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2. Kapitel.

Nietzsche wird nach dem frühen Tode des Vaters durch die Mutter loyal christlich erzogen. Geht auf diese Erziehung willig ein – ohne doch einen tiefen und starken Eindruck von dem Christentum zu empfangen (1844-58).


Friedrich Nietzsche entstammt einem evangelischen Pfarrhaus. Der Vater war wohl kirchlich wie politisch gleich loyal gesinnt. Doch kommt das für die Entwicklung des Sohnes nicht in Betracht: er starb, ehe der Knabe fünf Jahre alt war.

Es verstand sich von selbst, daß die verwitwete Frau Pfarrer Nietzsche ihre Kinder (Fritz und die zwei Jahre jüngere Schwester Elisabet) christlich erzog. Das will heißen: in dem Christentum, das sie selbst überkommen hatte; in dem Christentum, wie sie selbst es eben verstand. Sie flößte ihnen Gehorsam gegen den Willen Gottes ein, Vertrauen in die Fürsorge des himmlischen Vaters, Liebe zum Heiland. Sie sagte ihnen, daß die Gottseligkeit zu allen Dingen nütze sei und die Verheißung habe dieses und des zukünftigen Lebens. Zugleich aber flößte sie ihnen die notwendige und sich gebührende Rücksicht ein auf das Urteil der Umgebung. Das versteht sich von selbst. Unter den Verwandten und Bekannten, mit denen der Knabe verkehrte, in der Schule, die er zu Naumburg besuchte, herrschte ohne Zweifel derselbe Geist.

Nietzsche ging auf diese Art der Erziehung willig ein. Er war ein ernstes, sinniges Kind. Den Glauben, in dem er unterwiesen wurde, suchte er sich innerlich zuzueignen. Die Pflicht, die ihm eingeprägt wurde, beobachtete er mit strenger Gewissenhaftigkeit. Schon recht früh konnte er sogar den Kameraden eindringlich ins Gewissen reden. Auch der Trieb zur Selbstbeobachtung und Selbsterziehung scheint sehr früh in ihm erwacht zu sein. Vierzehnjährig verfaßte er seine erste Autobiographie (L. I, 15 ff.).

Dagegen stoßen wir kaum auf eine Spur selbständigen Denkens. Zwar erzählt er in späterer, sehr später Zeit (XIV, 347):

Als ich zwölf Jahre alt war, erdachte ich mir eine wunderliche Dreieinigkeit: nämlich Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Teufel. Mein Schluß war, daß Gott, sich selber denkend, die zweite Person der Gottheit schuf; daß aber, um sich selber denken zu können, er seinen Gegensatz denken, also schaffen mußte. Damit fing ich an zu philosophieren.

Doch will es mit dem Bild, das die Schwester von seiner Kindheit entwirft, nicht recht stimmen, daß er schon in diesem Alter gewagt hätte, den Teufel zu vergotten. Wenn je, so hat dieser Einfall in seiner weiteren Entwicklung nicht nachgewirkt.

So willig der Knabe Nietzsche auf diese christliche Erziehung einging: einen wirklich tiefen, nachhaltigen Eindruck hat sie ihm doch nicht gemacht. Zwar bekennt Nietzsche noch 1881 in einem Briefe an Peter Gast (B. IV, 69), daß das Christentum das beste Stück idealen Lebens sei, das er wirklich kennen gelernt habe. Aber die Erinnerung an die fromme Mutter und die noch frömmere Tante hat seine Loslösung vom Christentum nicht merklich gehemmt und hat ihn später nicht von der beleidigendsten Verdächtigung aller christlichen Gesinnung zurückgehalten. Wie ihn auch der Gedanke an den verehrten Vater nicht hinderte, die Theologen in Bausch und Bogen als betrogene und auch als nicht betrogene, nur betrügende Betrüger zu behandeln. Das wäre unmöglich, wenn er jemals von dem Christentum als einem wirklich idealen Leben einen starken, tiefen Eindruck erhalten hätte.


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