet hätte, setzte aber gleich hinzu! »Entschuldigen Sie, bitte, Herr Glossin, aber ich war zerstreut .. Wie lange befindet sich das Schloß im Besitz Ihrer Familie?«

»Es ist wohl vor langer Zeit und meines Wissens von einer Familie Mac Dingawaie erbaut worden,« antwortete Glossin ausweichend, da er nicht dazu beitragen mochte, Bertrams Erinnerungen aufzufrischen.

»Und was steht denn über dem Gebälk, wo das Wappen in den Stein gehauen ist?«

»Das kann ich selbst auch nicht recht lesen,« versetzte Glossin.

»Wenn ich recht lese,« nahm Bertram wieder das Wort, »so heißen die Worte: Unser Recht ist unsre Macht.«

»Mag wohl sein,« erwiderte Glossin knurrig.

»Wohl der Wahlspruch Ihres Hauses?« fragte Bertram.

»Nein, nein! nicht unser Wahlspruch! Mein Wahlspruch ... Hm, habe mich erst seinetwegen an das Heroldsamt zu Edinburg gewandt; meines Wissens hat die Familie Glossin den Wahlspruch: Wer's nimmt, der hat's.«

»Wenn Sie noch nicht schlüssig darüber sind, so würde ich, entschuldigen Sie, bitte, die unmaßgebliche Meinung äußern, dem alten Spruche den Vorzug zu geben, der mir entschieden als der bessere dünkt.«

Glossin sagte nichts, sondern nickte nur.

»Seltsam,« sagte Bertram wieder, den Blick auf Wappen und Tor heftend, »seltsam! was für Streiche uns unser Gedächtnis doch spielen kann! Wie ich den Wahlspruch las, fiel mir ein altes Lied, eine Prophezeiung oder so etwas, ein:

Was dunkel ist, soll Licht, das Unrecht werden Recht,
wenn Bertrams Recht und Bertrams Macht auf .. auf ..

Ich kann mich auf den letzten Reim tatsächlich nicht besinnen, aber auf »wacht« ging er aus .. das weiß ich.«

»Möge ihm der Sinn nie klar werden,« meinte Glossin bei sich, »er besinnt sich so schon auf zuviel.«

»Auch andere Verse fallen mir darüber ein,« meinte Bertram weiter, »kennt man hier wohl ein altes Lied von einer Königstochter auf der Insel Man, die sich von einem schottischen Ritter entführen ließ?«

»In alten Volkssagen bin ich ganz und gar nicht bewandert,« sagte Glossin.

»Als ich noch Knabe war,« sagte Bertram, »kannte ich solches Lied vollständig auswendig; »Schottland ist mein Vaterland, ich habe es jedoch in früher Jugend verlassen, und die Leute, denen meine Erziehung oblag, haben nichts getan, meine Erinnerungen an die Heimat zu festigen, wahrscheinlich, weil ich bemüht war, mich ihrer Aufsicht zu entziehen.«

Glossin schien während der Unterhaltung in sich zusammenzuschrumpfen und kein Wort der Erwiderung zu finden, setzte vielmehr, zum Zeichen der Verlegenheit, die ihn befiel, bald den einen, bald den andern Fuß vor, bald bückte er sich, bald zog er die Schultern hoch, spielte bald mit den Knöpfen an seiner Weste, oder klappte die Hände zusammen: ganz wie ein böser Mensch, den Bange vor der Entdeckung seiner Schandtaten befällt.

Bertram aber bemerkte nicht, was in Glossin vorging, da er zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. »Ja ja, aber meine Muttersprache,« sagte er, »konnten sie mir nicht abspenstig machen; trotzdem alle auf dem Schiffe nur Englisch redeten; und sobald ich mich allein in irgend einem Winkel befand, hab ich das Lied von Anfang bis zu Ende gesungen. Den Text habe ich wohl vergessen; aber die Melodie kenne ich noch ganz genau .. aber wie es kommt, daß mir das alles jetzt so unmittelbar in die Erinnerung tritt, das kann ich nicht begreifen.«

Bei diesen Worten zog er eine Flöte aus der Tasche und blies eine einfache Weise, die wohl in einem Mädchen, das unfern davon bei einer Quelle, die einst das Schloß mit Wasser versorgt hatte, mit dem Bleichen von Leinwand beschäftigt war, ähnliche Gedanken wachrufen mochte, denn aus ihrem Munde ertönte jetzt das Lied:

Sie sprach: Ist dies Forths Uferland?
Ist es die Bucht von Dee?
Der schöne Wald auf Warrochs Wand?
Wie gerne sah ich sie!

»Beim Himmel! Das ist das alte Lied!« rief Bertram, wie aus einem Traume erwachend; »das Mädchen muß mir das Lied hersagen.«

»Beim Teufel!« dachte Glossin bei sich; »tue ich hier nicht Einhalt, so ist alles verloren! Hol der Henker alle Lieder und Reimschmiede, und alle Dirnen, die kaum was anderes mehr verstehen, als ein Lied herfaseln. Aber,« wandte er sich laut zu Bertram, als er den Feldmesser mit ein Paar Männern daherkommen sah; »dazu findet sich wohl später Zeit; jetzt gibt's Nichtigeres hier zu reden!«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte Bertram, über den Ton, den sich Glossin gegen ihn erlaubte, ziemlich unwillig.

»Sie heißen Brown?« fragte Glossin.

»Wozu die Frage?« erwiderte Bertram.

Glossin guckte über die Schulter, um nach den Männern zu sehen ... »Banbeest Brown, wenn ich nicht irre?« fragte Glossin weiter.

»Aber wozu das?« wiederholte Bertram, noch unwilliger als vordem.

»Nun, in diesem Falle sind Sie mein Gefangener, im Namen des Königs,« rief Glossin und packte ihn beim Kragen, während die herzugetretenen Männer ihn an den Armen packten.

Brown riß sich im Nu los und zog seinen Säbel .. »Keiner wage es, die Hand gegen mich zu heben!« rief er drohend; »einem Befehle der Obrigkeit, wenn er mir vorgewiesen wird, werde ich mich fügen, im andern Falle aber meiner Haut mich wehren, so lange ich den Säbel da zu führen vermag.«

Auf Glossins Wink zeigte einer der Gerichtsfrone den Befehl vor, Banbeest Brown, angeklagt des vorsätzlichen und böswilligen Ueberfalles auf Charles Hazlewood, wie auch anderer Vergehungen und Uebertretungen, überall dingfest zu machen, wo man ihm begegne, und in das nächste Untersuchungsgefängnis abzuliefern.


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