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X.

Friedrich Hild hatte nach der Unterredung mit Charlotte seinen Brief nicht zur Post tragen lassen – die päpstliche Postverwaltung, welche im Allgemeinen den Grundsatz hat, daß vieles Briefschreiben und Correspondieren dem Seelenheil nicht förderlich und deshalb durch ein öffentliches Institut nicht zu begünstigen ist, war ihm nicht prompt und sicher genug. Er war zum Eisenbahnhof gegangen und hatte seinem Freunde telegraphiren lassen, daß er herauskommen solle.

Karl Watler trat am späten Nachmittage, gefolgt von einem Buben, der ihm eine Reisetasche trug, in Friedrichs Atelier in der Villa Piccolomini.

Er war ein kräftiger Mann von über dreißig Jahren, gedrungener und kleiner als Friedrich, mit einem starken löwenhaften Kopf, den ein üppiges, blondes Mähnenhaar umgab.

Sobald er seinen Freund, der ihm rasch entgegentrat, um ihm die Hand zu schütteln, angeblickt hatte, sagte er:

»Mensch, wie siehst Du aus … was ist geschehen … was hat man Dir, Du armes Kind, gethan?«

»Lohne Deinen Burschen ab und mach' Dir's bequem«, versetzte Friedrich.

Karl that es und sich dann auf den Eckdivan, an welchem vor zwei Tagen die Kinder gespielt hatten, werfend, fuhr er fort:

»Nun berichte … was ist Dir zugestoßen?«

»Erstens«, versetzte Friedrich, »habe ich mich verliebt … zweitens habe ich einen Korb bekommen und drittens habe ich ein Pistolenduell am Halse!«

»Allerdings viel auf einmal«, sagte der Bildhauer – »und genug, daß eine so stille Seele, wie Du, darüber die Tramontane verliert; aber ich denke, bei all diesem vielfältigen Unglück auf einmal tröstet das eine für das andere; weil Du Dein Testament machen mußt, wirst Du nicht an den Korb denken; und weil Du einen Korb bekommen hast, wirst Du Dir nichts daraus machen, todtgeschossen zu werden. Gieb mir eine von Deinen ›Scelti‹ dort und dann wollen wir die Dinge der Reihe nach besprechen.«

Friedrich reichte ihm das Kistchen mit den Regie-Cigarren, und nachdem Karl Watler eine daraus genommen und entzündet hatte, streckte er sich bequem aus und sagte:

»Also beginnen wir … und zwar damit, daß Du mir einen gründlichen Vortrag über alles Vorgefallene hältst.«

Friedrich setzte sich neben ihn und erzählte ihm aufrichtig den ganzen Hergang. Watler hörte ihm aufmerksam zu, bis er zu Ende war.

»Du Duckmäuser!« rief er dann aus, »daß Du von dieser Deiner ganzen Jugendgeschichte nie eine Sylbe gesagt hast … Deinen besten Freunden nicht! Und das also«, fügte er hinzu, indem er auf das Bild deutete, welches vor ihm auf der Staffelei stand – »das ist Charlotte?«

»Es ist ungefähr Charlotte – ich bin nicht damit zufrieden.«

»Hübsch ist sie … aber es liegt etwas Ueberlegendes, Kluges in ihrem Gesicht, das mir nicht gefällt. Doch will ich Dir einräumen, daß man sich sterblich darin verlieben könnte, vorausgesetzt, daß man überhaupt solchen chronischen Schwächezuständen zugänglich ist. Und willst Du nun meinen Rath?«

»Was ist viel zu rathen bei allem dem?« entgegnete Friedrich niedergeschlagen. »Die Sachen liegen wie sie liegen. Mit dieser Gräfin Brechtal bin ich entschlossen, weiter keine Berührungen zu suchen. Mag die Recht haben mit ihrer Voraussetzung …«

»Das hat sie denn doch am Ende!« fiel Karl Watler ein.

»Nun, meinethalb; aber ich will nichts von diesen Menschen, das begreifst Du doch?«

»So halb und halb, ja, doch nicht ganz. Sie kommt Dir doch, scheint es, mit den redlichsten Absichten von der Welt entgegen und bietet Dir Dinge, die nicht zu verachten sind.«

»Können die mich glücklich machen? Ich weiß nur, daß die Berührung mit diesen Leuten meine Eltern sehr unglücklich gemacht hat, und daß sie jetzt mich wieder sehr unglücklich gemacht hat.« »Das ist nicht die Schuld dieser Leute, sondern Deine eigene. Du hättest die Eröffnungen der Gräfin nur anders aufnehmen sollen, und Du wärst nicht unglücklich geworden.«

»Hätte es irgend etwas geändert? Höchstens würde es dann wohl nicht zu dem Duell kommen! Was liegt mir daran? Charlotte hätte darum nicht anders gedacht, nicht anders gefühlt, nicht weniger darum mich zurückgewiesen – denn daß sie mich vollständig, hoffnungslos und entschieden mit ihren kalten Worten zurückgewiesen, darüber mach' ich mir jetzt keine Täuschung mehr, es ist mir beim Nachdenken im Laufe des Tages gründlich klar geworden.«

Karl Watler machte eine sehr altkluge, sehr überlegene und fast ein wenig spöttische Miene und sagte dann, indem er ein blaues Dampfwölkchen in die Höhe blies:

»Stille Seele, Du bist sehr naiv!«

»Wie so naiv?«

»Naiv, daß Du von dem Zusammenhang der Dinge keine Ahnung hast.«

»Glaubst Du ihn besser zu durchschauen als ich?«

»Allerdings, edler Kunstgenosse. Ich glaube ihn besser zu durchschauen. Erstens, weil ich nicht verliebt bin, und zweitens, weil ich das Frauenvolk kenne.«

»Und wie ist der Zusammenhang?«

»Er ist also: dieses Fräulein Gouvernante, das die Frau Gräfin in ihren Nachforschungen unterstützt hat, hat Dich hier gesehen und ihren Eifer in diesen Nachforschungen verdoppelt gefühlt. Sie hat gedacht: das ist ja ein hübscher, reputierlich aussehender Mensch, dieser verlorene Sohn, und, wie Selim sagt, hat er anständige Lebensgewohnheiten. Er könnte Dir gefallen, wenn er im Stande wäre, Dir ein recht gutes, mehr oder minder glänzendes Loos zu bieten. Die fünfzigtausend Gulden, welche die Gräfin ihm schenken will, reichen dazu hin. Wenn ein Maler von einigem Talent und Namen ein Vermögen von fünfzigtausend Gulden hat, so ist er im Grunde eine brillante Partie. Also kommen wir ihm entgegen, kokettieren wir ein wenig mit ihm und die Eroberung ist dann leicht gemacht. Gesagt, gethan! Man hat kokettiert – und die Eroberung ist gemacht worden; sie ist vollständig gemacht worden, wie Figura zeigt Ironische Verwendung einer Formel, mit der damals in wissenschaftlichen Abhandlungen auf beigegebene Abbildungen verwiesen wurde. – Anm.d.Hrsg.. Dann aber tritt das Unerwartete, das ganz Unglaubliche ein. Dieser merkwürdige verlorene Sohn ist ein Original, ein verrücktes Genie, ein Philosoph; er will nichts hören von seiner verlorenen Sohnschaft, er will bei seinen Träbern Treber bzw. Träber bezeichnet die Rückstände des Braumalzes; er wird gern als Futtermittel in der Milchviehwirtschaft verwendet. In der Deutung der ironischen Anspielung wird so aus dem Angesprochenen ein ›Rindvieh‹. – Anm.d.Hrsg. bleiben und nichts genießen von dem Kalbe, das man ihm schlachten will. Er weist Alles ab und auch die glänzende Grundlage eines Bündnisses, das man ein wenig in Aussicht genommen hat. Mit dem Bündnisse also ist es nichts. Man muß sich jetzt so rasch wie möglich und auf so gute Art wie möglich aus der Sache ziehen. Man hat ja einen guten Vorwand; man kann sich beleidigt stellen, weil man mit seiner offenen, harmlosen, unbefangenen Freundlichkeit mißdeutet sei – das ist der beste Vorwand von der Welt, und so macht man sich schleunigst wieder los. Da hast Du die Genesis der ganzen Geschichte, Kunstgenosse.«

Friedrich Hild hatte, während Karl Watler mit großer Behäbigkeit in den Divan zurückgelehnt und den blauen Dampf von sich blasend so sprach, die Arme auf der Brust verschränkt und vor sich auf den Boden geblickt. Ein verächtliches Lächeln kräuselte seine Lippen, aber er schwieg.

»Nun, was sagst Du dazu?« fragte der Bildhauer. »Habe ich Dich getröstet über den Verlust dieses Fräulein Charlotte?«

»Ich kann Dir darauf gar nicht antworten«, versetzte Friedrich. »Ich will ein Mädchen, wie Charlotte, nicht gegen eine solche abscheuliche Voraussetzung vertheidigen; es wäre eine Beleidigung für sie, wenn ich ein Wort darüber verlöre. Ich kann nur sagen, daß mich das, was Du vorbringst, recht widerwärtig berührt, ich möchte sagen vollständig seekrank macht.«

Der Bildhauer lachte. »Idealist!« sagte er. »Gutmüthiger Schwärmer! Ist das der Dank dafür, daß ich Dich tröste? Ich zerstöre Dir das Ideal, das Dir einen Korb gegeben hat – was kann ein Freund mehr zu Deinem Troste thun?«

»Du bist mein Freund nicht, wenn Du so gemein von ihr denkst!«

»Pst, werde nicht hitzig. Ich kann nicht dafür, wenn die Dinge liegen, wie sie liegen. Weshalb bist Du nicht so klug gewesen, das Geschenk der Gräfin Brechtal anzunehmen? Du würdest dann heute in allen Liebeshimmeln schwelgen.«

»Ich hätte Lust, Dich zur Thür hinauszuwerfen«, sagte Friedrich zornig.

»Warte damit«, antwortete der Bildhauer, »bis Du meiner nicht mehr bedarfst. Für's Erste hast Du mich noch bei Deinem Duell nöthig – und so lange mußt Du schon geduldig zuhören, wenn ich Dir Vernunft predige. Sieh', theurer Freund, Du bist ein guter Mensch, ich will auch Deinem neu entdeckten glänzenden Talent für das Kolorit und die Pinselführung nicht zu nahe treten. Aber Du hast den Fehler, auch die Welt in zu glänzendem Kolorit zu sehen. Du malst Dir die Weiber insbesondere zu himmelblau und zu rosenroth. Euch sentimentalen Jünglingen ist das Alles tiefe Empfindung und reines Gefühl, edle Seelenhaftigkeit und warmes Gemüth. Unsereins, der die Rasse kennt, weiß, wie es damit steht. Das ist altklug und das berechnet. Das überlegt und will seine Sicherheiten. Das giebt sich hin, ja, aber erst muß es wissen, ob es jährlich zu zwei seidenen Kleidern und einer Karosse langt, um Sonntags auf dem Monte Pincio zu fahren. Ist das festgestellt, dann wird es zärtlich, dann ist es jeden Augenblick bereit, sich sterblich zu verlieben. Aber da, wo dies nicht zweckmäßig ist, versteht es seine Gefühle bewundernswürdig zu bezähmen, im Zügel zu halten, zu regeln und zu kühlen. Unsereins, mein Junge, der ein armer Teufel ist, kennt das, und Du machst nun auch Deine Erfahrung.«

Friedrich sprang auf. Ihm war wirklich »seekrank« bei diesen Reden seines Freundes zu Muthe. Hätte er daran glauben müssen, er hätte sich den Tod wünschen können.

»Nun hör'«, fuhr Karl Watler fort, »um Deine Heilung zu vollenden, wollen wir den Versuch machen. Ich will hinübergehen ins feindliche Lager. Ich will dem Grafen Deine Forderung überbringen. Ich will ihm jedoch in Deinem Namen zugleich erklären, daß Du geneigt seit, die Sache gütlich beizulegen. Reiferes Nachdenken habe Dir die Ueberzeugung gegeben, daß die Frau Gräfin mit ihren Voraussetzungen Recht habe und daß Du bereit seist, die Entschädigung, welche sie Dir biete, anzunehmen. Ich will dann mit Fräulein Charlotte reden – als Dein Freiwerber; ich will ihr Deine Sinnesänderung in Bezug auf diese Entschädigung mittheilen und – wir werden hören, was sie sagt!«

»O nimmermehr, nimmermehr!« rief Friedrich Hild aus.

»Du bist ein Thor! Du bist verliebt, Du hast ein Mittel, Dir Gegenliebe zu gewinnen, das Ziel Deiner Wünsche zu erreichen, und Du wirfst dies Mittel von Dir.«

»Gegenliebe!« rief der Maler bitter aus.

»Ganz gewiß. Bietest Du diesem Dämchen ein Loos, wie sie's verlangt, so wird sie sehr bald Dich wirklich lieben … so wie ein Weib es kann, so, was das Liebe nennt!«

»Du bist mir unausstehlich!«

Der Bildhauer lachte.

»Kann's mir denken!« sagte er. »Schadet nichts. Du dankst mir später schon. Ich bin weit entfernt, Dir Deine Angebetete schlecht zu machen. Ich will Dir gern einräumen, daß sie um kein Haar schlimmer ist, als die Beste von ihnen und daß Du nie eine bekommst, die besser ist. Also nimm die Gulden und nimm die Braut.«

Friedrich war aufgesprungen und hatte sich an das Fenster gestellt.

»Ich bitte Dich ernstlich, aufzuhören. Ich habe Dich gebeten zu kommen, um dem Grafen meine Herausforderung zu bringen und mir als Kampfzeuge zu dienen. Willst Du das?«

»Wie Du wünschest!«

»Ich möchte nicht, daß mir der Graf mit seiner Forderung zuvorkäme. Ich bin den ganzen Tag über in der Sorge gewesen, jeden Augenblick seinen Kartellträger eintreten zu sehen. Ich möchte, daß Du jetzt gleich gingest.«

»Jetzt gleich? Nun, meinethalb. Mein Scelto geht zu Ende und wird Asche sein, bis ich ans Thor der Villa Falconieri komme.«

Er erhob sich und begann seine Toilette zu ordnen. Kurze Zeit darauf machte er sich auf den Weg durch die stark hereinbrechende Dunkelheit des Abends.

Als er auf den weiten Vorplatz der Villa kam und dem Gebäude zuschritt, sah er durch die geöffnete Thür in den erleuchteten Saal hinein; er sah im Hintergrunde desselben, an einer gedeckten Tafel, den Grafen und die Gräfin und neben ihnen ihren kleinen Knaben sitzen; hinter Graf Brechtal's Stuhle stand Selim. Der Herr und die Dame schienen im friedlichsten Gespräch, und die ganze Gruppe, beleuchtet von den flammenden Kerzen der Armleuchter, war ein ganz hübsches Bild häuslichen Glücks.

Doch mußte das späte Mittagsmahl der Herrschaft zu Ende sein, denn Fräulein Charlotte war nicht mit da, sie war aufgestanden und ihre Schutzbefohlene, das Töchterlein des gräflichen Ehepaares, an der Hand führend, ging sie, die frische Abendluft zu genießen, auf dem Hofe auf und ab.

Der Bildhauer sah sie, als er ungefähr die Hälfte des Weges zwischen Thor und Gebäude zurückgelegt hatte, aus der Dämmerung heraus auf sich zuschreiten.

Er blieb stehen, machte ihr eine Verbeugung und sagte:

»Verzeihen Sie die Anrede eines Fremden, gnädiges Fräulein. Ich bin ein Freund des Herrn Hild und komme in dessen Auftrage. Es scheint mir von guter Vorbedeutung, daß ich Ihnen begegne, ehe ich den Auftrag ausrichte; er ist ein wenig ernster Natur, und es würde mir eine große Befriedigung gewähren, wenn ich vorher einige Worte zu Ihnen reden dürfte.«

»Und was wünschen Sie mir zu sagen, mein Herr?« entgegnete das junge Mädchen mit einem Tone, der ein gewisses Erschrecken, eine innere Erregung nicht verläugnete.

»Ich setze voraus, daß ich die Ehre habe, mit Fräulein Charlotte zu reden.«

»Ich heiße Charlotte Düring.«

»Dann darf ich ferner voraussetzen, daß Sie gegen Hild mehr freundliche Gesinnungen als gerade das Gegentheil hegen; und was mich angeht, so bin ich sein ältester Freund; und bei einer Lage, wie die seinige ist, haben Freunde, denk' ich, die Verpflichtung, ein wenig die Vorsehung zu spielen. Mein Auftrag ist, den Grafen Brechtal auf Pistolen zu fordern; dieser Auftrag ist mir sehr entschieden und bestimmt gegeben worden. Ich glaube nicht, daß mein Freund in den letzten zehn Jahren seines Lebens ein Pistol abgefeuert hat; vielleicht hat er niemals eines in der Hand gehabt. Vom Grafen Brechtal darf ich annehmen, daß er als vollendeter Kavalier auch sehr gut mit der Schußwaffe umzugehen weiß …«

»In der That«, sagte Charlotte, schwer aufathmend, »er ist ein sehr geübter Schütze … ein außergewöhnlich guter!«

»Mein Freund hat also alle Chancen für sich, todtgeschossen zu werden. Es frägt sich darum: können wir dieses Unglück verhindern?«

Fräulein Charlotte beugte sich zu der kleinen Marie herab und sagte:

»Lauf ins Haus zurück, mein Kind; die Mama verlangt nach Dir!« – und während die Kleine, dem Befehl folgend, ihre Füßchen in Bewegung setzte und über die Steinplatten des Hofes dem Saale zulief, wandte sich Charlotte an den Fremden und sagte: »Folgen Sie mir, mein Herr, wir sind hier seitwärts ungestörter!«

Sie schritt quer über den Vorhof auf die niedere Mauer zu, die den Platz nach Westen abschloß; dort lehnte sie sich an den Mauerkranz und sagte:

»Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?«

»Ich heiße Karl Watler, bin Bildhauer, aus Baden, und schon von Venedig her der Freund Hild's!«

»In der That, Herr Watler«, fuhr jetzt Charlotte flüsternd in offenbarer Aufregung fort, »dies Duell muß vermieden werden! Um jeden Preis! Was ich dazu thun konnte, ist von mir geschehen. Ich habe mit … dem Grafen eine ernste Unterredung gehabt; ich habe ihn beruhigt, nachdem ich ihm das ganze Verhältniß offen mitgeheilt. Obwohl ihm diese Mittheilung keine angenehme sein konnte, habe ich ihm das Versprechen abgewonnen, daß er seinerseits den Herrn Hild nicht fordern lassen, sondern dessen Forderung abwarten will.«

»Diese zu überbringen, habe ich aber den bestimmtesten Auftrag«, fiel Karl Watler ein.

»Das ist schlimm«, sagte Charlotte mit dem Tone großer Sorge. »Und es kommt hinzu, daß des Grafen Argwohn keineswegs ganz beseitigt ist. Er ist nicht völlig zu überzeugen, daß die Geschichte, welche ich ihm erzählte, um ihm die Theilnahme der Gräfin für den fremden Mann zu erklären, wirklich wahr sei, so lange Herr Hild sie ihm nicht bestätigt …«

»Und zu völliger Bestätigung sich gefallen läßt, das zu nehmen, was man ihm bietet!« fiel der Bildhauer ein.

»Eben das!« versetzte Charlotte.

»Es kann Niemand Wunder nehmen«, fuhr Karl Watler fort. »Daß ein Mann so etwas ausschlagen sollte, wenn er es wirklich mit gutem Gewissen nehmen kann, ist sehr seltsam, und dieser Nebenumstand macht die Geschichte, welche Sie dem Grafen erzählt haben, diesem freilich so unwahrscheinlich, daß man ihm seinen Rest von Zweifel nicht übel nehmen darf.«

»Und die Gräfin«, sagte Charlotte, »ist tief bekümmert dadurch; sie möchte so gern noch einmal in Herrn Hild dringen können; sie sieht von dessen Erklärung allein die Rechtfertigung ihres Betragens in den Augen ihres Mannes abhängig, die völlige Herstellung des gestörten Verhältnisses …«

»Aber«, fiel hier Watler ein wenig spöttisch ein, »erlauben Sie mir, mein gnädiges Fräulein, die Bemerkung zu machen, daß da drüben im Salon der Herr Graf und die Frau Gräfin höchst gemüthlich zusammen zu plaudern scheinen.«

»Es hat allerdings so den Anschein«, entgegnete Charlotte. »Der Graf benimmt sich sehr maßvoll und gehalten, sehr ruhig; aber gerade diese Ruhe, diese kühle Gleichgültigkeit muß einer reinen und stolzen Frau doppelt demüthigend und beleidigend erscheinen.«

»Es beweist wenig Liebe, meinen Sie?«

»Gewiß. Aber noch mehr beweist es wenig Vertrauen, wenig Hochachtung überhaupt. Dies ist der Gräfin schmerzlicher, als wenn ihr Gemahl sich aus allen Himmeln gestürzt zeigte oder aufs Heftigste grollte.«

»Wohl denn«, antwortete Watler, »es muß also dieser mißtrauische, eifersüchtige und in der Eifersucht doch so indolent scheinende Graf beschämt, die Gräfin gründlich gerechtfertigt und, was das Wichtigste bei der Sache ist, Freund Hild abgehalten werden, sich todtschießen zu lassen. Um diesen dreifachen Zweck zu erreichen, ist es nöthig, daß mein Freund vermocht wird, wie ein vernünftiger Mensch in einer solchen Lage zu handeln und das Allernatürlichste und Einfachste, was es geben kann, zu thun; auf der Gräfin Frage: hatte ich nicht mit Dir als meines Vaters Pflegesohn zu reden? die Wahrheit zu antworten, und auf ihre Bitte: so laß mich auch mein Gewissen wegen dessen erleichtern, was mein Vater gegen Dich verschuldet haben mag, zu erwiedern: ich begreife und ehre Ihre Gefühle und willige gern in das, was Ihnen eine Gewissenserleichterung scheint.«

»So ist es«, sagte Charlotte lebhaft. »Wenn Sie so viel über ihn vermöchten …«

»Ich, mein verehrtes Fräulein«, versetzte der Bildhauer, »vermag in dieser Angelegenheit sehr wenig über ihn. Ich könnte ihm nur Vernunft predigen, und mein armer Freund ist augenblicklich nicht recht in der Lage, sich viel mit der Vernunft beschäftigen zu können. Er ringt mit einem Schmerze, der sich seiner ganzen Seele bemächtigt hat. Und gerade wegen dieses Schmerzes besteht er mit finsterer Entschlossenheit auf diesem Duell, in dem er sein Leben enden will. Das Leben ist ihm eine Last, ein Meer von Weh, in dem er schwimmt; und von diesem Meere aus gesehen erscheint ihm der Sand, auf den ihn eine erlösende Kugel niederstrecken wird, wie eine rettende Küste. Sie sehen, mit der Vernunft ist da nichts auszurichten – einem verwundeten Gemüth ist nicht mit Gründen beizukommen!«

Watler schwieg einen Augenblick; als auch Charlotte nicht sprach, fuhr er fort:

»Haben Sie mir keine Frage zu stellen, Fräulein Charlotte?« sagte er, umsonst ihre Züge beobachtend, deren Mienenspiel ihm durch die dunkler gewordene Nacht verhüllt wurde.

»Eine Frage? Ich?« sagte sie, wie erschrocken auffahrend.

»Ja, Sie! Die Lage der Dinge ist zu ernst, als daß ich in falsch verstandener Diskretion unterlassen sollte, so offen zu reden, wie ich für meinen Freund reden muß. Er hat eine tiefe und heftige Leidenschaft für Sie gefaßt, so tief und gewaltig, wie eine vereinsamte Künstlerseele ihrer eben fähig ist. Er glaubt diese Leidenschaft von Ihnen unerwiedert, zurückgewiesen; er glaubt dadurch nur das Gefühl des Beleidigt- und Verletztseins in Ihnen hervorgerufen zu haben, Sie hatten den Brief, der nur für Sie bestimmt war, der Gräfin gegeben; wir Künstler haben Alle etwas vom reizbaren Naturell der Poeten; er war dadurch so erbittert, daß er Allem widersprach, was ihm die Gräfin mittheilte, daß er Alles ausschlug, was sie ihm anbot, daß er beim Fortgehen dem Grafen die heftigsten Worte sagte und nun, nachdem er Sie am andern Morgen gesprochen, sich unsäglich unglücklich fühlte. Da haben Sie die Lage der Sache!«

»Aber, mein Gott«, erwiederte Charlotte mit bebender Lippe – »wenn ich vor der Gräfin in dieser Sache keine Geheimnisse haben wollte, so konnte ihn das doch nicht mehr verletzen, sobald ihm Alles aufgeklärt war.«

»Es hat ihn aber nun einmal tief gekränkt – in dieser Stimmung gab er der Gräfin einen Korb …«

»Blos deshalb?« fiel Charlotte mit ungläubigem Tone ein. »Nein, nein – dazu mußte Alles, was die Gräfin ihm sagte, viel zu mächtig auf ihn einstürmen. Sein Schicksal wurde ihm offenbart, das Schicksal seiner Eltern trat vor ihn hin, er hörte von seiner Mutter, die er nie gekannt; da mußten ihn mächtigere, edlere Gefühle bestimmen, als die Gereiztheit, der Verdruß über das, was ich gethan. Vielleicht beleidigte es sein Ehrgefühl, daß man überhaupt glaubte, für die verlorene Heimat ihm Entschädigungen bieten zu dürfen …«

»Mögen Sie darüber denken, wie Sie wollen«, fiel der Bildhauer ein – »ich kann Sie versichern, daß das Gefühl verschmähter Liebe jedenfalls das ist, was ihn in diesem Augenblick am Meisten unglücklich macht!«

Charlotte athmete hörbar schwer auf – aber sie sprach nicht.

»Ist es Ihnen peinlich, daß ein Fremder so offen mit Ihnen über diese Sache redet?«

»Nein, nein – Sie sind sein Freund …«

»So lassen Sie mich als solchen fortfahren; lassen Sie mich die Schlußfolgerung aus Allem dem ziehen: das Zweckmäßigste und Entscheidendste, was hier zu thun, wäre, daß Sie, Fräulein Charlotte, ihm sagten: Sei vernünftig! komm' und erkläre der Gräfin, daß sie auf dem rechten Wege sei, halte still zu Allem, was sie für Dich beabsichtigt, und alsdann will ich Dir erlauben, um meine Hand zu werben!«

Charlotte athmete noch einmal tief auf … es schien, sie wollte sprechen … aber plötzlich verbarg sie ihr Gesicht in beiden Händen.

»Wir haben die richtige Wendung genommen!« sagte sich Watler ironisch lächelnd … und nach einer Pause fügte er hinzu:

»Wenn ich sein Freund nicht wäre, würde ich noch weiter sprechen. Ich würde noch hinzusetzen, daß er ein großes Talent, eine reine und edle Seele, und daß sein Herz treu ist wie Gold!«

Charlotte hob ihr Gesicht und ließ ruhig die Hände, die es bedeckt hatten, sinken; sie wandte ihr Antlitz empor und blickte zu den Sternen auf, die hell am klaren dunklen Nachthimmel glänzten. Beim Licht dieser Sterne konnte der Bildhauer wahrnehmen, daß ihre Züge Ruhe, Stille und Frieden ausdrückten. Es schien, es lag etwas von einem großen Entschlusse darauf.

»Nun?« sagte nach einer Pause der Bildhauer ungeduldig. »Welche Antwort geben Sie mir?«

»Ich gebe Ihnen als Antwort die Hand, weil Sie warm und gut gesprochen haben. Und ich bitte Sie, die Herausforderung an den Grafen nicht zu überbringen. Das ist für heute genug! Gute Nacht, Herr Watler … gehen Sie, ich sehe eben Selim aus dem Kasino treten, er wird das Thor schließen wollen … gehen Sie!«

»Gute Nacht, Fräulein, ich denke, ich bringe meinem Freunde auch – eine gute Nacht!«

Er ging, und Charlotte eilte in der entgegengesetzten Richtung davon; sie suchte ihr einsames Zimmer auf.

Und da saß sie noch einmal, an derselben Stelle, wo sie am Morgen gesessen, die Hände wie am Morgen schlaff im Schooße, aber nicht mehr zu Boden blickend, sondern die Augen klar auf die klaren Sterne richtend, die mit ihrer südlichen Lichtkraft durch das Fenster in den dunkeln Raum leuchteten.

Und auch nicht mehr traurig, niedergeschlagen, unzufrieden mit sich wie am Morgen; diese Stimmung war verflogen unter dem Ernst der Lage. Die Lage der Dinge war ernst, und es war gut, daß sie so war. Es lag etwas Zwingendes für sie darin. Und es ist gut für ein scheues, zages, ganz auf seine eigene Entschließung angewiesenes Frauenherz, das ein wenig gezwungen sein möchte, wenn die Gestaltung der Dinge ihr ein: Kannst Du denn anders? zuraunt! Und die Gestaltung der Dinge raunte Charlotte diese Frage zu … einmal über das andere.

Es war ein wenig hart, sich so schnell entschließen zu sollen. Und auch war es hart, daß sie, nachdem man ihr Entgegenkommen das erste Mal in einer Weise gedeutet hatte, die ihren Stolz verletzt, nun wieder entgegenkommen sollte; aber sollte ihr Stolz schuld daran sein, daß Friedrich bei einem Sinn beharrte, sein Glück von sich wies, in einem wahnsinnigen Kampfe wohl gar sein Leben in die Schanze schlug?

Wenn Du auch allein bist, wenn Du auch nicht die Ruhe hast, Dich selbst und Deine Gefühle zu prüfen, wenn Du auch die Mutter nicht neben Dir hast, um Rath mit ihr zu pflegen … kannst Du denn anders?

Dies war die Frage, in welche alle Gedanken ausliefen, die an diesem ersten Abende, wo Charlotte mit sich und dem blinkenden Schicksalssterne da oben allein war, unter ihrer hellen sinnenden Stirn auftauchten.



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