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Sechzehntes Kapitel.

»Ein Wagen!« rief Mannering dumpf, die Uhr, die er aus der Tasche genommen, wieder einsteckend – »oder rauscht der Wind durch die kahlen Bäume? Treten Sie ans Fenster, Herr Pleydell!«

Pleydell saß, mit seinem großen seidenen Schnupftuch in der Hand, neben Julien, in einer seiner Meinung nach interessanten Unterhaltung, leistete aber, nachdem er vorher, um sich nicht zu erkälten, sein Schnupftuch um den Hals geworfen, der Aufforderung Mannerings auf der Stelle Folge. Rädergerassel wurde nun deutlicher hörbar. Pleydell, als ob er seiner Neugier nun die Zügel schießen ließe, rannte zur Tür hinaus; Mannering rief seinen Diener und hieß ihn die Insassen des in der Herfahrt begriffenen Wagens in ein besonderes Zimmer führen, da man sich doch erst vergewissern müsse, wer es sei. Noch aber hatte er nicht seinem Befehl vollen Ausdruck gegeben, als sich auch schon die Tür öffnete. »Sieh da,« rief Pleydell von draußen, »unser Freund aus dem Liddes-Tale, mit einem kräftigen jungen Burschen von gleichem Schlage.«

Dinmont erkannte den befreundeten Anwalt gleich an der Stimme ... »O, wenn Sie es sind, Herr Pleydell,« rief er lustig, »dann ist alles auf gutem Wege.« Während er stehen blieb, dem Anwalt sein Kompliment zu machen, trat Bertram, von dem jähen Lichtglanz geblendet und über die Situation noch völlig im unklaren, in die ihn sein letztes Abenteuer gebracht, in die offene Tür, fast ohne es zu wissen, und erkannte nun seinerseits den ihm entgegentretenden Oberst. Der helle Lichtschein im Zimmer ließ keinen von beiden über sich im Zweifel, und einer war über die unerwartete Begegnung genau so betroffen wie der andere. Mannering hatte den Mann vor Augen, den er in Indien ums Leben gebracht zu haben glaubte; Julie erblickte ihren Geliebten in einer für ihn höchst gefahrvollen Lage, und Lucy erkannte im Nu den Mann, der ihrer Meinung nach auf Charles Hazlewood geschossen hatte, Bertram aber, seinerseits in der Meinung, den starren Ausdruck im Gesicht des Obersten als Unwillen über seine Zudringlichkeit deuten zu müssen, entschuldigte sich auf der Stelle, er sei nicht aus freiem Willen hier, wisse nicht, wer ihn hierhergebracht, und habe auch nicht gewußt, wohin man ihn Zu bringen vorgehabt.

»Herr Brown, sofern ich nicht irre?« fragte Oberst Mannering,

»Jawohl, Herr, derselbe, den Sie in Indien kannten,« versetzte Bertram bescheiden, »und der sich der Hoffnung hingibt, trotz allem, was Ihnen damals über ihn bekannt geworden, als Mann von Ehre vor Sie treten und auf Ihr Zeugnis als solcher anderen gegenüber rechnen zu dürfen.«

»Herr Brown, solche Ueberraschung habe ich selten, fast wohl nie erlebt – aber daß ich Sie nach dem zwischen uns Vorgefallenen für berechtigt halte, sich auf mein Zeugnis zu berufen, darüber meine ich Sie keine Sekunde im unklaren lassen zu dürfen.«

Pleydell sah zu seiner nicht geringen Verwunderung, wie der Oberst fast sprachlos war, wie Lucy sich kaum auf den Füßen halten konnte, wie Julie sich umsonst bemühte, die Fassung zu behalten.

... »Was geht denn vor?« rief er; »hält dieser junge Mensch etwa das Gorgonenhaupt in seiner Hand? Vergönnt mir doch einen Blick auf ihn! – Meiner Treu!« meinte er leise bei sich, »das leibhaftige Ebenbild des alten Ellangowan! Die Hexe hat Wort gehalten!«

Er trat schnell zu Lucy, »Sehen Sie doch den jungen Mann an, Lucy! Haben Sie nicht schon jemand in Ihrem Leben gesehen, der ihm aufs Haar ähnlich war?« Lucy hatte auf den Mann, in welchem sie auf der Stelle denjenigen wiedererkannte, der das Leben ihres Geliebten bedroht hatte, nur einen flüchtigen Blick geworfen; aber Furcht lähmte sie dermaßen, daß sie außerstande war, der Aufforderung des Anwaltes nachzukommen ... »Sprechen Sie mir nichts von ihm!« rief sie leise, »um Gottes willen nicht! Schicken Sie ihn weg – weit weg – denn er bringt uns alle noch um!«

»Umbringen?« wiederholte Pleydell, nicht ohne Unruhe, »Aber ich bitte Sie! Wir sind unser drei, das Dienstvolk nicht gerechnet. Und unsern ehrlichen Freund aus dem Liddes-Tale rechnen Sie nicht? und doch wiegt er ein halbes Dutzend Landsknechte auf. Immerhin, David, Dindie, oder wie Ihr Euch nennt, faßt Posten zwischen dem Patron und uns, zum Schütze unserer Damen.«

»Ei, du meine Güte, Herr Pleydell, das ist ja doch Rittmeister Brown. Kennt Ihr ihn denn nicht?«

»Nein,« antwortete Pleydell, »aber wenn Ihr Euch gut mit ihm steht, werden wir wohl nichts zu fürchten haben; doch haltet Euch immerhin in unserer Nähe.«

Alles dies spielte sich so geschwind ab, daß Sampson in seiner Ecke nicht einmal Zeit blieb, sich zu sammeln; er klappte das Buch zu, worin er gelesen hatte, und machte einen Schritt vorwärts, um sich die Fremden anzusehen. Aber kaum hatte er einen Blick auf Bertram geworfen, als er auch mit lauter Stimme rief:

»Wenn Gräber Tote wiedergeben können, dann ist dies mein lieber, über den Tod hinaus verehrter Herr!«

»Beim Himmel, Sie haben recht,« rief Pleydell, »und ich wußte es! Das wahre Ebenbild seines Vaters! Aber was fehlt Ihnen, lieber Oberst, daß Sie Ihren Gast nicht willkommen heißen? Ich glaube, ich hoffe, ja – ich weiß: wir sind im Recht, Nie ist mir solche Aehnlichkeit vor Augen gekommen. Aber Geduld! – Sampson, sagen Sie nichts, und Sie, junger Herr, setzen Sie sich!«

»Bitte,« versetzte Bertram, »ich bin, wie ich höre, im Hause des Obersten Mannering, und möchte zuvor hören, ob er Anstoß an meinem zufälligen Erscheinen nimmt, oder ob er mich willkommen heißen will.«

Oberst Mannering überwand die Regung in seinem Herzen und zwang sich zu der Antwort: »Willkommen? O, gewiß; vor allem, wenn Sie mir sagen können, wie ich mich Ihnen dienstfertig zeigen kann. Manches Unrecht habe ich ja doch gegen Sie gut zu machen. Eine innere Stimme hat es mir schon oft gesagt, aber Ihr so plötzliches und unerwartetes Auftauchen hat mancherlei schmerzliche Erinnerung geweckt und mich zunächst verhindert, Ihnen zu sagen, daß Ihr Besuch mir angenehm ist, gleichviel, welchem Umstände ich ihn beizumessen habe,«

Bertram verneigte sich vor dem, wenn auch höflichen, so doch ernsten Manne dankbar, doch zurückhaltend.

»Liebe Julie,« nahm der Oberst wieder das Wort, »besser möchte es wohl sein, wenn Du uns verließest; Herr Brown wird Dich entschuldigen! Mancherlei Erinnerungen rufen Dir, wie ich sehe, schmerzliche Gedanken wach.«

Julie stand auf und verließ das Zimmer, hatte aber, als sie an Bertram vorbeiging, nicht umhin gekonnt, ihm zuzuflüstern: »Unbesonnener! Zum zweitenmale!« Niemand als er hatte die Worte vernommen. Lucy ging mit ihrer Freundin hinaus. Ihr war der Schreck so in die Glieder gefahren, daß sie sich nicht traute, noch einen zweiten Blick auf diesen Mann des Grauens zu werfen; es mußte ein Mißverständnis obwalten, das merkte sie, und sie wollte die Verwirrung nicht dadurch vermehren, daß sie den Fremden als Mörder hinstellte; sah sie doch, daß der Oberst ihn kannte und als Ehrenmann behandelte; die Tat fiel ihm also entweder gar nicht zur Last, oder Hazlewood hatte doch recht, daß das Gewehr durch einen unglücklichen Zufall losgegangen war.

Tiefes Schweigen herrschte nun; jeder war zu rege mit sich selbst beschäftigt, als daß es ihm hatte auffallen können, was mit den andern vorging. Bertram sah sich unvermutet in dem Hause des Mannes, in welchem er bald seinen persönlichen Feind erblicken mußte, bald wieder den Vater seiner Geliebten zu achten sich verpflichtet sah. In Mannering kämpfte der rege Sinn für Höflichkeit und Gastfreundschaft, das frohe Bewußtsein, sich der Schuld, ein Menschenleben im Zweikampfe zerstört zu haben, ledig zu wissen, mit den in seinem stolzen Gemüt älter eingesessenen Empfindungen von Abneigung und Vorurteil, die jetzt von neuem erwachten, als ihm der Mann, der sie geweckt hatte, vor Augen stand, Sampson fühlte sich so heftig ergriffen, daß er sich auf eine Lehne stützen mußte; keinen Blick ließ er von Bertram, und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck so heftiger Bestürzung, daß sich seine Züge förmlich verzerrten. Dinmont, in seinem weiten zottigen Oberrock an den Bären in seinen Bergen erinnernd, blickte mit seinen großen Augen ganz verdutzt auf das seltsame Schauspiel. Pleydell allein war ganz in seinem » esse« und sah sich pfiffig und rege um; seine Gedanken waren schon bei dem absonderlichen, fast präcedenzlosen und mysteriösen Prozesse, der ihm winkte, und aus dem er sich als Sieger hervorgehen sah – er kam sich vor wie ein Feldherr, umgeben von seinem Generalstabe, dem das Herz vor Stolz darüber schwillt, daß er allein die schwierige Aufgabe, den Kampf zum Siege zu wenden, lösen solle und lösen könne –

»Kommt, meine Herren,« rief er, lebhaft hin und her tretend, »das fällt alles in meinen Ressort – das muß ich alles für euch alle ins Lot bringen ... Bitte, Platz zu nehmen, mein lieber Oberst, und bitte, freie Hand! – Herr Brown, bitte, gleichfalls Platz zu nehmen – auf quocunque alio nomine voceris – Magister Sampson, keine Umstände, und braver Dinmont, nieder auf den Stuhl da!«

»Ich weiß nicht, Herr Pleydell,« versetzte dieser mit einem Blick von seinem groben Rock hinüber auf das stattliche Zimmergerät – »aber es wäre wohl besser, ich ginge anderswohin, und ließe Sie allein, bis Sie mit Ihrer Angelegenheit ...«

Der Oberst erkannte erst jetzt den ehrlichen Landmann und hieß ihn von Herzen und mit ein paar artigen Worten, daß er nach allem, was er in Edinburg von ihm gesehen, überzeugt sei, sein grober Rock und derbes Schuhzeug dürfte sich in jedem Prunkgemache mit Ehren sehen lassen, willkommen.

»Nein, nein, Herr Oberst, Landvolk paßt bloß aufs Land, aber daß ich gern erführe, ob das Glück dem Rittmeister heute 'mal hold sein wird, kann ich nicht in Abrede stellen. Anderseits weiß ich freilich, daß alles gut und recht gehen wird, was der Herr Pleydell in die Hand nimmt.«

»So stimmt's, Dandie Dinmont,« versetzte Pleydell, »und nun still verhalten! – Also, jetzt sitzen wir alle! Aber ehe ich mit meinem Sermon beginne, noch ein Glas Wein! ... Und dann, mein lieber junger Herr, wer und was sind wir?«

So betroffen sich auch Bertram fühlte, so konnte er bei diesem, Verhörsanfange sich einer Anwandlung, zu lachen, nicht erwehren ... »Ich muß nun freilich sagen,« erwiderte er, »daß ich das bisher zu wissen gemeint habe; jüngst sind aber mancherlei Dinge passiert, die mich in dieser Meinung einigermaßen erschüttert haben.«

»Und welcher Meinung über sich waren Sie bisher?«

»Nun, daß ich Vanbeest Brown sei, dem Namen nach, den ich führte. Ich habe als Freiwilliger im Ostindischen Dragonerregiment des Herrn Obersten gedient und darf wohl hinzusetzen, daß ich die Ehre hatte, ihm damals nicht unbekannt zu sein.«

»Das trifft zu,« versetzte Mannering, »und hinzusetzen darf ich, daß Herr Brown sich recht intelligent und mutig erwiesen hat.«

»Läßt sich hören, Herr Oberst – läßt sich hören,« fiel ihm Pleydell ins Wort; »doch das gehört ins allgemeine Auskunftswesen. Wir müssen jetzt von Herrn Brown hören, wo er das Licht der Welt erblickt hat.«

»Meines Wissens in Schottland, doch kann ich den Ort nicht nennen.«

»Besinnen Sie sich auf keinerlei Umstände aus Ihrem frühesten Leben, ehe Sie aus Schottland den Fuß setzten?«

»Kaum – von unbestimmten Erinnerungen abgesehen, daß ich in meiner ersten Kindheit viel Liebe und Güte erfahren, und daß ich einen lieben freundlichen Herrn Papa und eine kränkliche Dame Mama genannt habe; aber dies alles steht mir nur wirr und unklar vor der Seele. Doch eines langen, magern, schwarzgekleideten Mannes, der mir Unterricht im Schreiben und Lesen gab, und mit mir ins Freie hinausging und, soweit ich mich besinnen kann, gerade in der letzten Zeit meiner glücklichen Kindheit – erinnere ich mich noch –«

Sampson konnte sich nicht länger halten; verriet ihm doch jedes Wort, das der junge Mann sprach, daß der Sohn seines Wohltäters vor ihm stand. Wohl hatte er sich bis jetzt Gewalt angetan, seine Erschütterung zu verbergen; als aber Bertram sich seiner so unmittelbar zu entsinnen anfing, als er von ihm in so treffenden Worten zu reden anfing, da konnte der ehrliche Magister nicht mehr an sich halten, und aufspringend und die Hände zusammenschlagend, rief er mit schlotternden Gliedern und mit Tränen in den Augen: »Harry Bertram, sieh mich an, bin ich es nicht gewesen, der Dich lehrte und leitete?«

»Ja!« rief Bertram, von seinem Stuhle emporfahrend, als ob es Licht in seinem Geiste würde; »ja, so hat der Mann mich gerufen – und jetzt erkenne ich Stimme und Gestalt des Mannes, der mir ein guter, sanfter Lehrer war.«

Sampson riß Bertram an seine Brust mit einer Inbrunst, die sein ganzes Wesen erschütterte. Mannering verbarg die Bewegung nicht, die auch ihn ergriffen hatte; und Pleydell verzog das Gesicht und putzte an den Gläsern seiner Brille herum, während Dinmont heftig zu schlucken anfing und mühsam stotterte: »Ein Teufelsbraten, dieser Rittmeister – kriegt's, weiß es Gott, fertig, das etwas über mich kommt, was ich seit meiner alten Mutter Tode nicht gespürt habe!«

»Achtung jetzt!« rief Pleydell; »noch sind wir nicht zu Ende – bevor der Tag graut, wird es, vermute ich, noch weitere Arbeit setzen.«

»Ich will ein Pferd satteln lassen, wenn Sie meinen,« fiel der Oberst ein.

»Nein, nein! Dazu ist noch Zeit! Aber, Magister, Sie haben nun Zeit genug gehabt, Ihrer Empfindungen Herr zu werden. Ich muh die Sache richtig in die Hand nehmen. Jahren wir also fort!«

Sampson war an Gehorsam gegen jeden Befehl gewöhnt, der ihm erteilt wurde. Er sank auf seinen Stuhl zurück, hielt sich das Schnupftuch vor die Augen und faltete die Hände über der Brust, woraus sich folgern ließ, daß seine Seele sich dankend zum Himmel erhob. So saß er nun in sich gekehrt, den Blick nur zuweilen hebend, um sich zu vergewissern, daß die liebe Gestalt seines einstigen Schülers nicht etwa verschwunden sei, in fromme Betrachtungen versunken, bis der Anwalt durch weitere Fragen an Bertram ihn auf neue Gedanken brachte.

»Und nun,« sagte Pleydell, nachdem er noch mehreres über Dinge gefragt, die in Bertrams Kindheit gehörten – »mein lieber Herr Bertram, – denn es wird sich nun wohl so gehören, daß wir Sie bei Ihrem rechten Namen nennen – nun erzählen Sie uns doch, bitte, was Ihnen noch darüber, wie Sie Schottland verlassen haben, in Erinnerung geblieben.«

»Ich weiß mich zwar auf den grausigen Tag noch deutlich zu besinnen, aber eben der Schreck über all jene Geschehnisse hat die nähern Umstände in meiner Seele gänzlich verwirrt und verwischt. Nur daß ich mich irgendwo im Freien befand – wenn ich mich nicht irre, in einem Walde, das ist mir im Gedächtnis geblieben.«

»Richtig, lieber Harry, im Warroch-Walde war es,« rief Sampson lebhaft.

»Still, Herr Magister,« fiel ihm Pleydell ins Wort.

»Ja, in einem Walde war's,« nahm Bertram wieder das Wort, in dessen Geiste sich die Gedanken langsam zu ordnen anfingen, »und jemand war bei mir, der würdige Herr dort, glaub' ich–«

»Ja, ja, Harry, Gott segne Dich! Ich war es – ich war es!« rief Sampson. »Ruhig, Magister,« rief Pleydell wieder – »lassen Sie doch unsern jungen Freund sich selbst finden und sammeln« – dann wandte er sich wieder zu Bertram: »und weiter?«

»Dann hab ich auf einem Pferde gesessen, vor dem Manne, glaub ich, der bei mir war.«

»Nein, nein!« rief Sampson; »ich habe meine Glieder nie in solche Gefahr gesetzt, und Deine, Harry, erst recht nicht.«

»Das kann ja kein Mensch aushalten!« rief Pleydell; »noch ein Wort, Magister, ohne meine Erlaubnis, und ich lese drei Sprüche aus dem schwarzen Buche, schwinge dreimal meinen Stab ums Haupt, vernichte alles Zauberwerk dieser Nacht und verwandle unsern Harry Bertram flugs wieder in Vanbeest Brown.«

»Bitte vielmals um Verzeihung, würdiger Herr Pleydell,« rief Sampson kläglich, »es war ja nur verbum volans

»Sie haben eben nolens volens den Schnabel zu halten, Magister,« versetzte der Anwalt mit kurioser Barschheit.

»Für Ihren jungen Freund, mein Lieber,« wandte sich der Oberst an Sampson, »ist es freilich von Belang, wenn Herr Pleydell in seinen Fragen ungestört bleibt,«

»Ich will ja stumm sein wie das Grab,« erklärte Sampson eingeschüchtert.

»Da sprangen plötzlich Männer auf uns zu,« erzählte Bertram weiter, »und rissen uns vom Pferde ... Aber von da ab weiß ich nur noch, daß es zu einem wilden Kampfe kam zwischen dem Manne, der hinter mir gesessen hatte, und den Männern, die uns überfallen hatten – und daß ich zu entfliehen suchte, aber von einem großen Weibe, das aus dem Gebüsch hervorstürzte, gepackt wurde, das mich mit wegriß, – – – auf mehr kann ich mich nicht entsinnen, alles andere liegt wie ein banger Traum auf mir – nur eine matte Erinnerung habe ich noch von einem Strande und einer Höhle, und daß ich durch ein starkes Getränk in langen Schlaf versetzt worden bin. Von da ab ist aber eine weite Lücke in meinem Gedächtnis bis zu der Zeit, wo ich mich als Schiffsjungen an Bord einer Schaluppe wiederfinde, bis ich dann nach Holland unter dem Schutze eines alten Kaufherrn gelangt bin, der mich sehr lieb gehabt hat.«

»Und was hat Ihnen dieser alte Kaufherr über Ihre Herkunft gesagt?«

»Wenig, und hat mir obendrein befohlen, nicht weiter zu forschen. Mein Vater habe Schleichhandel an der östlichen Küste Schottlands getrieben und sei in einem Gefechte mit der Zollwache umgekommen; Kameraden von ihm hätten mich aus Mitleid nach Holland geschafft. In meinen spätern Jahren schien mir freilich mancherlei mit meinen Erinnerungen nicht übereinzustimmen; ich besah aber keine Mittel, mich solcher Zweifel zu entledigen, und keinen Freund, mit dem ich darüber hätte sprechen können, Ueber mein späteres Leben ist Oberst Mannering unterrichtet. Ich fand in Ostindien Unterkunft als Kommis in einem holländischen Handlungshause, das aber fallierte, habe mich dann beim Militär anwerben und mir während des Dienstes nichts zu schulden kommen lassen, bin vielmehr ziemlich rasch befördert worden.«

»Aber die Geschichte mit Hazlewood?« fragte Pleydell.

»Sie ist weiter nichts, als ein unglücklicher Zufall,« versetzte Bertram; »ich war auf einer Erholungstour durch Schottland und acht Tage beim Pächter Dinmont gewesen, mit dem ich zufällig bekannt, und, wie ich zu meinem Glücke sagen darf, befreundet geworden –«

»Für mich war's ein Glück,« fiel ihm Dinmont ins Wort, »denn wenn er nicht gewesen wäre, hätten mir ein Paar Strolche auf der Heerstraße den Schädel eingeschlagen!«

»Bald nachher – wir hatten uns im nächsten Städtchen getrennt – wurde mir mein Gepäck gestohlen, und in Kippletringan traf ich zufällig mit dem jungen Hazlewood zusammen, als ich auf Fräulein Mannering zutreten wollte, um ihr als einer ostindischen Bekanntschaft guten Tag zu sagen. Es mag wohl sein, daß mein Touristenanzug bei dem jungen Herrn keine hohe Meinung von mir geweckt hat; er hieß mich gehen; mein Stolz bäumte sich dagegen auf, und so wurden wir handgemein, und mir passierte das Mißgeschick, ihn durch einen unglücklichen Zufall zu verwunden. Hiermit meine ich nun, Ihnen volle Beichte abgelegt zu haben –«

»Noch nicht,« fiel ihm Pleydell ins Wort, mit den Augen zwinkernd, »ein paar Fragen bleiben noch, die ich aber bis morgen aufsparen will, denn für heute nacht, oder vielmehr heute morgen, ist's nun Zeit, die Sitzung zu schließen.«

»Immerhin meine ich, nachdem ich auf alle Fragen Rede und Antwort gestanden, die Sie an mich zu stellen für angemessen erachteten, meinerseits berechtigt zu sein zu der Frage, warum Sie solchen Anteil an meinen Verhältnissen nehmen? und, da meine Abkunft so große Bewegung verursacht, zu der weitern Frage: für wen Sie mich eigentlich halten?«

»Was mich angeht, so bin ich Paul Pleydell, Advokat und Notar in Edinburg. Für wen wir aber Sie halten, darüber läßt sich momentan noch nichts völlig Verläßliches sagen; ich hoffe jedoch, Sie in kürzester Zeit als Harry Bertram, letzten Erben und Sprößling eines der ältesten Häuser in Schottland und Fideikommis-Erben der Herrschaft Ellangowan, begrüßen zu dürfen. »Ja,« schloß er seine Rede, während ihm die Augen schon zufielen, mehr zu sich als zu den andern gewandt: »es wird das beste sein, den Vater zu übergehen und ihn als Erben seines Großvaters, des Fideikommisses Stifter, auftreten zu lassen, der war der einzige wirklich gescheite Mensch in dem ganzen Geschlechte, von dem wenigstens ich gehört habe.«

Alle hatten sich erhoben, um ihr Nachtlager aufzusuchen. Oberst Mannering trat zu Bertram, der von Pleydells Mitteilung aufs tiefste betroffen war ... »Zu der Aussicht, die das Schicksal Ihnen eröffnet, gratuliere ich Ihnen von Herzen. Ich habe in meinen jungen Jahren Gelegenheit gehabt, Ihren Vater zu meinen Bekannten zu rechnen – ja, der Zufall hat es sogar gefügt, daß ich in derselben Nacht, in der Sie geboren wurden, auf Ellangowan als ein ebenso unvermuteter Gast eintraf, wie jetzt Sie in meinem Hause. Von solcher Ahnung war ich nun freilich weit entfernt; will nun aber hoffen, daß alles, was zwischen uns vorgefallen, vergessen sein soll. Daß ich mir, als ich Sie als Herr Brown hier vor mir sah, wie von einem Alpe erlöst vorkam, dürften Sie mir glauben; daß mir aber Ihr Anrecht auf Rang und Namen meines alten Freundes Bertram Ihre Gegenwart doppelt willkommen macht, werde ich Ihnen nicht erst zu beteuern brauchen,«

»Und meine Eltern?« fragte Bertram.

»Ihre Eltern sind tot, Ihr Erbe ist zwangsweise verkauft worden, wird sich aber hoffentlich wiedererlangen lassen, und was zur Geltendmachung Ihrer Rechte nötig sein wird, stelle ich Ihnen mit Vergnügen zur Verfügung,« antwortete Mannering. – »Nein, das lassen Sie meine Sache sein,« nahm Pleydell das Wort, »das schlägt in meinen Ressort und ich werde schon wissen, was hier zu tun ist.«

Hiermit griff der alte Herr zu seinem Licht und ging hinaus. Die übrigen folgten seinem Beispiel. Nur Sampson ließ es sich nicht nehmen, seinen »kleinen Harry,« wie er den sechsfußhohen Soldaten nannte, vorher noch einmal zu herzen und zu küssen.


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