Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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VIII. Kapitel.

Eine halbe Stunde südöstlich vom Bodenstein liegt auf einem Ausläufer des Ohmgebirges das Dorf Kirchohmfeld. Es gehörte denen von Wintzingerode, die eine Hälfte der Höfe war Barthold, die andere seinen Vettern zins- und lehnpflichtig. Der hochummauerte Gutshof war Ritter Bertrams Eigentum, wo er oft und gern verweilte. Hier war auch die Pfarrei des Herrn Conrad Schneegans gelegen, des Pfarrers, den der Bodensteiner vor wenigen Jahren berufen und für die drei Dörfer Wintzingerode, Kirchohmfeld und Kaltohmfeld als Prediger und Seelsorger aus eigner Machtvollkommenheit eingesetzt hatte. Nach seinem Lehnsherrn pflegte Barthold in solchen Dingen am wenigsten zu fragen. Er hatte früher dem alten, streng katholischen Grafen Ernst zu Trotz aus seinem Gerichte die römischen Priester verjagt und die lutherische Lehre eingeführt, als er selbst noch ein Jüngling war. Sollte er nun als Greis den jungen Grafen um gnädige Erlaubnis angehen, einen Pfarrer einzusetzen? Das kam ihm gar nicht in den Sinn. Er tat in seinem Gerichte, was er wollte.

Das Pfarrhaus zu Kirchohmfeld lag unweit des kleinen Gotteshauses unter hohen Bäumen, und zur Sommerszeit mochte man wohl von hier aus eine anmutige Aussicht haben. Heute aber, am ersten Dezember, sah der Pfarrer, als er ans Fenster trat, nichts anderes vor sich als rieselnden, stiebenden Schnee. Graue Wolken hingen bis fast auf die Erde hernieder, und obwohl es kaum drei Uhr nachmittags war, fiel nur noch ein fahles, schwaches Licht durch die trüben, runden Fensterscheiben. Es wäre fast dunkel gewesen in dem engen Gemach, wenn nicht vom Ofen her, in dessen Höhlung mächtige Holzklötze brannten, ein flackernder Schein geleuchtet hätte.

»Ihr werdet ein böses Heimreiten haben, Junker«, sagte der Pfarrer zu dem hochgewachsenen jungen Manne, der dicht am Ofen auf dem Ehrenplatze des Hauses saß. »Euer Roß ist zwar ein kräftiges Tier und von edler Zucht, aber heute wird es stampfen und schnauben, wenn Ihr zum Bodenstein emporreitet.«

»Wird's nötig, so gehe ich zu Fuß nebenher. Wir beide kommen schon durch«, entgegnete Junker Klaus und reckte seine mächtigen Glieder. Aber gleich ließ er die Arme wieder sinken und blickte düster vor sich nieder. »Was ist ein Weg durch Sturm und Schnee gegen den Weg, den ich bald gehen muß, den Weg in die Fremde!«

Der Pfarrer trat auf ihn zu, faßte seine Hand und sah ihm mit warmer Teilnahme ins Gesicht: »Ich gab Euch den Rat um des Gewissens willen, lieber Junker. Wer's wohl meint mit denen auf dem Bodenstein, der kann nicht anders raten«, sagte er.

Klaus nickte. »Ihr spracht nur aus, was ich lange schon bei mir dachte. Aber es wird mir schwer, ach, schwer und bitter. Ich liebe meinen Vater mehr als alle anderen Menschen und habe von ihm mehr Liebe empfangen, als von jedem anderen. Nun muß ich ihm den bittersten Schmerz antun.«

»Ich fühle mit Euch«, sagte der Pfarrer, »und ich habe Gott den Herrn gebeten, mich zu erleuchten, daß er uns einen anderen Weg zeige, wenn es einen gibt. Ader ich sehe keinen. Alle Irrungen zwischen Eurem Vater und dem Grafen Volkmar Wolf wären beizulegen, wenn Herr Barthold dem Gedanken entsagen wollte, Euch ins Lehn zu bringen. Freiwillig tut er das nimmermehr, er hat sich verrannt und verbissen in diesen Plan, kein Mensch kann ihn davon abbringen. Mich hat er gar nicht angehört, als ich ihn bitten wollte. Predigt Gottes Wort und kümmert Euch nicht um der Welt Händel, gab er mir zur Antwort. Offenbar hat der Teufel den sonst so klugen und wackern Mann verblendet, daß er nicht merkt, welch törichten Handel er angefangen hat. Wie ist es möglich, daß er ernstlich glauben kann, gegen Herkommen und Ordnung des Reiches seinen Kopf durchzusetzen?«

»Er rechnet, wie ich Euch schon sagte, fest auf die Hülfe der Braunschweiger Herzöge«, sagte Klaus. »Die Herren haben ihm mancherlei Hoffnungen gemacht.«

»Ach, dächte Euer Vater an den Spruch der Schrift: Du sollst auf den Herrn vertrauen und dich nicht verlassen auf Menschen! Die Welfen werden schwerlich um dies arme Ländchen einen Reichskrieg entzünden und ihre Herzogshüte in Gefahr bringen.«

»Ich zum wenigsten«, sagte Klaus aufstehend, »will nicht die Ursache sein, daß sich hier noch ein Brand entzündet. Ich breche allem Hader die Spitze ab, ich gehe und verzichte feierlich auf jedes Recht.«

Der Pfarrer drückte seine Hand. »Wacker gesprochen. Dann wird noch alles gut werden.«

»Ich bin dessen doch nicht ganz sicher«, entgegnete Klaus. »Aber ich habe getan, was ich konnte.«

»Nicht sicher? Wie meint Ihr das?« fragte Herr Conrad befremdet.

»Herr Pfarrer«, erwiderte Klaus, »der Vater ist aus einer andern Zeit und kann unsere Zeit nicht begreifen. Als er jung war, da gab es Ritter wie Franz von Sickingen, die mächtiger waren als viele Fürsten. Hätt' es der Sickingen klüger angefangen, hätt' er nicht zugleich drei große Fürsten wider sich in den Harnisch gebracht, so wäre er Sieger geblieben. Mit Hessen allein ist er fertig geworden – das hat der Vater oft gesagt. So wie Sickingen fühlt sich der Vater. Hat er nicht so viele Burgen und Dörfer wie der, so ist auch der Hohnsteiner ein viel kleinerer Herr als der Landgraf von Hessen. Darum denkt er, ihm trotzen zu können.«

»Der Unterschied ist nur der, daß Sickingen gegen einen fremden Fürsten Krieg führte, während der Hohnsteiner Eures Vaters von Gott verordnete Obrigkeit ist«, warf der Pfarrer dazwischen.

»Vergißt er das, so will ich ihn darob so sehr nicht schelten. Die Fürsten vergessen das ja ihrer Obrigkeit, dem Kaiser, gegenüber alle Tage. Der Unterschied ist ein anderer: Die Fürsten sind heute viel mächtiger und vor allem viel klüger. Sie haben gelernt von dem, was geschehen ist, sie lassen keinen vom Adel mehr hochkommen, sie ducken ihn auf der Stelle. Darum findet der Hohnsteiner Bundesgenossen, der Vater findet keinen. Nach Johann Friedrichs und Grumbachs schmählichem Ausgange wagt kein Reichsfürst mehr, für einen Ritter gegen einen anderen Reichsfürsten Partei zu nehmen, der eine würde von den anderen zerhackt. Das wissen auch die Braunschweiger gar wohl. Sie werden sich hüten, Kursachsen und Kurmainz und Gott weiß, wen noch, gegen sich aufzubringen.«

»O hätte Euer Vater Eure Einsicht!« seufzte der Pfarrer.

»Er steht wie ein Fremdling unter uns allen«, fuhr Klaus traurig fort. »Gar manchmal erscheint er mir wie einer von den Helden, von denen die alten Sagen erzählen, wie der Sachsenherzog Wittekind oder wie Dietrich von Bern. Männer wie er gedeihen nicht in unserer Zeit. Jetzt muß der Adel gehorchen lernen, schmiegen, sich ducken. Das lernt der Vater nimmermehr. Er hat einen eisenharten Sinn, der wohl brechen aber nicht sich beugen kann. Deshalb fürchte ich, wird er mit dem Grafen niemals zum Frieden kommen, auch nicht, wenn ich entsage.«

Der Pfarrer schwieg eine Weile, in Gedanken versunken. Dann trat er auf Klaus zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Was Eures Vaters Starrsinn herbeiführt, das habt Ihr nicht zu verantworten«, sagte er ernst. »Soviel aber an Euch ist, müßt Ihr dazu beitragen, daß Friede wird zwischen Eurem Vater und seinem Lehnsherrn. Ihr seid es, für dessen vermeintliches Recht Euer Vater die ganze Welt gegen sich aufbringen will. Ihr erweist ihm die höchste Liebe, wenn Ihr selbst diesen schwersten Stein des Anstoßes aus dem Wege räumt. Vielleicht wird es dann doch möglich, daß gute Freunde zwischen ihm und dem Grafen vermitteln. Geschieht es nicht, so ist's zum wenigsten nicht Eure Schuld.«

Klaus neigte beistimmend das Haupt.

»Wohin gedenkt Ihr Euch zu wenden, Junker?« fragte der Pfarrer.

»Ich gehe zum Herzog Johann Wilhelm nach Weimar«, antwortete Klaus.

»Wie? Spracht Ihr nicht davon. Ihr wolltet den Pfalzgrafen über den Rhein begleiten?«

»Daran dacht' ich«, sagte Klaus, »aber ich habe mir die Sache anders überlegt. Ich warte ab, wie's kommt. Söhnt sich der Vater mit dem Grafen aus, so zieh ich aus und kämpfe irgendwo gegen den römischen Antichrist, in Frankreich oder in den Niederlanden. Fall' ich dort, so wird der Vater meiner gern gedenken, komme ich zurück, so darf ich hoffen, seine Verzeihung zu erlangen.«

»Und wenn kein Friede wird?« fragte Herr Conrad.

»Dann, Herr Pfarrer, gibt es für mich nur eins zu tun. Ich kehre spornstreichs zurück und bitte meinen Vater, daß ich für ihn kämpfen darf. Und will er den ungehorsamen Sohn nicht mehr an seiner Seite fechten lassen, so will ich als gemeiner Fußknecht das Schloß verteidigen helfen.«

»Ihr habt recht«, erwiderte der Pfarrer, »doch – was ist das?«

Man hörte das Stampfen und Schnauben eines Rosses dicht vor dem Fenster. Gleich darauf wurde die Tür aufgestoßen, und eine mächtige Gestalt trat ins Gemach, so bedeckt mit Schnee und Eis, daß man bei dem ungewissen Lichte nicht zu erkennen vermochte, wer sich unter dem hochgeschlagenen Mantel verbarg.

»Gott zum Gruße, Pfarrer«, sagte die tiefe Stimme Herrn Bartholds. »Du auch hier, Klaus? Bist auf dem Rückwege von Worbis eingekehrt? Gut. Ziehe sogleich dein Pferd aus dem Stall, und Euch, Herr Conrad, muß ich bitten, gleichfalls aufs Roß zu steigen, Jacob steht damit draußen vor der Tür. Nehmt Euern schwarzen Rock mit, es gibt zu tun für Euch auf dem Bodenstein.«

»Herr Gott, es ist doch niemand erkrankt?« rief der Pfarrer erschrocken.

»Das nicht«, erwiderte Barthold. »Ihr sollt eine Kopulation vollziehen, sollt meine Tochter Anna mit dem Junker von Bünau kopulieren.«

Klaus stieß einen Ruf der höchsten Überraschung aus, der Pfarrer starrte dem Ritter ins Gesicht, als zweifle er an seinem Verstande. »Um Gotteswillen, was heißt das? Erklärt mir« – begann er. Aber Herr Barthold schnitt ihm das Wort ab.

»Den Teufel auch«, knurrte er unwillig. »Erklären will ich's Euch, gewiß, aber nicht hier, sondern auf dem Schlosse. Kurz nach Mittag kam Bünau mit meiner Tochter an, er hatte sie aus Mainz geholt. Ein Schuft hat seine Hand nach ihr ausgestreckt, ein mächtiger Schuft. Dem will ich sie entziehen. Bünau muß übermorgen nach Sachsen zurück, da soll sie ihn begleiten als sein Weib.«

Der Pfarrer stand noch immer regungslos vor Erstaunen.

»Und ich soll sie trauen?« fragte er. »Ohne Aufgebot?«

»Ach was Aufgebot! Wozu die Faxen?« fuhr ihn Barthold an. »Ihr wißt, sie sind längst miteinander versprochen. Im Frühjahr sollte die Hochzeit sein. Darauf wollen wir nicht warten, wer weiß, wie bis dahin die Welt aussieht. Vielleicht sucht der gefürstete Pfaffe mit Gewalt sich ihrer zu bemächtigen!«

Der Pfarrer griff sich an die Stirn. »Der Mainzer Kurfürst ist's, der Eurer Tochter nachstellt?« fragte er bestürzt.

»Ja. Wundert Euch das? Mich nicht. Die römischen Pfaffen sind alle des Teufels, und die obersten sind die schlimmsten. Aber nun bitt' ich Euch ernstlich, meine Geduld nicht länger zu proben. Auch du, Klaus, starre mich nicht an, sondern mach dich bereit. Ihr erfahrt alles früh genug.«

»Ich komme«, sagte der Pfarrer und rief seine Frau aus der Küche herbei, daß sie ihm den Amtsrock bringe. Kurz darauf saß er in einen dichten Pelz gehüllt neben dem Ritter auf dem Pferde, das für gewöhnlich die Schloßfrau zu reiten pfiegte.

»Sorgt Euch nicht, Frau Brigitte, wenn Euer Mann heute nicht heimkehrt. Wir werden ihn die Nacht als Gast auf dem Bodenstein behalten!« rief Herr Barthold im Abreiten der Pfarrerin zu. Dann trabte die kleine Schar aus dem Pfarrhofe hinaus durch den stiebenden Schnee dem Schlosse zu.

Es war dunkel geworden, als man dort anlangte. Herr Barthold nahm seinen Sohn und den Pfarrer in sein Gelaß und erzählte ihnen, während man in den Frauengemächern die Braut schmückte, was sich in Mainz begeben hatte. Als er zu Ende gekommen war, stieß Klaus einen heftigen Fluch aus, und der Pfarrer sagte: »Wenn die Dinge so liegen, so ist es freilich das Beste, daß die Jungfrau je eher je lieber des Junkers Gemahl wird. Ich sehe zwar nicht ein«, setzte er mit einem halben Lächeln hinzu, »weshalb die Hochzeit nicht noch einen oder zwei Tage Aufschub vertragen hätte, aber es ist Eure Weise, was Ihr tun wollt, schnell zu tun. Auch wird das junge Paar schwerlich darüber zürnen. So geschehe denn Euer Wille.«

Eine Stunde später bewegte sich der kleine Hochzeitszug beim Scheine der Fackeln und Windlichter über den Burghof nach der Kapelle, die in hellem Lichterglanz strahlte. Die einzigen Gäste waren die Westernhagen, die man schnell aus dem benachbarten Teistungen hatte herbeirufen können. Sie waren mit ihren Frauen und Kindern und von zahlreichem Gesinde geleitet noch eben rechtzeitig eingetroffen.

Die Braut trug einen Kranz aus Immergrün und Efeublättern, die man am Fuße der Burgmauer aus dem tiefen Schnee herausgegraben hatte, denn anderes Grün war um diese Zeit des Jahres weit und breit nicht zu finden. Aber sie sah in diesem einfachen Schmucke nicht nur schön, sondern auch glücklich aus. Als der Pfarrer in seiner Rede die Anfechtung erwähnte, der sie Widerstand geleistet, und als bei diesen Worten Heinrichs Auge das ihre suchte, da traf ihn ein so inniger, leuchtender Blick, daß er sich mit hoher Freude sagte: Sie hat überwunden, sie kann von ganzem Herzen die deine sein.


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