Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XIV. Kapitel.

Frau Käthe von Wintzingerode hatte die Gewohnheit, am Weihnachtsfeste die Armen und Kranken in ihren Dörfern reich zu beschenken. Am Nachmittag vor dem heiligen Abend fanden sie sich alle auf der Burg ein, Große und Kleine, Alte und Junge, um aus ihrer Hand die Gaben zu empfangen. Die Schloßfrau, die einen jeden persönlich kannte, hatte bei der Gelegenheit auch für alle ein freundliches Wort und tat manchem armen alten Weiblein dadurch mehr wohl, als durch ihr Geschenk. Wer im Laufe des letzten Jahres wegen Diebstahls oder eines anderen groben Verbrechens gebüßt worden war, durfte zu Weihnachten nicht mit auf dem Schloß erscheinen, und das galt für eine große Schande unter den Leuten. Wer aber an das Krankenlager gefesselt oder durch seines Leibes Gebrechen verhindert war, den steilen Berg emporzuklimmen, dem wurde ins Haus getragen, was man ihm zugedacht hatte.

In früheren Zeiten pflegte Frau Käthe selbst diese Gänge zu besorgen, in den letzten Jahren dagegen hatten sie die erwachsenen Töchter ihr abgenommen. Nun war die Älteste in der Ferne, Sophie, die zweite, konnte nicht alles allein besorgen, und so hatte die Schloßfrau ihren jungen Gast gebeten, den Kranken in Wintzingerode die Gaben des Schlosses zu überbringen, während Sophie nach Ohmfeld wandern sollte. Barbara hatte mit Freuden zugesagt und schritt nun den Schloßberg hinab. In einiger Entfernung folgten ihr zwei handfeste Mägde, die schwerbepackte Körbe trugen, dabei aber trotz ihrer Last eifrig miteinander schwatzten und lachten.

Als das junge Mädchen um eine Wegesecke bog, stand plötzlich Klaus vor ihr; er hatte offenbar auf sie gewartet. Er grüßte befangen, und sie dankte verlegen, und es war wohl nicht die scharfe Winterluft allein daran schuld, daß beider Antlitz in heller Röte erstrahlte.

»Erlaubt, daß ich Euch auf Eurem Wege das Geleit gebe«, sagte Klaus. Barbara bejahte mit einem stummen Neigen des Hauptes.

Nun gingen die beiden jungen Leute eine lange Strecke der Bergstraße nebeneinander dahin, ohne ein Wort zu wechseln. Nur verstohlen streiften sich hin und wieder ihre Blicke, und jedesmal, wenn das geschah, wandten sie schnell den Kopf seitwärts, als ob sie ein Unrecht damit begingen.

Endlich begann Klaus mit gepreßter Stimme: »Ich bat Euch neulich, liebe Jungfrau, wieder in die Kapelle zu kommen, wenn ich Euch rufen würde. Entsinnt Ihr Euch?«

»Ja freilich«, erwiderte Barbara.

»Das ist nun nicht nötig, wenn Ihr mich hier hören wollt«, sprach Klaus weiter. »In den Feiertagen kann ich Euch schwerlich allein sprechen, und gleich nach dem Feste verreise ich.«

Barbara blieb einen Augenblick erschrocken stehen. »Ihr wollt verreisen? In dieser Jahreszeit?«

»Es ist keine Lustreise«, erwiderte Klaus. »Ich reite nach Wolfenbüttel zum Herzog mit einer eiligen Botschaft meines Vaters, auch nach Münden zu Herzog Erich. Vorher aber möchte ich noch eine Frage an Euch richten, eine Frage, die mir schwer auf dem Herzen liegt. Ich habe kluge Leute sagen hören, daß Frauen in schwierigen Dingen oft einsichtiger urteilen als der weiseste Mann, und überdies habe ich zu Euch das größte Vertrauen.«

»Warum sagt Ihr Eurer Mutter nichts davon?« fragte Barbara scheu.

»Wenn Ihr meine Geschichte kennt, so werdet Ihr begreifen, daß ich gerade sie nicht damit beschweren kann«, entgegnete Klaus. »Weist Ihr mich aber ab mit meiner Bitte, so zürne ich Euch deshalb nicht. Ich weiß gar wohl, daß ich damit eine Last auch auf Eure Seele lege.«

»Nein, so ist es nicht gemeint!« rief Barbara und schaute zum ersten Male ihrem Begleiter voll und fest in die Augen. »Ich glaubte, Eure Mutter sei die nächste, der Ihr vertrauen müßtet. Würdigt Ihr aber mich« – sie brach ab und wurde dunkelrot im Gesicht. Dann setzte sie leise hinzu: »Wie sollte ich Euch Eure Last nicht tragen helfen?«

Klaus hätte am liebsten das junge Mädchen an seine Brust gerissen, so überwältigte ihn ihre warme Anteilnahme an seinem Geschick, die er in ihren Augen las. Aber er begnügte sich damit, ihre Hand zu fassen und sie innig zu drücken.

»Es ist eine lange Geschichte, die ich Euch erzählen muß«, begann er. »Doch es ist nötig, daß Ihr alles wißt, drum hört mich mit Geduld an.

Eine Meile von hier, da drüben jenseits der Höhe liegt das Dörschen Immingerode. Dort ist ein großer Meierhof, denen von Wintzingerode von uralten Zeiten eigen, doch gehörte er nicht zum Bodensteiner Lehn. Auf diesem Hofe sitzt seit mehr als hundert Jahren die Familie Gelling, reiche Bauern, aber hörige Leute. Von ihnen stammte meine Mutter ab.

Mein Vater ist, wie mir die Leute erzählt haben, lange Zeit der schönen Meierstochter nachgegangen, aber sie wollte nicht anders sein eigen werden, denn als sein ehrliches Weib. Und weil er ihr wirklich in Liebe zugetan war, so tat er ihr den Willen und führte sie zum Altar. Auf den Bodenstein durfte er sie nicht bringen, denn seine Mutter war eine stolze und harte Frau und war voller Galle gegen die unwillkommene Schwiegertochter. So blieb sie in Immingerode bei ihren Eltern, auch mein Vater lebte mehr dort als auf dem Schlosse und baute den alten Meierhof stattlich aus und kaufte noch viel Hand dazu und schenkte ihr das ganze Gut erb- und eigentümlich.

Es wurden zwei Söhne geboren, mein Bruder Heinrich und ich. Der älteste ist lange tot, er starb als zartes Kind, ebenso die einzige Tochter Sophie. Wenige Wochen nach meiner Geburt starb auch meine Mutter, noch jung, nicht dreißig Jahre alt.

Meines Vaters Schmerz soll furchtbar gewesen sein. Aber ein Jahr später kam seine Mutter zum Sterben, und auf dem Totenbette nahm sie ihm den Eid ab, sich binnen sechs Monaten ebenbürtig zu vermählen. Mein Vater heiratete das Fräulein Käthe von Rautenberg, die Tochter eines edeln Hauses aus dem hannoverschen Lande. Das ist nun fast sechsundzwanzig Jahre her. Die neue Frau war klug und gut. Sie ehrte das Andenken der ersten Frau ihres Mannes auf jede Weise, ja sie besuchte sogar ihr Grab drüben in Immingerode, und wie sie den kleinen kraushaarigen Buben sah, den die Tote hinterlassen hatte, da beschloß sie auf der Stelle, mich mitzunehmen und mich zu halten wie ein eigenes Kind. Das hat sie getan und blieb sich immer gleich in Güte und Freundlichkeit, und ich liebe sie, wie ein Sohn seine Mutter.

Sie hätte freilich nichts Besseres tun können, um meines Vaters Gemüt ganz für sich einzunehmen, denn er liebte mich von klein auf über alle Maßen. Ich bin ihm ja leiblich sehr ähnlich, wie alle Welt sagt, und auch unsere Art ist in vielem die gleiche, wenn ich auch ruhigeren Sinnes und weniger heftig bin. Hätte er in seiner zweiten Ehe einen Sohn gehabt, so wäre ich vielleicht ihm weniger lieb gewesen, aber es wurden ihm nur Töchter geboren. Auch die liebt er herzlich wie ein guter Vater, aber sie sind eben Mädchen, die daheim bei der Mutter sitzen mußten und von ihr erzogen wurden. Mich aber konnte er erziehen und hat es redlich getan nach seiner Art. Als zwölfjähriger Junge ritt ich neben ihm auf wildem Pferde zur Saujagd oder zur Hasenhetze über Stock und Stein, je toller desto besser. Aber auch lesen und schreiben mußte ich lernen und sogar Latein bei dem alten Pfarrer, der damals in Ohmfeld war. Mein Vater wußte gar wohl, daß ich ohne das nicht fortkommen konnte in eines Fürsten Dienst, und in den Hofdienst in Braunschweig oder Gotha sollte ich kommen, denn ich bin zwar ein Wintzingerode, meines Vaters echter Sohn aus ehrlicher Ehe, aber im Ritterlehn kann ich ihm nicht folgen, kann nie Herr werden auf dem Bodenstein, weil meine Mutter nicht aus edelm Hause, sondern eines hörigen Mannes Tochter war.«

Er hielt inne und seufzte tief. Das Mädchen sah ihn voller Mitleid an und sagte weich: »So habe ich Euch neulich ohne mein Wissen weh getan, als ich von Eurem Erbe sprach. Verzeiht mir das.«

»Ihr achtet mich deshalb nicht geringer?« fragte Klaus gespannt, fast ängstlich.

»Meine Mutter war eine Bürgerstochter aus Leyden«, sagte Barbara. »In unserm Lande gilt der Bürger so viel wie der Edelmann.«

»Bei uns darf nur der Sohn aus ritterbürtiger Ehe dem Vater im Lehn folgen«, sagte Klaus. »Ich habe es früher auch nie anders gewußt, als daß nach meines Vaters Tode die Scharfensteiner Vettern Herren sein würden auf dem Bodenstein. Ich sollte den Hof in Immingerode erben und dazu mit Geld ausgestattet werden. Dann sollte ich Kriegsdienste tun in eines Fürsten Bestallung, wo man mehr nach einem guten Schwert und einem hellen Kopf fragt, als nach einem reinen Stammbaum. Ich hatte auch alle Lust dazu und träumte davon, ein Feldhauptmann zu werden wie einst Sebastian Schärtlin von Gurtenbach, der nicht einmal eines Ritters, sondern eines ganz geringen Mannes Sohn war. Da kam es meinem Vater in den Sinn, mein Leben anders zu gestalten.

Das Gericht Bodenstein tragen die von Wintzingerode von den Grafen von Hohnstein zu Lehn. Graf Volkmal Wolf, der vor siebzehn Jahren zur Herrschaft kam, war meinem Vater niemals wohlgesinnt, denn der Vater versteht es nicht, sich zu ducken und zu schmiegen, und geht nie von dem ab, was er für sein Recht hält. So gab es immer Gehässigkeiten und Widerwärtigkeiten zwischen den beiden, und vor sechs Jahren schlug der Groll, den sie widereinander im Herzen trugen, in hellen Flammen empor.

Der Graf hatte in Tastungen einen Pfarrer eingesetzt, obwohl dem Vater das Recht des Patronates ganz ohne Zweifel zustand. Darauf forderte mein Vater von dem Grafen Wahrung und Anerkennung seines alten Rechts, und als er eine höhnische und hochmütige Antwort erhielt, vertrieb er den Pfarrer mit Gewalt.

Da kochte die Wut so mächtig in der Seele des Grafen auf, daß sie ihn zu einer Tat hinriß, die ohnegleichen ist. Mitten im Frieden überfiel er bei Nacht den Bodenstein, um meinen Vater in seine Gewalt zu bringen. Aber der Plan mißlang, wir waren auf der Hut, und mit Schimpf und Schande wurden die Hohnsteiner den Berg hinuntergejagt, einige gefangen, mehrere erschlagen. Nun schrieb der Vater dem Grafen einen Absagebrief und sagte sich von jeder Lehnspflicht los, denn der Graf habe an ihm gehandelt wie ein Verräter, Mörder und Landfriedensbrecher. Der Graf verklagte ihn darauf vor dem Kammergerichte des Kaisers wegen Felonie, der Vater antwortete mit einer Klage wegen Landfriedensbruchs. Dabei taten sie sich gegenseitig Schaden, wo sie nur konnten. Aber der Graf war im Nachteil. Mein Vater ist ja nicht übermäßig reich, jener aber ist viel ärmer, steckt tief in Schulden und kann eine größere Menge von Soldknechten nicht bezahlen. Endlich vermittelten die Scharfensteiner und die Hansteins und andere vom Adel einen Vergleich. Der Graf überwand seinen fürstlichen Stolz und kam in Person nach Duderstadt zu einer Tagung, um mit seinem Vasallen zu verhandeln.

Der Vater trat ihm dort entgegen nicht wie sein Lehnsmann, sondern wie einer, der ihm gleich ist. Das reizte und erbitterte den Grafen von vornherein, denn er ist ein stolzer Herr, und je kleiner seine Macht ist, um so eifersüchtiger hilt er auf seine Würde. Es ward eine unerfreuliche Tagung. Der Vater bewies ihm mit Brief und Siegel, daß die Hohnsteiner denen von Wintzingerode das Patronatsrecht schon lange abgetreten hatten, und bewies ihm noch vieles andere aus alten Urkunden, was dem Grafen wenig gefiel. Da ließ der sich dann zu der unbedachten Äußerung hinreißen: »Was ein Graf von Hohnstein seinem Dienstmann aus Gnade gegeben hat, das kann ein anderer Graf von Hohnstein in Ungnaden wieder nehmen.«

Da hat der Vater ihm steif ins Gesicht geblickt und höhnisch aufgelacht und gesagt: »Eines Landräubers Dienstmann bin ich nicht. Versucht es, ob Ihr mich zwingen könnt. Und merkt es, kleiner Graf von Hohnstein: Es ist wider die Natur, daß der Falk dem Sperber diene.«

Darauf hat der Vater sich umgewandt und ist ohne Gruß aus dem Gemache geschritten. Der Graf aber hat bleich vor Zorn seinen Schwurfinger aufgehoben und vor allen Herren von Adel geschworen, er werde dieses Mannes Trotz brechen, es koste, was es wolle.

Das war im vorigen Frühling. Der Graf sah sich nun nach Hilfe gegen den Vater um, aber er fand keine. Braunschweig und Hessen sagten ihm sogar ganz unverhohlen, da er zum Landfriedensbrecher geworden sei, seinen Leuten nach Leben und Freiheit trachte und ihre Rechte nicht achten wolle, so dürfe er sich über den Trotz und Widerstand seiner Vasallen nicht wundern.

Der Vater aber ward nun ganz sicher und lachte über den Grafen und spielte endlich seinen höchsten Trumpf aus. Noch einmal wollten die Hansteins vermitteln, auch die Schwarzburger Grafen sandten dem Vater ein bewegliches Mahnschreiben. Da antwortete der Vater dem Grafen Johann Günther, der dem Hohnsteiner verwandt ist: Sein früherer Lehnsherr, Graf Volkmar Wolf, habe gegen alles Recht sowie wider Treu und Glauben an ihm gehandelt, und wenn der Herr keine Pflicht kenne, so brauche der Lehnsmann auch keine mehr anzuerkennen. Trotzdem wolle er seine bösen Worte zurücknehmen und den Grafen als seinen Lehnsherrn achten, wenn er ihm eine Bedingung erfülle. Er solle mich, seinen Sohn aus nicht ritterbürtiger Ehe, im Lehn ihm nachfolgen lassen und mein Erbrecht feierlich und ausdrücklich bestätigen, dann sollte alles vergessen sein. Die gleiche Botschaft sandte er dem Hohnsteiner Grafen selbst.

Das konnte der Graf nie und nimmermehr tun, selbst wenn er gewollt hätte. Denn wir haben zwei Lehnsvettern, Bertram und Hans auf dem Scharfenstein, treue und vielerprobte Vasallen der Hohnsteiner, deren Recht würde dadurch schwer verletzt. Sie würden des Grafen Feinde werden und ihn verklagen vor Kaiser und Reich.

Der Graf kann also nicht nachgeben, und der Vater gibt nicht nach, denn sein Trotz ist eisern. Er hat es sich fest in den Kopf gesetzt, daß sein Fleisch und Blut nach ihm herrschen soll auf dem Bodenstein und nicht die Vettern, denen er ohnehin nicht grün ist. Sie haben nun alle auf ihn eingeredet, die Schwarzburger, Stolberger, die Hagen und Hanstein, der lange Westernhagen und unser Pfarrer, auf deren Rat er sonst viel gibt – aber es ist alles vergeblich. Wenn er sich in einen Plan verbissen hat, so läßt er ihn nicht mehr los, jeder Widerstand bestärkt ihn nur in seinem Vorhaben.

So muß es denn zum Kampfe kommen. Der Graf allein ist allerdings ohnmächtig und kann nicht daran denken, den festen Bodenstein in seine Gewalt zu bringen. Deshalb sucht er Hülfe bei anderen Fürsten und scheint sie, Gott sei's geklagt, bei dem Erzbischof von Mainz zu finden. Mainz fordert freilich für seinen Beistand als Preis die Oberlehnsherrschaft über das Gericht, und es mag dem Grafen schwer sein, darauf einzugehen. Aber ich bin vollkommen überzeugt, daß er diesen Preis zahlen wird, denn er weiß sich sonst keinen Rat.«

Die Jungfrau blieb stehen und schlug erschrocken die Hände zusammen. »Das verhüte Gott!« rief sie. »Schrecklich, wenn das evangelische Land unter einen römischen Priester käme!«

»Wenn jemand den Vater von dieser Gefahr wirklich überzeugen könnte, dann, des bin ich gewiß, würde er nachgeben«, fuhr Klaus fort. »Um des Evangeliums willen würde er auf seinen Lieblingsplan verzichten, und dann könnte doch noch einmal Friede werden zwischen ihm und dem Grafen. Aber das ist es ja eben – kein Mensch vermag den Vater davon zu überzeugen. Weil er selbst lieber sterben würde, als einem römischen Pfaffen huldigen, so glaubt er, auch ein anderer würde das nimmermehr tun, am wenigsten ein freier und hochgeborener Herr, wie der Hohnsteiner. Er glaubt wohl, daß der Graf den Erzbischof um Hilfe gebeten hat, und auch, daß der Erzbischof dem Grafen mit Geschütz und Soldknechten beistehn wird. Aber er weiß aus Erfahrung, daß solche nachbarliche Hilfe selten viel wert ist und nur lau gewährt, gewöhnlich auch bald zurückgezogen wird. Deshalb lacht er darüber. Daß Mainz mit aller Macht kommen wird, das glaubt er nicht. Daß der geistliche Kurfürst der Oberlehnsherr des Grafen werden könnte, glaubt er noch viel weniger. Er meint, der Graf spiegle ihm das nur vor, damit er sich freiwillig unterwerfe. Vor einigen Tagen war Bertram von Wintzingerode auf der Burg und beschwor ihn, nachzugeben, und legte ihm ein Schreiben vor, das der Beichtvater des Kurfürsten, der Jesuitenpater Bacharell, eigenhändig geschrieben und an den Grafen gerichtet hat als den Entwurf eines Lehnsvertrages zwischen Mainz und Hohnstein. Es war aus der Kanzlei des Grafen durch einen Freund in seine Hand gekommen. Aber mein Vater ließ sich auf gar nichts ein. »Die Hand des Paters Bacharell kenne ich nicht«, sagte er spöttisch und wegwerfend, »wie kann mich also der Wisch da überzeugen? Das Papier ist dir jedenfalls mit Wissen und Willen des edeln Grafen in die Hände gespielt worden, mein guter Bertram. Der Graf will mich durchaus auf den Leim locken, aber ein Gimpel bin ich nicht. Glaub's wohl, daß ihm viel daran liegt, ohne Schwertstreich mich zum Nachgeben zu bringen.«

Dabei blieb es. Bertram ist in Zorn und Ärger davongeritten. Der Vater ist nicht zu überzeugen und will nicht nachgeben. So steht vielleicht nach Jahresfrist ein Mainzer Heer vor dem Bodenstein, und wenn auch die großen Herren des Reiches immer mit Schulden und Geldnöten zu kämpfen haben, auf die Dauer kann ein Ritter einem Kurfürsten doch nicht widerstehen.

Das alles ist so um meinetwillen. Wäre ich nicht, so könnte Friede werden. Darum erhebt sich für mich die Frage, ob ich nicht dem allen selbst ein Ende machen muß. Meine Kindespflicht gebietet mir, den Willen meines Vaters zu ehren und ihm zu gehorchen. Tue ich das aber, so helfe ich ihm zum Verderben. Erweise ich ihm da nicht die höchste Liebe, wenn ich heimlich die Burg verlasse und ihm und dem Grafen und aller Welt zu wissen tue, daß ich selbst verzichte, daß ich das Erbteil, das mir nach der Welt Ordnung nun einmal nicht gehört, auch nicht haben will?

Das ist die Frage, die ich an Euch richten wollte, liebe Jungfrau, und nun entscheidet«, schloß Klaus seine lange Rede und hemmte den Schritt, denn sie waren unterdessen an die ersten Häuser des Dorfes gekommen.

Barbaras Antlitz war während seiner letzten Worte bleich geworden. »Dazu soll ich Euch raten?« hauchte sie und fuhr unwillkürlich mit der Hand nach dem Herzen, als durchzuckte sie ein stechender Schmerz.

»Ihr sollt mir nur sagen, was Ihr dazu meint«, entgegnete Klaus traurig.

»Wir sind nicht mehr allein«, sagte Barbara, auf die Mägde deutend, die mit ihren Körben näher herankamen. »Erwartet mich hier, wenn ich zurückkehre, dann will ich Euch Antwort geben.« Sie wandte sich eilig ab, und es war Klaus, als ob ein heimliches Schluchzen ihre davonschreitende Gestalt erschüttere. –

Als Barbara nach einer Stunde von ihrem Liebeswerke zurückkehrte, fand sie den Junker noch auf derselben Stelle vor. Sie hatte offenbar geweint, aber doch leuchteten ihre Augen, als sie ihm entgegentrat, und in dem Blick, den sie auf ihn richtete, lag etwas wie Bewunderung.

»Wir werden den Weg zum Schlosse nicht allein machen«, begann sie hastig. »Euer Vater kommt mit Berittenen die Dorfstraße herauf. So will ich Euch nur sagen, Junker Klaus, daß ich Euern Vorsatz edel finde, edler kann kein Fürstensohn denken. Nur eines gefällt mir nicht: Heimlich dürft Ihr die Burg nicht verlassen. Offenheit seid Ihr Eurem Vater schuldig, gerade erst recht, wenn Ihr gegen seinen Willen handeln wollt.« Mit niedergeschlagenen Augen setzte sie leise hinzu: »Auch ich wüßte gern die Stunde, wann Ihr scheiden wollt.«

»Ihr sollt sie gewiß erfahren«, sagte Klaus ebenso hastig, denn Herrn Bartholds kräftige Stimme war schon in der Ferne vernehmbar. Er blickte sich scheu nach allen Seiten um. Kein Lauscher war in der Nähe. Sie standen in einem tiefen Hohlwege, den dichtes Gestrüpp umsäumte. Da beugte er sich rasch zu ihr hernieder, und ehe sie's verhindern konnte, küßte er sie auf den Mund. Dann sprang er mit mächtigem Satze den Abhang hinauf und war verschwunden.

Barbara stand eine Weile tief erglüht mit fliegendem Atem und wogender Brust. Ein Kuß war ja nichts Sonderliches, er war der Willkommengruß der Frauen, wenn ein geehrter Gast ins Haus eintrat, und beim Spiel mit Pfändern fand niemand etwas dabei, daß Männlein und Weiblein sich küßten. Jetzt aber hatte sie der Mann geküßt, dem sie im innersten Herzen gut war. Sie hatte sich's noch nie gesagt, aber nun wußte sie, daß sie ihn liebte.

Wie im Traume schritt sie den Berg hinan und überhörte fast den fröhlichen Anruf Herrn Bartholds, der ihr scherzend riet, zu ihm aufs Pferd zu steigen.


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