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Achtes Kapitel.

Wir blicken auf die Zeit zurück, da Hazlewood verwundet wurde. Der Gedanke, welche Folgen dieser Unfall für Julien und ihn haben mußte, erschütterte ihn lebhaft. Zwar ließ sich nach der Richtung des Flintenlaufs im Augenblicke des Schusses ernstliche Gefahr für den Verwundeten kaum befürchten; aber ihm als Fremdling, der außer stände war, auf der Stelle beweiskräftige Auskunft über seinen Stand zu geben, mußte daran liegen, seiner Verhaftung zu entgehen, Er faßte den Entschluß, fürs erste nach der benachbarten Küste von England zu entfliehen und dort ein Versteck zu suchen, bis er Briefe von seinem Regiment und Geld von seinem Agenten bekommen hüte, was ihn in die Lage setzte, die entsprechende Auskunft über sich zu geben und dem jungen Hazlewood ausreichende Genugtuung zu schaffen.

Mit diesem Vorsatze machte er sich auf den Weg und gelangte glücklich zu dem Küstenorte, den wir Pontanferry genannt haben. Eben wollte ein kleines Boot nach dem kleinen Hafenorte Allonby in Cumberland vom Ufer abstoßen. Brown bestieg es, weil er dort Briefe und Geld abwarten wollte.

Während der kurzen Ueberfahrt unterhielt er sich mit dem Steuermann, einem noch recht muntern Greise, der, wie die meisten Fischer in diesen Gewässern, mitunter auch Schleichhandel getrieben hatte. Brown brachte das Gespräch auf den Obersten Mannering, und der Schiffer erzählte ihm, doch mit lebhaftem Tadel des Verhaltens der Schleichhändler, von dem Angriff auf Woodbourne ... »Die Hand davon!« sagte er, »das ist das beste! Die ganze Nachbarschaft werden sie noch wilder sich aufbringen. Da wüßt' ich was Gescheiteres, wie zum Beispiel ein Spielchen beim Glase Branntwein mit den Herren vom Zollamt. Eine Ladung genommen, hieße es dann. Nun, recht gut für sie, aber eine andere wäre durchgeflitzt, und die gehörte mir; nein, nein! eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, und das muß man gelten lassen! Sonst geht ja alles drunter und drüber im Leben.«

»Und Oberst Mannering?« fragte Brown wieder.

»Von ihm ist's auch nicht eben klug, sich in solche Affäre zu mischen. Daß er den Zöllnern das Leben rettete, war ja ganz gut; aber solch vornehmer Herr darf eben auch nicht zu den Waffen greifen, um dem armen Volke den Tee und Branntwein zu verteuern. Aber so ist's nun 'mal mit den großen Herren und Offizieren: die machen mit unsereinem, was Ihnen beliebt.«

»Aber seine Tochter,« sagte er, »heiratet, glaube ich, in ein vornehmes Haus?«

»Sie meinen Wohl den Hazlewood?« erwiderte der Schiffer; »ei, Gott bewahre! Das ist ja eitles Geschwätz. Der junge Herr ist ja doch jeden Sonntag mit der Tochter vom alten Ellangowan ausgeritten, und mein Mädel, das bei Mannerings dient, hat mir gesagt, der Herr Charles dächte an Fräulein Mannering so wenig wie ich oder Sie!«

Brown machte sich bittere Vorwürfe darüber, daß er sich durch die Eifersucht zu solch vorschneller Tat hatte hinreißen lassen, freute sich aber sehr, daß er Julien allem Anschein nach in falschem Verdacht gehabt habe. Was mußte aber Julie von ihm denken? In welchem Lichte mußte ihr sein Verhalten erscheinen? seine geringe Rücksicht auf ihre Seelenruhe? sein geringes Vertrauen zu ihrem Worte? Nach einer Pause fragte er wieder: »O! Ihre Tochter dient in Woodbourne? Ich habe Fräulein Mannering in Indien gekannt, und wenn auch meine Lebensumstände nicht mehr so günstig liegen wie dort, so darf ich doch noch mit einiger Sicherheit darauf rechnen, daß sie sich für mich verwendet .. Mit ihrem Vater hatte ich dort einen unglückseligen Zwist; er war mein Vorgesetzter, und ich glaube fest, daß die Tochter es sich angelegen sein lassen würde, eine Aussöhnung zwischen uns zu stande zu bringen. Vielleicht könnte Ihre Tochter ihr einen Brief zustellen, ohne daß zwischen dem Fräulein Tochter und ihrem Vater Unfrieden darüber entstände?« Der Schiffer versprach gern, den Auftrag zu besorgen und geheim zu halten, sobald er wieder in Allonby sein würde, und Brown brachte sogleich ein paar Zeilen zu Papier, Er beteuerte, das ihn seine Uebereilung tief schmerze, und beschwor sie, ihm eine Gelegenheit zu verschaffen, sich mit ihr auszusprechen, denn so lange er ihre Verzeihung nicht hätte, wäre er der unglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden. Er hielt es aber nicht für klug, sich über die Umstände selbst näher auszulassen, und bewegte sich überhaupt in Ausdrücken, die einem Fremden keinen rechten Sinn gaben, auch keine Schlüsse auf den Schreiber des Briefes zuließen, weil er sich in keine Gefahr setzen wollte, falls der Brief etwa in fremde Hände käme. Der Schiffer versprach auch, wenn es irgend anginge, ihm gleich die Antwort des Fräuleins mitzubringen.

Brown suchte sich in dem kleinen Hafenorte seinen bescheidenen Umstanden gemäß einzurichten, und zwar unter dem Namen seines Freundes Dudley; et konnte gut zeichnen, und sich also recht gut für einen Kunstmaler, ausgeben, der auf sein Gepäck warten müsse, das von Winton her unterwegs sei. Täglich erwartete er Antwort auf die Nachrichten, die er seinem Agenten, seinem Kameraden Delaserre und seinem Oberstleutnant übermittelt hatte. Von seinem Agenten erwartete er Geld, von seinem Vorgesetzten Atteste, um sich über Stand und fleckenlosen Ruf auszuweisen, seinen Kameraden Delaserre aber erwartete er persönlich. Wegen seines Mangels an Bargeld wandte er sich an Dinmont, den freundlichen Pächter von Charlieshope, und da es bis dorthin nur etwa 36 Stunden war, rechnete er auf baldigen Eingang des kleinen Darlehens, das ihm über die erste Verlegenheit hinweghelfen sollte. In dem Briefe setzte er dem wackern Manne das Mißgeschick auseinander, das ihn neuerdings getroffen hatte. Aber die Post brauchte zu jener Zeit ihre Weile, und bei Dinmunt lagen die Dinge unglücklicherweise so, daß er regelmäßige Postsendungen nur dann erhielt, wenn er Prozesse in der Stadt führte, sonst aber kaum alle Vierteljahre einen Postbeutel sah, der außer den für ihn eingelaufenen Briefen auch die Zeitungen, Pfefferkuchen und den Tabak enthielt, die zu den Bedürfnissen des Pächters gehörten, und da geschah es wohl auch, daß Briefe manchmal ein ganzes Vierteljahr und länger dazwischen liegen blieben, ehe sie aufgemacht und gelesen wurden.

So hatte Brown schon ein paar Tage gewartet und war so gut wie völlig auf dem trocknen, als er durch einen Fischerjungen die folgenden Zeilen zugesteckt erhielt: »Wie konnten Sie bloß so unbedacht handeln? Ich habe daraus ersehen, daß ich auf Ihre Versicherungen, mein Glück und meine Ruhe betreffend, nicht bauen darf; wenig fehlte, so hätten Sie den Tod eines ehrenhaften jungen Menschen auf dem Gewissen! Soll ich Ihnen sagen, daß mich Ihr Unbedacht auf das Krankenlager geworfen hat? Die Folgen, die für Sie hieraus entstehen können, können meine Unruhe wahrlich nicht verringern. Und das alles um solcher Lappalie willen, wie Sie es mir in Ihrem Briefe schildern? Der O. ist auf ein Paar Tage verreist. H. ist so gut wie wieder hergestellt; ein Trost für mich, daß man den Täter auf ganz anderer Fährte zu suchen scheint. Indessen begehen Sie um Gottes willen nicht die Torheit, hierher zu kommen! Es sind der schrecklichen Unfälle zuviel über uns hereingebrochen, als daß ich hoffen dürfte, Einvernehmen herzustellen. Hat es uns doch schon so oft mit dem schwersten Unglücke bedroht! Leben Sie wohl und seien Sie versichert, daß Ihr Glück niemand mehr am Heizen gelegen sein kann als Ihrer Julie M.«

Auf Brown machte der Brief den Eindruck, als solle er zu Schritten veranlassen, die dem darin empfohlenen Verhalten gerade zuwiderliefen, und er fragte den Fischerjungen deshalb, ob er direkt von Pontanferry käme und den Brief von seiner Schwester, die in Woodbourne beschäftigt sei, selbst bekommen habe. Der Junge bejahte die Frage, mit dem Beifügen, er wolle abends wieder zurückfahren. Brown entschloß sich zur Mitfahrt, wollte aber nicht in Pontanferry, sondern anderswo an der Küste ans Land gesetzt werden, wozu sich der Fischer gern bereit erklärte.

Die Ausgaben, die durch diesen Entschluß notwendig wurden, gab seiner kleinen Barschaft vollständig den Rest. Er hinterlegte auf dem Postamte den Auftrag, ihm Briefe nach Kippletringan nachzusenden, wo er den bei der Wirtin hinterlegten kleinen Schatz abzuheben gedachte. Sobald er seine Papiere hätte, nahm er sich vor, Hazlewood jede Genugtuung als Offizier zu geben, die sich mit seiner Ehre vertrüge, und sein Verhalten als unvermeidliche Folge seines hochfahrenden Wesens hinzustellen.

Der Wind stand konträr, und das schwerbeladene Boot mußte schwer gegen die Wogen ankämpfen. Brown, der ja in seiner Jugend dem Seemannsberufe angehört hatte, leistete dem Schiffer mit Rat und Tat Beistand, so daß es ihnen glückte, alle Gefahren hinter sich zu bringen, und so gelangten sie bei Tagesanbruch in Sicht einer schönen Bai an der Küste von Schottland. Das Wetter war milder geworden. Der Schnee war durch den Tauwind, der in den letzten Nächten eingesetzt hatte, in den Tälern völlig geschmolzen; nur die in der Ferne aufsteigenden Hügel trugen noch weiße Kappen. Das Gestade mit seinen Einschnitten, Baien und Buchten entschwand auf beiden Seiten in allerhand anmutigen Wellenlinien, denen das Auge gern folgte. Ebenso mannigfaltig wechselten die Erhöhungen des Gestades. Hier lief die Küste in schroffe Klippen aus, dort stieg sie zu sanft schwellenden Anhöhen auf. Die Wintersonne beleuchtete Gebäude von allerhand Art mit ihren hell blinkenden Strahlen, die das Licht pittoresk zurückwarfen, und die Wälder liehen, obgleich sie entblättert waren, der Landschaft einen berückenden Reiz.

Brown weidete sich an diesem Anblick mit unverhohlener Freude, denn nach der unangenehmen Nachtfahrt wirkte er doppelt wohltätig auf sein Gemüt. Vielleicht mischten sich auch schlummernde Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit mit den frohen Empfindungen, die ihm der Anblick dieser Landschaft bereitete.

»Wie heißt denn dieses schmucke Vorgebirge?« fragte er den Fischerjungen, »das dort drüben rechts seine waldigen Bergwände ins Meer hinunterstreckt?«

»Die Warrochspitze,« versetzte der Junge.

»Und das alte Schloß mit dem etwas tiefer liegenden neuen Gebäude?« fragte Brown weiter; »von hier gesehen, scheint es ja eine recht stattliche Besitzung?«

»Es ist ein wunderliches Nest, dies alte Schloß,« versetzte der Fischerjunge, »und nach dem hohen Turme, den man schon von Ramsay auf der Man-Insel und vom Ayr-Kap aus sieht, richten wir Schiffer uns auf hoher See. Vor nicht langer Zeit hat's hier ein böses Zusammentreffen gegeben.«

Brown hätte gern mehr erfahren, aber der Fischer wußte weiter nichts, als was er eben gesagt, zu sagen. Das Boot fuhr nun dicht an der Landspitze hin, auf der die Burg lag, die von dem Felsengipfel ernst auf das noch immer hochgehende Meer hinunterschaute ... »Ich glaube,« sagte der Schiffer, »daß Sie hier gute Landung haben werden. Hier lagen vorzeiten die Schiffe der Herren von Ellangowan; wir gehen aber jetzt hier selten vor Anker, weil es seine Schwierigkeiten hat, Güter über die engen Stufen oder Felsen zu schaffen.«

Das Boot war in einen Hafen hineingesteuert, der sich hinter einer Felsenspitze ausbuchtete und zum Teil durch die Natur gebildet, zum Teil aber auch von den alten Schloßherren, um ihren Fahrzeugen eine sichere Zuflucht zu schaffen, angelegt und gegraben worden war. Die den Eingang flankierenden zwei Felsspitzen rückten so dicht aneinander, daß immer nur ein Boot allein passieren konnte. Zwei ungeheure Eisenringe waren tief in den Felsen eingelassen worden, durch die, der Sage nach, eine große Kette nachts gezogen wurde, um den Hafen völlig abzusperren. Auf dem vorspringenden harten Felsen war mit Spitzhacke und Meißel ein Strandweg ausgehauen worden, der zu einer hohen Steintreppe emporführte, auf der man zu der alten Burg hinaufgelangte.

Hier ging der Schiffer vor Anker. Brown wollte ihm ein Trinkgeld geben, das der Fischer aber mit den Worten ausschlug, er habe ja für seine Ueberfahrt mehr gearbeitet, als jeder andere auf dem Boote, und wünschte ihm alles Glück für die Zukunft.

Darauf stieß er ab, um auf der andern Strandseite seine Güter auszuladen, und Brown nahte sich nun, fremd, des Wegs unkundig, in den bedrängtesten Umständen, zudem freundlos und eines schweren Verbrechens beschuldigt, zum erstenmal den Ruinen jener Burg, auf der einst seine Ahnen als mächtiges Geschlecht geherrscht hatten.


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