Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XXIV. Kapitel.

Ein Söldnerhaufe nach dem andern traf im Laufe des Monats Mai in Heiligenstadt ein. Da sah man Pikeniere und Musketiere, Hellebardiere und Arkebusiere, meist Gestalten in abenteuerlichen, fremdländischen Trachten und mit narbigen Gesichtern, denen man es auf hundert Schritte anmerkte, daß sie in vieler Potentaten Diensten gestanden und auf manchem Schlachtfelde in Deutschland und Welschland gefochten hatten. Reiter waren noch spärlich vertreten. Die meisten sollten erst im Gefolge des Kurfürsten ankommen, und mehr als zweihundert wollte man überhaupt nicht werben. Denn die Herren Lanziers und Kürassiere ließen sich ihr Handwerk gar zu teuer bezahlen. Auch glaubte man ihrer weniger zu bedürfen. Auf einen Kampf im freien Felde konnte es Barthold von Wintzingerode auf keinen Fall ankommen lassen, dazu war die Übermacht, die ihm entgegenstand, zu gewaltig. Er mußte suchen, sein Schloß zu halten, und zur Belagerung einer festen Burg nützten die Gäule der Reiter nichts, da brauchte man Fußvolk und vor allem viel schweres Geschütz.

Dafür hatte man trefflich gesorgt. Die guten Bürger von Heiligenstadt sperrten Mund und Augen auf, als am Abend des zwanzigsten Mai sechs große Kartaunen in die Stadt gefahren wurden. Stralendorf selbst war ihnen mit dreihundert Knechten bis an die Grenze des Eichsfeldes entgegengezogen und geleitete sie nach Heiligenstadt. Dort stellte man sie unter scharfer Bewachung auf dem Marktplatz auf und errichtete über ihnen ein Schutzdach gegen den Regen. Sie waren fast beständig tagsüber von einem gaffenden Volkshaufen umlagert, der die gewaltigen Geschütze bestaunte. Die drei größten, sagte man, gehörten dem Kurfürsten von Sachsen und wären dem Erzbischof nur geliehen; sie hätten schon vor Jahren geholfen, die riesigen Mauern der Feste Grimmenstein bei Gotha zu zerschießen. Die vielen Freunde, die Herr Barthold in der Stadt besaß, machten bedenkliche Gesichter und kratzten sich hinter den Ohren. Ob wohl die Feste Bodenstein diesen Kolossen standhalten würde? so fragten sie sich besorgt untereinander. »Kinder«, sagte der alte Bürgermeister Listemann, »habt keine Bange. Mich dünkt, der Kurfürst hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Vom Tal aus kann man den Bodenstein nicht beschießen, dazu liegt er zu hoch. Die Kartaunen müssen auf den Berg gebracht werden, dorthin, wo Anno fünfundzwanzig die Mühlhäuser ihr Lager hatten. Glaubt Ihr, daß der Wintzingerode das leidet? Seine Feldschlangen sind auch nicht von Holz und schießen Männer und Pferde in Grund und Boden, ehe sie nur halb hinaufkommen.«

Mit solchen Erwägungen tröstete man einander. Denn die weitaus größte Zahl der Bürger gönnte ihrem Landesherrn durchaus nicht den Sieg, im Gegenteil eine schwere Schlappe. Mit finsteren, ja mit haßerfüllten Blicken sahen sie die gewaltigen kriegerischen Rüstungen, die der Kurfürst gegen den Ritter ins Werk setzte. Der Bodensteiner war bisher vielen gleichgültig gewesen, nur die Einsichtigen hatten auf seiner Seite gestanden. Jetzt erschien er der ganzen Bürgerschaft als der Hort der evangelischen Lehre auf dem Eichsfelde. War dieser Mann erst niedergeworfen, so bekam der Erzbischof freie Hand und brauchte keinen mehr zu fürchten, wenn er gegen das Evangelium feindlich vorging, und daß ein Gewaltstreich gegen die evangelische Lehre beabsichtigt wurde, darüber benahm das Vorgehen des kurfürstlichen Kommissars Bunthe auch den Blödesten jeden Zweifel.

Der Propst war nicht erst wieder nach Nörten in sein Petersstift zurückgekehrt, sondern in Heiligenstadt geblieben. Er wußte zwar, daß er in der Stadt verhaßter war, als jeder andere, und daß die Bürgerschaft ihn am liebsten gesteinigt hätte. Aber gerade das war ihm eine Freude, daß er nun endlich diese Leute, die ihn verabscheuten, seine Macht fühlen lassen konnte. Er fühlte sich vollkommen sicher unter den Spießen und Schwertern der Stralendorfschen Soldknechte, und als deren allmählich weit über tausend zusammengekommen waren, ließ er jede Rücksicht fallen. Eines Tages erschien er, geleitet von mehreren Gewaffneten, im Rathause, als die Väter der Stadt einander die schwere Last der Einquartierung mit beweglichen Worten klagten. Mit triumphierendem Lächeln weidete er sich zuerst an der allgemeinen Bestürzung, die sein Eintritt hervorrief, dann sagte er, an der Tür stehen bleibend, langsam und mit großer Schärfe: »Einem wohllöblichen Rate zu Heiligenstadt ist es ja wohl bekannt, daß Seine Kurfürstliche Gnaden mich zum geistlichen Kommissarius in diesem Land ernannt haben. Ich stehe also hier im Namen unseres hochwürdigen gnädigen Herrn. Ich bitte das nicht zu vergessen, wenn dem einen oder dem andern mein Wort unlieb sein sollte. Ich habe dem wohllöblichen Rate dies zu sagen: Seine Gnaden sind fest entschlossen, dem Unfug zu steuern, der in Sachen der Religion in der Stadt um sich gegriffen hat. Der Rat weiß es und muß es wissen, daß der Religionsfriede das Gesetz aufstellt: Cuius regio, eius religio, das heißt, das Land hat sich nach dem Glauben seines Herrn zu richten. Demnach ordne ich an im Namen unseres gnädigsten Herrn, daß von jetzt ab der Gottesdienst in allen Kirchen der Stadt so gehalten wird, wie es unsere allerheiligste, alleinseligmachende Kirche verlangt. Vor allem hört die Spendung des heiligen Sakramentes nach ketzerischem Ritus von heute ab völlig auf. Der Prädikant, Kaspar Schaumberg, verläßt binnen drei Tagen die Stadt, geht auch bis dahin seines Amtes müßig, oder er kann sein Abenteuer erwarten. Die Sankt Ägidienkirche und die Kirche Unserer lieben Frauen werden bis auf weiteres geschlossen, da sie neu zu weihen sind. Dixi. Ich habe gesprochen.«

Die Natsherren saßen, als er geendet hatte, zunächst wie versteinert da. Dann brach ein allgemeines Murren des Unwillens aus, das schließlich in ein zorniges Entrüstungsgeschrei überging. Von allen Seiten erklangen Flüche, Schimpfworte und wilde Drohungen.

»Ruhe, Ruhe, ihr Herren!« schrie der Bürgermeister, aber man hörte ihn nicht, bis er kirschrot im Gesicht sein Barett ergriff und sich anschickte, den Saal zu verlassen. Da trat endlich Stille ein.

»Ruhe, Ruhe!« rief er noch einmal. »Mit Geschrei wird nichts geschafft. Wir werden sogleich über Euer Verlangen beraten, Herr Propst.«

Bunthe richtete sich hoch auf und erwiderte mit eisigem Hohne: »Beraten? Was soll das? Der Rat empfängt durch mich die Befehle seiner Obrigkeit und hat zu gehorchen, nicht zu beraten. Ist bis morgen abend nicht geschehn, was ich dem Rate aufgebe, so wird jeder der Herren die Folgen an seinem Beutel, vielleicht an seinem Leibe merken. Der wohllöbliche Rat wolle das ernstlich bedenken!«

Darauf neigte er mit einer unendlich geringschätzigen Gebärde das Haupt ein wenig und schritt hinaus. »Wie die Schulbuben!« sagte er spöttisch lachend, als sich hinter ihm derselbe Lärm wie vorhin erhob. »Sie haben zu viel Freiheit gehabt bisher. Es wird ihnen schwer werden, sich an den strengen Magister zu gewöhnen, der von nun an die Rute über ihnen schwingen wird.«

In der Tat war der Rat keineswegs gewillt, dem Gebote des verhaßten Priesters Folge zu leisten. Einige ängstliche Gemüter rieten zwar zur Geduld und Nachgiebigkeit, man solle sich scheinbar unterwerfen, bis der Kurfürst käme, und dann den Herrn einmütig bitten, die strengen Befehle seines Vikars wieder aufzuheben. Aber sie waren in der Minderzahl und wurden niedergeschrien, ja es fehlte wenig, daß man ihnen das Unwürdige ihres Standpunktes handgreiflich bewies. So viel erreichten sie aber doch, daß man beschloß, am Nachmittage noch eine Sitzung zu halten und den ganzen Rat dazu einzuladen. Nach altem Heiligenstädter Stadtrecht regierte nämlich immer nur die eine Hälfte der vier Bürgermeister und der zwanzig Ratsherren in einem Jahr, im nächsten kam dann die andere Hälfte ans Regiment. Bei ganz besonders wichtigen Anlässen aber kam der gesamte Rat zusammen, um über das Wohl und Wehe der Stadt zu beraten.

Aber auch in dieser Sitzung unterlagen die zum Nachgeben Willigen ganz und gar. Seit anno fünfundzwanzig, hieß es, sei dem Rate nicht eine solche Schmach angetan worden, wie jetzt. Wie sollte denn das fortgehen, wenn man jetzt schon nachgäbe? Wer hätte eigentlich in Heiligenstadt etwas zu sagen, der Rat, der vom Kurfürsten doch auch bestätigt sei, oder der Propst von Nörten? Wie könne man dem Rate zumuten, Herrn Kaspar Schaumberg aus der Stadt zu weisen? Habe ihn der Rat nicht vor sechzehn Jahren selbst zum Pfarrer bestellt, und sei er in seinem Amte als Prediger und Seelsorger nicht allzeit unsträflich und treu erfunden worden? Nur ein Erzschuft könne wagen, an den Rat solch ein Ansinnen zu richten.

Als man gegen Abend mit erhitzten Köpfen auseinanderging, hatte der Rat beschlossen, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Man wollte dem Propst überhaupt keine Antwort geben, sondern tun, als wären seine Worte gar nicht gesprochen. Damit waren die guten Väter der Stadt nun freilich bei Bunthe an den Unrechten gekommen. Er hatte in den Wochen des Zusammenseins mit Stralendorf einen solchen Einfluß auf den eiteln, haltlosen jungen Mann erlangt, daß er ihn lenkte, wohin er wollte. Mit Güte zu gewinnen seien die Heiligenstädter doch nicht, predigte er ihm täglich vor, man müsse mit Strenge die Bürgerschaft zum Gehorsam anhalten. Nur dadurch werde man das lutherische Unkraut ausrotten. Der Kurfürst werde froh sein, wenn er eine beruhigte, gehorsame Stadt vorfinde, und werde sicherlich ein tatkräftiges Vorgehen gegen die Ketzerei nur billigen.

Stralendorf leuchtete das zwar nicht ganz ein, er wußte, daß der Kurfürst die Zeit zu rücksichtsloser Härte noch nicht für reif hielt. Aber er hatte keinen eigenen Willen mehr. Obwohl es ihm zuweilen in des Propstes Nähe graute, so geriet er doch mit jedem Tage mehr in seinen Bann. Denn Bunthe war ein Mann von Eisen, er ein Rohr, das der Wind bewegt.

So lieh er ihm denn seinen Arm. Als am Abend des dritten Tages der Rat den Befehlen des Propstes nicht nachgekommen war, ließ Stralendorf die beiden Kirchen gewaltsam schließen und stellte eine starke Wache vor ihren Türen auf. Noch an demselben Abend ließ er jeden der Ratsherren um fünf Gulden büßen und eröffnete dem Rate, daß er bei weiterem Ungehorsam andere Maßregeln ergreifen werde. Endlich wurde am Morgen des vierten Tages Kaspar Schaumberg, der Pfarrer von St. Ägidien, von den Landsknechten aus seinem Bette gerissen, mit Weib und Kindern notdürftig bekleidet auf einen Karren gesetzt und mit dem Pferde des Schinders aus der Stadt gefahren. Das geschah zu so früher Stunde, daß nur wenige Menschen schon auf der Straße waren. Denn einen Auflauf, bei dem vielleicht Menschen umkamen, wollte Stralendorf vermeiden.

Man fuhr den Pfarrer bis an die Grenze des städtischen Weichbildes und eröffnete ihm, daß er den Strang zu gewärtigen habe, wenn er sich einfallen lassen würde, nach Heiligenstadt zurückzukehren. Dann hieß man ihn und die Seinen vom Wagen steigen und ihres Weges ziehn.

Die Vertriebenen wandten sich zunächst nach Günterode und fanden dort in einem Bauernhause ihr erstes Unterkommen. Tags darauf drang die Kunde von dem unerhörten Vorgang zu den Ohren Bartholds von Wintzingerode, und auf der Stelle befahl er seinem Vogt in Reinholterode, die unglückliche Pfarrersfamilie nach dem Bodenstein zu bringen.

Als sie dort anlangte, saß Herr Barthold mit den Seinen gerade beim Mittagsmahl. Man hatte eben abgespeist, und die Dienerschaft, die an einer besonderen Tafel in demselben Räume zu essen pflegte, hatte das Gemach schon verlassen. Die Familie aber war noch beisammen in fröhlicher, fast feierlicher Stimmung, denn es war heute für alle ein großer Tag. Klaus war am Morgen endlich zurückgekehrt und saß seinem Vater nun wieder gegenüber, zwar noch etwas bleich, aber aufrecht und ungebeugt. An seine Seite hatte man Barbara gesetzt, nunmehr seine erklärte Braut, und wenn die Augen der beiden jungen Leute sich trafen, was nicht selten geschah, so leuchteten sie vor Glück.

Auch Herr Barthold war so heiter, wie seit lange nicht. Keine Wolke des Unmutes oder der Sorge lag auf seiner Stirn. Der schweren Gefahr, die ihn und sein ganzes Haus bedrohte, schien er heute gar nicht zu gedenken. Eben hatte er einen tiefen Trunk getan und lehnte sich nun behaglich in seinen Sessel zurück, als sich die Tür öffnete und, von Jacob Holstein geleitet, die Vertriebenen von Heiligenstadt auf der Schwelle erschienen. Voran schritt Herr Kaspar Schaumberg, seinen kleinen Knaben an der Hand, ihm folgte seine weinende Frau mit den beiden halberwachsenen Töchtern.

Der Pfarrer nahm das Barett ab, trat an den Tisch heran und begann mit bebender Stimme: »Eurer Einladung sind wir gefolgt, edler und fester Junker, und als ein Exul Christi stehe ich vor Euch. Gott lohn's Euch, daß Ihr uns eine Zuflucht bietet! Wir haben nichts mehr, als was wir auf dem Leibe tragen.«

Der Ritter sprang in großer Bewegung auf und bot ihm die Hand. »Willkommen, lieber Pfarrer! Es tut mir von Herzen leid, Euch und die Euern in so traurigem Zustande zu sehen. Kommt, setzt Euch hier an den Tisch, es soll sogleich für Euch aufgetragen werden. Ihr mögt wohl hungrig sein.«

Alle begrüßten nun die armen Vertriebenen, besonders herzlich der alte Hoven. Ihm standen die Tränen in den Augen, als er dem Pfarrer die Hände schüttelte. »Wir haben ein gleiches Schicksal«, sagte er, »auch ich habe von Haus und Hof unter schwerer Lebensgefahr fliehen müssen. Doch bin ich immer noch glücklicher als Ihr, denn ich habe doch einen Teil des Meinigen retten können.«

»Da ist ja Eure Burg beinahe das, was einst die Ebernburg Franz von Sickingens war, eine Herberge der Gerechtigkeit!« rief der Pfarrer zu Herrn Barthold gewandt.

Der Ritter lachte. »Ich möchte aber doch dem Bodenstein ein anderes Schicksal wünschen. Die Ebernburg schossen die Fürsten gar schnell in Trümmer. Hoffentlich erweist mein Schloß sich als fester!«

»Das gebe Gott!« rief der Pfarrer.

»Ich fürchte die Kartaunen des Kurfürsten nicht, und wenn sie auch vierzig- bis fünfzigpfündige Kugeln schießen«, sagte Barthold. »Ich glaube nicht, daß sie auch nur eine einzige den Berg heraufbringen, und unten sind sie unnütz. Vielleicht«, setzte er mit listigem Lächeln hinzu, »kommen sie nicht einmal unter den Bodenstein.«

»Wie sollte das zu hindern sein?« fragte Schaumberg.

»Das ist mein Geheimnis. Es ist etwas im Werke, wenn das glückt, so bin ich meiner Feinde ledig, und das Eichsfeld bleibt für immer bei Luthers Lehre. Stoßt an, meine Freunde, daß der Wurf gelingt! Heil und Sieg allen, die das reine Evangelium bekennen, und Tod den Pfaffen!«


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