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24. Kapitel.

Zarathustra. Seine Lehre. Bejahung des Lebens. Beseitigung der Hindernisse einer Bejahung des Lebens: »Gott«; »Jenseits«; »Seele«; der »böse« Trieb; »Es war«.


Zarathustra bejaht das Leben und will Bejahung des Lebens lehren. Darauf zielt alles ab, was er sagt. Von da aus ist seine Lehre zu verstehen.

Nun ist er aber durchaus nicht gewillt, das Leben zu bejahen, wie es gemeinhin von dem Menschen gelebt wird. Das behandelt er im Gegenteil mit unverhohlener Verachtung. Ja, der Mensch ist überhaupt für ihn etwas, das überwunden werden muß. Bejaht wird von ihm einerseits aller elementare Drang des Lebens, anderseits was der Mensch den elementaren Drang des Lebens in sich bejahend, aus sich machen kann; also: der Urmensch und der Übermensch. Der wirkliche Mensch wird als Stufe zum Übermenschen immer zugleich verneint und bejaht; und sogar stärker verneint als bejaht. Die letzte Sünde, die Zarathustra überwinden muß, ist das Mitleid sogar und gerade mit dem höheren Menschen.

Um selbst zur Bejahung des Lebens zu gelangen und andre zur Bejahung des Lebens zu erziehen, muß Zarathustra erst wegschaffen, was die Bejahung des Lebens verhindert.

Nun ist ein erstes Hindernis der Bejahung des Lebens » Gott«. Also muß Gott weg. Freilich ist nur dem häßlichen Menschen Gott unerträglich als der zudringliche, unentrinnbare Zeuge seiner verhehlten Schmach: dieser Grund, warum Gott weg muß, kommt für Zarathustra selbst so wenig in Betracht, daß er in dem »Mörder Gottes« nur eine Warnung für sich sieht (VI, 382 ff.). Aber er selbst kann es nicht ertragen, daß die Welt, die er nach seinem Bild schaffen will, schon von Gott geschaffen sein soll. Und überhaupt (VI, 124):

… daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein? Also gibt es keine Götter.

Wohl zog ich den Schluß; nun aber zieht er mich.

»Gott ist tot«: das ist ein Hauptstück in der Lehre Zarathustras.

Ein zweites Hindernis der Bejahung des Lebens ist das » Jenseits«, die Hinterwelt. Wer das wahre Leben in irgend welchem anderen Leben sieht und sucht: wie könnte der mit ganzem Herzen und ganzer Seele und allen seinen Kräften daran arbeiten, aus diesem Leben das Allerhöchste herauszubringen? Also leugnet Zarathustra ein anderes Leben (wie es auch gedacht werden möge) und behauptet vielmehr, daß jeder dieses Leben, das er jetzt lebt, unendlich oft wieder leben werde, wie er es schon unendlich oft durchlebt hat. Dann liegt alles daran, dieses eine, aber in ewiger Wiederkunft sich wiederholende Leben aufs höchste zu steigern. Es gibt kein ewiges Leben, aber eine ewige Wiederkunft: das ist ein zweites Hauptstück in Zarathustras Lehre.

Ein drittes Hindernis der Bejahung des Lebens ist, daß der Mensch den Aufbau seines Wesens, das sich in ihm auslebt, verkennt. Er weiß sich mit Stolz als »Ich«, anerkennt als sein Leben nur das Leben seines »Geistes«, verachtet das sinnliche Leben seines »Leibs« als Hemmnis seines Geisteslebens. Und so vernachlässigt er seinen Leib. Demgegenüber lehrt Zarathustra (VI, 47):

Werk- und Spielzeug sind Sinn[e] und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes.

Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher …

Das Selbst sagt zum Ich: »hier fühle Schmerz«. Und da leidet es und denkt nach, wie es leide – und dazu eben soll es denken.

Das Selbst sagt zum Ich: »hier fühle Lust!« Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue – und dazu eben soll es denken.

Von diesem mächtigen Gebieter, diesem unbekannten Weisen, der hinter den Gedanken und Gefühlen des Menschen steht, sagt Zarathustra allerdings noch: »In deinem Leib wohnt er, dein Leib ist er«. Und so läßt er daß der Mensch »Leib und Seele« sei, nur als kindliche Rede gelten. Er selbst, der Erwachte, der Wissende, erklärt ohne Einschränkung und Vorbehalt:

Leib bin ich ganz und gar, und Nichts außerdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.

Der Leib ist eine große Vernunft, eine Vielheit in Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Herde und ein Hirt.

Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, die du »Geist« nennst, – ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft …

Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe als in deiner besten Weisheit. Und wer weiß denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nötig hat?

Aber das sagt er offenbar nur den Verächtern des Leibes zum Trotz, daß das Selbst, das mit den Augen der Sinne sehe, mit den Ohren des Geistes höre, der Leib selbst sei. Die Bejahung des Leibes ist schon dadurch garantiert, daß das Selbst, auch wenn es durch den Leib zu mir spricht, weiser ist als Ich in den Gedanken, die ich mir mache. Dagegen wäre von großer Wichtigkeit was Zarathustra übergeht: wie Ich mich zu dem Selbst verhalte und zu verhalten habe. So bleibt uns als drittes Hauptstück der Lehre Zarathustras nur, daß der Leib nicht vernachlässigt werden dürfe.

Ein viertes Hindernis der Bejahung des Lebens ist, daß die elementaren Triebe des Lebens zur Sucht entarten können: der Trieb zu zeugen zur Genuß sucht; der Trieb zu herrschen zur Herrsch sucht; der Trieb zur Vervollkommnung seiner Selbst zur Selbst sucht. Dadurch ist der Trieb überhaupt in den Ruf gekommen, daß er als »böse« zu verneinen sei. Zarathustra erkennt, daß gerade der schwache Trieb zur Sucht entartet, und spricht den heilen, gesunden, starken Trieb heilig. Oder vielmehr: er weist nur darauf hin, daß der heile, gesunde, starke Trieb sich selbst heilig ist; und daß es ein Symptom der Entartung ist, wenn der Mensch den Trieb als solchen unterdrücken zu sollen glaubt. Den Trieb verneinen heißt das Leben verneinen, das sich im Trieb auslebt; und nur das kranke Leben ist versucht sich zu verneinen: das gesunde Leben bejaht sich als solches mit dem Bewußtsein der Selbstverständlichkeit. Dies ist ein viertes Hauptstück der Lehre Zarathustras (VI, 276 ff).

Ein fünftes Hindernis der Lebensbejahung ist das »Es war«: daß der Wille nicht zurückwollen kann. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden! Und wenn es nun eben nicht bejaht werden kann? wenn die einmal gewollte Tat nicht mehr gewollt werden kann? Kann dann das Leben überhaupt noch bejaht werden? Allerdings, lehrt Zarathustra: indem das »Es war« umgeschaffen wird in ein »So wollte ich es!« Und das ist immer möglich, wenn der Mensch nur will. Als Bruchstück, als grauser Zufall mag was nun einmal geschehen ist ein unlösbares Rätsel sein: aber der Mensch vermag, wenn er nur will, ein Ganzes des Lebens zu schaffen, worin das Bruchstück, der Zufall als integrierender Bestandteil gewollt werden kann, gewollt werden muß. Damit ist dann das Rätsel gelöst. Das ist ein fünftes Hauptstück in der Lehre Zarathustras, das er mit stärkstem Nachdruck vorträgt. Er ertrüge es nicht, Mensch zu sein, wenn das »Es war« sich nicht umschaffen ließe in ein »So wollte ich es« (VI, 206).

Daraus ergibt sich, wie sich die Bejahung des Lebens vollzieht: man wird Gott los; man erwacht aus dem beseligenden oder erschreckenden Traum von einem andern Leben; man erkennt, daß der Leib sich nicht verachten läßt, auch nicht zu verachten ist; man faßt Vertrauen zu den elementaren Trieben des Lebens; man dichtet und schafft sich ein Ganzes des Lebens, worin auch das seinen schönen Sinn findet, was sich als sinnloser, sinnwidriger Zufall in das Leben herein gedrängt hat.

So bejaht Zarathustra selbst das Leben. Das Lebenswerk aber, worin er sein Leben endgültig bejaht, ist: daß er die »Guten und Gerechten« bekämpft, die offen und versteckt zur Verneinung des Lebens zwingen und verführen wollen; daß er den Übermenschen verkündigt, in dem erst das Leben sich voll und ganz bejahen kann; daß er die ewige Wiederkunft lehrt, die den Menschen zwingt, sich ein Leben zu schaffen, das ewig bejaht werden muß. Das will, das ist sein schaffender Wille.

Doch kann er dadurch in andern nur den schaffenden Willen entbinden. Das Lebenswerk, worin sie ihr Leben endgültig bejahen können, muß ihr schaffender Wille sich selbst erfinden. Zarathustra kann ihnen nur noch raten, daß sie dem schaffenden Willen in ihnen mit rücksichtsloser Härte gegen sich und andre gehorchen – wie er selbst es tut. Er setzt allerdings als selbstverständlich voraus, daß der schaffende Wille seinem Jünger gebieten wird, das Lebenswerk des Meisters, das sich ja nicht in dessen Leben, nur in der Entwicklung der ganzen Menschheit vollenden kann, aufzunehmen – natürlich nicht als Werk Zarathustras, sondern als eigenes, frei gewolltes Werk.


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