Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XII. Kapitel.

Den ganzen folgenden Tag über änderte sich nichts in Herrn Bartholds Befinden. Was man auch anstellte, – er schlief und war nicht zu erwecken. Frau Käthe hatte gleich am Morgen in ihres Herzens Angst nach Heiligenstadt reitende Boten abgesendet, um den gelehrten Doktor Gabriel Pistorius herbeirufen zu lassen, der auf dem ganzen Eichsfelde als der berühmteste Arzt verehrt wurde. Gegen Mittag keuchten die Pferde des Doktors über die Zugbrücke, und nachdem er sich aus unzähligen Tüchern, Mänteln und Decken herausgeschält hatte, entstieg dem plumpen Schlitten ein langer hagerer Greis, gehüllt in einen pelzverbrämten schwarzen Sammetmantel. Die Schloßfrau, die ihm in den Hof entgegengeeilt war, begrüßte er mit unendlicher Feierlichkeit und Würde, wobei er sein rotes Barett kaum lüftete, teils aus angeborener Unhöflichkeit, teils aus Furcht vor der Zugluft, die seinem gänzlich haarlosen Haupte sehr gefährlich war. Klaus war in einer wichtigen Angelegenheit ausgeritten, denn man hatte gerade am heutigen Tage mit denen von Bülzingslöwen einen Termin angesetzt, in dem man sich über ein streitiges Waldgrundstück einigen wollte. So mußten Meister Schmid und Jacob Holstein die Begebnisse der letzten Nacht erzählen und taten das auch mit der größten Gründlichkeit, während der Doktor schweigend und mit hochgezogenen Brauen zuhörte. Dann ließ er sich an Herrn Bartholds Lager führen, befühlte wiederholt und mit öfterem Kopfschütteln den Puls des Schlafenden und wandte sich endlich ernst und würdevoll zu Frau Käthe, die jeder seiner Bewegungen mit ängstlicher Spannung gefolgt war. »Hier ist meine Kunst am Ende«, sagte er. »Kein Mensch, auch nicht der größte Medikus, kann ergründen, welche Mixtur Eurem Junker eingeflößt worden ist. Indessen beruhigt Euch, werteste Frau. Wenn Euer Eheherr daran hätte sterben sollen, so wäre er schon gestorben. So aber wird er's überstehen und morgen früh wahrscheinlich aufwachen. Dazu will ich ihm ein Pülverchen verschreiben, das tut ihm in heiße Milch und laßt's ihn trinken, damit ihn nicht die Dementia animi, die Gemütsblödigkeit, befalle, wie das auch schon bei solchen Casibus bemerkt worden ist.«

»Um Gottes willen!« schrie Frau Käthe auf.

»Nun, nun, gute Frau«, sagte der Doktor wohlwollend und herablassend. »Das zu verhüten, bin ich eben da. Gabriel Pistorius hat noch ganz andere Kuren vollbracht.«

Mit tränenden Augen drückte Frau Käthe die Hand des großen Mannes und gelobte sich mit dankbarer Freude, daß sie dem Retter ihres geliebten Gatten die beiden größten und fettesten Gänse mit einpacken wolle, die noch auf dem Bodenstein zu finden wären.

Darauf wurde Herr Gabriel Pistorius auch an das Bett des kranken Ritters von Hoven geführt. Dort schüttelte er sein Haupt noch viel mehr und machte eine höchst bedenkliche Miene, sagte aber nur, er wolle dem Kranken eine Medizin verschreiben. Denn der berühmte Doktor hatte zwar unter den harten Bauern des Eichsfeldes fast alles zarte Gefühl verloren, aber er sah die dunkeln Augen der jungen Barbara mit so angstvollem und todestraurigem Ausdruck auf sich gerichtet, daß der Anblick selbst sein verknöchertes Herz rührte. Er murmelte einige Worte in lateinischer Sprache und zog sich dann eilig aus dem Gemache zurück. Erst draußen auf dem Korridor erklärte er der Schloßfrau, daß der Mann da drin verloren sei und kaum noch ein paar Tage zu leben habe, und es war, als zittre etwas wie Rührung in seiner Stimme, als er das sagte. Diese ungewohnte Weichheit seines Gemütes hinderte ihn jedoch keineswegs, drüben in der Halle den guten Speisen und Getränken, die ihm Frau Käthe auftrug, in ausgiebigster Weise gerecht zu werden. Es grenzte an das Unglaubliche, welche Mengen von Fisch und Fleisch der hagere Alte in kurzer Zeit zu sich zu nehmen wußte, und dabei stand sein Spitzglas alle Augenblicke leer und mußte mit feurigem Ungarwein gefüllt werden

Nach etwa einer Stunde, während der er die Tischgenossen mit wenig sauberen Historien aus seiner ärztlichen Tätigkeit unterhalten hatte, nahm er Abschied, wickelte sich mit großer Umständlichkeit in seine unzähligen Tücher und bestieg das Gefährt. Zwei lebendige Gänse und ein ungeheurer Schinken wurden ihm als Gastgeschenke in seinen Schlitten mitgegeben. Ein reitender Bote war ihm vorausgesprengt, um so schnell wie möglich die verschriebene Medizin aus Heiligenstadt herbeizuholen.

Diesem Reiter begegnete Klaus auf seinem Heimritte zwischen Worbis und Wintzingerode. Er hatte das Geschäft mit denen von Bülzingslöwen so rasch wie möglich erledigt und sich durch eiligen Aufbruch dem großen Trinkgelage entzogen, das solchen Verhandlungen unweigerlich zu folgen pflegte. Angst und Sorge um den Vater jagten ihn vorwärts, so daß er seinen starken Fuchs zu ungewöhnlich schnellem Trabe antrieb. Mit hoher Freude hörte er deshalb von dem Knechte, der ihm entgegenkam, daß Herrn Bartholds Befinden nach den Aussprüchen des Arztes zu keinerlei Besorgnis Anlaß gebe, und das Gefühl des Dankes wallte so heiß in seinem Herzen auf, daß er sein Pferd anhielt, die Hände faltete und auf offener Landstraße ein inbrünstiges Dankgebet zum Himmel emporschickte. In demselben Augenblicke fast begannen die Glocken der Dorfkirche zu Wintzingerode zu klingen, obwohl es ein Werktag war. Verwundert horchte der Junker auf und setzte seinen Gaul sogleich wieder in seine vorige schnelle Gangart, um zu erkunden, was das Geläut zu so ungewohnter Stunde bedeute. Einige Bauern, die er am Eingange des Dorfes traf, konnten ihm nur die Auskunft geben, der Pfarrer habe die Gemeinde durch die Kinder in die Kirche entbieten lassen. Den Grund wußten die Leute selbst nicht.

Klaus lenkte ohne Zögern sein Roß nach dem Gotteshause hin, gab es dort einigen größeren Knaben zum Halten und trat in den dämmerigen Raum der kleinen Dorfkirche ein, die dicht mit Menschen gefüllt war. Die Leute waren zum Teil in Werktagskleidung herbeigelaufen, auch Hintersassen aus Kirchohmfeld waren darunter, und alle sangen mit schallender Stimme: »Herr Gott dich loben wir«. Dann trat Herr Conrad Schneeganß vor den Altar und hielt eine Ansprache, worin er Gott dankte für die Rettung des Schloßherrn aus großer Gefahr und um seine baldige Genesung betete.

Als der Pfarrer geendet hatte und der Gesang der Gemeinde wieder einsetzte, entfernte sich Klaus still und kaum bemerkt, wie er gekommen war. Die Worte seines geistlichen Freundes hatten ihn erschüttert, und fast noch mehr hatte ihm der Anblick der Gemeinde das Herz bewegt. Zwar daß die Frauen bei solch einer Gelegenheit heulten und schluchzten, das war nichts Auffälliges, sondern entsprach altem Gebrauch und Herkommen. Aber verwunderlich war es ihm gewesen, daß er auch in manches harten Mannes Auge eine Träne hatte blinken sehen. Das war durchaus nicht Eichsfelder Bauernart.

Klaus wußte freilich längst, welch eine eigentümliche Macht sein Vater auf die Gemüter der Menschen ausübte. Nur die römischen Geistlichen, so viele oder so wenige ihrer noch im Lande waren, standen ihm in finsterem Hasse gegenüber und hatten allerdings allen Grund dazu. Unter seinen Feinden von Adel dagegen war vielleicht keiner, der ihn nicht mit einem gewissen heimlichen Wohlgefallen betrachtete. Sie alle – mochten sie es eingestehen oder nicht – wären gern so gewesen, wie er war. Er stand als einer der ältesten unter ihnen, aber wer im ganzen Lande hätte wohl einen ernsten Waffengang mit ihm gewagt? Seine ungeheure Körperkraft war weder durch das wilde Leben in der Jugend, noch durch die Strapazen vieler Feldzüge, noch durch die Jahre erschüttert worden. Dabei besaß er einen ungewöhnlich scharfen Verstand und eine ebenso ungewöhnliche Redegabe. Er wagte es nicht nur, stolz und unerschrocken da zu reden, wo andre scheu und verlegen schwiegen, er konnte auch Wort und Ausdruck finden für das, was ihn bewegte, und wenn er auf den Ständetagen seine Stimme erhob, so riefen ihm auch die oftmals »Heil« zu, die in früheren Fehden seinen Arm gefühlt hatten und ihm darum eigentlich gram waren. Derselbe Mann war dann auch beim Becher einer der Gewaltigsten, kernfest und ausdauernd wie eine Eiche im Wettersturm, und dabei war in ihm eine unbändige Lust an übermütigen und tollen Streichen und Schwänken lebendig, die selbst jetzt noch im Alter zuweilen durchbrach. Gerade dadurch hatte er sich bei dem Volke, den Bürgern und den Bauern beliebt gemacht. Unzählige Geschichten erzählten sich die Leute von ihm mit Lachen, zum Beispiel sollte er einmal den früheren Bürgermeister von Duderstadt, einen dicken Prahlhans, der beim Trunke seinen Zorn gereizt hatte, plötzlich ergriffen und aus dem offenen Rathausfenster hinausgehalten haben, bis der Geängstigte, der zwischen Himmel und Erde schwebte, für sein Ungebühr mit flehentlichen Worten Abbitte leistete. Zu dem allen hatte er eine freigebige Hand, drückte die kleinen Leute nicht und legte seinen Hintersassen keine Lasten auf außer denen, die sie von alters her trugen. Durch das alles war er der volkstümlichste Mann des Eichsfeldes geworden, und wie insbesondere seine Untertanen an ihm hingen, das hatte seinem Sohne der Anblick in der Kirche offenbart. Klaus seufzte aus tiefster Brust, während er dem Ausgang des Friedhofes zuschritt. Es wäre ein herrlich Ding, dachte er, dieses Erbe seines Vaters anzutreten, hier solch ein Herr zu sein, wie sein Vater war. Unwillkürlich stieg dabei vor seinen Augen das Bild des Mädchens auf, das er aus Räuberhand gerettet, er sah vor sich das feine blasse Gesicht ganz nahe dem seinen wie in jener Nacht, da er sie auf den Bodenstein getragen hatte, die dunkeln Augen geschlossen, die Lippen halb geöffnet, die weißen Zähnchen blitzend im Mondenlicht. Welche Wonne müßte es sein, diesem zarten, heimatlosen Kinde hier eine Heimat bieten zu können, welch eine Seligkeit, sie unter seinen Schutz und an sein Herz nehmen zu dürfen! Aber wie lange noch, dann war er selbst fern von dieser Heimat, an der sein Herz hing!

Eine Männerstimme, die hinter ihm seinen Namen rief, schreckte ihn aus seinen Träumen auf. Er wandte sich hastig um und hätte beinah vor Erstaunen und Überraschung laut aufgeschrien, denn der da aus der Kirche getreten war und auf ihn zukam, war sein feindlicher Vetter Bertram von Wintzingerode.

»Ihr hier – bei Gott – ich wußte nicht«, stammelte Klaus.

»Warum soll ich nicht hier sein?« erwiderte Bertram mit einem ernsten Lächeln. »Ich bin mit dem Pfarrer herübergefahren. Meinst du, ich freue mich nicht, daß dein Vater den Anschlägen der beiden Schurken entgangen ist? Glaubt ihr auf dem Bodenstein, ich laure auf Bartholds Tod?«

»Das nicht«, sagte Klaus verlegen. »Aber Ihr seid dem Vater feind.«

»Fürs erste«, entgegnete Bertram, »nenne mich immer du. Denn daß du von unserm Blute bist, das habe ich nie geleugnet, und wenn das wahr ist, was mir heute der Pfarrer erzählte, so hast du es schon bewiesen, daß du ein adeliger Mann bist. Sodann irrst du, wenn du in mir einen Feind deines Vaters siehst. Ich muß ihm nur entgegentreten in einer Sache, in der ihn sein sonst so klarer Verstand ganz verlassen zu haben scheint. Gerade deshalb habe ich mit ihm zu reden und wäre heute auf dem Bodenstein erschienen, wenn nicht dein Vater krank läge. Nun will ich dir sagen, was ich zu sagen habe. Hier können wir unser Gespräch nicht fortsetzen, die Bauern werden gleich aus der Kirche kommen. Ich bin bereit, in euern Hof zu treten, wenn du mich hören willst.«

»Das versteht sich, gern!« sagte Klaus, ergriff sein Pferd am Zügel und schritt neben Bertram die Dorfstraße hinan nach dem mit einer uralten breiten Mauer umgebenen Hofe, von dem die von Wintzingerode ihren Namen hatten, und der des Geschlechtes ältester Besitz in der Gegend war.

Dort trafen sie nur die Mutter des Vogtes an, die anderen waren in der Kirche. Sie ließen sich von der alten Frau in das geheizte Zimmer ihres Sohnes führen, und Klaus befahl, einen Trunk herbeizuschaffen und dafür zu sorgen, daß niemand ihre Unterhaltung in der nächsten Stunde störe.

»Der Gesundheit deines Vaters! Möge er noch lange leben!« sagte Bertram, indem er seinen Humpen erhob, und als er ihn geleert hatte, fuhr er sogleich fort: »Ich muß es dir nochmals versichern, Klaus, daß ich nicht den geringsten Groll gegen deinen Vater habe. Wir haben ja in Fehde gelegen um Wald und Feld und Zinsen und Gefälle, aber mir tats leid, daß es so kam, und ich habe mich mit Freuden und von Herzen mit ihm vertragen. Da reitet nun deinen Vater plötzlich der Teufel, daß er sich gegen den Grafen auflehnt und dich in die Lehnsfolge bringen will. Das können wir nicht dulden, ich nicht und mein Bruder ebensowenig. Denn wollten wir selbst unser Recht hintansetzen, unsrer Kinder Recht dürfen wir nicht schmälern lassen. Und was wird daraus, wenn dein Vater starrköpfig bleibt? Kann er das adelige Lehnsrecht ändern wider Kaiser und Reich? Er rennt in sein Verderben!«

Klaus neigte zustimmend das Haupt: »Das weiß ich und darum bin ich bereit, selbst zu entsagen«, erwiderte er leise aber fest.

Bertram faßte rasch seine Hand. »Das erzählte mir der Pfarrer«, rief er. »Du bist verständig und hochgesinnt!«

»Ich kann Herrn Conrad nicht loben«, versetzte Klaus stirnrunzelnd. »Wie durfte er dir erzählen, was ihm anvertraut war!«

»Er sagte es mir, weil er tief erschüttert war über das, was ich ihm erzählte«, erwiderte Bertram. »Höre selbst. Ich habe neulich mit deinem Vater gesprochen.«

Klaus machte eine Gebärde der Überraschung.

»Er hat dir's nicht erzählt?«

»Nein.«

»Wahrscheinlich, weil ihm meine Nachricht zu albern erschien«, sagte Bertram bitter. »Und doch war es die lauterste Wahrheit, was ich ihm mitteilte. Graf Volkmar Wolf ist über deines Vaters Trotz tief erbittert und will den stolzen Vasallen um jeden Preis demütigen. Merke wohl: um jeden Preis! Dazu braucht er Hülfe. Er findet sie nicht bei Braunschweig und schwerlich bei Hessen, und vor der Habgier der Sachsen graut es ihm. So bleibt Mainz. Und der Grimm des Grafen geht so weit, daß er, der Lutheraner, den katholischen Kirchenfürsten nicht nur zu Hilfe rufen will, nein, – daß er sogar bereit ist, das Gericht unter Mainz zu stellen, um es als Lehnsmann aus des Erzbischofs Händen wieder zu empfangen.«

Klaus fuhr zurück und erblaßte. »Unmöglich! Woher weißt du das?«

»Nicht unmöglich, sondern die volle Wahrheit«, sagte Bertram. »Ich weiß es nicht nur vom Grafen selbst, ich habe auch Beweise dafür, schriftliche Beweise.«

Er zog ein Schreiben aus der Tasche seines Wamses und hielt es Klaus vor das Gesicht. »Kennst du das Siegel?« fragte er. »Auf dem Eichsfelde kennt es jedes Kind, es ist das große Siegel von Mainz. Hier – halte das Papier gegen das Licht«, fuhr er fort und entfaltete das umfangreiche Schriftstück. »Siehst du das Rad im Wasserzeichen? Das ist ein Schreiben aus der Mainzer Kanzlei, geschrieben von der Hand des Paters Bacharell, der dort am Hofe allmächtig ist. Und was es enthält? Den Entwurf eines Lehnsvertrages, den Graf Volkmar Wolf unterzeichnen soll.«

Klaus sprang in höchster Erregung von seinem Sitz empor. »Wie konnte das Dokument in deine Hände kommen?«

»Das frage nicht, denn ich habe geschworen zu schweigen«, antwortete Bertram. »Ich darf diesen Brief auch nur in deines Vaters Hand legen gegen seinen Eid, ihn unverzüglich mir zurückzugeben. Wenn er aber erfährt, wer ihn mir ausgehändigt hat – ihm darf ichs sagen –, so wird sein letzter Zweifel schwinden.«

Klaus setzte sich wieder und sagte, sich mühsam zur Ruhe zwingend: »Sie sagen jetzt überall im Lande, der Kurfürst von Mainz sei sterbenskrank und werde schwerlich das Weihnachtsfest erleben. Dann wird der ganze Plan dahin fallen.«

»Das glaube ja nicht!« entgegnete Bertram. »Wer auch den Stuhl von Mainz besteigen wird, diesen Plan läßt er sicher nicht fallen. Übrigens ist Kurfürst Daniel noch nicht tot.«

Klaus starrte finster vor sich hin. Dann schlug er hart mit der Faust auf den Tisch. Eine dicke Zornesader trat auf seiner Stirn empor, er sah in diesem Augenblicke seinem Vater noch ähnlicher als sonst. »Hat denn der Graf keine Ehre im Leibe? Will er sich unter den Krummstab ducken? Denkt er nicht an das heilige Evangelium, dem er die ärgste Schmach und den größten Schaden antut?« rief er heftig.

»Der Graf«, begann Bertram ernst und ruhig, »denkt: Der Mainzer ist weit und seine Oberherrschaft wird nur ein Schatten bleiben. Er kennt die Jesuiten schlecht. Die nehmen die Hand, wenn man ihnen den kleinen Finger bietet. Aber wir wollen gerecht sein. Kann denn der Graf anders? Wenn er sich unter Mainz stellt, so rettet er doch etwas von seiner Herrschaft. Findet er die Hülfe des Kurfürsten nicht, so geht ihm alles Ansehen verloren, dann herrscht im Bodensteiner Gericht der Lehnsherr nicht mehr, sondern der Vasall. Dein Vater, das weiß ich, würde sich für Luthers Lehre totschlagen lassen, aber durch seinen Trotz bringt er das Evangelium in die allergrößte Gefahr.«

Klaus schwieg und senkte das Haupt. Der Vorwurf, den Bertram gegen seinen Vater schleuderte, tat ihm weh, aber er konnte nichts dagegen sagen. Jener sprach ja nur aus, was er selbst längst eingesehen hatte.

»Ich bat heute morgen den Pfarrer, deinen Vater zu einer Unterredung mit mir zu bewegen«, fuhr Bertram fort. »Da kam gerade die Kunde von dem, was auf dem Bodenstein geschehen war. Nun bitte ich dich, mich's auf der Stelle wissen zu lassen, wenn dein Vater wieder gesund ist, und ihm zu sagen, ich müsse ihn ohne Verzug in dringend eiliger Sache sprechen. Dieses Papier da muß ihn überzeugen.«

»Ich tue, wie du willst, verlaß dich darauf«, sagte Klaus und erhob sich. »Ich komme selbst, wenn möglich, zu dir und bringe dir Nachricht.«

»Und sage deinem Vater, ich ließe ihm von Herzen gute Genesung wünschen«, sprach Bertram und schritt dem Ausgange zu. Die beiden Männer verließen den Hof und schieden auf der Straße mit festem Händedruck.

Bertram ging nach dem Kruge, wo er sein Pferd eingestellt hatte, Klaus ritt nach der anderen Seite den Berg hinan.

Als er den Burghof betreten hatte, bemerkte er zu seiner Verwunderung, daß der eine Flügel der Kapellentür nur leise angelehnt war. Wer mochte denn zu dieser ungewöhnlichen Zeit bei einbrechender Dämmerung in dem kleinen Kirchlein etwas zu suchen haben? Neugierig trat er heran und öffnete die Pforte. Da kniete auf den Stufen des Altars die junge Barbara von Hoven. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, das war ihm abgewandt, und ebensowenig vermochte er die Worte zu verstehen, die sie sprach, denn sie betete in der Sprache ihrer niederländischen Heimat. Aber trotzdem blieb er wie gespannt stehen, gefesselt durch den süßen Klang ihrer Stimme, die es ihm angetan hatte von dem Augenblicke an, da er den ersten Laut aus ihrem Munde vernahm. Jetzt vollends, wo sie mit solcher Zuversicht und Innigkeit betete, war es ihm, als ob ein Zauber von ihr ausginge, und voller Andacht und Rührung lauschte er den Worten, deren Sinn er nicht verstand.

Endlich aber raffte sie sich auf. Es erschien ihm unwürdig, sie so zu belauschen. Er wandte sich, um die Kapelle unbemerkt zu verlassen, aber der Sand unter seinen Füßen knirschte, und die Beterin am Altar fuhr empor. Es stieg ein helles Rot in ihre Wangen, als sie ihn gewahrte, und auch in sein Antlitz schoß tiefe Glut, als er begann: »Verzeiht mir, daß ich Euch gestört habe. Ich wußte nicht, wer hier war, und sah die Tür geöffnet, deshalb trat ich ein.«

«Ihr stört mich nicht«, sagte Barbara und streckte ihm ihre Hand entgegen, indem sie mit einem vollen, warmen Blicke zu ihm emporsah. »Ich bin so glücklich!« fuhr sie fort, und ein Freudenschimmer fuhr über ihr Gesicht. »Der Doktor war hier von Heiligenstadt, er hat auch meinen Vater angesehen, und sein finsteres Gesicht zeigte mir, daß er das Schlimmste befürchtete. Ich war so traurig, o so traurig, als er fort war, und weinte und betete immerzu. Auf einmal schlug der Vater die Augen auf und sah mich freundlich und klar an und fragte, wo er wäre. Dann hat er noch mancherlei geredet und eine Milchsuppe gegessen und ist nun in einen ruhigen Schlaf gesunken. Das böse Fieber hat ihn ganz verlassen. Gott sei Lob und Preis – es kann noch alles gut werden. Gott hat ein Wunder getan, dafür habe ich ihm hier auf den Knien gedankt.«

Klaus starrte, während sie sprach, hingerissen in ihr Antlitz. Er hatte diese großen Augen bisher fast nur voll Tränen gesehen. Nun, da ein heller Strahl des Glückes ihr Antlitz verklärte und die blassen Wangen rötete, erschien sie ihm noch schöner und begehrenswerter, und sein Gefühl überwältigte ihn so, daß er ihre zarte, schmale Hand in seiner derben Reiterhand mit fast schmerzhaftem Druck preßte.

»Das freut mich von ganzem Herzen«, sagte er. »Ich kann Euch die Sorge ja nachfühlen, die Ihr auf der Seele getragen habt, denn ich hätte meinen Vater auch beinah verloren.«

»Ach, mir ist mein Vater ja alles, was ich in der Welt habe!« rief Barbara. »Meine Mutter ist tot, meinen Bruder haben die Spanier erschlagen, die Heimat habe ich verloren. Hätte ich den Vater nicht, so stände ich ganz einsam und schutzlos in der Welt.«

»Schutzlos? Nimmermehr!« rief Klaus fast heftig. »Mein Vater würde Euch halten wie sein eigenes Kind. Und ich« – er brach ab und schaute traurig vor sich hin. Wie gern hätte er ihr gesagt, daß er selig sein würde, wenn sie sich seinem Schutze anvertrauen wolle fürs ganze Leben! Aber er hatte ihr keine Heimat zu bieten. Deshalb schwieg er.

»Ihr?« sagte sie ohne Ahnung von dem, was ihn verstummen machte. »Ihr habt ja schon das Größte für mich getan, habt Euer Leben für mich gewagt. Euch danke ich, daß ich lebe.«

»Wenn ich Gott für irgend etwas dankbar bin, so ist es dafür«, versetzte Klaus. »So ist doch mein Leben nicht nutzlos, und ich habe einmal Gottes Arm sein dürfen.«

»Ihr werdet das noch oft sein, wenn Ihr erst Herr hier seid. Wie vielen könnt Ihr dann ein Schutz und eine Hülfe werden im Dienste Gottes!« sagte Barbara.

»Ich werde niemals Herr sein auf dem Bodenstein«, entgegnete Klaus bitter, und als sie ihn verständnislos anblickte, fuhr er fort: »Ihr begreift das nicht, liebe Jungfrau, aber ich möchte Euch das alles gern offenbaren, schon seit Tagen habe ich die Absicht, mit Euch über diese Dinge zu reden und Euern Rat zu erbitten über das, was ich tun soll.«

»Meinen Rat?« rief Barbara fast bestürzt. »Was kann ich törichtes, unwissendes Mädchen Euch raten!«

»Es liegt mir viel daran, zu wissen, ob Ihr für recht oder unrecht haltet, was ich tun will«, entgegnete Klaus. »Ich stehe, wenn mein Vater auf seinem Sinn beharrt, vor einer schweren Entscheidung. – Und ich glaube kaum, daß er nachgibt«, setzte er mit einem Seufzer hinzu.

In dem Augenblicke hörte man die helle Kinderstimme der kleinen Katharina, die laut und wiederholt im Hofe den Namen Barbaras rief.

Klaus stampfte ärgerlich über die unwillkommene Störung mit dem Fuße auf den Boden, aber er faßte sich rasch.

»Ihr werdet gerufen – vielleicht zu Euerm Vater, und müßt jetzt gehn«, sagte er. »Aber versprecht mir, daß Ihr wieder hierher kommen wollt, wenn ich Euch bitte, hier sind wir ungestört, da kann ich Euch am besten alles erzählen. Nicht wahr, Ihr kommt, liebe Jungfrau?«

Er blickte sie bei diesen Worten so innig und bittend an, daß sie verwirrt die Augen niederschlug. »Ich komme, wenn Ihr es wünscht«, sagte sie leise und schritt schnell an ihm vorüber dem Ausgange zu.

Klaus stand noch eine Weile wie träumend auf demselben Flecke und schaute der Enteilenden nach. Dann verließ auch er mit schnellen Schritten die Kapelle und begab sich ins Schloß an das Lager seines Vaters.


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