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II.
Friedrich Hild an den Bildhauer Carl Watler in Rom.

Frascati, 25. Juni 186*.

Ihr armen Bildhauer, die Ihr an Eure Ateliers gefesselt im Qualm und Staub und Fieberdunst der schrecklichen ewigen Stadt zurückgeblieben seid, wenn Ihr doch mit dem rechten Glauben zu Euren marmornen Göttern sprechen könntet: lebt und wandelt und schreitet mit uns hinaus in die kühlen Schatten des Gebirgs, in die frische Waldluft der tuskulanischen Höhen; mag dort die Natur die Hand der Vollendung an Euch legen, deren Ihr noch so sehr bedürft, Ihr armen, stummen Steinbilder Ihr. Wäre es nicht in der That wundervoll, wenn dieses weiße Göttervolk eines schönen Morgens die hundert Ateliers Roms verließe und schaarenweise wieder Besitz nähme von seinen alten Lieblingsplätzen? Wenn wir auf allen Wegen in den Wäldern und Villen hier die Faune über unsern Pfad laufen sähen, wenn Freund P.'s Pan uns seine Lieblingsweise aus dem nächsten Gebüsche bliese, und wenn wir am See von Nemi L.'s Diana träfen, wie sie sich in ihrem »Spiegel« betrachtete? – So müßte die Kunst die schöne goldene Heidenzeit der Welt zurückgeben können. Aber ach, sie vermag es nicht, und am Ende mag es recht gut sein, daß ihre steinernen Götter Stein bleiben. Ich fürchte, es würden sich manche Uebelstände herausstellen; der Pan würde ein wenig wanken, weil eines seiner Beine länger als das andere ist, und L.'s Diana sich beim ersten Schritt den Fuß verrenken, weil ihre Knöchel von einer viel zu idealistischen Feinheit sind … und so bleibt denn mit Euren Werken in Rom und sucht Trost hinter den strohumflochtenen Foglietten in den Tre Ladroni, erlabt Euch im freundschaftlichen Gedankenaustausch und laßt Euren bösen Zungen freien Lauf über die beneideten Abwesenden, die ins Gebirge sommerfrischen gehen konnten! Das kürzt und würzt Euch die Stunden!

Gewiß ist es so! Wer kennt nicht den Lauf der Welt!

Ich lasse mir auch nicht das Gegentheil einreden, wenn mir auch heute von einem Paar sehr hübscher, sehr rosiger Lippen versichert wurde, die Künstler in Rom nennten mich ein berühmtes Talent – groß durch geniale Pinselführung und hervorragenden Farbensinn. Die Künstler in Rom! Mich! O unglaubliche Mähr!

Du fragst, wem die rosigen Lippen, die mir so freundliche Dinge gesagt, angehören? Sie gehören Charlotten. – Wer ist Charlotte? – Gouvernante bei der Gräfin Brechtal. – Und diese? – Eine stattliche Dame mit einem Gefolge von zwei Kindern, besagter Gouvernante, einer Kammerfrau, einem Mohren als Kammerdiener und Factotum für die auswärtigen Angelegenheiten. – Und in welche Berührung kamst Du mit dieser stattlichen vornehmen Dame? – Ich habe von ihr die Erlaubniß erhalten, Studien in der Villa Falconieri machen zu dürfen, welche sie für den Sommer gemiethet hat. – Ist die Gräfin eben so schön wie sie reich ist? – Ich habe sie nicht nahe genug gesehen – aus der Ferne gesehen scheint sie's. – Und die Gouvernante? – Pikant … viel Rasse. – Also ein beginnendes Abenteuer? – Nichts weniger als das, mein Freund, dem ich nun alle seine Fragen hiemit gewissenhaft beantwortet habe. Ich denke, vor den Abenteuern habe ich Ruhe. Jeder Mensch hat seine Zeit, wo die Abenteuer ihn aufsuchen, und dann verlassen sie ihn auf Nimmerwiedersehen. Mich haben sie längst verlassen, und jetzt stößt mir schon seit Jahren nicht das allerkleinste mehr auf; sie laufen förmlich vor mir davon; das Schiff, in welchem ich fahre, ist gesichert vor dem Sturm, die Diligence, die so glücklich ist, mich weiterbefördern zu dürfen, vor dem Brigantaggio; ich habe nie in meinem Leben etwas Außerordentliches, wie ein Meteor, eine Feuersbrunst, ein Nordlicht oder einen Kometen gesehen; ich bin nie in eine Straßenemeute gerathen oder zur rechten Zeit gekommen, um den eben stattfindenden Einzug einer großen Menagerie, eines gesalbten Hauptes oder einer Zigeunerbande erblicken zu können. Ich wäre eigentlich ein höchst schätzbares Subject für die Sicherheitspolizei, wenn sie es verstände, mich richtig zu verwerthen; sie könnte mich bei großen Geldtransporten mit in die Diligence packen lassen, um die Gefahr des Räuberanfalls zu beseitigen. Große Versicherungsgesellschaften würden mich bedrohten Expeditionen als Supercargo mitgeben, und ein Rheder, der seinen Vortheil verstände, würde seinen Ostindienfahrer mit meinem Namen taufen – er würde sicher sein, nach einigen Monaten in der Schiffsliste zu lesen: der Dreimaster Friedrich Hild ist ohne Unfall und Havarie am 19. im Hafen von Calcutta eingelaufen.

Abenteuer – ich weiß nicht, was ein Abenteuer ist! Und doch, wenn ich Abends am offenen Fenster meines großen, leeren, steingepflasterten Zimmers sitze und auf den Hof meiner Villa hinausschaue, auf den verwitterten halbrunden Dekorationsbau mir gegenüber, über dem verstümmelte Bildsäulen stehen, in dessen Mitte der Brunnen rauscht und sprudelt, über dem hoch die uralten Korkeichen ihr prachtvolles Haupt ausbreiten …, dann beschleicht mich eine stille Sehnsucht nach dem Abenteuer …, ich frage mich: bist Du denn ganz enterbt – Deine Heimat hat kein Vaterhaus für Dich, Dein Leben keine Zuflucht, kein Asyl, und selbst das schöne Land des Weins und der Gesänge nicht einmal ein Abenteuer! Könnte nicht wenigstens einmal, wenn Du unter einem Balcon daherschreitest, plötzlich eine Rose vor Dir niederfallen, durch eine sich leise öffnende Jalousie eine weiße Hand sich strecken, und …

Ach, Freund, ich leide an Augenblicken, wo ich schwermüthig werden könnte. Und da ich dem Jünger der plastischen Kunst, einem in classische Anschauungen verlorenen, in antiker Seelenruhe einherwandelnden Weisen, wie Du, mit sentimentalen Gefühlen unverständlich wäre, so schließe ich.

Dein Friedrich Hild.



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