Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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VII. Kapitel.

Am Abend desselben Tages durchschwirrte ganz Mainz das Gerücht, der Kurfürst sei schwer erkrankt. Überall besprach man das Ereignis, auf den Gassen und in den Schenken, mit besonderer Gründlichkeit aber in der Trinkstube am Obermarkt, wo die reichen und vornehmen Bürger verkehrten. Genaueres wußte freilich auch hier niemand. Die einen behaupteten, der Kurfürst sei im Schloßhof mit dem Pferde gestürzt, und man habe ihn für tot vom Platze getragen. Andere berichteten, es habe ihn plötzlich der Schlag gerührt und ihn völlig gelähmt. Einige endlich gaben der Vermutung Raum, es handle sich um bloßes Geschwätz, der Kurfürst werde wohl nur leicht erkrankt sein und bald wieder zur Falkenjagd ausreiten.

»Mit Verlaub, ihr Herren, das ist Unsinn«, sagte ein alter, behäbiger Herr mit ehrwürdigen weißen Haaren. »Der Kurfürst ist wirklich schwer erkrankt. Was es ist, weiß auch ich nicht. Aber der Junker von Stralendorf, der bei mir wohnt, ist vorhin überhaupt nicht ins Schloß gelassen worden, obwohl er mit wichtiger Botschaft vom Eichsfelde kam. Das hat etwas zu bedeuten, ihr Herren, denn Stralendorf ist bei Seiner Gnaden sehr beliebt.«

In der Tat verhielt es sich so, wie der Alte erzählte. Stralendorf war am Nachmittag von seiner Gesandtschaftsreise nach dem Eichsfelde zurückgekehrt und hatte sich sofort zum Kurfürsten begeben wollen, um ihm Bericht zu erstatten. Aber die Leibwache hatte strengsten Befehl, niemand ins Schloß einzulassen, man wies ihn zurück. Auch Pater Bacharell ließ sich nicht sehen. Er sei am Krankenlager des Herrn und könne nicht abkommen, hieß es. So mußte Stralendorf unverrichteter Sache vor dem Schloßtore wieder umkehren.

Mit sehr finsterem Angesicht schritt er nach seiner stattlichen Herberge zurück. Er liebte ja den Kurfürsten nicht eigentlich, denn Daniel war ein Herr von leicht erregbarem Wesen und wechselnden Launen, heute die Gnade selbst, morgen von verletzender Schroffheit. Aber er hatte viel von ihm gehofft. Vor zwei Jahren hatte er im Dome des heiligen Martin seinen evangelischen Glauben abgeschworen, den er aus seiner mecklenburgischen Heimat an den Rhein mitgebracht hatte. Das war nicht nur aus äußerlichen Rücksichten geschehen, die blendende Pracht des katholischen Gottesdienstes hatte seine Sinne gefangen genommen, und die siegreiche Beredsamkeit des Paters Bacharell und des Paters Auer hatte seine bisherige Überzeugung umgestoßen. Aber vor allen Dingen wollte er emporkommen durch diesen Schritt, sein Übertritt sollte ihm die Staffel zu Reichtum und Ehren werden. Der Erzbischof wollte ihm wohl, denn Stralendorf hatte sich durch sein höfisches, geschmeidiges Wesen in seiner Gunst festzusetzen gewußt. Um seinen Günstling insbesondere für den Glaubenswechsel zu belohnen, hatte er seinen Freund, den Abt Balthasar von Fulda, vermocht, ihm die Hand seiner Schwester zu versprechen. Starb aber der Kurfürst, so vergaß vielleicht der Abt jenes Versprechen, und Magdalena von Dernbach, die reiche Erbin, führte ein anderer heim. Dann war sein Ruin besiegelt, denn wer sollte seine Schulden bezahlen, die im Laufe des letzten Jahres zu einer beträchtlichen Höhe angewachsen waren? Dem Günstlinge des Kurfürsten hatte jeder gern gestundet, aber was geschah, wenn der hohe Herr das Zeitliche segnete?

Lippold von Stralendorf verbrachte eine sehr unruhige Nacht. Bei jedem Glockenschlage fuhr er angstvoll aus seinen Kissen empor und horchte, ob nicht etwa des Kurfürsten Sterbegeläut beginne.

In aller Frühe schon stürmte er nach dem Palaste, aber auch heute verweigerte ihm die Wache im unteren Korridor den Eintritt. Mit einem Fluche wandte sich Stralendorf und wollte das Schloß verlassen. Da knarrte am Ende des langen Ganges eine Tür, und er hörte seinen Namen rufen. Pater Bacharell stand auf der Schwelle und winkte ihn eifrig zu sich heran.

Sogleich eilte Stralendorf auf ihn zu. »Was ist mit dem Kurfürsten? Wie geht's Seiner Gnaden?« rief er ihm statt jeder Begrüßung entgegen.

»Kommt hier herein«, sagte Bacharell vorsichtig, und als der Junker in das Gemach getreten war, begann er: »Der Kurfürst hat eine große Aufregung gehabt, die Galle ist ihm ins Blut getreten. Der Herr lag lange ohnmächtig in schwerem Fieber, um Mitternacht fürchteten wir das Schlimmste. Nun aber scheint der Zustand sich gebessert zu haben, er ist noch ernst, wie die Ärzte sagen, aber es ist die beste Hoffnung vorhanden.«

»Gott sei gedankt!« rief Stralendorf, und es lag ein solcher Jubel in seiner Stimme, daß der Jesuit ihm einen blitzschnellen, scharfen Blick voller Befremdung zuwarf, während ebenso schnell ein spöttisches Lächeln um seine dünnen, schmalen Lippen zuckte. Aber gleich neigte er wieder das Haupt und sagte salbungsvoll: »Ja, Gott und die lieben Heiligen scheinen noch einmal Gnade geben zu wollen. Ihnen sei Preis und Ehre!«

»Und kann ich hoffen, Seine kurfürstliche Gnaden bald, vielleicht heute noch zu sprechen?« fragte Stralendorf rasch.

»Wo denkt Ihr hin?« erwiderte Bacharell. »Der Kurfürst ist der höchsten Schonung bedürftig, es können Tage, vielleicht Wochen vergehen, ehe er sich wieder an die Geschäfte heranwagen kann. Nehmt einstweilen mit mir vorlieb. Erzählt mir, was Ihr ausgerichtet habt auf dem Bodenstein. Setzt Euch hierher und redet. Ich bin begierig.«

»Es ist gar nicht viel zu berichten«, sagte Stralendorf Platz nehmend. »Alles ist so gekommen, wie Ihr, Herr Pater, es vorausgesagt hattet. Oder doch nicht ganz so, noch viel schlimmer. Denkt Euch, dieser Mensch hat es gewagt, mich, den Gesandten des Kurfürsten von Mainz, aus seiner Burg hinauszuwerfen.«

Bacharell beugte sich weit vor, als höre er nicht recht. »Hinauszuwerfen?« wiederholt er erstaunt. »Wie geschah das?«

»Ich kam am zwanzigsten November in Heiligenstadt an«, erzählte Stralendorf, »wo ich beim Propst Bunthe nächtigte. Ein trefflicher Mann, er empfiehlt sich Euch. Ich befolgte Euern Rat und teilte ihm mit, was ich auf dem Eichsfelde zu verrichten habe, obwohl mir ja Schweigen auferlegt war. Der Propst war außer sich. Er meinte, Gott müsse den Geist des Kurfürsten umnachtet haben, denn Barthold von Wintzingerode zum Hauptmann des Eichsfeldes machen, das wäre ebenso, als wolle man den Großtürken auffordern, den Stuhl Petri zu besteigen. Dann riet er mir dringend, was Ihr mir auch schon geraten, vorher einen Knecht nach dem Bodenstein zu schicken und sicheres Geleit zu erbitten, denn wenn dieser Barthold in Zorn gerate, so frage er nach keinem Menschen. Gut, daß ich den Rat befolgte. So kam ich erst am zweiundzwanzigsten nach dem Schlosse.

Der Wintzingerode empfing mich in einer weiten Halle in einem Lehnstuhle sitzend, aus dem er sich, als ich ihn grüßte, kaum erhob. Zu seinen Seiten lagen ein paar große Wolfshunde, bösartige Bestien, in deren Nähe mir's nicht wohl war. Hinter ihm stand ein langer, ungeschlachter junger Mensch, man sah auf den ersten Blick, daß es sein Sohn war.

Mit einem widerwärtigen Grinsen musterte mich der Ritter von oben bis unten und sagte dann mit wahrhaft teuflischem Hohn in der Stimme: »Ihr bringt mir Grüße, wie ich höre, von meinem lieben Freunde in Mainz? Nie befindet sich der hochwürdige Seelenhirt? Und wie komme ich alter ketzerischer Sünder zu der Ehre, daß der teure Gottesmann mir einen besonderen Gesandten schickt?«

Ich wäre am liebsten auf der Stelle wieder umgekehrt, denn dieses Mannes Art erbitterte mich. Ich hatte das Gefühl, daß er uns nicht nur haßt, fondern daß er uns maßlos verachtet.«

»Da habt Ihr recht«, warf Bacharell trocken ein. »Jeder gläubige Katholik ist in seinen Augen ein bemitleidenswerter Dummkopf, jeder Priester ein Hanswurst oder ein Betrüger.«

»Ich hielt indessen an mich«, fuhr Stralendorf fort, »und überreichte mein Beglaubigungsschreiben. Er nahm es unwirsch in die Hand, gab es, ohne einen Blick darauf zu werfen, seinem Sohne und sagte: »Sieh nach, Klaus, ob die Krähenfüße des Bischofs in Ordnung sind, und ob die Rademachergesellen richtig gesiegelt haben.« Damit erfrechte sich der Schuft einer spöttischen Anspielung auf unser altehrwürdiges Kurmainzisches Wappen mit dem Rade des heiligen Willigis.«

»Das ist einer seiner gewöhnlichen Scherze«, bestätigte Bacharell kopfnickend.

»So kurz wie möglich brachte ich dann die Botschaft unseres gnädigen Herrn vor. Ihr hättet sehen sollen, Herr Pater, mit welchem Gesichte der Ritter meine Worte anhörte. Seine Züge wurden geradezu steinern vor Überraschung und Verblüfftheit. Lange erwiderte er nichts, als ich schon geendet hatte und der Antwort harrte. Dann sagte er an mir vorbei ins Leere starrend, als wenn er mit sich selbst spräche: »Unglaublich, ganz unglaublich, auf welche Torheiten die Menschen verfallen. Ich soll Luthers Lehre verfolgen helfen, ich soll zur Messe gehen? Dafür bietet man mir Gold und eine Ehrenstelle im Pfaffendienst und will versuchen, meinen Sohn ins Lehen zu bringen. Es gibt ja viele käufliche Schurken, also muß ich auch einer sein! – – Ist denn Euer Kurfürst des Teufels?« brüllte er mich plötzlich an. »Wie kann er wagen, mir solch ein Anerbieten zu machen? Sagt ihm, wenn Wintzingerode Dienste sucht, so reitet er in eines Fürsten Bestallung. Er aber ist kein Fürst, er ist von kleinerem Adel, als ich selbst. Nein, er ist überhaupt nicht mehr ein adliger Mann, er hat sein altes Schild schimpfiert, weil er sich eine Platte auf den Schädel kratzen ließ. Ich kenne ihn nicht. Dies ist mein letztes Wort!« Ich wandte mich schweigend und schritt dem Ausgange zu. Schon hielt ich die Tür in der Hand, da rief er mich noch einmal zurück. »Halt«, sagte er, »ich vergaß mich. Euch gegenüber vergaß ich mich. Der Jähzorn hat mich übermannt, daß ich dem Boten die Botschaft entgelten ließ. Ich hätte einem Edelmanne nicht so begegnen sollen. Seid Ihr von den Meklenburgischen Stralendorfs?« Ich bejahte. Lebhaft trat er auf mich zu und rief: »Da hab' ich einen Eures Geschlechtes gar wohl gekannt. Er war mit bei Mühlberg. Ein Mann von altem Schrot und Korn, ein tapferer Mann.«

»Das war mein Vater«, sagte ich kurz.

Höchst überrascht blickte er mich an. »Dann seid Ihr lutherisch?« rief er.

»Ich war's«, entgegnete ich. »Jetzt aber bin ich in die alleinseligmachende Kirche zurückgekehrt.«

»Da warf er mir einen Blick zu und sprach ein paar Worte. Dann wandte er mir den Rücken. Erlaßt mir, diese Worte zu wiederholen«, rief Stralendorf, und eine brennende Röte flog über sein Gesicht. »Man zahlt einen hohen Preis, Herr Pater, wenn man den Glauben wechselt, dessen seid versichert. So hat mich nie ein Mensch beleidigt, dieser Mann ist mein Todfeind geworden, und nichts kann diesen Schimpf austilgen, nur sein Blut.«

Mit dem Ausdruck wilden Hasses im Gesicht starrte er vor sich hin. Der Pater legte ihm die Hand auf den Arm und sagte ruhig: »Die Stunde, die Euch rächt, Herr von Stralendorf, ist näher, als Ihr glaubt. Denn wisset, gestern hat die Jungfrau von Wintzingerode die Stadt verlassen.«

Stralendorf fuhr mit einem Laute der Überraschung empor.

»Der Kurfürst war in seiner Liebestollheit am Nachmittag zu ihr gegangen. Sie muß ihn abgewiesen haben. Näheres weiß ich nicht, denn Seine Gnaden wurde ohnmächtig, als er vom Pferde steigen wollte. Man sagt, ein Ritter aus Sachsen habe sie geholt. Sie sind hinüber in die Pfalz und werden sicher den Bodenstein erreichen.«

Bacharell hielt einen Augenblick inne, als dächte er nach, und sprach dann in kühlem Tone weiter. »Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß dieses Ereignis unsern Plänen nur förderlich sein kann. Wollen wir die Ketzerei auf dem Eichsfelde ausrotten, so müssen wir Barthold von Wintzingerode zuvor aus dem Wege räumen, denn dieser Mann ist eine ernste Gefahr für uns. Ich habe von Bunthe und anderen genaueste Berichte vom Eichsfelde. Darin stimmen sie alle überein: Nur dieser Wintzingerode kann einen Führer abgeben im Kampfe wider uns. Denn er ist der einzige, der ohne Scheu zum Schwerte greift, und nur er hat auch in den Städten Anhang und Ansehen. Wollen wir aber siegen, so müssen wir unsere Feinde trennen.«

»Gewiß, ohne Frage«, sagte Stralendorf.

»Wir haben ja nun schon manches getan in den Städten, um dem Weitergreifen der lutherischen Pest zu steuern«, fuhr der Pater fort. »Der Adel fühlt sich dadurch noch nicht bedroht, nur dieser Wintzingerode hat so haßgeschärfte Augen, daß er einsseht, wohinaus wir wollen. Er hat, wie mir Bunthe schreibt, neulich in Worbis bedenkliche Reden bei einer Adelstagung geführt, er wäre wohl imstande, den Herren die Augen zu öffnen, obwohl ihn mancher unter dem Adel bitter haßt. Ehe wir also kräftiger einsetzen mit unserem Werke, muß er beseitigt werden.«

»Dann müßte sich der Kurfürst mit dem Grafen Volkmar von Hohnstein verbinden, der seines Vasallen nicht Herr werden kann«, sagte Stralendorf nachdenklich. »Indessen, was ist dann gewonnen? Der Bodenstein wird von uns belagert, erobert, der Ritter kommt nicht in unsere, sondern in des Grafen Gewalt. Was wird ihm dann geschehen? Er wird eine Zeitlang gefangen gehalten, dann kommen gute Freunde und Vermittler, er unterwirft sich, er gelobt Gehorsam, und ein Jahr später sitzt er wieder auf dem Bodenstein.«

»Sehr gut, Stralendorf«, sagte der Pater wohlgefällig. »Ich sehe, ich habe mich in Eurem Ingenium nicht getäuscht. Ihr seid ein klarblickender Kopf und paßt zu Staatsgeschäften. Ja, ganz genau so würde es kommen, wenn nicht – hört und verwundert Euch – wenn nicht der Graf unserm gnädigen Herrn die Oberlehnsherrlichkeit über das Gericht Bodenstein angetragen hätte.«

»Unmöglich!« rief Stralendorf, »will der Graf wirklich so hohen Preis für unsere Hülfe zahlen? Ist er denn von Sinnen?«

»Das nicht. Er rechnet auch – wie eben solche Herren rechnen«, versetzte Bacharell. »Er will um jeden Preis den Ritter demütigen, der ihn in seinem Fürstenstolz gekränkt habe. So sind ja viele der kleinen Herren im lieben heiligen Reich: Sie wollen die Adler spielen und haben doch nur die Kraft eines Haushahnes. Was soll er nun machen? Er hat mit dem Sachsen gehandelt, der ist allzu gierig. Der Hesse ist zu bedächtig, Schwarzburg und Stolberg zu friedlich, den Braunschweiger kann er nicht rufen, denn er ist mit dem Wintzingerode gut Freund. So bleibt ihm Kurmainz einzig und allein. Er hat ja, wie Ihr wißt, schon lange unsere Hülfe gesucht, wir verhandeln über ein Jahr, jetzt endlich kommt er dahin, wohin ich ihn haben wollte. Natürlich denkt der Graf, die Oberlehnsherrlichkeit werde wenig bedeuten, nur eine Form ohne Inhalt bleiben. Darin wird er sich schwer täuschen. Nehmen wir den Bodenstein, so nehmen wir ihn für uns, fangen wir den Wintzingerode, so kommt er in unsere Hand, und die Ketzerei soll dann ein Ende haben. Euch aber, Herr von Stralendorf, sage ich dasselbe, was ich Euch vor drei Wochen sagte: Ihr werdet noch Landeshauptmann auf dem Eichsfelde. Auf mich, darauf verlaßt Euch, könnt ihr beim Kurfürsten zählen.«


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