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XIV.

Es war begreiflich, daß Charlotte die Nacht hindurch wenig Ruhe fand. So kam sie denn auch sehr frühe schon, als eben die Sonne über den Monte Cavo emporgestiegen war, herunter und auf die Pergola hinaus. Es war Niemand da, auch in der Küche, zu der die Thür bereits offen stand, war Niemand zu sehen; erst nach längerer Zeit wurde Signore Matteo auf der Schwelle seiner Küchenthür sichtbar, zog sich aber gleich darauf wieder zurück, um seine Donna zu der Fremden hinauszusenden, und Signora Artemisia erschien denn auch bald in der ganzen unglaublichen Kühnheit des Morgen-Negligés italienischer Frauen.

» Ecco, Cara Signorina«, sagte sie … »da sind Sie schon, und hier ist ein Brief von Signore Frederico … er ist schon seit einer Stunde auf und davon, nach Albano. um nach Rom zu gehen … il caro giovine

»Nach Rom?« fragte Charlotte überrascht.

»Nach Rom. Und er läßt Ihnen sagen, Sie sollten guten Muths sein. Er hat mit Simone Matteo, dem Bruder meines Mannes geredet; Simone Matteo ist ein Galantuomo; Sie können ruhig mit ihm nach Frascati zurückreisen; er wird Sie nach Albano führen und Ihnen dort einen Wagen nehmen, weil der Weg zu Fuße Sie ermüden würde…«

Charlotte hatte während dieses Geplauders das Billet Friedrichs hastig geöffnet. Sie las die Worte:

»Alles geht gut. Giuseppe hat in der Nacht mit den Briganten verhandelt – Chichina hat ihn darauf selbst zu mir geführt. Sie wollen mit einer Summe zufrieden sein, welche ich zugesagt habe, noch heute, und zwar vor Sonnenuntergang an derselben Stelle, wo sie die Kinder geraubt haben, auszahlen zu wollen, wenn sie um diese Zeit die Kinder eben dahin zurückbringen. Ich eile nach Rom, das Geld zu erhalten. Kehren Sie unterdeß ruhig heim, der Führer, der sich Ihnen anbietet, ist ein zuverlässiger Mann.«

»Dem Himmel sei gedankt!« rief Charlotte aus freudebewegter Brust.

»Gewiß, es wird Alles gut gehen«, sagte Donna Artemisia … »und nun will ich Ihnen ein Frühstück bereiten, und dann soll Simone Matteo kommen.«

»Welche Summe haben denn die Briganten verlangt?« fragte Charlotte … »wißt Ihr es?«

» Eh, chi so sa!« sagte die Wirthin achselzuckend. »Es wird nicht so arg viel sein!«

»Aber Ihr müßt es doch wissen!«

»Wir? woher sollten wir es wissen?«

»Von Giuseppe … er hat ja mit dem Signor Frederico gesprochen!«

»So … er?« sagte Donna Artemisia. »Steht das in dem Briefe? Es ist möglich, aber ich weiß es nicht … ich weiß nichts davon.«

Donna Artemisia hielt vielleicht in der Angelegenheit diplomatische Zurückhaltung für geboten. Charlotte fragte sie deshalb nicht weiter und ebensowenig den ehrlichen Oste, Artemisia's Gatten, der von Zeit zu Zeit auf der Schwelle der Küchenthür erschien und die Fremde ansah, aber durchaus keine Miene machte, als sei er zu einer offenherzigen Unterhaltung über dies Thema geneigt.

Nach einer halben Stunde etwa, als Donna Artemisia längst den Kaffee auf den Steintisch der Pergola gebracht, kam Fräulein Chichina, eben beschäftigt, ihre Flechten mit dem großen goldenen Pfeil im Nacken festzustecken, rasch daher geschlürft, beugte sich zu der sitzenden Fremden herab und flüsterte:

»Denken Sie sich, welche Galantuomi sie sind – sie haben nur fünftausend Scudi verlangt, keinen Bajocch mehr!«

Und nachdem sie dies hastig geflüstert, schlüpfte Chichina stolz über die Uneigennützigkeit von Giuseppe's guten Freunden ins Haus zurück.

Charlotte aber war heftig erschrocken.

Fünftausend Scudi! Und woher sollte ein armer Maler auf der Stelle fünftausend Scudi beschaffen? Das war ja eine furchtbare Summe!

Aber er schrieb so zuversichtlich. Er mußte also Hoffnung haben, es zu können. Sie nahm sich vor, ihm zu vertrauen und die Hoffnung festzuhalten, die er ihr gegeben. Was sie gestern mit ihm geredet, hatte einen Frieden zu ihr zurückgeführt, in dem wie eine Bürgschaft lag, daß sich Alles zum Guten wenden würde – es war eine sanfte wehmüthige Freude in ihrem Herzen, die es erneuter Sorge verschloß.

Und so stärkte sie sich an dem, was Donna Artemisia ihr hinausgebracht, und trat dann ihre Rückreise im Geleite des Signor Simone Matteo an. Artemisia gab Simone Geld dazu – Friedrich hatte ihr es eingehändigt, er hatte an Alles gedacht. –

Friedrich war unterdeß vor dem Abgang des ersten Zugs in Albano angekommen und von dort mit der Eisenbahn nach Rom gefahren. Um halb Elf war er in der ewigen Stadt. Ein Fiaker brachte ihn von der Piazza de' Termini nach der österreichischen Gesandtschaft, wo er die Wohnung der Gräfin Palfi erkundete. Er erfuhr, daß sie im Hotel de Rome wohnte. Also den Korso hinab ins Hotel de Rome. Nach einer Viertelstunde stand er in dem Zimmer, worin Gräfin Palfi wohnte und eben mit dem Grafen und der Gräfin Brechtal frühstückte.

Die Herrschaften blickten bei Friedrich Hild's raschem Eintreten ein wenig überrascht auf, und die Gräfin Brechtal, eine erregte und erhitzte Miene bemerkend, sagte:

»Herr Hild! – Sie sehen aus, als brächten Sie Schlimmes …«

»Nicht das, Frau Gräfin; ich komme überhaupt nicht zu bringen, sondern zu verlangen … zunächst die Gnade einer kurzen Zwiesprache mit Ihnen, wenn es sein könnte …«

»Ich habe vor meinem Manne und vor meiner Cousine keine Geheimnisse, Herr Hild«, entgegnete die Gräfin ein wenig zögernd; »wenn es sich also nicht just um Ihre Geheimnisse handeln sollte …«

»Ganz wie es Ihnen gefällt«, fiel Hild mit einer Verbeugung ein, den Stuhl einnehmend, den auf den Wink des Grafen der aufwartende Diener herbeigeschoben hatte; »ich bestehe nicht auf dem Geheimniß. Sie hatten die Güte, Frau Gräfin, alte und weit hinter mir liegende Verhältnisse von einem Gesichtspunkte aus zu betrachten, dem ich bei einer früheren Unterredung mit einer vielleicht ein wenig zu schroffen Undankbarkeit für den Edelmuth, den Sie dabei bewiesen, entgegentrat. Ich komme, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten. Ich komme heute, Ihnen zu erklären, daß ich die Voraussetzungen, unter denen Sie sich so großmüthig erboten, mir meinen Lebensweg zu erleichtern, als richtig anerkenne, und daß ich einen Theil Dessen, was Sie mir zu jenem Ende zur Verfügung stellten, annehme. Es sollen daraus keine Verpflichtungen zu weiteren Beziehungen für Sie entstehen; aber ich nehme einen Theil Ihres Geschenkes an, ja ich bitte darum, und zwar, daß Sie es mir geben mit möglichst geringem Zeitverlust! In der That, ich bin durch die Umstände zu dieser kurzen und bündigen Erklärung gebieterisch gedrängt. Ich bitte Sie um ein Fünftel der Summe, welche Sie mir bestimmten; um fünftausend Scudi; ich bitte Sie inständigst, wenn es Ihnen irgend möglich sein sollte, mit mir zu Ihrem Bankier zu fahren und mir diese Summe sogleich aushändigen zu lassen. Sollte es zu viel sein, was ich verlange, dann bitte ich um das, worüber Sie eben bei Ihrem Bankier verfügen können …«

Während Hild dies aufgeregt und hastig gesprochen hatte, und sich nun die Schweißperlen von seiner erhitzten Stirn wischte, blickte ihn die Comtesse Palfi mit immer größer gewordenen Augen an, während Graf Brechtal's Augen immer kleiner geworden waren und jetzt ganz beschattet wurden von den düster zusammengezogenen Brauen. Die Gräfin Brechtal dagegen sah den Maler offenbar mit wohlwollendster Theilnahme an und antwortete:

»Sie haben allerdings meine Eröffnungen ein wenig brüsk und rauh aufgenommen, Herr Hild … und mir dadurch Verdruß und Aerger bereitet … das aber hat mich in meinen Ueberzeugungen keinen Augenblick irre gemacht und auch nicht in meiner Bereitwilligkeit, Alles für Sie zu thun, was ich vermag. Ich freue mich, daß Sie von Ihren früheren Ansichten zurückgekommen sind, wenn auch nur, wie es scheint, unter dem Drucke plötzlich eingetretener Verhältnisse …«

»Allerdings, Frau Gräfin, ich läugne das nicht«, fiel Hild ein – »aber ich werde Ihnen desto dankbarer sein, je größer dieser Druck, diese Nothwendigkeit ist, die mich an Ihre Hülfe verweist … Sie wollen also in der That auf meine Bitte eingehen?«

»Ganz gewiß, ich halte mich noch immer vollständig an mein Wort gebunden …«

»Und ich dürfte Sie bitten, sogleich mit mir zu Ihrem Bankier zu gehen …?«

»Ich bin bereit dazu«, versetzte Gräfin Brechtal. »Der Wagen wartet unten auf uns, wir wollten zum Vatikan fahren und es ist kein großer Umweg.«

Sie erhob sich, auch die Gräfin Palfi that es und der Graf Brechtal, der diese ganze Unterhaltung, ohne irgend eine Bemerkung zu machen, angehört hatte und jetzt in Gegenwart der Cousine seiner Frau es für doppelt geboten erachtete, sich gegen die ganze Verhandlung völlig gleichgültig zu verhalten und den Anschein zu behaupten, als ob sie ihn in keiner Weise berühre … was sie ja auch in Wirklichkeit nicht that, da die Gräfin Herrin ihres großen eigenen Vermögens geblieben war.

So machte sich die ganze Gesellschaft zu der Fahrt bereit, und die Gräfin Brechtal überzeugte sich, nachdem sie ihre Mantille umgenommen und ihren Hut aufgesetzt hatte, daß sie ihr Taschenbuch bei sich habe.

Kurze Zeit darauf hielt man vor dem Bankgeschäfte des Herrn Spada, – die Gräfin und Hild begaben sich in die Geschäftsräume, wo Herr Spada der ihm empfohlenen Dame mit großer Höflichkeit entgegenkam; er kannte ihre Kreditbriefe zu gut, um aufs neue einen Blick darein werfen zu wollen, und schrieb sofort die verlangte Anweisung von fünftausend Scudi auf einen Cassirer; Gräfin Brechtal übergab sie ihrem Begleiter; Friedrich nahm sie, er führte dankbar gerührt und tief aufathmend die Hand, die ihm den bedeutungsvollen Papierstreifen überreichte, an seine Lippen und begleitete die Gräfin zum Wagen zurück.

»Und wo waren Sie denn in der letzten Zeit, Herr Hild – wo werden Sie von nun an sein – und werden wir Sie wiedersehen?« fragte sie auf diesem Wege.

»Ich war in Nemi«, versetzte er. »Sobald Sie in Frascati zurück sein werden …«

»Wir beabsichtigen mit dem letzten Eisenbahnzuge heute Abend heimzufahren.«

»Nun dann … dann werde ich vielleicht schon morgen die Ehre haben, Sie wiederzusehen.«

»Es wird mich freuen … vielleicht erzählen Sie mir dann auch, wozu Sie heute in so großer Hast des Geldes bedürfen … ich denke mir, es ist zu einen Gebrauche bestimmt, den Sie nicht zu verheimlichen nöthig haben, der Sie ehrt … aber ich fürchte auch, zu einem Gebrauche, der weniger Ihnen selbst, als Anderen zu Gute kommt.«

»In der That, Sie haben recht; aber« – versetzte Friedrich lächelnd, »es ist zu einem Gebrauche bestimmt, den Niemand mehr billigen wird, als gerade Gräfin Brechtal. Doch davon morgen«, schloß er, die Dame in den Wagen hebend und sich verbeugend, während der Diener den Schlag zuwarf. Der Wagen rollte davon. Hild ging mit seiner Anweisung in das Haus und in die Geschäftsräume zurück.

Eine Viertelstunde später trat er mit einem großen Leinwandbeutel unter dem Arm und von einem Commis des Hauses Spada, der einen zweiten ähnlichen Beutel trug, gefolgt, in das Atelier Karl Watler's. » Demonio – Du – als Millionär – als Crösus?« rief der Bildhauer verwundert aus; »was hat das zu bedeuten?«

Friedrich entließ, bevor er antwortete, den begleitenden Commis … Karl Watler prüfte die Schwere eines der Beutel, die sein Freund auf eine umgestülpte Holzkiste gestellt hatte und fuhr lustig fort:

»Ich denke, wenn es Gold ist, so wird es reichen … Du kommst doch als neu etablierter Mäcen, mir meine Ajaxgruppe abzukaufen?«

»Keineswegs«, fiel Friedrich ein. »Wenn Deine Ajaxe lebendig wären, so könnt' ich sie eben gebrauchen, am Besten in päpstliche Gendarmen-Uniformen gesteckt. So aber weiß ich nichts mit ihnen anzufangen, und Du mußt mir schon selbst als waffenkundiger Streithahn beistehen. Du sollst mich als schützende Bedeckung beim Transport dieser fünftausend Scudi in guten Napoleond'ors begleiten; ich hoffe, Du hast Deine Pistolen von neulich noch bei der Hand?«

»Gewiß – aber erkläre mir …«

»So hole Deine Waffen und kleide Dich an. Du mußt ohne Zeitverlust mit mir gehen. Wir werden mit dem Zug um drei Uhr nach Frascati fahren. Um fünf Uhr müssen wir mehrere Miglien weit hinter Frascati, in der Gegend rechts unter Tusculum sein!«

»Aber«, sagte Watler, ihn groß ansehend, »das lautet ja furchtbar abenteuerlich.«

»Abenteuerlich, romantisch, brigantisch, Alles, was Du willst; nur thu' mir den Gefallen und eile ein wenig, ich möchte so früh auf dem Bahnhofe sein, daß ich dort einige Erfrischungen zu mir nehmen könnte, denn ich bin sehr müde, hungrig und durstig.«

»Sollen wir das Geld so offen bei uns tragen?«

»Du hast recht – es ist gefährlich …«

»Ich will gehen, mich anzukleiden und einen Reisesack mitbringen, in dem wir es bergen und sicher transportieren können.«

»Thu' das, Freund; bring' auch die Pistolen mit; ich bleibe so lange hier und hüte meinen Schatz … auf dem Wege, wo wir nichts Besseres zu thun haben, sollst Du die ganze Geschichte erfahren.«

Als Karl Watler in vollem Anzuge aus seinem hinter dem Atelier liegenden Schlafzimmer zurückkam, brachte er den Reisesack mit heraus. Beide Freunde steckten je eine der Waffen, nachdem sie frisch geladen worden, in ihre Brusttasche, brachten das Geld in dem Reisesack unter und machten sich auf den Weg zum Centralbahnhof der Piazza de' Termini.



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