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23. Kapitel.

Zarathustra. Seine Persönlichkeit. Er steht nicht im Leben, sondern schwebt über dem Leben.


Ehe wir uns nun der »Lehre« Zarathustras zuwenden, sehen wir uns erst seine Persönlichkeit genauer an. Ist es überhaupt der Mühe wert, ist es rätlich, ist es gar notwendig, auf ihn zu hören?

Er ist ein Mensch von einem höchst gesteigerten Selbstgefühl. Das spricht sich mit einer Unmittelbarkeit, mit einer Sicherheit und Wucht aus, daß wenigstens ich Mühe habe, mich seiner zu erwehren. Um so nötiger ist es, ihn kühl und scharf darauf anzusehen, ob er guten Grund hat, sich so zu fühlen. Diese Frage wird ja auch schon dadurch nahegelegt, daß er immer wieder selbst verkünden muß; wie hoch er über uns gemeinem Volk stehe. Traut er sich doch vielleicht nicht recht zu, daß er uns durch sein bloßes Auftreten den Eindruck der Überlegenheit mache?

Nun hat Zarathustra eine wirklich ganz außerordentliche Spannweite, Lebhaftigkeit und Zartheit des Gefühlslebens. Er oszilliert zwischen einem Ekel am Leben, der ihn zu ersticken droht, und einer überschwänglichen Seligkeit, die ihn wider Willen überkommt. Sein Sinn für die Reinheit des persönlichen Verhältnisses zwischen Mann und Weib, Freund und Freund, Meister und Schüler ist von einer mimosenhaften Empfindlichkeit. Man sieht nur nicht recht, was denn eigentlich Zarathustra so tief, zart und stark erlebt. Die Veranlassung seiner Erregung ist meist unbedeutend. So erregt die Erregung den Verdacht, daß sie bloße Stimmung sei.

Ferner ist Zarathustra ein tapferer Mensch: tapfer in Gedanken und Worten. Ob auch in der Tat? Das läßt sich kaum entscheiden. Denn zur tapferen Tat hat Zarathustra eigentlich keine Gelegenheit. Er kämpft gegen die Müdigkeit und gegen den Ekel; gegen den Geist der Rache und gegen den Geist der Schwere: also gegen Stimmungen und Gesinnungen. Er kämpft gegen die Guten und Gerechten – in Reden an seine Jünger! Von einem wirklichen Zusammenstoß mit den Feinden, der ihn in wirkliche Gefahr bringen könnte, erfahren wir nichts. Auch ist Zarathustra seiner selbst so gewiß, daß von einem ernsthaften Kampf mit sich selbst nicht die Rede sein kann. In seiner stillsten Stunde wird er nur durch den Zweifel geängstet, ob es nicht über seine Kraft gehe, zu sagen was er weiß. Ob er wirklich weiß, was er weiß, steht ihm nicht in Frage; ebensowenig, ob er sich des Rechts, sein Wissen öffentlich auszusprechen, auch dadurch vergewissert hat, daß er was er weiß selbst auch lebt.

Überhaupt steht Zarathustra nicht im Leben, sondern schwebt über dem Leben. Ist ihm der gemeine Kampf ums Dasein erspart? Oder findet er es unter seiner Würde, ihn seiner Aufmerksamkeit zu würdigen? Er, der so feinsinnig von Kind und Ehe zu reden weiß, findet kein Weib, von dem er Kinder möchte. Er hat nur das Verhältnis von Mann und Weib beobachtet, hat über das Verhältnis von Mann und Weib nur nachgedacht: er selbst hat als Mann kein Verhältnis zum Weib! Er lebt aber auch nicht mit seinen Jüngern oder Brüdern. Hört man genauer zu, so redet er nicht einmal zu ihnen: er expektoriert sich nur vor ihnen. Nicht einmal das Gespräch mit dem verzweifelnden Jüngling, den der Neid auf Zarathustra zerstört hat, macht davon eine wirkliche Ausnahme (VI, 59 ff.) Ist es der Neid auf Zarathustra, an dem der Jüngling nach seinem eigenen Bekenntnis letztlich krankt, so hätte ihn Zarathustra doch etwas anders anzufassen als er es tut. Zarathustra nimmt ihn also nicht ganz ernst; – wie der Jüngling selbst sich doch nicht ganz ernst nimmt. Wie wäre das auch möglich? Die höheren Menschen um Zarathustra stehen so wenig im wirklichen Leben drinnen wie Zarathustra selbst. Was treiben sie denn eigentlich mit einander, nachdem sie sich in Zarathustras Höhle zusammengefunden haben? Sie expektorieren sich in geistreichen Reden und exaltierten Liedern: das ist alles! Wie der Not abzuhelfen sei, die sie hergetrieben hat, kommt nicht zur Sprache. War es denn eine wirkliche Not? Insofern tut Zarathustra wohl daran, sich von dem Mitleid mit dem höheren Menschen als seiner letzten Sünde zu befreien und diese höheren Menschen durch seinen Löwen verscheuchen zu lassen.

So selbstbewußt sich uns Zarathustra als Lehrer des Lebens anbietet: wir haben doch guten Grund, gegen ihn etwas zurückhaltend zu sein. Wer Leben lehren will, sollte sich doch selbst mit dem wirklichen Leben in eigener reichlicher Erfahrung leidend und tätig bekannt gemacht haben: und das eben scheint Zarathustras schwache Seite zu sein. Deshalb kann es wohl geraten sein, auf seine Rede zu hören; aber man wird dann doch die Frage der Verwirklichung in der gegebenen Wirklichkeit ernster nehmen müssen, als er es getan hat.


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