Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI. Kapitel.

Pünktlich zur angesetzten Stunde hielt Erzbischof Daniel auf seinem prächtigen Schimmel vor der Tür des Augspurgschen Hauses. Er schwang sich mit jugendlicher Kraft aus dem Sattel, warf dem Reitknecht die Zügel zu und schritt, ohne sich weiter umzublicken, hinein. Keinen seiner zahlreichen Hofherren hatte er mitgenommen, ein Begleiter konnte ihn nur stören. Er war fest entschlossen, heute eine Entscheidung herbeizuführen, denn das Schmachten und Harren der letzten Zeit hatte ihn fast krank gemacht. Die wilde Glut, die in ihm entfacht war, ließ sich nicht mehr dämpfen, er lechzte danach, das Weib, nach dem alle seine Sinne verlangten, in seine Arme zu reißen. An seinem Siege zweifelte er nicht. Er kannte seine Macht über Frauenherzen, und noch immer war er der stattlichste Mann an seinem Hofe, obwohl ihm das Haar an den Schläfen bereits ergraute. Zudem wußte er wohl, welch einen Zauber der Fürstenhut, der ihm die Stirn schmückte, auf weibliche Gemüter ausübte. Warum sollte sie ihm widerstehen? Hatte er nicht genug schon in ihren Augen gelesen?

Der Hausherr eilte dem hohen Gast bis zur Mitte der Treppe entgegen und stammelte eine Entschuldigung, daß er Seine kurfürstliche Gnaden nicht am Eingange seines Hauses begrüßt habe. Aber der Kurfürst winkte ungeduldig ab und sagte rasch und erregt: »Keine Umschweife, Augspurg! Ihr wißt, warum ich komme?«

»Ich ahne es, kurfürstliche Gnaden.«

»Dann führt mich zu Eurer Nichte und laßt mich mit ihr allein!«

Augspurg verneigte sich schweigend und schritt dem Herrn voran durch den oberen Vorsaal des Hauses. Dann öffnete er eine Tür und ließ den Kurfürsten eintreten.

Anna saß auf einem niedrigen Schemel vor einem schmalen Tische, auf dem ein Stickrahmen mit einer kostbaren Goldstickerei prangte. Aber ihre Hände feierten. Sie fand heute die Ruhe nicht, die feinen Goldfäden durch das Gewebe zu ziehen. Unablässig sann und grübelte sie über der einen Frage: Wie konnte es ihr möglich werden, dieses Haus, diese Stadt baldigst zu verlassen und heimzukehren in das alte Schloß auf dem Eichsfelde? Dort fand sie sicher die Ruhe des Herzens wieder. Blieb sie aber hier und unterlag sie dem Zauber, der unheimlich auf ihr Gemüt wirkte, so war sie ein verlornes Weib.

Nun stand auf einmal der Mann vor ihr, gegen den alle ihre Gedanken rangen. War's Wirklichkeit? War's eine Einbildung ihrer aufgeregten Sinne?

Jäh erbleichend stand sie auf, ohne zu wissen, was sie tat. Ihr war's, als schwände der Boden unter ihren Füßen. Mit beiden Händen klammerte sie sich an die Tischplatte an und starrte dem Kurfürsten mit großen, weitgeöffneten Augen ins Gesicht. Zu reden vermochte sie nicht.

Der Kurfürst eilte mit raschem Schritt auf sie zu. »Um Gott«, rief er, »was ist Euch, liebste Jungfrau? Hat Euch mein Kommen so erschreckt?«

Da flog ein Zittern durch ihre Gestalt, es schien, als wolle sie umsinken. Der Kurfürst umfaßte sie, und schwer sank ihr Haupt mit geschlossenen Augen an seine Schulter. Für einige Augenblicke entschwanden ihr die Sinne.

Als ihr das Bewußtsein zurückkehrte, fand sie sich in den Armen des Kurfürsten, sah seine heißen schwarzen Augen dicht über ihr Antlitz geneigt und fühlte seinen brennenden Kuß auf ihren Lippen.

Da schrie sie wild und gellend auf und stieß ihn mit solcher Kraft vor die Brust, daß er zurücktaumelte. »Herr«, rief sie außer sich, »was wagt Ihr? Wer gibt Euch das Recht, mich zu beschimpfen?«

»Anna«, rief der Kurfürst in höchster Erregung. »Was soll das? Wozu dein Sträuben? Siehst du nicht, daß ich dich liebe? Sehe ich nicht, daß du mich liebst? Was hindert uns, glücklich zu sein?«

»Meine Ehre«, entgegnete sie mit flammenden Augen und trat einen Schritt zurück, da er von neuem sie umfassen wollte. »Ihr sprecht von Liebe? Das hört ein ehrbares Mädchen nur von dem Manne, der sie zu seinem Weibe machen will. Und nun frage ich Euch: Habt Ihr daran auch nur gedacht?«

Der Kurfürst antwortete nicht sogleich. Er war sehr bleich geworden.

»Anna«, begann er nach einer Weile, »höre mich an. Du weißt, ich bin ein Fürst, und große Macht ist mein. Das alles soll zu deinen Füßen liegen. Ich will dir jeden deiner Wünsche erfüllen, du sollst die Königin meines Herzens sein« – –

Eine gebieterische Handbewegung der Jungfrau ließ ihn verstummen. »Schweigt!« rief sie heftig. »Nicht danach fragte ich Euch. Ich wollte wissen, ob Ihr bei Eurer Werbung den Willen hattet, mich zu Eurem ehelichen Gemahl zu machen.«

»Vor der Welt darf ich kein Weib haben«, entgegnete der Kurfürst finster. »Aber so wahr mir Gott helfe und die heilige Jungfrau – vor Gott wollte ich dich als mein Weib halten! Eine heimliche Ehe, eine Gewissensehe sollte uns vereinen.«

»Eine heimliche Ehe!« rief Anna. »Vor der Welt sollt' ich also als Dirne gelten? O Gott, was hab' ich getan, daß man mir solche Schande und Sünde zumutet!«

»Sünde, für die unsere heilige Kirche reiche Vergebung hat aus dem Schatze der Gnade«, sagte der Kurfürst. »O Kind, du bist aufgewachsen in der lutherischen Ketzerei, wo es keine Gnade, keine Vergebung der Sünde gibt. Du kennst nicht die Seligkeit, die das Herz durchströmt, wenn es in der Beichte rein gewaschen ist von aller Schuld. Du ahnst nicht, wie liebevoll unsere heilige Mutter Kirche ihren Kindern vergibt – sie weiß ja, daß wir sündigen müssen, wir mögen wollen oder nicht. Gott will es sogar selbst, daß wir sündigen, damit seine Gnade an uns um so mächtiger werde. O komm zu uns, werde eine Tochter unserer heiligen apostolischen Kirche. Dann wirst du lernen, daß die Sünde, die ein liebendes Weib begeht, gar leicht verziehen wird von der Königin des Himmels, die selbst ein Weib gewesen ist.«

»Nimmermehr!« rief Anna. »Niemand kann mir vergeben, was ich mir selbst nicht vergeben könnte. Wie der Versucher steht Ihr vor mir, und es graut mir vor Euch. Geht, um Gottes willen geht und laßt ab von mir. Niemals, niemals kann ich die Eure werden!«

Sie war hinreißend schön in ihrem Zorne, wie sie so dastand mit geröteten Wangen und flammendem Blick. Der Kurfürst sah sie mit funkelnden Augen an, aber nicht nur heißes Begehren sprach aus seinem Blick, sondern auch tödlich verwundeter Stolz.

»Anna«, sagte er mit einer Stimme, die vor Aufregung heiser klang. »Ist das dein letztes Wort? Du weist mich schmachvoll ab? Das erträgt kein Fürst. Bedenke, mit wem du redest!«

»Und wäret Ihr der Kaiser, ich müßte sagen: Hinweg von mir!« rief Anna.

Der Kurfürst zuckte zusammen, als hätte ihn ein Schlag ins Gesicht getroffen, und bleich vor Grimm stieß er hervor: »So wirst du merken, Mädchen, wie ich kindischen Trotz zu brechen weiß!« Dann wandte er sich zu gehen.

Aber noch ehe er das Gemach durchschritten hatte, kamen eilige, klirrende Tritte über den Vorsaal, man hörte draußen einen Schrei des alten Augspurg, einen kurzen scharfen Wortwechsel, die Tür ward jählings aufgerissen, und auf der Schwelle stand der Junker Heinrich von Bünau.

Ein paar Augenblicke war es ganz still im Zimmer. Der Kurfürst sah überrascht und erstaunt auf den ihm unbekannten Mann, der so plötzlich ungemeldet ins Zimmer trat, der Junker ließ seine Blicke stumm von einem zum andern gehen, und Anna war von neuem fast einer Ohnmacht nahe. War denn Zauberei im Spiel, daß der leibhaftig vor ihr stand, den sie mehr als fünfzig Meilen entfernt wähnte?

»Wer seid Ihr?« fragte endlich der Kurfürst kalt.

»Ich bin der Junker von Bünau, dieser Jungfrau Verlobter«, antwortete Heinrich. »Oder bin ich's nicht mehr? Kam ich zu spät?«

»Heinrich!« schrie Anna und stürzte auf ihn zu. »Nein, du kommst zur rechten Zeit, ach Gott sei Dank, daß du kommst, um mich zu schützen und zu retten!« Sie warf sich an seine Brust, und heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.

Über Bünaus Antlitz flog ein heller Schein, aber gleich darauf zogen sich seine Brauen finster zusammen, und seine Hand fuhr ans Schwert. »Hat dir der Herr Schimpf und Gewalt angetan?« fragte er drohend.

»Nein«, sagte Anna und faßte seine Hand. »Laß ihn gehen«, setzte sie leise hinzu, »es ist der Kurfürst.«

»Ich weiß es«, versetzte Bünau hart. »Aber, bei Gott, das würde mich nicht hindern, ihn niederzustoßen, wenn er dir Böses getan hätte.«

»Gebt Raum, junger Mann, Ihr seid von Sinnen«, sagte der Kurfürst und schritt, ohne ihn anzublicken, dem Ausgang zu. Auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um, und mit einem haßfunkelnden Blicke sagte er: »Vergeßt diese Eure Worte nicht, Junker! Und Ihr, schöne Jungfrau, Ihr hört noch von mir.« Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Bünau strich sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen bösen Traum verscheuchen. »Um Gottes willen, Anna, was war das? Wie soll ich das deuten? Was wollte der Kurfürst bei dir?«

»Der Kurfürst wollte mich zu seiner heimlichen Liebsten machen!«

Bünau fuhr zurück. »Und du?« fragte er atemlos.

»Ich wies ihn ab, wie sich's gebührt!«

»Aber wie konnte er das wagen?« brach nun Bünau los. »Wie durfte er so niedrig von dir denken! Hier« – er wühlte in der Tasche seines Wamses und brachte ein zerknittertes Schreiben ans Licht, das er mit zitternden Händen entfaltete –, »dieser Brief erreichte mich vor fünf Tagen in Dresden. Wer ihn gesandt hat, weiß ich nicht, aber es muß ein Mann sein, der genau Bescheid weiß. Da ward mir geschrieben, der Kurfürst sei toll und rasend vor Liebe zu dir, er würde dich mit Gewalt auf eines seiner Schlösser schleppen, wenn du dich sträuben solltest. Darauf nahm ich Urlaub, jagte hierher. Ich sehe, der Mann hat nicht gelogen. Wie ist es möglich? Ich glaubte dich hier in guter Hut. Wie kommt der Kurfürst zu dir?«

»Heinrich!« rief Anna, »ich will dir alles erzählen und, beim allmächtigen Gott, ich will dir nichts verhehlen, dann richte, ob ich unwürdig bin in deinen Augen!« Und manchmal stockend, dann wieder in fliegender Hast erzählte sie, wie der Kurfürst ihr gehuldigt habe vom ersten Tage an, da er sie erblickt, und wie sie sich anfangs aus Torheit und Eitelkeit das alles gern habe gefallen lassen. Sie klagte sich selbst an, daß sie dem Zauber fast erlegen sei, der von dem fürstlichen Manne ausging, sie verschwieg auch nicht ein Wort von dem, was geschehen war.

Bünau hörte regungslos die Beichte seiner Braut an, aber immer lichter wurden seine Züge. »Anna«, sagte er, als sie geendet hatte und voll Scham und Schmerz die Hände vors Antlitz schlug, »komm her und sieh mir in die Augen. Ist das alles, was zwischen dir und dem Kurfürsten geschehen ist?«

»Bei meiner Seligkeit«, erwiderte die Jungfrau.

»Und nun? Nun ist das abgetan für dich? Kannst du mir sein, was du mir früher gelobt hast, mein liebes Weib?«

»Ja«, rief sie aufjubelnd und lag an seiner Brust. »Du bist klar und treu, dir will ich gehören!«

Bünau drückte sie fest an sich und küßte sie innig. »Aber nun komm«, sagte er. »Es ist keine Zeit zu verlieren. In einer halben Stunde können die Knechte des verruchten Pfaffen hier sein. Unten halten meine Diener, du reitest sogleich mit mir, hier wärst du verloren. In einer Stunde sind wir auf Pfälzer Boden, da erreicht uns seine Hand nicht mehr.«


 << zurück weiter >>