Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XXVI. Kapitel.

In der Kirche des heiligen Martin zu Heiligenstadt hatte sich am Vormittag des siebenten Juni eine glänzende Versammlung eingefunden. Von den vier Kirchen und den sechs Kapellen der Stadt war vorher eine volle Stunde lang das Klingen der Glocken und das Gebimmel der Glöckchen zu hören gewesen. Es sollte dem Volke des Eichsfeldes verkünden, daß Volkmar Wolf, Graf zu Hohnstein, heute dem Kurfürsten und Erzbischof von Mainz als seinem Oberlehnsherrn für das Gericht Bodenstein schwören und huldigen wollte.

In der Mitte der Kirche zwischen dem Hochaltar und dem Grab der heiligen Märtyrer Aureus und Justinus war ein Holzgerüst errichtet, das mit scharlachrotem Tuch überkleidet war, und zu dem drei Stufen emporführten. Dort saß auf einem vergoldeten Thronsessel der Kirchenfürst, der den Kurhut trug und den reichverzierten Krummstab, das Zeichen seiner hohen geistlichen Würde, in der rechten Hand hielt. Der Graf von Hohnstein saß ihm gegenüber auf einem ähnlichen, aber niedrigeren Gestell, das seine Räte und ritterlichen Vasallen umstanden. Der ganze Raum um den Hochaltar war ausgefüllt von Geistlichen aller Grade. Im Hintergrund standen die gewöhnlichen Pfarrer und Kapläne, vorn spreizten sich die Stifts- und Kapitelherren und neben ihnen die Äbte und Äbtissinnen, die es noch auf dem Eichsfelde gab. Auch die Väter der Gesellschaft Jesu, die von Mainz mitgekommen waren, befanden sich in der ersten Reihe, dicht neben und hinter dem kurfürstlichen Throne. Stralendorf, der neu ernannte Landeshauptmann, hatte seinen Platz vor den Stufen, die zum Sitze seines Herrn hinaufführten. Neben ihm standen zwei Pagen mit gesiegelten Urkunden in den Händen.

Der übrige Teil des Gotteshauses war dichtgedrängt voll von den Herren des landsässigen Adels, den Ratsmitgliedern der drei Städte und kurfürstlichen Rittmeistern und Söldnerführern. Auf das gemeine Volk war nicht gerechnet, es hätte auch nirgends mehr Platz gefunden. Eine drückende Schwüle herrschte in dem Gotteshaus, nicht nur veranlaßt durch die Menge der Anwesenden, sondern auch durch den Duft der Weihrauchfässer und der zahllosen Wachskerzen, die man trotz des hellen Sonnenlichtes, das durch die bunten Scheiben flutete, zur Erhöhung der Feierlichkeit angezündet hatte.

Ein glänzendes Hochamt leitete den festlichen Akt ein. Es ward von Bunthe, dem neuen Landdechanten, zelebriert. Der Adel hatte sich vorher darüber geeinigt, daß man auch diesem Teil der Feier beiwohnen wolle. Um den Kurfürsten nicht unnötig zu erbittern, hörte man die römische Messe mit an, obwohl sie den Evangelischen als ein abgöttischer, widerchristlicher Greuel galt. Aber von irgendeinem Mittun, einer Teilnahme an der gottesdienstlichen Handlung war keine Rede, der ganze Adel und ebenso die ehrbaren Ratsherren blieben aufrecht stehen, als bei der Wandlung der Erzbischof und alle die Seinen auf die Knie niedersanken. Mancher von den älteren Herren faßte sich an die Stirn und fragte sich, ob er wache oder träume; das, was er sah, erinnerte ihn ja an eine Zeit, die vierzig bis fünfzig Jahre zurücklag, es war ein Bild aus seiner Jugend, da er selbst noch in den Irrtümern der Papstkirche wandelte. Von der jüngeren Generation sahen die einen mit grimmigen Blicken und düster zusammengezogenen Brauen, die andern mit spöttischem Lächeln dem fremden Schauspiel zu.

Nach dem Hochamt richtete der Kanzler des Grafen von Hohnstein im Namen seines Herrn eine wohlgesetzte Ansprache an den Kurfürsten, die er von einem Blatt ablas. Aus beweglichen Ursachen, hieß es da, sehe sich der edle und hochgebietende Graf von Hohnstein dazu veranlaßt, dem hochwürdigen Herrn von Mainz die Oberlehnsherrlichkeit über das Gericht Bodenstein anzutragen. Der Kurfürst wolle gnädigst kundgeben, ob er in Gnaden geneigt sei, diesem Antrage zu willfahren.

Darauf gab Stralendorf im Namen seines Herrn die Versicherung ab, daß Seine Kurfürstliche Gnaden bereit seien, den Lehnseid des Grafen entgegenzunehmen, und verlas den Vertrag von Bleicherode. Die Stelle, die das Versprechen freier Religionsübung enthielt, sprach er mit ganz besonderem Nachdruck und mit lauter Stimme. Es erhob sich danach ein Gemurmel unter dem versammelten Adel, aber es war nicht zu erkennen, was damit ausgedrückt werden sollte, Zweifel und Mißtrauen oder Beifall.

Dann erhob sich der Graf und stieg die Stufen zu dem erzbischöflichen Thron empor. Dort ließ er sich auf ein Knie nieder und sprach den Lehnseid nach, den Stralendorf ihm vorlas. Dann legte der Landeshauptmann das rot-weiße Banner der Herrschaft Bodenstein in die Hand des Kurfürsten, der übergab es dem Grafen, und der Graf reichte es dann, nachdem er es eine kurze Weile in der Hand behalten hatte, an Stralendorf zurück.

Damit war der symbolische Akt der Belehnung vollendet, und von dem Augenblick an war der Kurfürst von Mainz Oberlehnsherr über das Gericht, das seit den Tagen der staufischen Kaiser die Grafen von Hohnstein als Lehnsmannen des Reiches beherrscht hatten. Es war wohl keiner unter den anwesenden lutherischen Herren, der die freiwillige Unterwerfung des Grafen unter Mainz irgendwie billigte. Die allermeisten empfanden im Gegenteil den Vorgang, der sich da vor ihren Augen abspielte, als etwas tief Bedauerliches, ja als etwas Schändliches. Es war ihnen peinigend und demütigend, daß sie Zeugen sein mußten, wie ein evangelischer Reichsgraf von uraltem, vornehmem Geschlecht einem römischen Priester den Lehnseid schwur. Als daher jetzt der Kurfürst den knienden Grafen bei der Hand faßte, ihn gnädig aufhob und umarmte, brach wieder ein brausendes Gemurmel los, aber diesmal unterschied man deutlich Rufe des Mißfallens, ja sogar von da oder dort einen kernigen Fluch.

Befremdet ließ der Kurfürst seine schwarzen Augen im Kreise umhergehen und winkte mit der Hand. Sogleich trat tiefe Stille ein. »Meine lieben, andächtigen und getreuen Stände!« begann er mit klarer, weittönender Stimme. »Wir hatten, wie Euch bekannt ist, für die nun kommende Stunde eine Tagung angesetzt, um mit Euch zu beraten, was dem Lande nutzt und frommt. Gewichtige Gründe bestimmen Uns aber, für jetzt davon abzusehen. Es wird Uns eine Freude sein, Euch heute und morgen festlich zu bewirten, und Wir laden die edeln Herren von der Landschaft, sowie die Räte Unserer getreuen Städte zuvörderst freundlich ein, nachher im Saale des Rathauses mit Uns zu speisen. Von Geschäften jetzt nichts mehr! Wir werden zu gelegenerer Zeit eine Tagung mit Euch halten.«

Er neigte würdevoll das Haupt und schickte sich an, von seinem erhöhten Sitze herabzusteigen. Verwirrt und verdutzt blickten die Ritter einander an. Was sollte denn das heißen? Von der Angelegenheit, die alle Gemüter auf dem Eichsfeld bewegte, der Fehde mit Barthold von Wintzingerode, sollte überhaupt keine Rede sein? Der Kurfürst lud sie zu Schmaus und Bankett ein, ohne sie über ihre Haltung in dem bevorstehenden Kampf auch nur zu befragen! Meinte er denn im Ernst, er könne ihres Beistandes ganz entraten und den festen Bodenstein allein überwältigen? Das war doch kaum denkbar, so verblendet konnte er wahrlich nicht sein. Denn wenn er auch ihres Schwertes nicht bedurfte, ohne willige und ausgiebige Lieferungen der Landschaft an Proviant konnte er eine lange, vielleicht Monate hindurch andauernde Belagerung niemals ausführen. Die hatten sie ihm gewähren wollen, das war in ihrer gestrigen geheimen Sitzung beschlossen worden. Dagegen sollte der Kurfürst feierlich geloben und beschwören, daß er sie ohne alle Kränkung bei Luthers Lehre lassen und die Religionsbedrückung im Lande abstellen wolle. Nun war mit einem Mal der ganze klug ausgedachte Plan durchkreuzt. Der Kurfürst ließ sie achtlos beiseite stehen, gestern hatte er ihre Deputierten nicht empfangen, heute schickte er die ganze Ritterschaft einfach nach Hause. Kein Wunder, daß die stolzen Herren, die sich unentbehrlich gedünkt hatten, im ersten Augenblick wie gelähmt vor Erstaunen und Bestürzung dastanden.

Aber ihre Verblüfftheit verwandelte sich bei den meisten sehr rasch in Erbitterung und Zorn. Solch eine Behandlung waren sie nicht gewöhnt, das wollten sie sich doch nicht bieten lassen von diesem hochmütigen Pfaffen, den sie ihren Herrn heißen mußten, obwohl sie ihn und sein ganzes Gelichter im Innersten haßten und verachteten. Mochten die Ellenritter und Käsekrämer in den Städten solche Fußtritte ruhig hinnehmen, der Adel war nicht gewillt, sich als Luft betrachten zu lassen.

Martin von Hanstein faßte sich zuerst. Er trat vor und stellte sich dem Kurfürsten gerade in den Weg. »Gnädiger Herr! Erlaubt Euern getreuen Ständen, ein Anliegen vorzubringen!« rief er.

Erzbischof Daniel sah ihm kalt ins Gesicht. »Der Junker von Hanstein, wenn ich nicht irre?« fragte er.

»Der bin ich, Kurfürstliche Gnaden. Wollet mir erlauben, daß ich im Namen der Ritterschaft eine Bitte vortrage!«

Scharf und kurz klang die Gegenfrage: »Hat Euch die adlige Landschaft damit beauftragt?«

»Nein!«

»So kann ich nicht mit Euch verhandeln, wie Ihr selbst einsehen werdet«, sagte der Kurfürst und wollte an ihm vorüberschreiten. Aber Hanstein ließ sich nicht einschüchtern. Er reckte sich zu seiner ganzen beträchtlichen Länge empor und schrie mit gewaltiger Stimme: »Gebt Ihr mir Vollmacht, edle Herren und Freunde, für Euch mit Seiner Gnaden zu reden?«

»Ja! Jawohl! Heil Hanstein! Recht geredet!« erscholl es von allen Seiten. Es entstand einige Augenblicke ein ohrenzerreißendes Getöse, ein Gedränge und Geschiebe, denn jeder wollte möglichst aus nächster Nähe beobachten, wie der Auftritt verlaufen werde.

Kurfürst Daniel blickte in alle die finsteren und drohenden Gesichter um ihn her, und es kam ihm die Erkenntnis, daß er dem Verlangen der Ritterschaft nachgeben müsse. Diese Menschen sahen zum Teil aus, als scheuten sie auch vor einer Gewalttat nicht zurück. Außerdem war es ja immerhin möglich, daß Bunthes Anschlag gegen den Bodensteiner mißlang. Dann war er auf die Hülfe des Eichsfelder Adels sehr angewiesen und durfte deshalb die lutherischen Junker nicht allzusehr reizen und erbittern. War erst der verwünschte Wintzingerode sicher niedergeworfen, so konnte man andere Saiten aufziehn. Darum zwang er sich zu einem Lächeln und sagte, als plötzlich wieder Stille eintrat: »Ich sehe, daß die Herren von der Ritterschaft Euch als ihren Sprecher anerkennen. So redet!«

»Gnädiger Herr!« begann Hanstein, »laßt mich frei von der Leber weg reden, wie es unsere Art ist auf dem Eichsfeld. Wir alle, der ganze schloßgesessene Adel des Landes, stehen auf dem Augsburgischen Bekenntnis. Die Alten haben es angenommen, die Jüngeren, die meisten sind darin erzogen und groß geworden. Es ist uns lieb und wert und über alles heilig. Nun geht ein Gerücht im Lande, daß Euer Gnaden die Religion ändern wolle, und es ist etliches geschehen, was diesem Gerüchte Nahrung geben kann. Der Propst von Nörten hat einen Pfarrer aus Heiligenstadt vertrieben, der lange Jahre in Segen gewirkt hat. Derselbe Propst von Nörten hat einem in unserem Glauben Verstorbenen das ehrliche Begräbnis verweigert. Wohin soll das führen? Ist das mit Eurem Willen und Beifall geschehen, gnädiger Herr? Soll das Augsburgische Bekenntnis ausgerottet werden im Lande? Was mich anlangt, so werde ich mir eher das Herz aus dem Leibe reißen lassen, als ein Verräter werden an meinem Glauben.«

Auf diese tapferen Worte folgte eine tiefe Stille. Der Kurfürst war zunächst sprachlos vor Entrüstung und Empörung. Dieser lutherische Schuft wagte es nicht nur, vor ihm seine Ketzerei ganz öffentlich und frei zu bekennen, er setzte ihn auch durch seine Frage in die peinlichste Verlegenheit. Gab er eine schroff ablehnende Antwort, so konnte er gewärtigen, daß der Landadel in der nächsten Stunde heimritt. Vielleicht machten die verwegenen Gesellen sogar gemeinschaftliche Sache mit ihrem Standes- und Glaubensgenossen auf dem Bodenstein. Versprach er dagegen Abhülfe der ritterschaftlichen Beschwerde, so gab er eine Zusage, an die man ihn stets erinnern konnte, und die er doch nicht halten wollte. Am liebsten hätte er den Frechen, der ihn vor eine solche Wahl stellte, von seinen Trabanten niederstoßen lassen. Aber er faßte sich schnell. Zu lange war er in der Schule des Paters Bacharell gewesen, um nicht zu wissen, was er zu tun hatte. Vor allen Dingen mußte er diese erhitzten Köpfe beschwichtigen. Deshalb gab er ruhig und gemessen zur Antwort: »Ihr hättet Euch die Rede sparen können, Junker von Hanstein. Was der Propst von Nörten getan hat, ist mir unbekannt und nicht von mir befohlen. Ich werde darüber Bericht fordern. Im übrigen versichere ich Euch: Ich denke nicht daran, die herkömmlichen Rechte derer von Adel zu schmälern. Ich werde Ihnen allen in innerlichen Gewissenssachen ein gnädiger Herr sein und die Gewissen frei und unbeschwert lassen. Dies mein Bescheid.«

Darauf entstand wieder eine kurze Stille, denn solches zu hören, hatte niemand erwartet. Daß ein Kurfürst des heiligen römischen Reiches eine ganze Adelsversammlung belügen wolle, das war doch schwer zu glauben. Sprach er aber die Wahrheit, so war man einer großen Sorge ledig. So schlug mit einem Mal die Stimmung völlig um. Von allen Seiten erklangen Hoch- und Heilrufe auf den Landesherrn, der sich plötzlich so ganz anders zeigte, als man gefürchtet hatte.

Der Kurfürst nickte Martin von Hanstein gnädig zu, neigte sich huldvoll dankend gegen die Umstehenden und schritt, geleitet vom Grafen und Stralendorf, dem Ausgang zu.

Das Gotteshaus leerte sich nun sehr rasch, denn jeder war froh, aus dem schweren Weihrauchsduft hinaus in Gottes freie Luft zu kommen. Unter den Letzten, die heraustraten, waren die Gebrüder Wintzingerode und der dicke Heinz von Westernhagen. Der beleibte Junker schwitzte und stöhnte fürchterlich. »Den Teufel auch!« brummte er. »Solch eine Staatsaktion bringt einen ja fast ums Leben. Diese Hitze! Diese Enge! Und dabei der schändliche Geruch, den die Baalspfaffen ausströmen! Zu dem allem trampelt mir der Esel, der Bodenhausen, auf meinem besten Leichdorn herum. Konnte mich kaum des Brüllens enthalten. Kommt, Freunde, begleitet mich in den Ratskeller. Ein frischer Trunk Duderstädter wird uns allen wohltun!«

»Das ist ein trefflicher Gedanke, Westernhagen!« rief Hans von Wintzingerode. »Auch mir klebt die Zunge am Gaumen. Ich glaube, ich müßte verdorren, wenn ich bis zu Mittag warten sollte. Auf nach dem Ratskeller!«

Bertram erklärte gleichfalls seine Bereitwilligkeit und fügte hinzu: »Es ist vorauszusehen, daß wir viele dort treffen, und ich bin neugierig zu hören, was sie über des Kurfürsten Zusage reden.«

»Nun, ich meine, der Herr hat wohlgesprochen! Hätt's ihm, bei Gott, nicht zugetraut!« rief Westernhagen.

»Ich weiß doch nicht«, erwiderte Bertram zögernd. »Alles das klang mir zu unbestimmt.«

Indem trat ein schlanker, junger Mann, der in die kurfürstlichen Farben gekleidet war, an die Gruppen heran. Er lüftete höflich sein Barett und fragte mit einem verbindlichen Lächeln: »Sehe ich die edeln und gestrengen Junker von Wintzingerode vor mir?«

Bertram bejahte.

»So möchte ich die Herren bitten, mir zu folgen, denn Seine kurfürstliche Gnaden verlangt Euch zu sprechen.«

»Uns?« rief Hans in ehrlichem Schrecken. »Geh du allein, Bertram! Du magst für mich mit reden!«

Aber Bertram ergriff ihn am Arm und raunte befehlend: »Du bist nicht recht gescheit! Wenn der Kurfürst uns beide sprechen will, so kann nicht nur einer kommen!«

Seufzend folgte ihm Hans nach. Hundertmal lieber wäre er mit Heinz von Westernhagen zum Frühtrunk in den kühlen Keller hinabgestiegen, als vor das Angesicht des Kurfürsten zu treten. Denn der Himmel hatte ihm die Gabe zierlicher und gewandter Rede gänzlich versagt, er wußte im rechten Augenblicke die Worte selten zu finden und hatte deshalb mit den Großen und Gelehrten dieser Welt nicht gern etwas zu tun.

Der Kammerjunker des Kurfürsten geleitete die Herren ins Martinsstift, führte sie die Treppe des linken Seitenflügels empor und ließ sie in ein reich ausgestattetes Gemach eintreten. Dort warteten sie wohl eine Viertelstunde lang, so daß beide schließlich ungeduldig vor sich hinschimpften und Hans nur mit Mühe von Bertram zum Bleiben bewogen werden konnte.

Endlich öffnete sich eine Seitentür, und beide schnellten von ihren Sitzen empor. Aber nicht der Kurfürst trat ein, wie sie erwartet hatten, sondern Pater Bacharell.

»Ich bitte die Herren zu entschuldigen, daß ich sie warten ließ«, begann er in sehr höflichem Ton. »Ich bin an einem solchen Tage stark pressiert. Bitte die Herren, sich der Stühle zu bedienen. Wir können im Stehen nicht gut verhandeln.«

Er ließ sich selbst nieder und machte eine einladende Handbewegung, der Hans sogleich folgte. Bertram aber blieb stehen und sagte: »Ich bin gerufen worden, um mit Seiner kurfürstlichen Gnaden zu verhandeln.«

»Nehmt immerhin mit mir vorlieb«, entgegnete der Jesuit und lächelte. »Ich bin des Kurfürsten Beichtiger und sein Rat, nehmt, was ich Euch sage, so auf, als hätte Seine Gnaden selbst es gesagt.«

»Und der Name des Herrn?« fragte Bertram.

»Wie? Ihr kennt mich nicht?« rief der Pater befremdet, und ein flüchtiges Rot huschte über sein fahles Gesicht.

»Ich habe den Herrn im Gefolge Seiner Gnaden gesehen, aber den Namen kenne ich nicht.«

»Ich heiße Ludwig Bacharell, Pater der Gesellschaft Jesu.«

»Ah!« entfuhr es Bertram unwillkürlich. Das war also der Mann, der nach den Nachrichten aus Mainz trotz seines schlichten Gewandes der Erste war am Hofe, und der, wie einige sagten, die Seele des Kurfürsten Daniel nach seinem Willen und Gefallen bog und modelte wie weiches Wachs. Nach der Meinung Bartholds war er der Mittelpunkt aller der Bestrebungen, die sich gegen das Evangelium auf dem Eichsfelde richteten. Wenn er mit dem verhandeln mußte, so galt es, die Ohren offen und den Nacken steif zu halten. Er neigte sich gegen ihn mit kühler Höflichkeit und nahm Platz.

»Wir sind bereit, zu hören, was Seine Gnaden uns durch Euern Mund zu wissen tun will.«

»So wollen wir ohne Umschweife zur Sache kommen«, begann der Pater. »Der Kurfürst befindet sich in Fehde mit Eurem Vetter Barthold von Wintzingerode. Wie Seine Gnaden in Erfahrung gebracht hat, habt auch Ihr des öfteren mit ihm in Streit gelegen und mancherlei Verdrießlichkeit und Widerwärtigkeit mit ihm gehabt. Ist das an dem, werter Junker?«

»Die alten Späne sind geschlichtet. In den letzten Jahren war Friede zwischen uns«, erwiderte Bertram zurückhaltend.

»Und doch ist erst in allerjüngster Zeit von Eurem Vetter ein schwerer Übergriff in Euer Recht geschehen«, fuhr Bacharell fort. Er nahm eines von den Dokumenten, die auf einem Seitentische lagen, und reichte es Bertram. »Hier eine Klage dreier Brüder Geilhaus und einer Frau namens Gertrud, daß Barthold von Wintzingerode am hellen lichten Tage ihren Bruder und Gatten erschossen habe. Der Mann war Euer Förster, Ihr Herren. Es hat Seine Gnaden befremdet, daß Ihr Euch nicht mit einer Klage gegen den Landfriedensbrecher gewendet habt.«

Bertram stieg das Blut in die Stirn. Dieser Pfaffe erkühnte sich, ihm in versteckter Weise einen Tadel auszusprechen! Am liebsten hätte er erwidert: Das geht weder Euch, noch den Kurfürsten etwas an. Aber er beherrschte sich und sagte ruhig: »Dazu hatten wir begründete Ursache. Der Geilhaus war der Mordbrennerei dringend verdächtig, auch war er, wie wir nachher vernahmen, ein Mensch, der heimlich Mord und Aufruhr predigte. Was ist daran gelegen, wenn solch ein Kerl aus der Welt geschafft wird! Über das alles hat ihn Barthold in der Notwehr erschossen.«

»Darin irrt Ihr Euch«, versetzte Bacharell scharf. »Der Ritter von Wintzingerode war nicht die Obrigkeit des Geilhaus, hatte also kein Recht, in sein Haus zu dringen und ihn festzunehmen, auch wenn er sich von ihm geschädigt glaubte. Geilhaus war ganz im Recht, wenn er sich der Verhaftung widersetzte. Er befand sich in der Notwehr, nicht sein Widersacher!«

»Ich habe stets gehört, daß jeder einen Verbrecher festhalten kann, wenn die Flucht des Missetäters zu besorgen steht«, bemerkte Bertram.

»Ob dieser Geilhaus ein Verbrecher und Missetäter war, mußte erst erwiesen werden. Auf jeden Fall hat Euer Vetter einen Totschlag begangen und wird sich deshalb vor dem peinlichen Gerichte zu verantworten haben.«

Bertram blieb stumm.

»Ihr wollt Euch also der Klage gegen den Landfriedensbrecher nicht anschließen?«

»Ich weigere mich dessen!«

»Und Ihr, Junker?« wandte er sich an Hans. Der aber polterte in seiner ungeschliffenen Art los: »Ach, Herr Pater, warum sollen wir klagen? Fängt der Kurfürst den Barthold nicht, so kann er ihn auch nicht richten, fängt er ihn, so hat er ja tausend Gründe, ihn umzubringen. Wozu sind denn die Schreiber und Rechtsverdreher da?«

Bacharell zuckte zusammen. Der grobe, ungeschlachte Landjunker hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Es stieg ein Ärger in ihm auf, daß ein solcher Mann die Pläne des Kurfürsten und die seinen so klar durchschaute, und daß er es noch dazu wagte, ihm die Wahrheit so rückhaltlos ins Gesicht zu sagen. Aber äußerlich bewahrte er seine volle Ruhe, und indem er das Haupt wie verwundert schüttelte, sprach er bedächtig: »Ich bedaure das, Ihr Herren von Wintzingerode, bedaure das sehr! Indessen kann Euch niemand zwingen, Euch einer Klage anzuschließen. Ob Ihr Euer Recht suchen wollt oder nicht, steht in Eurer Hand.«

»Somit wäre unsere Unterredung zu Ende«, sagte Bertram und stand auf.

»Noch nicht, Junker«, entgegnete Bacharell und warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich habe im Auftrage unseres gnädigen Herrn noch eine Frage an Euch zu richten. Wie gedenkt Ihr Euch zu halten in dem Handel, der zwischen unserem Herrn und Eurem Vetter entstanden ist?«

»Unser Lehnseid verbietet uns, gegen Hohnstein und Mainz das Schwert zu ziehen«, versetzte Bertram finster. »Wir werden uns in Ruhe auf unseren Gütern halten.«

»Das dürfte Seiner Gnaden schwerlich genügen. Euer Lehnseid gebietet Euch auch, Gut und Blut für Euern Lehnsherrn einzusetzen, wenn er Krieg und Fehde zu bestehen hat. Dieser Fall ist jetzt gegeben. So läßt Euch denn Seine Gnaden durch mich fragen, ob Ihr Eure Pflicht als redliche Kriegsleute tun und ihm helfen wollt gegen den Rebellen, der sich wider ihn erhoben hat, oder nicht.«

»Das kann der Kurfürst nicht verlangen!« rief Bertram. »Soll ich meinen Blutsverwandten dem Henker überliefern helfen? Das brächte eine Schande im ganzen Lande!«

»Unverschämte Zumutung«, knurrte Hans und fuhr nach dem Schwerte.

»Mäßigt Euch in Euern Worten und bedenkt, was für Euch auf dem Spiele steht!« sagte der Pater, ergriff die vor ihm liegenden Papiere und schritt nach der Seitentür, durch die er vorhin gekommen war; dort blieb er stehen und sagte ernst und langsam: »Bis morgen früh neun Uhr, Ihr Herren von Wintzingerode, gibt Seine Gnaden Euch Bedenkzeit. Überlegt's wohl, was Ihr tun wollt, und wisset, daß Seine Gnaden einen ungetreuen Vasallen nie und nimmermehr zum Landsassen machen wird auf dem Bodenstein. Von Eurem Entschlusse hängt Euer Lehn ab. Gehabt Euch wohl!«

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. »Hund!« knirschte Hans und machte Miene, ihm nachzustürzen. Bertram aber hielt ihn zurück. Er war tief erblaßt. Wie ein einziger Blitz eine ganze nächtliche Gegend erhellt, so hatten ihm die letzten Worte des Paters all die Pläne der Mainzer Pfaffen enthüllt. Er sah das alte Erbe seines Geschlechtes aufs schwerste bedroht. Der Kurfürst suchte nach einem Vorwand, denen von Wintzingerode das feste Schloß zu entreißen, es war ihm so wichtig, daß er es in der eigenen Hand behalten wollte. Willigte er in das schimpfliche Ansinnen, das ihm und seinem Bruder gestellt war, so verlor er Ehre und Reputation und wußte doch nicht, ob er das Lehn jemals erhalten würde. »O Barthold, Barthold!« seufzte er. »Gott lasse dich nicht erliegen! du streitest in Wahrheit für uns alle. Der Adel ist nichts mehr, wenn du fällst! Und nun komm, Hans, zum Grafen von Hohnstein. Ich will ihn fragen, ob er um das Bubenstück weiß, das die Pfaffen planen.«


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