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VII.

In der Nacht schloß Friedrich Hild fast kein Auge Er war sehr beschäftigt in dieser Nacht. Er dachte an seine Vergangenheit und sein Leben, und mehr noch an Charlotte und das ihre; und beide Leben sah er zusammenrinnen in eines, und für dies eine Leben bauten seine wachen Träume, die kühn über alle Zweifel und Hemmnisse wegflogen, das trauteste und lieblichste Heim auf. Es war ein hübsches kleines Quartier nach der Sonnenseite in Rom; und an dies Quartier stieß ein kleiner Garten, mit plätscherndem Brunnen in der Mitte, mit blühenden Rosen das ganze Jahr hindurch und mit Orangenbäumen, die im Frühjahr ganz voll weißer duftiger Blüten und im Winter voll großer goldener Früchte hingen.

Und so verging die Nacht. Und auch der Morgen verging, wenn auch für unsern Künstler in peinvoller Spannung, und als es fast elf Uhr war, verließ Friedrich Hild seine Wohnung und wanderte hinüber in die Villa Falconieri.

Auf dem Hofe war es still; unter der Loggia stand die Portalthüre, welche in den großen kühlen Saal führte, offen. Als Friedrich darauf zuschritt und auf die Schwelle des Saales trat, fand er Selim darin beschäftigt, den Tisch zu einem Frühstück herzurichten. Der schwarze Tafeldecker paßte sehr gut in diesen Raum mit den abenteuerlichen Figuren, die an den Wänden standen, hinter gemalten Vorhängen hervorschauten, sich über täuschend naturwahr dargestellte Balustraden beugten und ein närrisches Karnevalvolk waren.

»Sie, Signor Frederico?« sagte der Mohr aufschauend, »so früh?«

»Ich wünsche Fräulein Charlotte sprechen zu können!«

»Ah, Sie wollen Fräulein Charlotte sprechen!«

»Nun ja – ist Euch das nicht recht, Signor Selim?«

»Recht? Mir sehr recht. Aber Sie werden sie nicht sprechen können und wahrscheinlich wird sie Ihnen auch nicht mehr als Modell sitzen können, Signor Frederico.«

»Und weshalb das nicht?« fragte Friedrich, die Farbe wechselnd.

»Sie werden sie nicht sprechen können, weil sie nicht zu Hause ist.«

»Nicht zu Hause, jetzt, in der Mittagshitze?«

»Jetzt, in der Mittagshitze«, bejahte Selim. »Die Herrschaften sind mit einander zur Eisenbahn gegangen, um dort den Herrn in Empfang zu nehmen, der diesen Morgen ankommt.«

»Den Herrn? Wer ist der Herr? Doch nicht …«

»Der Herr ist der Herr … und sehr der Herr, Signor Frederico, das kann ich Sie versichern.«

»Ach, also der Mann der Gräfin, der Graf Brechtal wohl!« rief Friedrich aus.

Die Mittheilung war ihm nicht angenehm, er wußte selbst nicht warum. Aber wenn man in der Gemüthsstimmung ist, worin unser Maler war, und darin Beziehungen zu einem Hause, einer Familie angeknüpft hat, scheint uns die Vermehrung des männlichen Elements in diesem Hause nie gerade wünschenswerth.

»Graf Brechtal!« wiederholte Selim.

»Der fällt ja wie vom Mond herunter!« fuhr Friedrich fort … »ich habe die Damen nie von einem solchen Herrn reden hören.«

»Nicht?« fragte Selim, den Maler mit einem listig forschenden Blicke streifend. »Sie sehen, er ist aber doch da und fällt nicht vom Monde herunter, sondern er kommt von Nizza.«

»Er war in Nizza und ließ seine Frau allein nach Rom reisen, allein in Frascati?«

»Darüber haben Sie doch nicht zu klagen gehabt?« lachte Selim auf. »Aber daß er kommt, mag Ihnen störsam erscheinen – er ist ein etwas lebhafter Herr und ein wenig hochmüthig – Fräulein Charlottens Modellsitzungen werden nun wohl eingestellt werden müssen, fürcht' ich, Signor Frederico.«

Signor Frederico biß sich mißvergnügt auf die Lippen.

»Nun, dann auf ein anderes Mal«, sagte er, sich plötzlich zum Gehen wendend. »Adieu, Selim; Ihr braucht nicht zu melden, daß ich dagewesen bin.«

»Es wird besser sein, das zu unterlassen«, murmelte der Mohr, indem er dem fortgehenden Maler mit schadenfrohem Lächeln nachblickte.

Friedrich Hild war sehr unglücklich über die Nachricht, welche er erhalten. Sein Herz war zum Ueberschäumen voll und er sollte jetzt nicht reden dürfen, Charlotte jetzt nicht sehen! Und wann sollte er sie sehen? Heute noch? War das möglich? Vielleicht … vielleicht war Charlotte um so freier jetzt, wo der Herr da war – um so mehr allein; vielleicht aber auch war es umgekehrt, vielleicht war sie jetzt mehr an den Familienkreis gekettet. Freilich am ersten Tage, ließ sich annehmen, wollte Graf Brechtal mit seiner Gemahlin allein sein und sich aussprechen; gerade heute und morgen vielleicht war Fräulein Charlotte mehr als je sonst sich selbst überlassen. Friedrich durfte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen.

Am Besten wäre es gewesen, mit Selim zu berathschlagen, wann er am schicklichsten wiederkommen solle, um Fräulein Charlotte zu sprechen; wenn Selim ihm nur nicht heute so widerwärtig, so doppelt impertinent vorgekommen wäre. Selim mußte sich offenbar noch mehr fühlen als sonst; an Selbstgefühl ließ er es auch früher nicht fehlen, heute aber hatte sich etwas von Frechheit dareingemischt. Er mußte wie eine Verstärkung seiner Stellung, seinen Rückhalt an dem kommenden Herrn zu finden in Aussicht haben. Vielleicht standen sie sehr vertraut, und Selim hatte dann nichts Eiligeres zu thun, als den Herrn von dem auffallenden Verkehr, der sich zwischen der Gouvernante und dem Maler angesponnen, zu unterrichten; und das konnte Fräulein Charlotte sehr unangenehm sein – wenigstens fürs Erste noch!

Es gab nur ein Auskunftmittel, zu dem sich Friedrich deshalb, wenn auch mit einigem Widerstreben, entschloß. Dies war, zu schreiben. Friedrich schrieb, wie viele Maler, eine etwas unschöne, unausgebildete, kindische Hand; sie war sehr wenig geübt; er hatte in seinem Leben wenig Gelegenheit gefunden, mit irgend Jemandem Gefühle oder Gedanken auszutauschen; wenig freudige oder traurige Veranlassungen, welche ihm die Feder in die Hand gedrückt hätten; er hatte nie in dem kleinen Kriege der Liebe gestanden, die sich mit leichten, weißen oder rosarothen Geschossen aus der Ferne bewirft; nie in einem Freundschaftsbündnisse, das fortwährend schwarze Fäden zieht, um ein weißes Papier wickelt und die Knäuel sich einander zuwirft. Seine jüngste Correspondenz mit Karl Watler war die lebhafteste gewesen, die er seit langer Zeit geführt … in einer Stimmung eigenthümlicher Unruhe und gesteigertem Bedürfniß der Mittheilung.

Darum schrieb er nicht gern, aber er schrieb doch. Der Brief lautete:

»Mein hochverehrtes Fräulein!

Darf ich es wagen, als den dringendsten Wunsch meiner Seele Ihnen das Verlangen auszusprechen, daß unsere Unterredung von gestern eine Fortsetzung finde? Ich würde Ihnen aus tiefstem Grunde des Herzens dankbar sein, wenn Sie mir vergönnten, Ihnen einen Besuch machen zu dürfen, bei dem ich Sie, wenn auch nur auf kurze Zeit, ungestört sprechen würde … zu jeder Stunde des Tages, die Sie zu bestimmen geruhen könnten!

In unbegrenzter Verehrung Ihr

Friedrich Hild.

Nachdem unser Maler diese Zeilen so sauber wie möglich zu Papier gebracht und gesiegelt, rief er seinen dienstbaren Geist herbei, eine Donna mittleren Alters in einem amazonenhaften Sommercostüme, die bei ihrem Erscheinen eifrig beschäftigt war, sich ihre schwarzen Haarzöpfe fest zu stecken – Donna Teresa begann jede Verrichtung mit einer erneuten Befestigung ihrer auseinanderfallenden Haarzöpfe. Friedrich hatte unterdeß Zeit, ihr anzudeuten, daß er einen gewissen Aufwand von Klugheit und Vorsicht bei der Besorgung des Briefes wünschenswerth finde; daß es namentlich nicht nöthig sei, den Neger damit zu betrauen … und Donna Teresa hatte während ihres Kampfes mit den widerspenstigen Zöpfen Zeit, ihren Signore Frederico vollständig und gründlich zu begreifen, was sie durch ein schlaues:

» Eh, capisco, capisco!«

und ein noch schlaueres Lächeln und ein allerschlauestes Hinüberblinzeln zu dem Bilde Charlottens auf der Staffelei andeutete.

Donna Teresa eilte dann mit dem Briefe davon und kam nach einer Viertelstunde zurück.

Sie hatte ihren Auftrag aufs Allerbeste ausgerichtet. Sie hatte sich in die Küche der Villa Falconieri begeben, mit der italienischen Köchin ein Gespräch angeknüpft und da die Gelegenheit abgewartet, bis die Kammerfrau der fremden Signora durch die Küche gekommen, und dieser hatte sie das Brieflein zugesteckt. Die Kammerfrau hatte es mit der ganzen Berücksichtigung, welche ein Frauengemüth einer solchen Angelegenheit widmet, entgegengenommen.

Das bestätigte denn auch glorreich der weitere Verlauf der Dinge. Friedrich war in den späteren Nachmittagsstunden, als es kühler geworden, nach Tusculum hinauf geschlendert. Er hatte sein Malzeug nicht mitgenommen, er hatte nicht skizziert, er hatte nur einer inneren Unruhe nachgegeben, der peinigenden Spannung, die ihn umher trieb.

Als er in der Dämmerung zurückkam, saß Donna Teresa auf der Bank vor den Eingangsportal in das alte Villengebäude; sie winkte ihm, sie flüsterte:

» Eh, caro Signore – c'e una risposta!«

und dann stand sie auf und nestelte ihre Haarzöpfe fest, und als dies glücklich einmal wieder zu Stande gebracht, schlürfte sie vor Friedrich hinein und holte aus ihrer Kammer im Erdgeschoß ein sehr zierliches und duftiges Billet.

Friedrich Hild nahm es, flog damit in athemloser Hast auf sein Zimmer, zündete Licht an und las das Billet. Es enthielt die von einer großen, hübschen, vornehmen Hand geschriebenen Zeilen:

»Haben Sie die Güte, heute Abend um elf Uhr sich an der Rückseite des Kasinos der Villa Falconieri einzufinden. Wenn Sie ein Licht in dem westlichen Eckzimmer, im ersten Stock des Gebäudes bemerken, so kommen Sie die kleine Treppe herauf, welche auf den an der hintern Zimmerreihe entlang laufenden Balkon führt. Sie werden das Gitterthor, das die Treppe abschließt, geöffnet finden.«

Das war genug. Friedrich drückte das Billet mehrmals an seine Lippen … er war überglücklich, überselig.



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