Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XXXI. Kapitel.

An einem schönen, milden Septembermorgen des Jahres 1575 wanderte der Pfarrer Conrad Schneeganß in dem kleinen Gärtchen vor seinem Hause mit langsamen Schritten auf und nieder. Es war ein Sonnabend, und der geistliche Herr bereitete sich auf seine Sonntagspredigt vor. Das pflegte er, wann es irgend möglich war, im Freien zu tun, denn in Luft und Sonnenschein kamen ihm bessere Gedanken als in der engen Studierstube. Hie und da blieb er stehen, in tiefes Nachdenken verloren, dann wieder bei einer besonders nachdrücklichen Stelle schritt er schneller aus und fuchtelte kräftig mit der Hand in der Luft herum. Er war so vertieft in seine Gedanken, daß er eine heransprengende Reiterschar erst gewahrte, als sie dicht vor dem niedrigen Tore des Pfarrhofes Halt machte.

»Guten Morgen, Pfarrer!« rief Herr Bertram von Wintzingerode, indem er sich aus dem Sattel schwang. »Ihr denkt gewiß über Eure Predigt nach. Tut mir leid, daß ich Euch darin stören muß, aber mein Anliegen leidet keinen Aufschub.«

»Ich bin Euch zu Diensten, Junker!« antwortete der Pfarrer, und auf ein lediges, aber gesatteltes Roß deutend, fuhr er fort: »Es scheint, als ob Ihr mich mitnehmen wolltet. Das paßt mir schlecht, um es offen zu sagen, denn ich bedarf am Sonnabend der Ruhe und der inneren Sammlung. Ich nehme an, daß Ihr eine Amtshandlung von mir begehrt.«

»Gewiß, und Ihr werdet Euch ihrer nicht weigern. Doch laßt uns ins Haus treten, ich habe ernste Dinge mit Euch zu besprechen.«

Als sie in der kleinen, dämmrigen Studierstube des Pfarrers saßen, begann der Edelmann: »Ihr sollt einen Menschen auf seinen Tod vorbereiten. Wißt Ihr, wen? Meinen Vetter Barthold!«

Der Pfarrer schlug erschrocken die Hände zusammen, aber ehe er etwas sagen konnte, fuhr Bertram fort: »Die Pfaffen wollen ihn richten. Der Graf von Hohnstein hat seine Einwilligung gegeben. Wie sie ihn dazu gebracht haben, weiß ich nicht, ich vermute aber, daß der verfluchte Bunthe dahinter steckt, der alles Bösen Eckstein ist. Nur zwei Bedingungen hat der Graf gesetzt und damit gezeigt, daß er noch nicht ganz ein Knecht der Pfaffen ist: Sie dürfen ihn nicht peinlich befragen und müssen ihm gestatten, daß er vor seinem Ende das heilige Abendmahl nach der Weise des Augsburgischen Bekenntnisses nimmt. Den Geistlichen, der es ihm reicht und ihn zum Tode vorbereitet, darf er sich wählen. Er hat Euch gewählt.«

Herr Conrad Schneeganß war so erschüttert, daß er zunächst kein Wort fand. Er saß stumm mit gefalteten Händen, und eine Träne rann über sein Angesicht. »So soll ich ihn noch einmal wiedersehen in diesem Leben! Aber wie werd' ich ihn finden? Als einen im Kerker verkümmerten Mann!«

»Ihr seid also bereit, ihm diesen letzten Dienst zu erweisen?«

»Da könnt Ihr noch fragen? Ich reite auf der Stelle mit Euch!« rief der Pfarrer aufspringend. »Oder sollen mir nur Eure Knechte das Geleit geben?«

»Nein, wir machen die Reise zusammen«, erwiderte Bertram. »Ich bin mit dem Kurfürsten vertragen und ausgesöhnt und habe nichts zu befürchten. Auch Klaus habe ich die Nachricht zugesandt. Ich denke, er stößt unterwegs zu uns oder kommt uns nach. Er trägt die Feldbinde eines braunschweigischen Rittmeisters, darum werden es die Pfaffen wohl bleiben lassen, ihn irgendwie anzutasten. Herzog Julius ist in solchen Dingen ein verteufelt kitzlicher Herr.«

Kaum eine halbe Stunde später verließ die Reiterschar das Dorf und ritt die Straße nach Westen dahin, die ins Hessische führte. Für den Pfarrer waren die vier Tagereisen bis an den Rhein eine gewaltige Anstrengung. Er war des Reitens recht wohl kundig und hielt sich ganz gut im Sattel, aber er war der Sache ungewohnt. Gleichwohl trieb er stets zur höchsten Eile an, denn der Gedanke peinigte ihn sehr, er könne zu spät eintreffen, und Herr Barthold müsse dann ohne die Tröstungen der Religion seinen letzten Gang antreten.

So traf man denn um die Mittagszeit des fünfzehnten September in der Residenz des Kurfürsten ein. In der Herberge zu den drei Raben brachte Herr Bertram die Knechte und die Pferde unter, dann begab er sich mit dem Pfarrer sogleich in das Augspurgische Haus. Der alte Doktor Johann Augspurg war Herrn Bartholds Sachwalter gewesen, denn der Ritter bestieg das Schafott nicht auf einen bloßen kurfürstlichen Machtspruch hin, man hatte ihn vielmehr mit aller Form Rechtens zu Tode prozessiert. Nicht etwa der Felonie hatte man ihn angeklagt, seiner Taten gegen den Hohnsteiner Grafen und den Kurfürsten von Mainz war in der Anklage mit keinem Wort Erwähnung getan. Nur des Mordes, begangen an dem Förster Arnold Geilhaus, hatte man ihn bezichtigt und deshalb das Todesurteil über ihn gesprochen.

Das alles erzählte Doktor Augspurg den beiden mit Tränen in den Augen. »Man mied die Anklage wegen Felonie, weil man dadurch dem kaiserlichen Gerichte in seine Rechte eingegriffen hätte«, setzte er hinzu. »Außerdem wollte man sein Gedächtnis schänden für alle Zeit, indem man ihn zu einem gemeinen Mörder macht. Wer jener Geilhaus war, und was er getan hat, danach wurde nicht gefragt. Niemals, Ihr Herren, ist niederträchtigeres Possenspiel mit der heiligen Justitia getrieben worden! Was ich auch einwarf zu seinen Gunsten, das hörte man mit lächelndem Hohne an, denn der endliche Spruch war längst im voraus entschieden.«

»Wie haben sie ihn im Gefängnis gehalten?« fragte Bertram mit finster zusammengezogenen Brauen.

»Sie hielten ihn in harter Haft. Gequält haben sie ihn nicht, zum wenigsten nicht seinen Leib. Die Seele dagegen marterten sie mit fortwährenden Bekehrungspredigten. Hundertmal ist Bacharell zu ihm gelaufen und hat ihm die Hölle vorgemalt, wenn er bei Luthers Lehre bliebe, und hat ihm das Leben, ja die Freiheit versprochen, wenn er öffentlich seine Ketzerei abschwören wolle. Davon versprachen sich die Jesuiten den größten Triumph. Aber Herr Barthold ist festgeblieben. Sein sehnlichster Wunsch ist, noch einmal den Leib und das Blut des Herrn zu genießen.«

»So schaffet, daß wir recht bald zu ihm gelangen!« rief Bertram.

Augspurg setzte eine bedenkliche Miene auf. »Ich fürchte, Junker, Euch wird man nicht passieren lassen. Dem Herrn Pfarrer dürfen sie den Zutritt nicht versagen, aber von Euch steht nichts in dem Pakt. Wie ich die Pfaffen kenne, weisen sie Euch rundweg ab.«

Diese Voraussetzung erfüllte sich. Zu Bertrams bitterer Enttäuschung bedeutete man ihn, daß man nicht in der Lage sei, seinem Gesuche zu willfahren. Nicht nur mit Zorn und Unmut, sondern mehr noch mit Trauer und Niedergeschlagenheit nahm er den abschlägigen Bescheid entgegen. Er wußte, wie sehr sich Barthold gefreut' haben würde, noch einmal einen von seinem Blut und Geschlecht zu sehen, und nun versagten ihm seine boshaften Feinde und Henker auch noch diese letzte kurze Wohltat. –

Gegen Abend wurde der Pfarrer von einem kurfürstlichen Rate und zwei Landsknechten abgeholt, um zu Herrn Barthold geleitet zu werden. Bertram drückte ihm, als er Abschied nahm, heftig die Hand und sagte mit bewegter Stimme: »Wenn Klaus noch kommt – wir nehmen an der Südecke des Marktes Aufstellung. Dort sucht uns mit den Augen und macht meinen Vetter auf uns aufmerksam, wenn er das Schafott betritt. Vielleicht sieht er uns noch einmal. Und sagt ihm von mir und meinem Bruder, wir dächten in Ehren und Treuen seiner und wünschten ihm ein selig Sterbestündlein und eine fröhliche Auferstehung.«

Die Stimme brach ihm, und er wandte sich ab.

Auf dem Markte ward gerade das Schafott gezimmert, als der Pfarrer den Platz betrat. Eine große Volksmenge hatte sich versammelt und sah zu, wie das schwarze Tuch auf das Holz aufgenagelt wurde. Denn der folgende Tag war zur Hinrichtung bestimmt. Früh in der achten Stunde, wenn das Landvolk zum Markte in die Stadt geströmt war, sollte der Henker seine blutige Arbeit verrichten.

Der Gefangene war aus dem dumpfen, feuchten Kerker, in dem man ihn bisher gehalten hatte, in ein kurfürstliches Haus am Markt gebracht worden. Man hatte ihm für die letzte Nacht ein helles, luftiges Gemach angewiesen, das eine Aussicht auf den weiten Platz gewährte. Nicht aus Gnade hatten die Jesuiten das getan, sondern in der Hoffnung, daß ihn der Blick auf das Schafott noch in letzter Stunde mürbe und gefügig machen werde. Noch einmal hatten die Patres Bacharell und Thyreus alle Mittel der Beredsamkeit erschöpft, um seinen starren Sinn zu beugen, aber der Ritter hatte ihnen überhaupt keine Antwort mehr gegeben. So hatten sie ihn endlich als einen unbelehrbaren, ewig verdammten und verlorenen Ketzer seinem Schicksal überlassen.

Der Pfarrer mußte durch einen Haufen von Landsknechten hindurchschreiten, die vor der Tür Wache hielten und schwatzend und lachend herumstanden. Selbst auf der breiten Treppe, die zu dem Gemach Herrn Bartholds hinaufführte, lagerten noch Soldknechte, die schreiend und schimpfend um etliche Silberstücke würfelten. Droben ließ der kurfürstliche Rat die Tür aufschließen und forderte den Pfarrer durch eine stumme Handbewegung zum Eintreten auf. Auch auf dem Wege hierher hatte er kein einziges Wort gesprochen. Dann trat er zurück, und sogleich ward von außen der Riegel wieder vorgeschoben.

Herr Barthold stand gerade am Fenster und blickte hinunter auf den Platz, von dem der dumpfe Klang der Hämmer heraufschallte. Auf das Geräusch hinter ihm wandte er sich langsam um.

Conrad Schneeganß hatte in seinem Beruf schon viel Erschütterndes erlebt und ließ sich nicht leicht von einem äußeren Eindruck überwältigen. Aber was er da vor sich sah, ergriff ihn so tief, daß er das Bündel mit den heiligen Gefäßen achtlos zu Boden fallen ließ. Mit weitgeöffneten Augen und schreckensbleichen Zügen starrte er die Erscheinung an, die auf ihn zutrat. War das Herr Barthold von Wintzingerode? Dieser zusammengesunkene, zittrige Greis, dem langes, schneeweißes Haar um das Haupt hing, und dem ein noch viel längerer, schneeweißer Bart fast bis auf den Gürtel niederwallte? Die Stirn trug er tief vornübergebeugt, das Antlitz war so fahl und bleich wie das Gesicht eines Toten. Nur die Augen funkelten aus ihren tiefen Höhlen so scharf und feurig wie ehedem.

»Gott zum Gruße, Pfarrer!« sagte er. »Ihr kennt mich wohl nicht mehr?«

Da stürzte Conrad Schneeganß auf ihn zu, fiel zu seinen Füßen nieder und umklammerte seine Knie. Zu reden vermochte er nicht. Tränen erstickten seine Stimme.

»Ja, ja! Ich glaub's wohl, daß Ihr mich verändert findet«, fuhr Herr Barthold fort und erfaßte das Haupt des Knienden mit seinen mageren, zitternden Händen. »Fünfzehn Monate im Kerker der Väter Jesu, die machen einen Mann in meinen Jahren zum welken Greise. Ein Greis bin ich geworden, müde, ach müde des Lebens! Ich sehne mich, abzuscheiden und bei Christo zu sein, der mich wohl trotz aller Sünden und Fehler meines Lebens in sein Reich aufnehmen wird.«

»Das wird er gewißlich!« sagte der Pfarrer aufstehend und mühsam nach Fassung ringend. »Wer ihm treu ist bis in den Tod, dem will er die Krone des Lebens geben. Und Ihr habt ihm ja die Treue bewährt im Kerker und haltet fest an unserem heiligen Glauben, auch im Angesichte des Hochgerichts. Wollt Ihr, Herr, daß ich Euch das heilige Sakrament sogleich reiche?«

»Nein, morgen früh. Es soll mich stärken zum letzten Gange. Ihr dürft die ganze Nacht bei mir bleiben und sollt mich morgen zum Schafott begleiten. Jetzt setzt Euch her zu mir und erzählt mir von dem, woran einzig und allein auf dieser Erde mein Herz noch hingt. Wie lebt mein liebes Weib? Wie geht es ihr?«

»Frau Käthe wohnt still und eingezogen mit ihren Töchtern auf dem Hofe in Wintzingerode. Sie trägt den Witwenschleier und klagt viel um Euch.«

»Weiß sie es, daß ich morgen zum Tode gehe?«

»Nein, Herr Bertram hat es ihr nicht gesagt. Er meint, sie erführe die Trauerkunde noch früh genug.«

»Das ist recht!« sagte Herr Barthold. »Warum soll sie sich nutzlos grämen! Sie kann mir ja doch nicht helfen.«

»Sie hat in letzter Zeit zweimal große Freude erlebt«, fuhr der Pfarrer fort. »Erst kam aus Sachsen die Kunde, daß Eure Tochter Anna eines gesunden Knäbleins genesen sei –«

»Das freut mich sehr!« rief Herr Barthold dazwischen. »Schreibt Ihr, daß ich dem Kinde ein rechtes Glück im Leben wünsche!«

»Dann hat sich ein Freier für Eure Tochter Sophie eingefunden, der kursachsische Rat Reyher. Ein stattlicher junger Mann, ich sah ihn neulich.«

»Den kenne ich«, sagte Herr Barthold. »Vor etwa zwei Jahren kehrte er mit Bünau bei mir auf dem Bodenstein ein. Er hat mir damals wohlgefallen. Man soll ihm ja das Mädchen geben. Wenn ein Mann sich ein Weib in ihrer Lage zur Gattin wählt, so wird er es ehrlich meinen und ihr die Treue fürs Leben halten. – Wie geht es Klaus?«

»Der Junker ist bei Herzog Julius in Wolfenbüttel und soll viel gelten bei dem Herrn. Er hat Barbara von Hoven heimgeführt. Es war eine kleine, stille Hochzeit, ich habe die beiden getraut. Wenige Wochen vorher war der alte Junker von Hoven schlafen gegangen.«

»Auch einer, den ich droben wiederzusehen hoffe«, erwiderte Herr Barthold, und mit einem tiefen Atemzug setzte er hinzu: »Nun noch eine Frage, Pfarrer: Wie halten sich meine Vettern, die mich bei meinen Lebzeiten beerbt haben, in Sachen unseres heiligen Glaubens? Stehen sie fest wider die listigen Anläufe der Pfaffen?«

»Ja, Herr, das kann ich von ihnen rühmen. Der ganze Adel hat sich ermannt und hält fest zusammen fürs Evangelium. Herr Bertram steht in der vordersten Reihe. Kurz nach Eurer Wegführung kamen katholische Pfaffen nach Wintzingerode und wollten dort ihre Zeremonien ausüben. Die hat er sogleich verjagen lassen und sich an den Braunschweiger um Hülfe gewandt. Darauf hat man den Bodenstein in Ruhe gelassen.«

Herrn Bartholds Augen glänzten. »Dafür drückt ihm die Hand in meinem Namen! Und allen, allen, meinem herzlieben Weibe und meinen Kindern allen, die mein Andenken ehren, bringt meinen letzten Gruß und Segenswunsch! Gott der Herr segne und behüte mein ganzes Geschlecht! Er segne auch mein ganzes Gericht und erhalte es bei seinem Worte!«

Ein Diener trat ein und brachte die Abendkost und eine Kerze. »Setzt Euch zu mir und laßt uns essen, Pfarrer!« sagte Barthold. »Das wird meine letzte Mahlzeit sein, denn morgen früh genieße ich nichts als Leib und Blut des Heilands.«

Als sie gegessen hatten, sprach Herr Barthold mit tiefem Ernst: »Nun nichts mehr von irdischen Dingen! Nehmt Eure Bibel und lest mir die Kunde von unseres Herrn Tode und die tapferen Sprüche des Apostels Paulus und legt sie mir aus.«

So saßen sie beisammen, bis nach Mitternacht die Kerze verlosch. Da suchten sie beide ihr Lager auf, und Herr Barthold verfiel bald in einen tiefen Schlaf, während der Pfarrer schlummerlos dalag und hin und wieder kummervoll aufseufzte, bis das Morgenlicht durch die Scheiben brach. Mit Trommeln und Pfeifen zogen draußen die Landsknechte auf, und das Geräusch vieler Stimmen, das durchs Fenster drang, zeigte an, daß sich schon eine große Volksmenge eingefunden hatte. Aber der Ritter schlief so fest, daß er von all dem Lärm nichts vernahm und erst durch die eintretenden Knechte des Nachrichters geweckt wurde.

»Es ist hohe Zeit, Pfarrer«, sagte er, »daß Ihr mir die letzte Wegzehrung reicht.« Dann sprach er mit fester Stimme die Worte des lutherischen Beichtbekenntnisses und das Vaterunser und empfing aus Herrn Conrads Hand das heilige Sakrament.

Die Henkersknechte hatten dem allen stumpf und blöde zugeschaut. Sie schoren ihm darauf das lange Haupthaar ab und warfen ihm einen Armensünderkittel über. Dann gaben sie ein Zeichen zum Fenster hinaus, und kurz darauf trat derselbe kurfürstliche Rat in die Tür, der gestern den Pfarrer hergeleitet hatte. »Folgt mir zu Eurem letzten Gange!« gebot er. »Der Prädikant mag Euch aufs Schafott geleiten, da Ihr ja doch als ein verstockter Ketzer sterben wollt.«

Ruhig und gefaßt schritt Herr Barthold die Treppen hinunter. Als er aus dem Hause trat, wurde er von acht Trompetern angeblasen, die dann weiter blasend vor ihm herschritten, bis er dicht vor dem Schafott stand. Dort hatte der kurfürstliche Offizial auf einem erhöhten Orte Aufstellung genommen, um ihn herum im Halbkreis eine große Menge von kurfürstlichen Räten, Priestern und Jesuiten. Kurfürst Daniel selbst sah aus dem Fenster eines benachbarten Hauses dem düstern Schauspiele zu.

Mit lauter Stimme verlas der Offizial das Todesurteil, »daß der peinlich beklagte Barthold von Wlntzingerode wegen seiner Untat den Frommen zu Schutz und den Unfrommen zu einem abschrecklichen Exempel heutigen Tages mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gestraft und gerichtet werden solle.« Dann brach er über ihn den Stab.

Mit festem Schritt trat Herr Barthold auf das Schafott, neben ihm der Pfarrer. Die Landsknechte wirbelten mit ihren Trommeln, die Trompeten begannen ein lautes Geschmetter. »Seht dorthin, Herr!« raunte der Pfarrer dem Ritter zu und wies auf eine Ecke des Platzes, wo zwei hochgewachsene Männer standen, deren einer die braunschweigischen Farben trug.

Herrn Bartholds immer noch scharfe Augen erkannten die beiden. Er hob grüßend die Hand, und über sein Antlitz ging ein helles Leuchten. Dann legte er sein Haupt auf den Block. »Komm, o Herr Jesu!« waren seine letzten Worte. Das Schwert des Henkers sauste hernieder, und das Haupt Bartholds von Wintzingerode rollte in den Sand!

Ein lauter Aufschrei gellte durch die Luft, so daß viele erschrocken die Köpfe umwandten. Klaus hatte ihn ausgestoßen und barg nun aufstöhnend sein Antlitz in den beiden Händen.

So stand er lange. Endlich legte ihm Bertram die Hand auf die Schulter und sagte: »Komm, Vetter! Das Weinen hilft zu nichts. Wir wollen sehen, daß wir den Leib deines Vaters erhalten, um ihn ehrlich und christlich zu bestatten!« Und finster und drohend fügte er hinzu: »Unser Blut, das Blut der Wintzingerode, ist auf dem Hochgerichte geflossen durch der Pfaffen Hand! Das laß uns nie vergessen! Auch unseren Kindern und Enkeln wollen wir das einschärfen, damit sie fest auf der Wacht stehen gegen die Priester, die den Namen Jesu schänden. Für jeden, der unser Blut in den Adern trägt, muß es fortan gelten, was deines Vaters Wahlspruch war: Allzeit treu dem Evangelium und allzeit wider die Pfaffen!«


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