Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XIII. Kapitel.

Es ist das gemeinsame Schicksal aller Propheten, daß manche ihrer Weissagungen in Erfüllung gehen, manche dagegen nicht. So geschah es auch dem berühmten und hochgelehrten Doktor Gabriel Pistorius. Er hatte des alten Ritters von Hoven baldigsten Tod geweissagt, und von Stund an ward es besser mit ihm. Es war, als ob Gott selbst spräche: Was wißt ihr kurzsichtigen Menschen von dem, was ich tun kann? Ich mache alle Sprüche und Weisheit zuschanden.

Als in der Frühe des folgenden Tages Frau Käthe in das Gemach des Ritters trat, um dem kranken Freunde ihres Gemahls ein Morgensüpplein zu bringen, hätte sie vor Schrecken und Staunen beinah die Schüssel aus der Hand fallen lassen. Denn der Greis, für den man nach des Arztes Prophezeiung heute die Sterbeglocke hätte lauten sollen, saß aufrecht in den Kissen, und Barbara flog ihr mit einem Jubelrufe um den Hals.

»Das Fieber ist fort! Der Vater wird leben! Gott sei Lob und Dank!« rief sie und lachte und weinte vor Freude in einem Atem. Das scheue, stets traurige und tief darniedergedrückte Kind war wie ausgewechselt und ließ die ganze Bewohnerschaft des Schlosses an seinem Jubel und seiner Glückseligkeit mit teilnehmen.

Ihre Freude fand um so mehr Anklang bei den andern, als zu derselben Zeit auch ihnen die Sorge um das Familienhaupt von der Seele hinweggenommen wurde. Denn an Herrn Barthold ging die Vorhersagung des gelehrten Pistorius glücklicherweise in Erfüllung. Während seine Frau und seine Töchter, Klaus und fast die ganze Dienerschaft sich im anderen Flügel der Burg befanden, um das Wunder zu bestaunen, das an seinem Freunde sich ereignet hatte, war er erwacht. Die alte Schließerin Hedwig hatte zwar den strengsten Befehl, sich von dem Lager des Schlafenden keinen Augenblick zu entfernen, aber sie vermochte doch der Neugier nicht zu widerstehen und schlüpfte hinüber, um durch die halb geöffnete Tür den Mann zu sehen, der vom sichern Tode auferstanden war. Selbstverständlich mußte sie auch erst mit den anderen Mägden, die auf dem Korridor standen, ihre Meinung austauschen über den wunderbaren Fall, und so kehrte sie erst nach geraumer Zeit auf ihren Posten zurück. Da saß Herr Barthold gleichfalls wie drüben der Ritter von Hoven aufrecht in seinem Bette und stierte verwirrt und schlaftrunken vor sich hin. Es machte ihm die größte Mühe, einen Gedanken zu fassen, er wußte nicht, wo er sich befand und was ihm geschehen war, und der Kopf brummte und schmerzte ihm gewaltig.

Als die Alte den Ritter in dieser Stellung erblickte, fiel sie vor Schreck auf die Knie und erhob ein lautes Gezeter. »Ach du mein lieber Herr Jesus, ach du grundgütiger Heiland!« schrie sie mit gellender Stimme, »da ist ja der gestrenge Junker aufgewacht, und ich war nicht da. Ach, ich konnte ja nichts dafür – ich wollte bloß – ach, mein Gott, wie bin ich erschrocken!«

Diese Töne brachten Herrn Barthold halbwegs zur Besinnung. War denn das Weibsbild verrückt geworden, daß sie sich so albern benahm? »Halt den Schnabel, alte Gans!« knurrte er sie grimmig an. »Bist du von Sinnen? Was soll das Getue?«

Aber die Alte gab keine Antwort, sondern erhob sich und eilte weiter schreiend und zeternd zur Tür hinaus. Herr Barthold blickte ihr mit weit geöffneten Augen nach und griff an seine Stirn. Die Schließerin Hedwig war seit dreißig Jahren auf der Burg und hatte sich stets vernünftig und ruhig gezeigt. Was war denn nun auf einmal in sie gefahren? Warum schrie sie so und stand ihm nicht Rede und Antwort? Daraus mochte ein anderer klug werden.

Aber wie ward ihm nun vollends, als plötzlich seine ganze Familie, gefolgt von den Knechten und Mägden, in das Gemach stürzte, seine Frau ihm weinend um den Hals fiel und seine Töchter jubelnd seine Hände faßten und sich an ihn schmiegten! Ihm schwindelte fast. Was in aller Welt sollte das alles nur bedeuten!

»Herrgott! Kinder, laßt mich los!« ächzte er. »Was habt ihr euch denn so? Was ist denn geschehen?«

Nun sprachen alle zu gleicher Zeit, so daß es ihm unmöglich war, etwas zu verstehen. »Ruhe, Ruhe!« schrie er. »Klaus, komm her. Sage mir, mein Sohn, was ist das, was soll das Gehabe? Bin ich des Teufels, oder seid ihr's?«

Klaus erzählte nun ruhig, wie es seine Art war, alles der Reihe nach, was sich ereignet hatte. Nur die Auffindung des Schatzes der Gauner verschwieg er vorläufig mit Rücksicht auf die dabeistehenden Knechte. Das wollte er seinem Vater allein anvertrauen, wie er mit Schmid verabredet hatte. Dem Ritter kehrte bei seinen Worten Bewußtsein und Gedächtnis allmählich zurück. Er war also um ein Haar das Opfer zweier abgefeimter Schurken geworden, er hatte sich schmählich täuschen lassen und war den beiden schlauen Schuften arglos ins Garn gegangen. Er hatte zwei Nächte und einen ganzen Tag geschlafen, und die Seinen hatten Todesangst um ihn ausgestanden. Ein Gemisch der widersprechendsten Empfindungen wogte durch sein schmerzendes Hirn – Zorn gegen die Frevler, Beschämung, daß er, der welterfahrene Mann, sich so hatte hinters Licht führen lassen, Freude über seine glückliche Rettung und Rührung über die treue Liebe der Seinen. Aber die weicheren Gefühle gewannen in diesem Widerstreite endlich die Oberhand in seiner Seele. Er sank still in das Kissen zurück und legte leise seine Hand auf das Haar seiner Frau, die an der Seite des Bettes kniete und noch immer ihr Schluchzen nicht unterdrücken konnte.

»Mein liebes Weib«, sagte er mit ganz ungewöhnlich milder Stimme, »es tut mir leid, daß du so große Angst um mich hast durchmachen müssen. Ich danke dir für deine Liebe und Treue, und auch euch allen danke ich herzlich. Es tut mir wohl, zu sehen, wie ihr euch über meine gnädige Errettung freut. Morgen wollen wir alle Gott dafür auf den Knien danken. Jetzt aber laßt mich allein. Ich bin noch sehr matt und muß Ruhe haben. Dann hoffe ich, morgen wieder ganz gesund zu sein.«

Alle verließen nach dieser Anrede sogleich still das Gemach, nur Frau Käthe blieb noch zurück, um ihrem Eheherrn den Trank des Pistorius einzuflößen. Sonst wäre das wohl ein sehr schweres Stück Arbeit gewesen, denn Herr Barthold hielt alle Ärzte und Apotheker für Schwindler und Hanswürste, die dem dummen Volk durch Gauklerkünste das Geld aus dem Beutel zögen. Pistorius war noch der einzige, dem er eine gewisse Achtung zollte, denn der hatte ihm einmal durch einen klugen Rat ein Pferd gerettet. Aber seine Medizin hätte er trotzdem sicherlich an die Wand oder zum Fenster hinaus geworfen, wenn er bei Kräften gewesen wäre. Heute aber war er in weicher, nachgiebiger Stimmung, fühlte sich krank und schwach und wollte vor allem durch eine Weigerung sein liebes Weib nicht kränken und betrüben. Darum schlürfte er, wenn auch murrend und stöhnend, den gallenbittern Trank, den der Arzt ihm verschrieben hatte, und verfiel gleich darauf von neuem in einen tiefen Schlaf.

»Gott sei Dank«, sagte am Nachmittag Klaus zum Pfarrer, der auf den Bodenstein gekommen war. »Gott sei Dank, der Vater ist gerettet. Gegen Mittag wachte er noch einmal auf, heftiges Erbrechen trat ein, dann ist er wieder eingeschlummert. Jetzt sitzt Schmid an seinem Lager und wartet auf sein Erwachen.«

»So meint Ihr, Junker, daß Euer Vater morgen imstande sein wird, Herrn Bertram anzuhören?« fragte der Pfarrer.

»Sicherlich«, antwortete Klaus. »Er war schon heute bei ganz klarem Verstande, seine starke Natur wird ihm bald zur vollkommenen Gesundung verhelfen.«

»Das gebe Gott, und er erleuchte ihn«, sagte der Pfarrer. »Die Gefahr ist groß. Unfaßlich, unglaublich erschien es auch mir im Anfang, was Herr Bertram mir erzählte, aber ich habe keinen Zweifel mehr an der Wahrheit seiner Aussage. Der Teufel hat offenbar den Grafen verblendet, daß er Hülfe sucht bei dem Feinde unseres heiligen Glaubens. Schon lange ist mir sein Verkehr mit dem Propste von Nörten verdächtig. Desgleichen ist mir von glaubwürdiger Seite versichert worden, der Graf sei in Person bei dem Erzbischof in Aschaffenburg gewesen und habe mit ihm tagelang verkehrt, wie mit einem Freunde So ist es wohl wahrscheinlich, was Herr Bertram erzählt. Gott verhüte nur, daß der Graf ganz und gar in das römische Netz gezogen wird. Die Jesuiten werden es an Mühe und List nicht fehlen lassen.«

Ehe Klaus etwas erwidern konnte, erschien Conrad Schmid und meldete, daß Herr Barthold vor geraumer Zeit erwacht sei. Er habe allerlei Fragen an ihn gerichtet und sei zwar noch matt, aber ganz klaren Geistes. Er verlange, sogleich seinen Sohn zu sprechen.

»Ich werde hier warten«, sagte der Pfarrer. »Wenn Euer Vater Lust hat, auch mich zu sehen, so möcht' ich ihn gern begrüßen und ihm Glück wünschen zu seiner Genesung.«

Als Klaus mit Schmid das Gemach verlassen hatte, sagte der Nordhäuser Kaufmann: »Ich habe Eurem Vater von dem Fang erzählt, den wir bei den polnischen Schuften gemacht haben, und das belebte ihn sehr. Er wünscht, auf der Stelle die Kleinode zu sehen. Dem Schwarzrocke wollte ich's nicht sagen.«

»Damit hättet Ihr wohl noch einen Tag warten können«, sagte Klaus. »Da er es aber nun einmal weiß, so müssen wir seinen Willen tun, um ihn nicht aufzuregen.« –

Herr Barthold saß aufrecht in seinem Bette, ließ sich noch einmal das Ende der beiden Goldmacher haarklein erzählen und beschaute währenddessen die goldenen Kleinodien, die man auf einer roten Wolldecke vor ihm ausgebreitet hatte. Nachdem der Bericht beendet war, sprach er eine lange Weile kein Wort. Dann tat er einen tiefen Atemzug und sagte: »Das ist die seltsamste Geschichte, die ich bisher erlebt habe, und wenn das Gold unser ist, so sind wir alle reiche Leute. Wenn es unser ist! Aber daran hege ich Zweifel. Man muß den Spießgesellen der Schufte verfolgen lassen und ihn dann peinlich befragen. Dann wird man erfahren, woher die Schätze stammen.«

»Das ist nicht mehr möglich!« lief Schmid mit einem triumphierenden Lächeln. »Der Kerl hat sich selbst gerichtet. Heute Früh kam Botschaft vom Schulzen von Giboldehausen. Man hat dort vor dem Dorfe einen Mann gefunden, der tot neben einem gestürzten Pferde lag. Er hatte sich selbst die Gurgel durchgeschnitten. Der Schulze fragte an, ob der Mensch einer von denen sei, die auf Bodenstein den Raub hätten ausführen wollen, was in der ganzen Gegend ruchbar ist. Man solle den Toten in Augenschein nehmen. Ich habe sofort meinen Knecht Balthasar hingeschickt, der den Kerl von Nordhausen her kannte. Vor Abend, denke ich, wird er zurück sein. Mir ist kein Zweifel, daß er's ist, die Beschreibung der Bauern paßt gut auf ihn. Jedenfalls hat er mit dem gestürzten Gaule nicht weiter gekonnt, vielleicht auch selbst Schaden genommen, und deshalb hat er aus Furcht vor Kerker und Folter Hand an sich selbst gelegt.«

»So, so«, murmelte der Ritter vor sich hin, »das wäre ja freilich etwas anderes.« Laut setzte er dann hinzu: Ich muß mir die Sache noch überlegen. Schickt doch einmal nach Ohmfeld zum Pfarrer, der hat in solchen Dingen ein gutes Urteil und muß als Gottesgelehrter ja am besten wissen, was recht und unrecht ist.«

»Der Pfarrer ist unten und möchte dich ohnehin gern sehn«, sagte Klaus, während Schmid vor Ärger purpurrot wurde und nur mühsam einen Fluch unterdrückte. Er liebte die Diener der Kirche gar nicht und war wütend, daß der Pfarrer hier entscheiden sollte, wo man doch das Recht klar vor Augen sah. Seiner Meinung nach waren die Goldsachen in redlichem Kampfe zwei gefährlichen Schurken abgenommen und gehörten ohne Frage dem glücklichen Sieger. Aber er wagte nicht, Herrn Barthold zu widersprechen.

»Das trifft sich ja glücklich«, rief der Ritter. »Gehe hinunter Klaus und hole ihn. Erzähle ihm auch alles klar und deutlich vorher, damit er es weiß und wir nicht noch einmal von vorn anfangen müssen.«

Nach einer längeren Weile, während Schmid mißmutig an seinem dünnen roten Schnurrbart nagte und Herr Barthold schweigend die vor ihm liegenden Schmucksachen betrachtete, kam der Pfarrer. Er eilte bewegt auf Herrn Barthold zu und ergriff seine Hände, aber der Ritter schnitt ihm das Wort ab. »Ihr wollt mir Glück wünschen, lieber Pfarrer, und dankt mit mir für Gottes gnädige Durchhülfe. Das freut mich, und ich danke Euch!« rief er. »Ich habe es ja immer gewußt, daß Ihr mir und meinem Hause treu und anhänglich seid. Jetzt aber nichts mehr davon! Sagt einmal ganz ehrlich nach Eurem Gewissen und als Diener Gottes: Was haltet ihr von diesen Sachen? Sind sie unser Eigentum oder nicht?«

»Die Sachen«, sagte der Pfarrer, »sind ohne Zweifel gestohlen. Wenn man den Eigentümer wüßte, so müßtet Ihr ihm das Gold zurückgeben und dürftet nur einen Teil für Euch beanspruchen. Bestätigt sich aber die Nachricht vom Tode des dritten Gauners, dann ist keine Möglichkeit, den oder die Eigentümer jemals aufzufinden. Denn man kann nicht in allen deutschen und welschen Ländern, in Ungarn und Böhmen und sonst in der ganzen Welt umherschicken und Nachfrage halten. Dann also gehört Euch die Beute von Rechts wegen.«

»Wohl gesprochen!« rief Schmid erfreut. »Ihr redet wie ein kluger Mann.«

»Das wird das Richtige sein und ist auch meine Meinung«, sagte Herr Barthold nach einiger Überlegung. »Warten wir also die sichere Nachricht ab. – Wird aber das Gold unser Eigentum, dann muß ich diesen wunderbaren Glücksfall als eine Fügung des Himmels preisen. Gott gibt mir selbst ein Zeichen, daß ich auf dem rechten Wege bin.«

»Wie meint Ihr das?« fragte der Pfarrer befremdet.

Herr Barthold hielt ein besonders schönes und schweres Armband mit funkelndem Steine prüfend gegen das Licht und erwiderte: »Was denkt Ihr, Pfarrer, was man mit all diesem törichten Tande kaufen kann? Rosse und Knechte, Harnisch und Gewaffen, Feldschlangen, Kraut und Lot, alles die schwere Menge. Bei Gott, ich armiere den Bodenstein, daß keine Burg ihm gleicht! Dann mag der arme Hohnsteiner Graf nur kommen!«

Der Pfarrer warf Klaus, der zu Häupten seines Vaters stand, einen erschrockenen Blick zu. Er sah, wie der junge Mann erblaßte und eine rasche Bewegung machte. Da legte er schnell den Finger auf den Mund.

»Darüber können wir ja noch viel reden«, sagte er. »Heute aber scheint mir das Beste, wir lassen Euch allein, denn Ihr werdet noch immer der Ruhe sehr bedürfen.«

»Da habt Ihr recht«, entgegnete Herr Barthold. »Mir ist, als wären alle meine Knochen zerschlagen, und der Kopf ist mir so schwer wie Blei. Trage die Sachen in das Gewölbe, Klaus, und verwahre sie sorgfältig, morgen wollen wir sie unter uns teilen. Für heute, liebe Freunde, gehabt Euch wohl.«


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