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XVI.

Nachdem man ins Haus gegangen, nachdem man Alles durchsprochen und die Aufregung über alles Erlebte einer ruhigern Stimmung gewichen, sehnte sich Friedrich mit allen Kräften seiner Seele nach einer ungestörten Unterredung mit Charlotte – es schien ihm eine ganze Welt, was er ihr zu sagen habe!

Aber er hatte lange zu harren; es dauerte eine Ewigkeit, bis die über ihre tödtliche Ermüdung klagende Gräfin sich endlich einmal entschloß, die Ruhe zu suchen und sich zurückzuziehen, und bis die Kinder der Kammerfrau Christine übergeben waren, sie zu Bett zu bringen. Während sich nun der Graf und Karl Watler, die an ihrer gegenseitigen Unterhaltung viel Geschmack zu finden schienen, in ein Gespräch über italienische Brigantensitten vertieften, ging Charlotte auf den Vorplatz zu dem Villagebäude hinaus. Friedrich folgte ihr aus dem erleuchteten Saale in die warme, stille, sternenhelle Nacht draußen.

Er nahm ihren Arm, um ihn in den seinen zu legen, und während sie den Kopf an seine Schulter lehnte, sagte er:

»Endlich, endlich allein! O wie viel habe ich Ihnen zu sagen, Charlotte!«

»Haben wir uns das Wichtigste, das Beste nicht bereits gesagt?« antwortete sie flüsternd.

»Das Beste wohl – aber nichts habe ich Ihnen gesagt von der tiefen gränzenlosen Leidenschaft, welche mich für Sie erfüllt, nichts von dem unendlichen, alles andere ausschließenden, mein ganzes Leben, Sein und Denken an sich reißenden Gefühl, das Sie mir eingeflößt haben, und das mich alle diese Tage hindurch so unsäglich unglücklich machte …«

»Und weshalb sagten Sie es mir nicht früher, statt wie ein Wilder auf und davon zu gehen und in die Wälder zu laufen? Sie waren so unverantwortlich, so rücksichtslos gegen die Gräfin gewesen, so stürmisch damals, als wir uns trafen … auf meinem Kirchengange …«

»Die Leidenschaft gab mir meine Worte ein – und die Leidenschaft lehrt uns, stark handeln aber schlecht sprechen … und mein Betragen gegen die Gräfin … billigen Sie es nicht? Das Andenken an meine arme Eltern empörte mein innerstes Gefühl; und der Schmerz, der mich erfaßte, weil ich mich von Ihnen verrathen glaubte, ließ mich nicht anders handeln … ich konnte nicht anders, und Sie, Charlotte, Sie sollen mir Recht geben!«

»Ich gebe Ihnen Recht«, versetzte sie; »ich gab Ihnen immer Recht darin, ich wußte, daß Sie handelten nach einem innern Gefühle, welches man schweigend achten müsse.«

»O wie danke ich Ihnen für dieses Wort!« rief Friedrich, Charlottens Hand an seine Lippen führend, aus.

»Und wenn ich Ihnen anders rieth«, fuhr Charlotte fort, »so war es der Drang, Frieden zu stiften und der Glaube, den Ihr Freund in mir erweckt hatte, nur ein thörichter Verdruß, in jenem Tête-à-Tête nicht mich, sondern die Gräfin zu finden, habe Sie verführt …«

»Sie riethen mir anders?« unterbrach Friedrich sie.

»In jenem Briefe, den ich Ihnen schrieb und den Selim – vielleicht auch der Graf, unterschlagen hat!«

»Und was riethen Sie mir darin?«

»Zuerst zur Gräfin zu gehen und ihr Anerbieten anzunehmen … dann wolle ich … nun, weshalb jetzt nicht es gestehen? … dann wolle ich Ihre Bewerbung annehmen!«

»O mein Gott!« rief Friedrich aus.

»Was erschreckt Sie dabei?«

»Charlotte, diesen Brief hat nicht Selim, nicht der Graf unterschlagen, sondern mein, Dein guter Genius, die Hand des Himmels, wenn Du willst! Nun segne ich die Leidenstage von Nemi, die mir daraus erwuchsen, daß ich diesen Brief nicht erhielt!«

»Und weshalb?« fragte Charlotte erstaunt. »Weil ich ihn aufs thörichtste mißgedeutet, weil ich Dich gehaßt, verabscheut haben würde … o erlaß mir, es Dir zu erklären … es würde mich auch jetzt zu schamroth machen … Gewiß hatte der Graf eine schlimme Absicht, als er zu mir kam und mir Erklärungen machte, die mich von dannen trieben. Aber indem er mir sagte, daß Du, Du, Charlotte, meine Handlungsweise gerechtfertigt findest, machte er mich Dir ewig zu eigen.«

»Seltsamer Mensch!« sagte Charlotte nachdenklich – »kann man eine solche Leidenschaft empfinden und dabei gestehen, daß ein einziger Brief hinreicht, sie zu zerstören?«

»O nein, nein«, rief Friedrich, sie an sein Herz ziehend, aus – »keine Macht der Erde wird sie mehr zerstören, denn sie ist unendlich, sie ist ewig, sie ist tief wie das Meer, sie ist ohne Gränzen wie der dunkelblaue Himmel dort über uns – sie ist mit einem Wort eine Künstler leidenschaft.« –



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