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XIII.

Der Spiegel des Sees lag bereits in tiefem Schatten, aber die dem Meere zusinkende Sonne vergoldete mit ihrem Scheine die Pergola vor dem Hause Signore Matteo's, als Friedrich seine Begleiterin darauf führte und diese sich auf die hölzerne Bank vor der Eingangsthüre in das Gastzimmer niedergleiten ließ. Er ging, um sofort die wohlgenährte, gutmüthige Wirthin aufzusuchen, die bald herauskam und erschrocken über den Zustand des Gastes, den Signor Frederico gebracht, Wein und Brot herbeiholte und nun forteilte, ein Zimmer zu bereiten, nachdem sie laut und heftig noch Chichina gerufen.

» Che cosa c'è?« sagte Chichina, als sie gleich darauf in der Hausthüre erschien, mit der scharfen Stimme, die bereits etwas von jener Heiserkeit italienischer Frauenorgane hatte, der Folge landesüblicher Sitte, um jedes kleinste Ding zehnmal heftigeres Geschrei machen, als es verdient.

»Sehen Sie her, Chichina«, rief Friedrich, »sehen Sie, in welchem Zustande von Erschöpfung diese arme Dame ist!«

» La poverina!« sagte das junge Mädchen mit großer Theilnahme.

»Und das Alles um der Freunde Ihres Giuseppe willen, die einmal wieder einen schönen Streich ausgeführt haben!«

»Giuseppe … was hat Giuseppe damit zu schaffen?« warf Chichina ein, indem sie ihren Mund ein wenig zornig verzog.

»Nun, nicht just er! Aber ich denke, er hat gute Freunde, die sehr freche Gesellen sind, um das Beste von ihnen zu sagen. Und diese Gesellen …«

Friedrich erzählte Chichina den ganzen Fall, und Chichina hörte aufmerksam zu.

Die Wirthin kam zurück … sie lud Charlotte ein, mit ihr in das Zimmer zu gehen, welches sie ihr bereitet hatte, und Chichina folgte ebenfalls.

Friedrich blieb draußen, der Rückkehr Charlottens harrend; Signor Matteo kam zu ihm heraus, ließ sich die Sache berichten und gab guten Trost, wenn er auch Giuseppe aus dem Spiel gelassen haben wollte und nicht einräumte, daß dieser etwas mit den Briganten zu schaffen habe. Friedrich ließ sich dadurch nicht irre machen und stellte ihm die Lage des jungen, für die geraubten Kinder verantwortlichen Mädchens so beweglich wie möglich vor. Matteo ließ es an Diavolos und Demonios, die er auf die Räuber fluchte, nicht fehlen, schien aber doch der Ansicht, wenn sie nur nicht durch solche kecke Handstreiche alle Fremden aus dem Gebirge verscheuchten und alle Wirthe ruinierten, würde man ihnen schon das Leben gönnen müssen; die Menschheit werde auf verschiedene Wege gedrängt, um sich durchzubringen, und der Eine habe einen Broderwerb mit mehr, der andere mit weniger Gefahr.

Nach einer Stunde etwa kam Charlotte wieder heraus. Die beiden Frauen hatten sie unterstützt, die Risse in ihrem Kleide etwas weniger sichtbar zu machen, und dabei hatte sie ihnen ihr Leid geklagt; die Frauen kamen jetzt und zogen Signore Matteo auf die Seite, und es gab ein langes Hin- und Herreden zwischen ihnen, wobei Matteo, dem die Geschichte um seines eigenen Vortheils wegen ein wenig störsam sein mochte, zuweilen ein sehr zorniges Wort sprach, welches das übrige Stimmengewirr übertönte. Und dann verschwand Chichina, und die Mutter kam zu Friedrich und sagte, man wolle sich erkundigen, ob die Räuber in der Gegend gesehen worden.

Friedrich reichte ihr die Hand und antwortete:

»Ihr seid eine gute, vortreffliche Frau, Signora Artemisia; Ihr seid mehr werth als fünf Heilige im Himmel und sieben fromme Klosterfrauen aus Sant Agnese vor Rom; auch vertraut diese gute Dame auf Euch mehr, daß Ihr ihr beistehen werdet, als auf Sant Antonio und die übrigen dreizehn Nothhelfer!«

» Mai, mai«, versetzte die kleine Signora Artemisia, »es wird nicht nöthig sein, soviel Heilige darum anzurufen. Wir wollen suchen Kundschaft über die Sache einzuziehen und sehen, was für die Dame gethan werden kann. Unterdeß mögt Ihr die Nacht ruhig schlafen. Die Briganti sind Galantuomini Ehrenmänner. – Anm.d.Hrsg., die Kindern kein Leids zufügen. Und zum Abendessen will ich Euch gebratene Fische aus dem See, fette Lattarini, herausbringen, die Eurer Dame gefallen sollen.«

Als Donna Artemisia ihre Lattarini brachte und den dunklen Wein von Grottaferrata dazu stellte, blickte schon der Mond groß und voll in den »Spiegel der Diana.« Das bedeutendstes Heiligtum der Diana (das Dianium) befand sich in den Albaner Bergen bei Aricia am Nemisee, dem s peculum Dianae (»Spiegel der Diana«). – Anm.d.Hrsg. Charlotte nahm von den Speisen zu sich und trank, sie hatte sich erholt und schien gefaßt und lehnte sich endlich, die Hände in den Schooß sinken lassend, in ihrer Bank zurück, um lange auf die im Mondschein beleuchtete Scenerie rund umher zu blicken, während der weiche Abendwind ihre Stirne kühlte.

»Also hier haben Sie gelebt seitdem, hierher sind Sie vor uns geflohen?« sagte sie nach einer Weile beinahe halblaut.

»Hierher haben Sie mich gesendet«, antwortete Friedrich mit einem leisen Tone des Vorwurfs.

»Ich meine, zu fliehen hätten Sie just nicht brauchen«, versetzte sie – »es war in Frascati Raum für Sie und uns, wenn wir die freundliche Absicht hatten, uns die Wege weiter nicht zu kreuzen!«

»Sie sagen das ja fast vorwurfsvoll«, entgegnete Friedrich betroffen. »Und doch ließen Sie mir, denk' ich, den Rath geben, zu gehen!«

»Ich?« sagte sie ruhig; »das ist ein Mißverständniß.«

»Graf Brechtal sagte mir, es sei das Beste; ich fühlte das selbst, und ich glaube, ich durfte annehmen …«

»Graf Brechtal!« fiel Charlotte ein mit einer Betonung, durch welche etwas wie Bitterkeit klang. »Dann war ich also im Irrthum«, fuhr sie im selben Tone fort, »wenn ich glaubte, daß Sie vor meinem Briefe die Flucht ergriffen …«

»Vor Ihrem Briefe, Fräulein Charlotte?«

»Nun ja … den Sie nicht die Güte hatten zu beantworten.«

»Ich … hätte einen Brief … von Ihnen … nicht beantwortet?«

»Ist es nicht so?«

»Ich weiß nichts von einem Briefe!«

»Sie haben durch Selim meine Zeilen nicht erhalten?«

»Nichts … gar nichts!«

»Das ist seltsam! Das ist ein Anderes;« sagte Charlotte, ihn mit großen Augen ansehend.

»Sie schrieben mir?«

»Ich schrieb Ihnen … ich konnte nicht denken, daß der Brief nicht in Ihre Hände gekommen sei.«

»Und was – um des Himmels willen, schrieben Sie mir?«

Charlotte wandte erröthend ihr Haupt wieder von ihm ab.

»Weshalb jetzt noch davon reden!«

»Sie zürnten mir während all' der Zeit, weil ich Ihnen nicht antwortete?«

»Ich wußte es mir wenigstens nicht zu erklären!«

»O, mein Gott«, seufzte Friedrich aus tiefster Brust – »wenn Sie wüßten, wie furchtbar ich seitdem gelitten habe …«

»Sie?« fragte sie, mit halb ungläubigem Tone.

»Ja … ja … mehr als ich vor wenig Wochen geglaubt hätte, daß ich, daß ein Mensch überhaupt je leiden könne.«

Sie wandte ihm ihr Gesicht wieder zu und fragte dann noch einmal: »Sie?«

»Ich war ja hoffnungslos … ich sollte verzichten für ewig. Und ich konnte es nicht. Wie macht man es, ohne darüber zu Grunde gehen … wenn Sie mich zum ewigen Verzichten verdammen, so lehren Sie mich's auch, ohne daß ich darum für immer verderbe oder verrückt werde!«

Er sprach dies mit dem Tone grenzenloser Leidenschaftlichkeit, vor dem sie die Augen niederschlug, um leise, fast unhörbar, mit bebender Lippe zu sagen:

»Ich habe auch gelitten in dieser Zeit!«

»Sie, Sie, Charlotte … und was hätte über Sie ein Leiden bringen können?«

Sie schwieg.

»Weshalb«, fuhr Friedrich drängend, fast heftig fort, »sagten Sie vorhin, als ich Sie fand und Sie mir das Unglück mittheilten: ich sei an Allem schuld?«

»Weil ich zu viel darüber nachsann, weshalb Sie uns so plötzlich verlassen hatten; weil ich die schmerzliche Beleidigung empfand, die darin für mich lag; weil ich diesem Gefühl des Verletztseins zu viel nachgab, mich zu viel damit beschäftigte und über diesen Gedanken meine nächsten Pflichten vergaß … darum sagt' ich es!«

»O mein Gott«, rief er auffahrend aus … »wenn ich damals schuldig wurde – diese Schuld habe ich gebüßt durch die Qual der Tage, die hinter mir liegen! O glauben Sie es mir, ich habe sie gebüßt! Und darum vergeben Sie mir, Charlotte: Sie sehen ja, was für mich spricht, ich habe es Ihnen ja gesagt, ich erhielt Ihre Zeilen nicht … nichts, nichts, gar nichts – ich glaubte ja, Sie, Sie selbst hätten mich fortgesandt, ich mußte es glauben nach Allem, was Sie mir bei unserer letzten Unterredung gesagt – vergeben Sie mir und zum Zeichen Ihrer Vergebung sagen Sie mir, was Ihre Zeilen an mich, die Selim unterschlug, enthielten?«

Sie schwieg auf diese Frage. Sie blickte eine Weile fort auf den mondbeglänzten See hinaus. Dann erhob sie sich, reichte ihm die Hand, sah ihm ernst in seine, in dem blauen Lichte so bleich und scharf ausgeprägten Züge und sagte dann mit einem Seufzer:

»Es scheint, wir haben Beide gelitten. Aber genug für heute von uns! Es muß uns Anderes jetzt näher am Herzen liegen. Ich will zur Ruhe gehen … thun Sie es auch, vielleicht nimmt der morgige Tag wieder unsere ganze Seelen- und Körperkraft in Anspruch!«

Damit schritt sie rasch ins Innere des Hauses, um sich von Donna Artemisia in ihr Zimmerchen geleiten zu lassen.

Friedrich blieb auf der Pergola zurück und schritt hier lange noch auf und ab.



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