Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XXVII. Kapitel.

In der ersten Morgenfrühe des achten Juni, noch ehe der Tag graute, hielt vor dem Martinsstift zu Heiligenstadt ein starker Reiterhaufe, der einen Wagen geleitet hatte. Es war eine der reichverzierten, prächtigen, aber unförmlichen Karossen, in denen vornehme Damen zu reisen pflegten. Aber die Frau, die darin saß, war offenbar nicht auf einer Lustreise begriffen, sondern gewaltsam hierher geschleppt worden. Ihre Hände waren mit dünnen Stricken gefesselt, den Mund hatte man ihr mit einem Tuche zugebunden, und überdies war ihr auch noch eine dunkle Kapuze über das Haupt und den größten Teil des Antlitzes gezogen worden. Selbst bei hellem Tag hätte niemand zu erkennen vermocht, daß es Anna von Bünau war, die hier wie eine Verbrecherin fortgeführt wurde.

Der Plan des Propstes war geglückt. Kaum hatte die junge Frau die Nachricht von der tödlichen Erkrankung ihrer geliebten Mutter erhalten, so hatte sie sich auch auf der Stelle zur Reise entschlossen. Ihren Mann konnte sie nicht erst fragen, denn der war im Gefolge seines Kurfürsten in Mühlhausen. Dorthin mochte sie nicht kommen, um nicht etwa mit dem Mainzer Erzbischof zusammenzutreffen. Sie vermied die Stadt, obwohl die bequemste Straße durch sie hindurch führte, und suchte auf einem Umweg nach der väterlichen Burg zu gelangen.

Das alles hatte Bunthe vorausgesehen, hatte sie auch zur größeren Sicherheit von zwei Spähern auf dem ganzen Wege beobachten lassen. So war denn der Überfall gelungen. Zwischen Dachrieden und Saalfeld wurde der Wagen, der auf einem Feldweg dahinfuhr, von einer starken Schar Bewaffneter angehalten. Den Geleitsknechten wurde bedeutet, baß sie sich zu entfernen hätten, wenn sie nicht das Schicksal der Hexe teilen wollten, zu deren Schutz sie mitgeritten wären. Dabei entfaltete Stephan Riedinger ein stattliches Pergament und las einen Haftbefehl vor, der vom kurfürstlichen Kommissar unterzeichnet war. Darin stand geschrieben, daß Anna, eine geborene von Wintzingerode, gegenwärtig die Ehefrau des Junkers von Bünau, der Zauberei und des Bündnisses mit dem bösen Feind dringend verdächtig sei und, falls sie auf dem Eichsfeld ergriffen werde, vor das peinliche Gericht zur Befragung gestellt werden solle.

Jeder Widerstand wäre der Übermacht gegenüber unnütz gewesen. Er wurde auch gar nicht versucht. Die Knechte wandten sich scheu zur Seite und ritten dann, nachdem sie eine kleine Weile miteinander geflüstert hatten, kopfschüttelnd und fluchend ab. Wer hätte denken können, daß die stolze, schöne Frau, die sie geleitet hatten, eine Hexe sei! Für eine Teufelsbuhle fühlten sie sich nicht verpflichtet, ihr gutes Schwert zu ziehen. Freilich war ja ihre Schuld noch nicht bewiesen, aber wie selten kam es vor, daß ein Weib gegenüber dieser Anklage sich rechtfertigte!

Auch Anna von Bünau war viel zu entsetzt, um an einen Widerstand zu denken. Vor Schrecken betäubt und einer Ohnmacht nahe, ließ sie sich ruhig die Hände fesseln und das Gesicht verhüllen. Die ganze stundenlange Nachtfahrt über hatte sie wie erstarrt in einer Ecke des Wagens gesessen.

Endlich war das Ziel erreicht. Der Wagen rumpelte über holpriges Pflaster und hielt dann still. Stephan Riedinger rief die Wachen herbei, die vor dem Hauptgebäude des Stiftes standen, und ließ die Tür aufschließen. Dann trat er an den Wagen heran, umfaßte die halb Bewußtlose und trug sie ins Haus, gefolgt von zwei Knechten mit Windlichtern. Er schritt mit seiner Last einen langen Gang dahin und öffnete an dessen Ende eine niedrige, plumpe, eisenbeschlagene Tür. Sie führte zu dem Zimmer, das Bunthe ihm angewiesen hatte, einem schmalen kleinen Raum, dessen Fenster vergittert waren, und der nichts enthielt, als in der einen Ecke ein Betpult mit einem Kruzifix, in der andern ein etwas erhöhtes Lager von harten Brettern. Darauf legte er die Gefangene nieder, löste die Fesseln ihrer Hände und band das Tuch und die Kapuze von ihrem Haupte ab. Dann leuchtete er eigenhändig in dem Gemache herum und schritt hinaus, ohne ein Wort zu sprechen. Draußen schob er den schweren Eisenriegel vor und befahl einem Knechte, Wache zu halten.

Anna war allein. Lange lag sie da in dumpfer Betäubung. Als sie erwachte, fiel das Tageslicht schon hell herein durch die halberblindeten Scheiben. Laute Männerstimmen und das Gestampf von Rosseshufen klang an ihr Ohr.

Mit einem Schrei fuhr sie empor. All das Gräßliche, was über sie hereingebrochen war, kam ihr mit einem Mal zu vollem Bewußtsein. Sie war in die Hände des Mainzer Kurfürsten gefallen, sie war der Zauberei angeklagt und sollte vor dem peinlichen Richter als Hexe vernommen werden. Die entsetzlichsten Demütigungen, die es für ein ehrbares Weib gab, standen ihr bevor, schaudervolle Qualen würde man über sie verhängen, und das Ende war wahrscheinlich der Feuertod auf dem Scheiterhaufen.

Wie eine Wahnsinnige sprang sie von ihrem Lager auf und stand am ganzen Körper zitternd und irre Blicke um sich werfend da. Dann stürzte sie zur Tür und rüttelte daran mit verzweifelter Kraftanstrengung, aber das feste Schloß hätte wohl zwei starken Männern standgehalten. Darauf rannte sie zum Fenster, aber sie vermochte es nicht zu öffnen, außerdem sah sie durch die Scheiben, daß es von außen mit engen Eisengittern verwahrt war.

Da sank sie aufstöhnend in die Knie und lehnte die Stirn gegen die kalte Mauer. Jammer und Schmerz überwältigten sie so, daß ihr von neuem fast die Sinne vergingen.

Eine Weile lag sie so. Plötzlich fühlte sie sich hart an der Schulter gepackt. Als sie den Blick erhob, sah sie einen Mann in geistlicher Tracht vor sich stehen, dessen tiefliegende graue Augen mit einem seltsamen Ausdruck von Hohn und Lüsternheit auf ihr ruhten.

»Steht auf!« sagte er. »Ich bin der kurfürstliche Kommissar Bunthe und habe mit Euch zu reden. Setzt Euch dorthin und hört genau auf das, was ich Euch sage.«

Anna gehorchte. Bunthe lehnte sich ihr gegenüber an die Wand, schlug ein Bein über das andere und begann in einem fast behaglichen Tone: »Also, schöne Frau, wir wollen ohne alle Umschweife miteinander reden. Ihr habt in Mainz das Wohlgefallen unseres gnädigen Herrn erregt und habt Euch ihm dann, was weiß ich, aus welchem Grunde, durch eilige Flucht entzogen. Seine Gnaden aber war so in Eure Schönheit vernarrt, daß er daraufhin in eine schwere Krankheit verfiel. Nur ein Wunder der heiligen Jungfrau hat ihn errettet. Das macht Euch verdächtig. Dergleichen rasende, überschwengliche Liebe ist kaum anders zu erklären als durch Zauberei mit Hilfe des bösen Feindes.«

Er schlug ein Kreuz. »Ihr werdet, um es kurz zu sagen, bezichtigt, Seiner Gnaden einen Liebestrank beigebracht zu haben.«

Anna zuckte entsetzt zusammen. »Niemals!« stieß sie mit halberstickter Stimme hervor.

»Das wird sich herausstellen, wenn Ihr deshalb vor Gericht befragt werdet. Jeder Beschuldigte leugnet zunächst, das kennen wir. Aber es gibt Mittel, auch den Verstocktesten zum Geständnis zu bringen. Das bedenkt wohl!«

Anna saß ein paar Augenblicke stumm da. Dann warf sie wie rasend die Arme in die Höhe und schrie gellend: »Was hab' ich Euch getan? Was wollt Ihr von mir? Wollt Ihr ein unschuldiges Weib morden? Ihr wißt wohl, daß ich nichts Böses getan habe. Ich bin geflohen, weil Euer Herr meiner Ehre zu nahe trat. Hätt' ich ihn bezaubern wollen, wie wäre ich dann vor ihm entwichen?«

Darauf erwiderte der Propst ruhig und gelassen: »Ich will Euch Eure Fragen nach der Reihe beantworten. Ihr habt mir nichts getan. Aber wenn Ihr Euern Vater in diesem Leben noch einmal sehen solltet, so fragt ihn, was er mir getan hat, und warum ich sein Feind bin. Ihr seid seine Tochter, und »das Kalb muß folgen der Kuh«, das ist ein altes Sprichwort. Daß Ihr vor dem Kurfürsten geflohen seid, würde Euch entlasten, wenn Ihr nicht eben dieses Vaters Tochter wäret. Der war stets unseres gnädigen Herrn Feind, manchmal offen, sonst im geheimen, und mag Euch wohl angewiesen haben, dem Herrn mit einem Liebestrank Leib und Seele zu vergiften, und Euch dann davonzumachen. Ich wette, daß Ihr solches mit eigenem Munde noch bekennen werdet.«

Anna hatte still dagesessen, während er sprach, die stieren Augen auf den Boden geheftet. Jetzt hob sie mit einem Mal das Haupt, und ein Hoffnungsschimmer leuchtete aus ihren Augen. »Ihr habt überhaupt kein Recht, mich zu richten!« rief sie. »Ich bin die Untertanin Kurfürst Augusts von Sachsen und stehe unter seinem Gericht. Der Kurfürst wird nicht dulden, daß die Frau eines seiner treuesten Diener vor ein fremdes Gericht gestellt wird!«

Bunthe machte eine wegwerfende Handbewegung. »Diese Hoffnung laßt fahren! Müssen wir Euch ausliefern, so werden wir dafür sorgen, daß Ihr bis dahin geständig geworden seid. Dann ist der Unterschied für Euch nur der, daß Ihr am sächsischen statt am Mainzer Holz geröstet werdet. Nein, für Euch gibt es nur einen Weg zur Freiheit, und den will ich Euch zeigen. Tut dem gnädigen Herrn seinen Willen und werdet seine Liebste! Das ist mein Rat.«

Anna schauderte und rückte unwillkürlich ein Stück von dem Propst hinweg.

»Nun?« drängte Bunthe, als sie keine Antwort gab. »Ist mein Rat nicht gut? Glaubt mir, kein Mensch kann Euch einen besseren geben.«

Anna schlug die Hände vor ihr Antlitz, und aus tiefster Brust aufstöhnend stammelte sie: »Nie! Nimmermehr! O pfui, pfui! Das sagt ein Priester? Mir, einer Ehefrau? Ich gehöre meinem Manne!«

Um Bunthes Mund erschien ein böses, grausames Lächeln. »Nun, schöne Frau«, entgegnete er, »wenn ein Weib sich in Eurer Lage befindet, da muß wohl auch der eifersüchtigste Gatte ihr nachsehen, wenn sie die eheliche Treue bricht. Ihr scheint Euch doch nicht so ganz klar darüber zu sein, was Euch bevorsteht, wenn Ihr Euch den Weg zur Freiheit nicht selbst bahnt. Nicht nur der Tod erwartet Euch dann, nicht nur Schmerzen des Leibes, sondern auch Qualen der Seele. Wenn Ihr so sittsam seid, daß Ihr unserem gnädigen Herrn nicht zu Willen sein wollt – was müßt Ihr dann leiden, wenn der Henker Euch vor den Richtern entkleidet und auf die Folterbank streckt? Glaubt mir – – –«

Aber er kam nicht weiter. Anna war aufgesprungen und stand vor ihm totenblaß, mit glühenden Augen und geballten Fäusten. »Elender!« zischte sie. Dann war sie mit einem Satze am Fenster und rüttelte mit Riesenkraft daran.

»Bemüht Euch nicht«, sagte Bunthe mit kaltem Hohn, »es ist vernagelt.«

Aber dem verzweifelten Weibe war jetzt alles gleich. Wie eine Rasende schlug sie mit beiden Fäusten auf die runden Fensterscheiben los, so daß sie klirrend in Stücke sprangen. Dann preßte sie ihr Gesicht gegen die so entstandene Öffnung und schrie überlaut und kreischend hinaus: »Hülfe, Hülfe! rettet mich!«

Der alte Martin von Hanstein war unten im Hof eben vom Pferde gestiegen und blickte überrascht empor, als er die Weiberstimme schreien hörte. Aber seine Überraschung verwandelte sich sofort in die höchste Bestürzung, als er das Gesicht am Fenster erkannte. Er beschattete die Augen mit der Hand und starrte angestrengt hinauf. Narrte ihn ein Spuk am hellen lichten Tage? War das nicht? – das war doch – Bartholds von Wintzingerode Tochter, die in Sachsen verheiratet war? Was war das? Wie kam sie hierher?

»Hülfe! Hülfe! Gewalt!« gellte es wieder von oben herab, denn der Propst suchte nun Anna mit aller Kraft vom Fenster hinwegzuziehen.

»Wintzingerode!« brüllte Hanstein und noch einmal mit Donnerstimme: »Wintzingerode!«

Hans und Bertram, die eben ins Haus getreten waren, um sich zu Bacharell zu begeben, kehrten auf der Stelle um und kamen auf den Hof gelaufen. Hanstein schrie ihnen entgegen: »Es geht was Schändliches hier vor! Eure Base ist hier, die Bünau. Sie schrie nach Hülfe. Folgt mir, daß wir nicht zu spät kommen!«

Bertram lachte. »Man ist es nicht an dir gewohnt, Hanstein, daß du früh schon trunken bist.«

Hanstein stieß einen Fluch aus. »Ich bin nicht trunken. Ich kann meinen Augen trauen! Kommt! Kommt!«

Mit jugendlicher Rüstigkeit lief er ins Haus. Wieder ertönten Schreie von oben, aber nur noch schwach und undeutlich. Es war dem Propst gelungen, die sich heftig Sträubende ins Gemach zurückzuziehen und auf das Bretterlager niederzudrücken.

»Es ist ein Weib, das da schreit!« rief Bertram. »Wer's auch sei, wir wollen ihr helfen!«

Die beiden stürmten Hanstein nach die Treppe empor. Etliche Knechte schlossen sich ihnen an und folgten in einiger Entfernung, neugierig, was es da oben gäbe.

Bunthe, der unter Flüchen und Drohungen mit Anna gerungen hatte, ließ von ihr ab, als er die klirrenden Tritte der näher Kommenden hörte. Blaß und keuchend lehnte er an der Wand. Er bot einen schrecklichen Anblick, denn Anna hatte ihn mit ihren zerschnittenen, blutigen Händen ins Gesicht geschlagen. Über und über war er von ihrem Blute befleckt.

Die Tür flog auf. »Was ist das? Was geht hier vor?« rief Hanstein.

»Mein Gott, wie kommst du hierher?« schrie hinter ihm Bertram.

Anna blieb stumm. Sie vermochte kein Wort hervorzubringen.

Bunthe hatte sich inzwischen notdürftig gefaßt. Er richtete sich hoch auf und versuchte eine würdevolle Miene anzunehmen. »Ihr Herren«, sagte er, »ich bitte Euch, laßt die Hand von dieser hier. Ihr wißt nicht, was Ihr tut, wenn Ihr sie schützt. Sie steht im dringendsten Verdacht, Zauberei und Buhlschaft mit dem Fürsten der Hölle getrieben zu haben.«

Anna schrie auf. »Lüge, elende Lüge! Man hat mich hierher gebracht, damit ich des Kurfürsten Dirne werden sollte!«

Beide Wintzingerode fuhren zugleich mit der Hand nach dem Schwert. »Elender Hund!« rief Hans und riß die Klinge aus der Scheide.

Aber er fühlte seine Hand von hinten mit eisernem Drucke festgehalten. »Keine Gewalttat, Ihr Herren!« sagte eine scharfe, klare Stimme. Als er sich umwandte, blickte er in das kalte, unbewegliche Gesicht des Paters Bacharell, der von der offenen Tür aus die Szene beobachtet hatte.

»Keine Gewalttat!« wiederholte der Pater und stellte sich zwischen die Ritter und den Propst. »Wie kommt diese Frau hierher?«

»Ich habe sie aufheben lassen!« rief Bunthe trotzig.

»Und was führt Euch zu dieser Zeit aufs Eichsfeld, Frau von Bünau?«

»Ich erhielt brieflich Nachricht, daß meine Mutter tödlich erkrankt sei. Sie wollte mich vor ihrem Ende noch einmal sehen.«

»Erstunkene Lügen!« brauste Bertram auf. »Ich habe Frau Käthe noch vor zwei Tagen frisch und gesund gesehen!«

Anna nestelte mit zitternder Hand einen Zettel aus ihrem Busen und reichte ihn Bertram. »Meines Vaters eigene Hand«, sagte sie.

Aufs höchste betroffen blickte Bertram auf das Schreiben. »Wann erhieltst du das?« fragte er.

»Vor vier Tagen.«

»Dann ist der Brief gefälscht! Und du, Pfaffe, bist der Fälscher!« brüllte der Ritter und machte Miene, sich auf den Propst zu stürzen. Aber Bacharell breitete beide Arme aus und rief hell und durchdringend: »Halt! Keine Gewalt in des Kurfürsten Behausung! Laßt mich die Sache schlichten. Ihr, Frau von Bünau, seid der Zauberei bezichtigt. Eine schwere Anklage! Aber Ihr steht unter sächsischem Gericht. Gott behüte uns vor Übergriffen in Eures Kurfürsten Rechte! Kehrt heim und erwartet, was gegen Euch geschieht. Und Ihr, Junker von Wintzingerode, bringt Eure Verwandte fort von hier, schnell, eilig, unverzüglich! Unsere Unterredung kann morgen früh stattfinden.«

»Er hat recht!« erwiderte Bertram, ergriff seine Base am Arm und zog sie nach sich. Die Ritter schritten hinaus. Der Pater und der Propst blieben allein im Gemach.

Bunthe stand in einer Ecke, vor Wut an allen Gliedern bebend, die Zähne knirschend, mit geballten Fäusten. Er sah aus wie ein Raubtier, dem ein stärkeres die Beute entrissen hat. »Das werdet Ihr büßen! Das verzeiht Euch der Kurfürst niemals!« schrie er.

»Narr!« erwiderte Bacharell ruhig. »Noch einmal sage ich: Narr! Dankt Gott auf Euern Knien, daß ich Euch vor ewigem Gefängnis bewahrt habe. Denn damit hätte dieses Spiel für Euch geendet. Wißt Ihr, daß Mainz zurzeit die Hülfe Sachsens braucht wie das liebe Brot? Wißt Ihr, daß vielleicht die ganze Zukunft der heiligen Kirche in Germanien davon abhängt, daß der mächtigste Fürst der Ketzer unsere Kreise jetzt nicht stört? Ihr wißt es nicht, denn Ihr kennt nicht die großen Händel des Reiches und der Christenheit. Den Mann wolltet Ihr aufbringen durch eine schnöde Gewalttat, die ja bald ruchbar werden mußte –«

»Um ein Weib« – fiel Bunthe ein, aber der Pater schnitt ihm das Wort ab.

»Kennt Ihr Augustus von Sachsen, den dämonischen Menschen, der keine Versöhnung, keine Gnade kennt, wenn er gereizt wird, der neulich seinen treuesten Rat zu Tode hat foltern lassen, weil er von dem ketzerischen Glauben seines Herrn abgefallen war in eine andere Ketzerei? Diesen wilden Panther reizen, jetzt reizen! Ihr wäret von Sinnen. Seid versichert: Gelang Euer Werk, so kostete es uns das Eichsfeld, oder der Kurfürst hätte Euch mit demütigender Entschuldigung ausliefern müssen. Dann konntet Ihr in einem sächsischen Kerker oder an einem sächsischen Galgen verfaulen!«

Bunthe war während der Rede des Paters sehr blaß geworden und in sich zusammengesunken. »Ich wollte dem gnädigen Herrn gefällig sein, ihm einen Dienst leisten«, brachte er endlich hervor.

»Ihr hättet ihm schlecht gedient und schwerlich auf Dank und Lohn rechnen dürfen. Denn, Herr Propst, der Kurfürst hat seine Verirrung bereut und in meine Hände einen heiligen Eid bei der gebenedeiten Gottesmutter und seiner Seele Seligkeit geschworen, daß er von dem Weibe hinfort lassen will. Ehe wir von Mainz abzogen, habe ich ihn endlich dazu vermocht. Daniel gehört jetzt uns mit Leib und Seele. Und wir, die Väter der Gesellschaft Jesu, wir wollen die heilige Kirche reformieren, nicht bloß zum Schein, das merkt Euch wohl! Unsere Priester, unsere Kirchenfürsten sollen nicht Lüstlinge und Fleischesknechte sein, sondern der Welt abgestorbene Seelen, die nur ein Ziel kennen, den Sieg der Kirche Gottes unter den Ungläubigen.«

Er machte eine Pause und fuhr dann fort: »Ich habe Euch zum geistlichen Kommissar gemacht, ich allein. Ich weiß, daß Euer Herz hart ist wie ein Diamant, und das brauchen wir. Aber nun laßt neben der Härte auch die Besonnenheit zu ihrem Recht kommen und macht, daß ich nicht noch einmal irre werde an Euch.«

Er hob drohend die Hand und schritt zurück. Bestürzt und niedergeschmettert, ja völlig fassungslos blieb Bunthe allein. –

Unterdessen waren Bertram von Wintzingerode und seine Knechte mit Anna von Bünau eiligst aus der Stadt geritten. Bertram hatte sie nach seiner Burg bringen wollen, ja, er erbot sich sogar, sie nach Mühlhausen geleiten zu lassen. Aber die junge Frau wollte durchaus nach dem Bodenstein. Allen Einwänden, daß dem Schlosse ihres Vaters in der Kürze eine Belagerung drohe, daß sie anderswo weit sicherer aufgehoben sei, schenkte sie kein Gehör. Schließlich mußte sich Bertram ihrem Willen fügen, und so schlug man den näheren Weg über die Berge ein. Da die Feldwege in dieser Jahreszeit gut waren und man die Rosse tüchtig ausgreifen ließ, langte man bereits gegen Mittag auf der Burg an.

Mit einem wilden Aufschluchzen stürzte sich Anna ihrem Vater in die Arme. Lange war sie keines Wortes mächtig, Bertram mußte erzählen, was geschehen war. Als er geendet hatte, geriet Herr Barthold in eine wahre Raserei des Zornes. Er warf sich vor seiner Tochter auf die Erde, ergriff ihre notdürftig verbundenen Hände und schrie mit einer Stimme, die allen durch Mark und Bein drang: »So wahr ein Gott im Himmel lebt, das räche ich! Mit meinen Händen erwürge ich den Hund, der das gewagt hat!«

Dann sprang er auf und faßte Bertram an beiden Schultern. »Siehst du nun, wie weit der Haß dieser Pfaffen geht? Vergiften und erwürgen möchten sie, was Wintzingerode heißt. Auch du wirst ihrem Gifte nicht entgehen, wenn sie dich auch jetzt umwerben und umschmeicheln!«

Bertram lachte rauh auf. »Umwerben und umschmeicheln? Davon sind sie weit entfernt. Sie fühlen sich schon als Herren im Lande und bitten nicht, sie drohen. Wenn ich mich fürder weigere, gegen dich zu ziehen, so wollen sie mir das Lehn entziehn, wollen mir den Bodenstein nicht lassen, wenn sie ihn haben.«

»Wenn sie ihn haben! Wenn sie ihn haben!« rief Barthold. »Aber noch ist nicht aller Tage Abend! Noch halte ich einen Trumpf in meiner Hand, der vielleicht Euer Spiel verdirbt, ihr Buben! Du aber, Bertram, schwöre mir: Wenn du nach mir Herr bist auf dem Bodenstein, daß du eher sterben willst als vom Evangelium abweichen, daß du nie bei deinem Leben zugibst, daß die Pfaffen das Land wieder römisch machen!«

Bertram ergriff seines Vetters Hand mit festem Druck. »Das schwöre ich dir, Barthold, bei meiner Seligkeit, so wahr mir Gott helfe! Amen!«


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