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XV.

Es war halb fünf Uhr, als die beiden Freunde mit ihrer schweren Reisetasche zwischen den hohen Mauern des Weges, der die Villa Falconieri von der Villa Piccolomini trennt, daherschritten. Am Thore der ersteren angekommen, blieb Friedrich stehen und sagte:

»So weit sind wir ohne Abenteuer wohlbehütet gekommen. Jetzt aber, wo unser Weg in die Wälder und wilden Gelände da oben in den Bergen führt, möchte ich zur größeren Sicherheit einen Begleiter mehr sich uns zugesellen sehen. Willst Du einen Augenblick hier warten; ich hoffe gleich wieder bei Dir zu sein!«

»Ich verstehe«, antwortete lächelnd Karl Watler, »geh' nur, ich will warten.«

Friedrich eilte durch das Thor der Villa und über den Vorhof in das Haus. Er erfuhr, daß Fräulein Charlotte zurückgekehrt, daß sie um die Mittagsstunde mit einem Manne aus Nemi glücklich wieder eingetroffen, und in ihrem Zimmer sei … Das Kammermädchen führte ihn die Treppen in den obern Stock des stillen Gebäudes hinauf und meldete ihn an.

Das Mädchen kam zurück, und ließ Friedrich über die Schwelle treten. Charlotte stand mitten im Zimmer – sie eilte, sie flog ihm entgegen – sie rief, indem sie sich an seine Brust warf:

»O endlich! Bringen Sie die Kinder? Bringen Sie sie? O dann will ich Ihnen gehören mit Leib und Seele, für ewig, für ewig!«

Friedrich war bei diesem überraschenden Empfange keines Wortes mächtig … er drückte das arme, in seiner Spannung und Angst vergehende Mädchen stürmisch an sich, endlich sagte er tief aufathmend, während sein Auge sich mit Thränen füllte:

»Charlotte … meine Charlotte … o könnte ich durch Schwereres, Größeres Sie mir verdienen! … Die Kinder hoffe ich Ihnen in kurzer Frist wiederzugeben.«

»O, ich verging vor Unruhe und Angst … ohne den Gedanken an Sie wäre ich gestorben, Sie sind mein Retter!« hauchte sie, mit ihren Armen an seinem Halse hängend, ihr Gesicht an einer Brust bergend.

Friedrich drückte einen Kuß auf ihre Scheitel.

»Und Sie sind mein Leben, mein Glück, meine Zukunft, mein Eins und Alles, Charlotte!«

»Sie selbst«, fuhr er nach einer stummen Pause fort, »sollen mit mir gehen, die Kinder in Empfang zu nehmen. Können Sie es, sind Sie nicht zu erschöpft von Allem?«

»O nein, nein«, rief sie, sich von ihm losmachend, aus – »was ist Ermüdung! – O, kommen Sie … kommen Sie!« Sie eilte, Tuch und Hut zu nehmen, dann gingen sie; Charlotte hing sich draußen an Friedrichs Arm … und so erschienen sie nach kurzer Frist vor dem harrenden Bildhauer, der draußen geduldig neben einem Reisesack stand. Er schaute ihnen lächelnd entgegen – Charlotte begrüßte ihn unbefangen und reichte ihm die linke Hand, während ihre rechte Friedrich's Arm festhielt.

Sie schritten vorwärts; Karl Watler, der an der andern Seite Friedrichs ging, flüsterte diesem zu:

»Ich denke, Du darfst mit Deinen Briganti nicht hadern. Was die Kerle zu Stande gebracht, ist seine fünftausend Scudi für Dich werth! Nicht?«

Friedrich nickte bloß, ohne über den Scherz lächeln zu können. In seiner Seele war zu viel Ernst dazu; er war so versenkt in sein Glück, daß er für nichts anderes Sinn hatte; die Sorge der Ungewißheit, ob die Räuber sich auch wirklich einstellen, ob sie ihr Versprechen halten würden, wie es Giuseppe verbürgt, bedrückte ihn nicht; es war eine innere Zuversicht auf das Glück bei ihm eingekehrt, daß kein Zweifel in dieser Stunde ihn quälen konnte.

Man schritt lange aufwärts, die Villa Rufinelli links lassend. Dann gelangte man in eine Gegend hügeliger Weidegründe und darauf in das Waldgebirge, in eine Schlucht, in deren Tiefe Wasser rieselte und die allmälig sich emporhob, zum Kern des ganzen Gebirgsstocks, dessen Spitze der Monte Cavo, ansteigend. Eine wundervolle Kühle und völlige Stille herrschte in den Wäldern, durch die sich mit feinen Windungen der Fußweg zog. Ueberall hatten sich die Zweige der wuchernden Pflanzenwelt über diesen Weg gewölbt. Eidechsen schossen über den Pfad. Zuweilen auch eine harmlose Schlange – aber still war Alles; das Lebendige, das diese üppige Natur belebte, schien ohne Sprache zu sein.

Auch unsere Wanderer gingen ohne viel zu reden. Nur zuweilen flüsterte Friedrich dem jungen Mädchen, das sich an seinen Arm geklammert hielt, einige Worte zu.

Der Bildhauer, der hinter den Beiden drein schritt, seinen schweren Sack bald in der Hand, bald zur Erleichterung auf der Schulter tragend, sagte endlich:

»Hör' Friedrich, hast Du denn noch gar nicht daran gedacht, daß wir eigentlich doch verzweifelt leichtsinnig sind?«

»Und weshalb?«

»Wenn uns nun die edlen Strauchritter unser Geld abnähmen und uns alle Drei einfingen, um uns in irgend eine romantische Höhle in den Abruzzen zu schleppen, wo wir die lieben Kleinen und den dunklen Ehrenmann von Neger schon wieder fänden, aber nur um mit ihnen zusammen eingesperrt zu bleiben … wer steht uns dafür?«

Charlotte schrak bei diesen Worten ein wenig zusammen – sie blickte ängstlich fragend zu Friedrich auf.

»Unnütze Sorgen!« rief Friedrich, ärgerlich, daß sein Freund Charlotten durch seine Bemerkungen besorgt machte.

»Bist Du so sicher?«

»Auf arme Künstler haben es die Räuber nicht abgesehen! Und dann – was würde aus ihrem Handwerk, wenn sie so Treu und Glauben verletzten? Was würden die Madonna und Sant Antonio dazu sagen? Wir können ganz ruhig sein. Ich habe ihres Manutengolo Wort, und er hat das meine. Giuseppe würde sie verlassen, er würde der Erste sein, die den Sbirren und Gendarmen zu verrathen, wenn sie ihn zum Lügner machten!«

»Hoffen wir also das Beste«, sagte der Bildhauer. »Es wäre verzweifelt unangenehm, wenn sie auch uns davon schleppten. Unsere Freunde in den Tre Ladroni würden wohl sofort zur Versteigerung meiner berühmten Ajaxgruppe schreiten, aber es wäre fraglich, ob die Räuber mit dem Erlös zu befriedigen wären!«

»Sehr fraglich!« lächelte Friedrich … »wir thun also am Besten, diese Sorge nicht an uns kommen zu lassen.«

»Es ist eine Stille und Verlassenheit hier in dieser Waldeinsamkeit«, sagte Charlotte … »ich begreife gar nicht, wie ich mich früher ein paarmal mit den Kindern, nur von Selim begleitet, so weit hineinwagte! Aber man redete ja bisher gar nicht von Räubern diesseits des Gebirges!«

»Sie werden eben immer frecher!« fiel der Bildhauer ein.

»In Frascati liegt eine französische Garnison«, entgegnete Friedrich. »Es kann ihnen unmöglich in deren Nähe behaglich zu Muthe ein. Sie werden desto eifriger darauf bedacht sein, dies Geschäft mit uns rasch abzumachen, um wieder aus der Gegend verschwinden zu können, bevor die Geschichte ihnen die Militärpatrouillen auf den Hals zieht!«

Man hörte das Rauschen von Wasser.

»Wir sind zur Stelle!« sagte Charlotte aufathmend.

»Es ist drei Viertel auf Sechs«, bemerkte der Bildhauer, nach der Uhr sehend … »daß wir zu spät kommen, wird man uns wenigstens nicht vorwerfen können!«

Der Weg warf sich ein wenig links hin, in eine kleine Lichtung, an der sich links eine Felswand erhob, die von Moosen und Epheu dicht bekleidet und von Kastanien beschattet war, welche ihre Wipfel an das graue Gestein drängten. Aus einer dunklen Grotte am Fuß der Felswand sprudelte eine reiche Quelle hervor, füllte ein kleines Becken, über dem die feuchten Felswände der Grotte hingen, mit krystallhellem Wasser und ergoß sich dann weiter quer über den fortlaufenden Weg durch eine tief in den Felsboden ausgespülte Rinne und endlich einen steilen waldbewachsenen Abhang hinunter.

Am Rande des kleinen Wasserbeckens waren ein paar Steinblöcke so gelegt, daß sie sehr bequeme Plätze zum Sitzen darboten; und über der Wassergrotte war in den Felsen eine Nische gehauen, in welcher die verstümmelte Steinfigur irgend eines Heiligen stand … nur ein Cuvier der Hagiologie hätte aus diesem fossilen – Bruchstück die Spezies desselben bestimmen können … auf das Genus Mönch deutete die Kutte und der Strick, die der Heilige trug.

Es war ein wunderlicher »Genius des Orts«, aber ein stilles Walten war jedenfalls ein den Wanderer mit Dank erfüllendes; er gewährte Ruhe, Schatten, Kühlung und Labung – im ganzen Gebirge war keine Stelle, die trauter, lieblicher und malerischer gewesen wäre.

Unsere Wanderer ließen sich auf den Steinen nieder – sie trockneten ihre Stirn, und Watler improvisierte aus dem großen Blatt einer Wasserpflanze einen kleinen Becher, in welchen sich Charlotte eine Erfrischung aus der Quelle schöpfte.

Und dann kam eine Zeit peinlichen Harrens.

Nichts ließ sich sehen oder hören. Kein Schritt nahte. Kein Pfiff tönte durch den Wald. Nicht einmal ein harmloser Wanderer, der des Weges gezogen wäre, kam heute in diese stille, entlegene Bergwelt.

Friedrich blickte nach der Sonne, die schräg durch die Wipfel der Bäume ihre Strahlen warf.

Der Bildhauer hatte die Uhr in der Hand. Der Zeiger schlich entsetzlich langsam. Und doch verging eine Viertelstunde nach der andern … eine ganze volle Stunde endlich.

Auch Friedrich konnte sich der peinigendsten Sorge nicht mehr erwehren, so laut er auch betheuerte, man habe Unrecht, sich der Sorge hinzugeben. »Vor Sonnen-Untergang«, so lautete die Verabredung. Die Sonne war noch immer nicht untergegangen!

»Sollten wir nicht wohl daran thun, etwas weiter ins Gebirge hineinzugehen?« fragte Charlotte, sich in ihrer Beängstigung erhebend.

»Halten wir uns an die Verabredung«, fiel der Bildhauer ein.

»Ich höre kommen!« rief Friedrich aus.

»In der That … auch ich höre Schritte!«

Es waren Schritte, die vernehmbar wurden. Aber sie kamen von unten, von der Seite Frascati's her. Sie kamen näher; durch das Grün schritt ein anständig gekleidetes Mädchen, » una ragazza« von ungefähr fünfzehn oder sechzehn Jahren, herauf. Sie trug einen Korb am Arme, schien durchaus nicht verwundert, die Gesellschaft hier zu finden, grüßte lächelnd mit einem:

» Bona sera, Signori!«

und knieete neben der Quelle, um, darüber gebückt, zu trinken.

Dann sah sie die drei Harrenden der Reihe nach neugierig an und sagte: » Che aspettate – worauf wartet Ihr?«

»Auf Galantuomini, die uns versprochen haben, zu kommen und, wie es scheint, vergessen, Wort zu halten!« versetzte Friedrich, der beim ersten Wort, das sie gesprochen, die Stimme wiedererkannte.

»O Galantuomini halten ihr Wort, sicuro, sicuro«, antwortete lachend die Ragazza, und schritt mit ihrem Korbe weiter in den Wald hinein.

»Ich muß das Mädchen schon in Frascati gesehen haben!« sagte Charlotte.

»Leicht möglich«, versetzte Friedrich … »Sie ist ganz gewiß auf dem Wege zu unsern Galantuomini, deren Spionin sie ist … ich kenne sie auch … ich hörte sie neulich in der Nacht mit einem … aber horch, horch … was ist das? …«

Der Bildhauer, welcher dem Mädchen nachgeschaut hatte, deutete jetzt mit einem leisen Ausruf plötzlich in die Höhe, von der er etwas wie – durch Gestrüpp oder Zweige hatte rascheln hören; zugleich fielen Brocken Erde und kleine Steine von oben nieder und trübten den Spiegel des Quellgewässers.

Hoch oben an der Felswand, an einer Stelle, die nur einer Geme erreichbar schien, stand ein wüst aussehender Mensch in Hemdärmeln, die Manchesterjacke über der Schulter, den spitzen Hut mit breitem, verblichenem grünen Bande schief auf den Kopf gedrückt; eine Büchse in der einen Hand, die andere Hand auf eine Felskante gelegt. So schaute er ruhig dastehend auf die Scene tief unter ihm.

Friedrich hatte ihn kaum ins Auge gefaßt, als ein anderes Geräusch sein Ohr traf und Charlotte einen leisen Schrei ausstieß. Als Friedrich der Richtung ihrer Augen folgte, sah er zwei ähnliche spitze Hüte und darunter zwei eben so häßliche, von vernachlässigtem Haar- und Bartwuchs umwucherte dunkle Köpfe aus der Tiefe rechts, da wo der Abhang sich steil absenkte, auftauchen. Das ruhige Weiterschreiten der Ragazza schien das verabredete Signal zu dieser Umzingelung der Harrenden gewesen zu sein … das Mädchen hatte, dicht an der Gruppe vorübergehend, sich wohl erst überzeugen sollen, daß keine Gefahr dafür ihre Freunde.

Die beiden aufsteigenden Räuber trugen ebenfalls jeder eine Büchse und an der Seite schwarzlederne Hirtentaschen. Waffen waren weiter nicht an ihnen sichtbar; die Füße steckten in Bundschuhen; der Eine trug ein feines, rothseidenes Tuch um den Hals geschlungen, der Andere eine schwere goldene Uhrkette über der schmutzigen Weste, und seine Hemdärmel zeigten sehr feine weiße Leinwand, während die über die Schulter geworfene schwarze Jacke zerlumpt und geflickt war.

Es war unmöglich, bei dem plötzlichen Anblick dieses Gesindels nicht zu erschrecken und sich die ängstliche Frage nicht zu wiederholen: mit welcher Absicht kommen sie – zu Krieg oder wirklich zum Frieden?

Unterdeß waren die beiden aufsteigenden Räuber oben angekommen und blieben stehen. Der Eine winkte.

Friedrich trat ihm um einige Schritte entgegen. »Habt Ihr das Geld?« sagte der Räuber.

»Habt Ihr die Kinder?« versetzte Friedrich.

»Wir haben sie, wenn Ihr das Geld habt!«

»Wo sind sie?«

»Sie kommen. Legt das Geld da vor Euch nieder und dann zieht Euch zurück.«

Friedrich warf einen fragenden Blick auf den Bildhauer, wie ungewiß, was er thun solle.

Karl Watler aber fühlte sich, wie es schien, gedrängt, die Sache rasch zu erledigen und jedenfalls gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er ergriff seinen Reisesack, trug ihn rasch an den bezeichneten Platz und öffnete das Schloß.

»Jetzt zurück!« sagte der Räuber.

Als man ihnen gehorcht hatte, fielen die beiden Banditen über die Reisetasche her; sie hockten sich auf der Erde nieder, hoben die beiden Beutel heraus und begannen, den Inhalt des ersten zu zählen, indem sie die Goldstücke wieder in die Reisetasche fallen ließen; der dritte Räuber kam von oben her, von einem Felsenstande heruntergeklettert, bemächtigte sich des zweiten Beutels und begann ebenfalls zu zählen.

Es schien, sie waren weder im Zählen noch im Berechnen ungeschickt. Nach einer Weile standen sie auf, steckten die beiden geleerten Beutel dem Golde nach in die Tasche und der, welcher vorhin den Sprecher gemacht hatte, sagte:

» Vabene. Sono cinque milia. Grazie, Signori!«

» Ma i fanciulli! Aber die Kinder«, rief Friedrich beängstigt … Charlotte hing aus Angst, während alles dessen die Kinder nicht erscheinen zu sehen, halb ohnmächtig in seinem Arm.

» Vengono, vengono!« Sie kommen. – Anm.d.Hrsg. versetzte der Räuber und warf seine Büchse über den Rücken, während er die Reisetasche unter den Arm nahm.

Mit einem: » Felice Notte!« schritt er dann davon; die beiden Anderen folgten ihm, nachdem der Eine noch Charlotte lächelnd gegrüßt und dabei gesagt hatte: » Non avete paura. Vengono!«

»Der Teufel hole diese Schurken mit ihrem Vengono! Sind wir die Geprellten oder sind wir es nicht?« rief der Bildhauer aus.

Charlotte machte eine heftige Bewegung vorwärts. Sie riß sich vom Arme Friedrichs los und eilte den Weg hinauf.

Die beiden Freunde vernahmen zugleich Fußschritte, leichte, trippelnde, laufende Schritte, die zwischen dem schweren Schreiten der rechts ab unter den Stämmen und den Gesträuchen verschwindenden Räuber hörbar wurden – Friedrich und Watler eilten Charlotten nach und sahen im nächsten Augenblicke um die Wendung des Fußsteigs die beiden Kinder herankommen und sich jubelnd in die Arme ihrer Charlotte stürzen.

Die Aermsten sahen ein wenig verweint und verwildert aus, und ihre saubern Anzüge vom gestrigen Tage waren arg mitgenommen – aber sie selbst waren vollständig unverletzt und ungehärmt.

Einen Augenblick darauf kam auch Selim um die Wendung des Waldweges. Er blickte sehr zornig und tückisch drein. Die Freude über eine rasche Befreiung, schien es, hatte seinen Unmuth über die Behandlung, welche er erlitten, nicht auslöschen können.

»Sie sind's, der uns aus den Händen dieser Schurken gerettet hat?« sagte er, Friedrich ansehend. »Oder Sie, Fräulein Charlotte? Ich kann Ihnen sagen, es war Zeit! Sie hätten mich umgebracht, diese Bösewichte! Wahrhaftig, ich danke Ihnen! … Diese Elenden, diese Hunde!«

Selim drohte den verschwundenen Räubern mit der geballten Faust nach.

»Sind sie nicht glimpflich mit Euch umgegangen, Selim?« fragte Friedrich.

»Das können wir auf dem Wege hören«, rief Charlotte, die jubelnd die kleine Marie auf den Arm genommen hatte … »jetzt nur fort, fort, daß wir heimkommen.«

Friedrich wollte den Knaben auf einen Arm nehmen, der aber versicherte, daß er nicht müde sei und laufen wolle. So eilte man heimwärts und ließ sich von Selim erzählen, der berichtete, daß die Räuber die Kinder während der Nacht und der Morgenstunden in einem einsamliegenden Hause jenseits des Campo di Hannibale untergebracht, ihn aber bei sich behalten und gezwungen hätten, mit ihnen im Walde zu bivouakiren und daß sie dabei sehr schlecht mit ihm umgegangen seien. Es schien, sie hatten durch Anspielungen auf seinen außergewöhnlich dunklen Teint, durch Zweifel, ob er ein Christiano und überhaupt ein Mensch wie andere Menschen, Selim's in dieser Beziehung höchst empfindliches Ehrgefühl gereizt und ihn zu Aeußerungen hingerissen, die ihm nichts als Kolbenstöße, Fußtritte und Drohungen, ihm die großen, schwarzen Ohren abschneiden zu wollen, eingebracht hatten.

Die Kinder bedurften einiger Zeit, um sich zu finden und wieder zu sich selbst zu kommen. Als dies geschehen, ergänzten die Beide, lebhaft durcheinander plaudernd, Selim's Berichte. Aus ihrer anfänglichen Verschüchterung und Kleinmüthigkeit wurde nach und nach eine fieberhafte Aufregung, welche nur wuchs, je näher man der Villa kam. Auch dort, wo man etwa drei Viertelstunden früher anlangte, als der Graf und die Gräfin Brechtal zurückerwartet werden konnten, gelang es Charlotte nicht, diese Aufregung zu beschwichtigen. Und so stürzten die beiden Geraubten und wieder Gewonnenen denn mit lautem Rufen den Eltern entgegen, als diese, mit dem letzten Zuge von Rom angekommen, auf dem von nächtlicher Dämmerung erfüllten Hofe der Villa sichtbar wurden.

Wir brauchen die Scene, die nach den ersten Mittheilungen der Kinder folgte, nicht zu schildern. Die Gräfin Brechtal schien anfangs gar nicht zu fassen, um was es sich handle, dann hielt sie sich an der Schulter ihres Mannes fest, wie um nicht in Ohnmacht zu fallen. Graf Brechtal's Gesicht drückte Empörung und Zorn aus; er hielt den Kopf eines Knaben zwischen seinen beiden Händen und schaute dabei drohend auf Selim, der sich, eifrig gestikulierend, auf Charlottens Befehl, nach der entfernten Quelle zu gehen, berief und dem Umstand, daß Fräulein Charlotte ihnen nicht dahin rechtzeitig gefolgt, alle Schuld beizumessen schien, als ob die Räuber durch Charlottens Anwesenheit sich hätten abhalten lassen, ihren Streich auszuführen! –

Fräulein Charlotte aber sagte mit einem schüchternen und flehenden Tone zur Gräfin:

»Verurtheilen, trafen Sie mich – ich habe alle Schuld; aber danken Sie Herrn Hild, er hat Alles, Alles gethan, es wieder gut zu machen!«

»Ich finde es unverantwortlich«, rief jetzt der Graf, zu dem Maler gewandt, aus, »daß Sie uns das Alles heute verschwiegen! Weshalb sagten Sie uns in Rom keine Sylbe davon? Ich muß gestehen, das ist stark!«

»Meine Verantwortung ist, daß Sie die Kinder wohlbehalten vor sich sehen!« versetzte Friedrich ruhig. »Ich habe der Frau Gräfin dadurch ein tödtliches Erschrecken erspart. War es unrecht?«

»Es war unrecht … rief der Graf erbittert aus.

»So hören Sie meine weitere Vertheidigung. – Die Kinder standen während Ihrer Abwesenheit unter Fräulein Charlottens Obhut; sie hatte die Pflicht, sie Ihnen zu übergeben, sobald Sie zurückkamen, und für Fräulein Charlotte zu handeln hatte ich die Pflicht und das Recht – Fräulein Charlotte ist seit heute meine Braut!«

Die Gräfin sah fragend zu Charlotte auf, dann lächelte sie freundlich, und Friedrich die noch zitternde Hand reichend, sagte sie:

»Dann wollen wir anerkennen, daß Sie recht handelten. Und wir wollen Ihnen ewig dankbar sein, um dessentwillen, was Sie gethan! Ewig. Auch der Graf wird es sein. Charlotte Ihre Braut! Nun sind Sie ja doch zu uns zurückgeführt, trotz all' Ihres Widerstrebens! Denn Charlotte wird immer meine beste Freundin sein und auch Sie uns erhalten, an uns fesseln! Und nun gehen wir hinein … ich bin dem Umsinken nahe, und der Kopf schwindelt mir von diesem Allem!«

»Meine Frau spricht wahr«, sagte jetzt der Graf, Friedrich ebenfalls eine Hand hinstreckend; »es wäre undankbar von mir, wenn ich mit Ihnen rechten wollte. Wir sind Ihnen Dank schuldig – unendlich großen Dank! Es freut mich, daß wir Ihnen danken können, daß es unser Haus ist, welches Ihnen das giebt, was Ihr Glück sein wird – eine Frau wie Charlotte!«



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