Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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V. Kapitel.

Erzbischof Daniel von Mainz besuchte seit einiger Zeit fleißig die Messe, die täglich Vormittag um zehn Uhr im Dome des heiligen Martin zelebriert wurde. Früher hatte er das nur selten getan, und der Teil der Mainzer Hofleute und Bürger, der streng am Alten hing, freute sich dieses neuerwachenden katholischen Glaubenseifers. Der Beichtvater des Kurfürsten bekam manchen Lobspruch zu hören, weil er durch seinen Einfluß den Herrn dazu vermocht hätte. Aber Pater Bacharell hörte solche Reden mit finsterer Miene an und erwiderte nie etwas darauf. Er wußte zu seinem bitteren Leidwesen nur zu gut, daß nicht die Frömmigkeit den Kurfürsten in die Kirche führte. Denn warum wählte er jedesmal den Umweg durch die Fischergasse? Warum flogen dort seine Blicke jedesmal so heiß und brennend empor zu den Fenstern des stattlichen Patrizierhauses, das die Augspurgs bewohnten? Weil er die dort wußte, der seit Wochen sein ganzes Sinnen und Denken galt, Anna von Wintzingerode. Und zeigte sich dann das schöne Mädchenhaupt mit den schweren, schwarzen Flechten am Fenster, so grüßte er so ehrfurchtsvoll hinauf, als wohne dort des Deutschen Reiches Königin.

Auch heute war das geschehn. Der Kurfürst war auf seinem prächtigen Zelter vorübergeritten. Anna hatte mit einem anmutigen Neigen des Hauptes den Gruß des hohen Herrn erwidert. Nun trat sie vom Fenster zurück, während noch ein helles Rot auf ihrem Antlitz lag und ihre Augen leuchteten.

Die Szene wurde von einem kleinen, weißhaarigen Manne beobachtet, der unhörbar durch eine Seitentür eingetreten war. Ernst und durchdringend ruhten seine scharfen, grauen Augen auf der schlanken Gestalt, die halb abgewandt von ihm, die Hände auf die Brust gedrückt, in Gedanken verloren dastand.

»Anna!« rief er plötzlich halblaut.

Das Mädchen fuhr erschreckt zusammen und blickte ihm verwirrt ins Gesicht. Unter seinen forschenden Augen schoß ihr das Blut noch lebhafter ins Antlitz. Sie sah aus wie ein Kind, das auf einem Unrecht ertappt wird.

Der alte Rat Doktor Johann Augspurg, der die Welt und die Menschen kannte, hatte genug gesehen. Er nickte ein paarmal bedächtig mit dem Kopfe und sagte dann ernst aber freundlich: »Komm herüber zu mir, Kind, ich habe mit dir zu reden.«

Als sie seiner Aufforderung gefolgt war, ließ er sich in einen der ledergepolsterten Sessel nieder, deutete auf einen anderen, der ihm gegenüberstand und sagte: »Setze dich dorthin und höre mich an. Damit du verstehst, was ich dir sagen will, muß ich weiter ausholen.«

»Als unser voriger Kurfürst noch lebte, Herr Sebastian von Heusenstamm – Gott hab ihn selig –, da schien es, als sollte Mainz evangelisch werden. Der Kurfürst war den Römlingen entfremdet und hielt nichts von ihren Zeremonien und Alfanzereien und litt es ruhig, daß wir uns an Gottes reinem Wort erbauten. Ja, ich weiß es sicher, daß er selbst Doktor Martins Bibel fleißig las. Es gab kaum noch ein paar hundert Leute in Mainz, die vom alten Wesen etwas wissen wollten.

Das wurde auch nicht anders, als der alte Herr starb und Erzbischof Daniel ans Regiment kam. Er war damals ein sehr junger Mann, hatte kaum das kanonische Alter. Man hatte ihn gewählt, weil man einen Herrn haben wollte, der alles gehen ließ, wie es ging, dem es gleich war, was die Leute glaubten. Daniel kümmerte sich auch um gar nichts, ließ die Leute ihre Bibeln lesen und die Prädikanten predigen, ihm lagen nur Jagden und Feste und Ergötzlichkeiten im Sinn. Noch zehn Jahre, und das Evangelium war hier nicht mehr auszurotten.

Aber der Teufel litt es nicht, daß die grüne Saat gedieh. Die schwarzen Priester kamen ins Land, die mit den viereckigen Hüten, die den Namen des Heilands ihrer Kompagnie beilegen. Erst war einer da, dann kamen zwei, dann zogen sie in Haufen ein. Sie wußten alle Welt zu beschwatzen und zu betören. Die Jugend unterrichteten sie, ohne Geld dafür zu verlangen. Das gefiel den Leuten. An den Krankenbetten nisteten sie sich ein und brachten Tröstung und Zuspruch, den Armen auch Hilfe und Geld und Speise. Das gefiel fast noch mehr. Und reden konnten sie in den Kirchen, das muß ihnen der Neid lassen. Da ging mancher wieder zur Beichte, der früher über die Pfaffen gespottet hatte, besonders die Weiber waren wie toll darauf aus, den lieben, freundlichen, gefälligen Herren ihre Sünden zu erzählen. Vorher war keine Prozession mehr zustande gekommen, jetzt zogen sie wieder mit fliegenden Fahnen und bunten Lichtern durch die Straßen. Es war ein neuer Geist in Mainz eingezogen. Das Schlimmste aber war, daß sie auch den Sinn des Kurfürsten ganz einnahmen und umnebelten. Große Herren tragen mancherlei auf dem Gewissen, und ich weiß, daß den Kurfürsten manche Tat bitter gereut, die er in wilder Jugendzeit getan hat. Man spricht davon – doch das gehört nicht hierher. Kurz gesagt: Sie wußten ihm einen leichten Weg in den Himmel zu zeigen. Wenn er seine Sünden beichtete und zur Mutter Maria betete und ihr alle seine Andacht weihte und die Gesellschaft Jesu, die Streiter für den katholischen Glauben, begünstigte, wo er konnte, so war er Gottes liebes Kind. Erzbischof Daniel hat einen scharfen Verstand in weltlichen Dingen, aber er hat auch einen phantastischen Geist, und das durchschauten die hispanischen Pfaffen gar wohl. So schwatzten sie ihn in den Gedanken hinein, er sei ein Ritter und Rüstzeug der Himmelskönigin; mit Marienbildern und Marienliedern wußten sie ihn ganz einzunehmen. Das war gar bald zu spüren. Die Diener am Worte verschwanden aus der Stadt, wir müssen unsere Bibeln verstecken, es fehlt nicht viel, so nötigt man uns, zur Messe zu gehen. Lange geht das Gerede, der Kurfürst wolle erst wieder das Eichsfeld katholisch machen, dann solle auch in Mainz das Evangelium mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.«

»Aber« – der alte Herr reckte sich empor und ein scharfer, leuchtender Blick traf seine Nichte – »die Pfaffen scheinen am Ende ihrer Macht. Sie haben mit einem nicht gerechnet, mit der Gewalt, die den Mann zum Weibe zieht. Vater und Mutter wird der Mann verlassen und an seinem Weibe hangen. So sagt Gottes Wort. Wieviel mehr wird ein Mann die falschen Altäre der Götzen Roms im Stiche lassen, wenn ihn die Stimme eines geliebten Weibes ruft!«

Der Greis machte eine Pause, dann beugte er sich weit vor und sagte langsam und nachdrücklich mit einer Stimme, durch die die tiefste Erregung hindurch zitterte: »Wenn eine Frau den Erzbisckof so für sich einnähme, daß er auf Erden nichts begehrte, denn sie allein, dann wäre es möglich, daß er weltlich würde. Dann würde Mainz evangelisch, der Kurfürst ein Herzog oder Fürst, wie einst Albrecht von Preußen. Mich dünkt, du bist von Gott zu diesem Werke ausersehen.«

Anna stieß einen Schrei aus und sank totenblaß in den Sessel zurück. Ihr war zumute wie einem Blinden, in dessen Augen plötzlich das grelle, scharfe Tageslicht mit seinem ganzen Glanze einflutet. Was die Erlebnisse der letzten Wochen für ihr Leben bedeuteten, das ward ihr mit einem Male klar.

Sie hatte sich im Anfang nach Mädchenart darüber gefreut, daß ihre jugendfrische Schönheit einen so unverkennbaren Eindruck auf den hochgestellten Mann, den Herrn des Landes, hervorbrachte. Lächelnd, in ihrer weiblichen Eitelkeit geschmeichelt, hatte sie, an ihrem Fenster sitzend, die stummen und doch so beredten Grüße des hohen Herrn empfangen und sie freundlich erwidert. Allein dabei war es nicht geblieben. Es gab ja so viel Gelegenheit in der allzeit fröhlichen Rheinstadt, daß der Landesherr mit einer Dame von Adel sich begegnen konnte. In der ersten Zeit mußte sie der erkrankten Tante wegen diese Gelegenheiten meiden, aber nach deren halber Wiedergenesung konnte sie den Festen am Hofe und in der Stadt nicht fern bleiben. So ward sie eines Tages dem Kurfürsten vorgestellt. Sogleich wandte er sich ihr zu, unterhielt sich mit ihr, zeichnete sie so auffällig aus, daß es ihr fast peinlich ward. Und auch wenn sie abseits stand, flogen seine Blicke immer wieder zu ihr hin, und oftmals ruhte sein Auge auf ihrem Antlitz mit verzehrender Glut. Sie ward sich immer mehr bewußt, daß sie eine Macht ausübte über die Seele dieses herrischen Mannes, und auch ihr Herz war nicht kühl geblieben. Seine heißen Blicke hatten sie oft erschauern gemacht, ihre Gedanken hatten sich fast immer mit ihm beschäftigt, wenn sie allein gewesen war. Sein stolzes Bild verfolgte sie selbst bis in ihre Träume hinein. War's Liebe zu ihm, was in ihr emporkeimte? Sie wußte es nicht, sie gab sich auch keine Rechenschaft darüber. Sie lebte wie im Traume dahin, und dieser Traum mußte aufhören, sobald sie in einigen Wochen der Stadt am Rhein Lebewohl sagte und heimkehrte in die stille Burg auf dem Eichsfelde.

Denn sie war von ihm durch eine himmelweite Kluft geschieden. Er war ein Fürst der Kirche Roms, der kein Weib haben durfte, sie die Tochter eines lutherischen Ritters, der nichts so grimmig haßte, wie die römische Kirche und ihre Diener. Und sie war eines anderen Mannes verlobte Braut. Man hatte sie zwar nicht viel gefragt, als man ihre Hand in die des jungen Heinrich von Bünau legte, aber sie hatte frohen Herzens die Wahl ihrer Eltern gutgeheißen. Der stattliche Jüngling, der so freudig blickte und so heiter lachte und scherzte, war ihr wie das Urbild eines echten Ritters erschienen, ihm wollte sie gern und vertrauensvoll folgen auf sein fernes Schloß. Wie oft hatte sie an ihn gedacht in der letzten Zeit, das Bild des Verlobten zu Hilfe gerufen gegen die ohne ihr Wollen in ihre Seele eindringenden Gedanken! Vergebens – das düstere Feuer, das aus den Augen des Kurfürsten leuchtete, verdunkelte die Gestalt dessen, der in der Ferne war.

Nun sprach ein fremder Mund von dem, was sie niemals klar zu denken gewagt hatte. Der Kurfürst begehrte ihrer, und es gab einen Weg, auf dem sie die Seine werden konnte.

Aber welch ein Weg war das! Er führte über gebrochene Eide. Vor ihrem Geiste stieg das Bild ihres Vaters empor, des strengen, ehrenfesten Mannes, dem sein Wort über alles heilig war. Es war ihr, als sähe sie eine Erscheinung, als stände er vor ihr und bohre drohend seinen Blick in ihr Auge mit einem entsetzten Ausdruck in den Zügen, daß seine Tochter es wagen könne, ihr Wort und sein Wort zu schänden. Wie zur Abwehr streckte sie beide Hände aus und stammelte: »O Gott! Mein Vater, mein Vater!«

»Dein Vater wird dir schwerlich zürnen«, sagte ihr Oheim, der sie unverwandt beobachtet hatte. »Er als glühender Feind Roms und als treuer Sohn des evangelischen Glaubens, er weiß es, was für uns der Übertritt eines Kurfürsten von Mainz bedeuten würde. Er hat dich ja freilich einem andern versprochen, indessen Verlöbnisse sind nicht unlösbar.«

«Mein Vater wird sein Wort niemals brechen!«

»Dann wird dieser Junker von Bünau mit sich reden lassen«, erwiderte der Alte gereizt.

»Nein!« rief Anna aufspringend. »Ihn würde das ins Herz treffen. Er liebt mich wahr und treu, und ich wollte ihn auch lieben. Nun hat mir's ein anderer angetan, wie bezaubert bin ich, daß ich immer an ihn denken muß! Aber ich will nicht, ich will nicht! Ich breche Heinrich die Treue nicht!«

Der Alte geriet in die höchste Aufregung. Er faßte sie beim Handgelenk und drückte sie mit hartem Druck auf ihren Sitz nieder. »Mein Gott, ist denn kein Weib fähig, einen großen Gedanken zu begreifen! Was Teufel kommen die Gefühle eines jungen Fantes in Betracht, wenn es sich darum handelt, ob ein Kurfürstentum evangelisch werden soll oder nicht! Was sage ich, ein Kurfürstentum? Die ganze deutsche Klerisei kommt ins Wanken, denn fällt Mainz, so folgen schleunigst andere nach. Bist du denn blöde? Verstehst du nicht, daß es die Hand Gottes ist, die dich nach Mainz führte? Zu Großem bist du berufen; die Schönheit, die dir Gott verliehen hat, sollst du anwenden zu seiner Ehre! Und der Stimme Gottes gegenüber willst du dich berufen auf ein Verlöbnis? Gott der Herr hat dir die Macht gegeben, Tausende und Abertausende für sein Evangelium zu retten, und du willst seinen Weg nicht gehen, um einen glücklich zu machen, wobei du vielleicht selbst nicht glücklich wirst? Ein erbärmliches, gedrücktes Dasein führen wir Evangelische schon jetzt in Mainz, und wenn die Jesuiten hier ganz und gar die Herren werden, so kann die Zeit kommen, wo das Evangelium in Blut erstickt. Ist nach der Bluthochzeit in Paris diesen Höllenmenschen nicht alles zuzutrauen? Denkst du daran gar nicht? Rührt dich das nicht? O Gott im Himmel, gib meinen Worten Kraft, daß sie in die Seele dieses schwachen, törichten Weibes eindringen!«

Anna hatte die Rede des Oheims schweigend mit gesenktem Haupte angehört. Nur das Wogen ihrer Brust deutete an, daß ein heftiger Kampf in ihr tobte. Auch als er geendet hatte, schwieg sie eine Weile. Dann sagte sie: »Ich glaube, Oheim, Eure ganze Rechnung ist falsch.«

»Wie meinst du das?« fuhr der Alte auf.

Anna sah ihm fest in die Augen, und während eine glühende Röte ihr Gesicht überzog, erwiderte sie: »Ich habe es schon oft gehört, daß Fürsten und Herren ein armes Mädchen betören durch süße Reden und Schmeicheleien und die Unselige dann von sich stoßen, wenn sie ihrer überdrüssig sind. So könnt' es mir auch ergehen, wenn ich dem Kurfürsten nachgeben wollte. Daß er Gefallen an mir findet, seh' ich ja. Ich müßte blind sein, wenn ich's nicht sähe. Aber wer sagt Euch, daß er mich zu seinem Weibe machen will?«

»Das ist klug und verständig gesprochen!« rief der Oheim. »Es beweist mir, daß du keine Gans bist, wie die meisten, die lange Haare tragen. Nun, mein liebes Kind, ich will ganz deutsch mit dir reden. Natürlich würde der Kurfürst zufrieden sein, wenn du seine Geliebte würdest. Davor brauche ich dich nicht zu warnen, das weiß ich. Aber gerade, wenn du fest bleibst, wirst du ihn zu allem bringen, was du willst. Kurfürst Daniel ist kein Jüngling mehr, er steht auf der Höhe des Lebens. Kommt über solch einen Mann die Leidenschaft, so ist sie wie ein Strom, der alles niederreißt. Ein kluges Weib weiß dann diesen Strom in die Bahnen zu lenken, die ihr gefallen!«

»Genug!« rief Anna und stand mit blitzenden Augen auf. »Ich soll einen Mann, der es nicht redlich mit mir meint, durch Buhlkünste dahin bringen, daß er mich zu seinem Weibe macht! Da sei Gott vor! Das ist ein unwürdiges Spiel!«

Augspurg kam jetzt völlig außer Fassung. Der Widerstand, den er so nicht erwartet hatte und der alle seine Pläne zerstörte, brachte ihn in leidenschaftlichen Zorn. »Weib!« schrie er seine Nichte an, »bist du wahnsinnig? Bin ich ein Kuppler? Was verlange ich von dir? Du sollst deine natürlichen Reize wirken lassen, um dadurch unserem heiligen Glauben zu dienen. Ist das viel in einer Zeit, wo Tausende für das Evangelium sterben?«

»Lieber sterben, als mich erniedrigen!« rief Anna.

»Ach, Redensarten, Redensarten!« schrie der erboste Alte. »Es mutet dir niemand etwas gegen deine Ehre zu –«

Er brach plötzlich ab, denn nach kurzem Anklopfen trat der alte Diener des Hauses in die Tür.

»Ein Bote Seiner kurfürstlichen Gnaden wartet unten, Herr«, meldete er.

»Ich komme«, sagte Augspurg und verließ, noch hochrot vor Zorn und mühsam nach Ruhe ringend, das Gemach.

Als Anna allein war, warf sie sich in den Sessel und brach in ein bitterliches Weinen aus. Nein, was ihr Oheim von ihr verlangte, das wollte, das konnte sie nicht tun! Ihre ganze Natur sträubte sich dagegen. Ach, wohl fühlte sie, daß der Kurfürst eine gefährliche Gewalt gewonnen hatte über ihr Herz, seine lodernden Blicke, seine Schmeichelworte hatten ihre Seele in fieberhafte Unruhe und Erregung versetzt. Aber eines fehlte ihr ihm gegenüber: die Sicherheit, das Vertrauen. Ihr Gefühl sagte ihr, daß er nur das Weib in ihr suche, und daß sie elend werden müsse, wenn sie sich seiner Macht nicht entwinde. Niemals konnte sie einen Mann, der sie nur zu seiner Geliebten begehrte, durch berechnete Künste so fesseln, daß er den Kampf mit der Welt aufnahm, um sie zu seinem Weibe zu machen. Es stieg etwas wie Grauen, ja wie Ekel in ihr auf, daß man dergleichen von ihr verlangt hatte. Und war es zehnmal um eines höheren Zweckes willen geschehen, sie empfand es wie eine Schmach. Fort von hier, möglichst bald fort aus dem Banne der heißen, dunkeln Augen, die ihr nicht Ruhe ließen, darin lag ihre Rettung! Das fühlte sie deutlich.

Unterdessen empfing Augspurg von dem kurfürstlichen Diener die Meldung, daß Seine kurfürstliche Gnaden am Nachmittag drei Uhr seinen Besuch ansagen lasse. Er erschrak bei dieser Botschaft so, daß er erblaßte. Zwar hatte er längst schon erwartet, daß der Kurfürst einmal in sein Haus kommen werde, aber gerade heute war es ihm äußerst unbehaglich zu Mute bei diesem Gedanken. Es blieb ja keine Zeit, den Starrkopf oben umzustimmen. So stammelte er etwas von hoher Ehre und großer Freude, aber dann stieg er sehr langsamen Schrittes die Stufen empor, um Anna das Unerwartete mitzuteilen.

Doch dicht vor der Tür blieb er stehen. War es nicht das Beste, ihr gar nichts zu sagen? Dieses Mädchen war in ihrem harten Eigensinn gar wohl imstande, sich außerhalb des Hauses bei Freunden zu verbergen, und um ihretwillen einzig und allein kam der Kurfürst. Daß er die Münzen und Gemmen besehen wollte, die Augspurg gesammelt hatte, war doch ein gar zu fadenscheiniger Vorwand. Wenn ihr nun der Kurfürst plötzlich und unerwartet entgegentrat, so warf das vielleicht mit einem Schlag alle ihre törichten Mädchenbedenken über den Haufen. Dann konnte sein Plan noch in Erfüllung gehen. Daß sie sich dabei nichts vergeben würde, darauf hätte er einen heiligen Eid geschworen. So ging er, ohne einzutreten, an der Tür vorüber.


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