Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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V

[Letter] Im Lager bei Zeschdorf, den 10. August 1759.

Liebster teuerster Lessing!

Seit einem Monat habe ich keine Zeile von Ihnen. Warum? Sind Sie, was der Himmel verhüten möge, krank? Oder denken Sie nicht mehr an mich? Ach, da möchte ich doch lieber, Sie wären krank, denn Ihre und Gleims Freundschaft ist mir das unschätzbarste Gut, und ich möchte lieber tot sein, als sie verlieren. Ich will also zu meinem Troste annehmen, daß Briefe von Ihnen auf der Post verloren gegangen sind, und das wäre kein Wunder, denn wir sind in wenig mehr als einer Woche von Torgau hierher bis vor Frankfurt marschiert, das sind wohl an die vierzig Meilen, und einen solchen Marsch soll dem Finckschen Korps eine andere Truppe erst einmal nachmachen.

Der König hat nun seine ganze Armee vor Frankfurt zusammengezogen, und morgen oder übermorgen überschreiten wir die Oder, um die Russen anzugreifen. Sie sind mit dem Laudonschen Korps, das bei ihnen ist, gegen achtzigtausend Mann stark und stehen zwischen der Stadt und dem Dorfe Kunersdorf in sehr fester Position. Der König hat kaum fünfzigtausend Mann, aber er ist eben Friedrich, und bei Leuthen waren ihm ja die Österreicher an Zahl noch viel mehr überlegen.

Lessing, teuerster Freund, endlich, endlich bin ich so weit! Es wird eine Hauptschlacht geben, und ich darf dabei sein! Monatelang bin ich darauf entbrannt gewesen, für meinen König zu fechten, aber nichts gönnte mir das Schicksal als elende Scharmützel mit Pandurenhaufen, die sogleich flohen, wenn wir sie attackierten. Ob ich den pour le mérite bekomme, weiß ich ja nicht, aber ich will mich so halten, daß keiner ihn mehr verdient haben soll als ich. – Von meinem liebsten Gleim hörte ich zuletzt in Torgau, aber da er Ihnen ja selbst schreiben wollte, brauche ich nicht herzusetzen, wie's ihm geht. Es war mir ein wahres Labsal, von ihm zu erfahren, daß ihm mein »Cissides und Paches« so gut gefällt. Ich hätte es nicht vermutet, manches, hatte ich gedacht, würde ihm zu fürchterlich sein, denn der gute Gleim hat ein weiches Gemüt. Von Ihnen wundert's mich viel weniger, daß Sie zufrieden sind. Wie sollten Sie auch nicht damit zufrieden sein? Das Gedicht ist ja eigentlich von Ihnen, nicht von mir, denn Sie haben mir alles dazu geschenkt, die Fabel, das Versmaß, den Aufbau; und der Geist, der darin lebt, ist so recht Geist von Ihrem Geiste.

Ich sende Ihnen anbei, liebster Freund, eine Hymne, die ich erst vor wenigen Tagen gedichtet habe: »Groß ist der Herr! Die Himmel ohne Zahl – Sind seine Wohnungen usw.« ›Wie? Eine Hymne? Warum nicht ein Kriegslied? Das Leben im Felde müßte ihn doch eigentlich zu Schlachtgesängen begeistern.‹ So höre ich Sie ausrufen. Aber sehen Sie, auch diese Hymne ist eine Frucht meines Kriegerlebens, und ich verdanke sie recht eigentlich meinen Soldaten. Jeden Morgen vor dem Ausrücken singen sie zuerst geistliche Lieder, ehe sie die Lieder auf den König anstimmen. Das rührte mich eines Tages so, daß ich vorausritt und heftig weinte und die Hymne dichtete. Sie hat noch ihre Härten, das weiß ich wohl, aber im Feldlager kann man nicht viel bessern und feilen.

Ich bin sehr begierig zu hören, wie es Ihnen ergehet und wie Sie mit Nicolai auskommen. Leben Sie wohl, liebster Freund, und schreiben Sie mir doch wieder einmal. Ich bin lebenslang

Ihr getreuester Kleist [/letter]

Einen sonderbaren Traum muß ich Ihnen noch erzählen, liebster Lessing. Heute früh war ich, während wir zum Rekognoszieren an die Oder ritten, auf meinem Pferde eingeschlafen. Da träumte ich, es wäre eine große Schlacht. Der Oberst und der Oberstleutnant waren verwundet, und ein Major kommandierte das Regiment. Ich war gar nicht dabei, weiß aber auch nicht, wo ich war. Da weckte mich der Adjutant, der neben mir ritt, und ich konnte nicht mehr träumen, was mit mir wurde. Was sagen Sie dazu?« –

Kleist war noch damit beschäftigt, dieses Schreiben zu versiegeln, als sich sporenklirrende Tritte seinem Zelte nahten und der General von Finck, sein Korpskommandeur, hereintrat. Der korpulente Herr war sichtlich außer Atem und schnappte nach Luft. »Hier, bester Kleist, ein schriftlicher Rapport an Seine Majestät. Ich habe den Adjutanten weggeschickt und kann nicht warten, bis er zurückkommt, denn es ist sehr wichtig. Es ist ein russisches Streifkorps bei Seelow beobachtet worden. Das sieht fast aus, als wolle man uns zernieren. Reite er sogleich hinüber nach Wulkow zum König und überbringe er ihm das.«

»Zu Befehl, Herr General!« erwiderte Kleist, und sein Gesicht strahlte. Zwei Jahre lang hatte er den König nicht gesehen, nun sollte er vor das Antlitz des Bewunderten treten und seine Stimme vernehmen. Das Herz schlug ihm schon jetzt höher bei dem Gedanken.

Er ließ sich sein Pferd satteln und ritt hinüber in das Hauptlager. Die Zeltreihen der Preußen standen zwischen den Dörfern Wulkow und Boosen auf einem niedrigen Höhenzuge, der sich nur wenige Ellen hoch über das flache Feld erhob und nach Osten hin von einem Bache umspült wurde. Jenseits des Baches waren die Vorposten aufgestellt, und Kavalleriepatrouillen ritten beständig hin und her, um das Lager gegen den Fluß hin zu sichern, auf dessen jenseitigem Ufer die Feinde sich gelagert hatten. Hie und da konnte man im Lichte der untergehenden Sonne die Spitzen der russischen Zelte herüberblicken sehen. Auch die Häuser des kleinen Dorfes Wulkow waren von oben bis unten mit Soldaten angefüllt, und in einem der größten Gehöfte hatte sich König Friedrich selbst einquartiert. Der wachthabende Offizier bedeutete dem Major, daß Seine Majestät ausgeritten sei, aber jede Minute zurückerwartet werde, Und forderte ihn auf, einstweilen in den Hof zu treten. Kleist band sein Pferd an einen großen Birnbaum, der neben der Haustür stand, und setzte sich auf eine kleine danebenstehende Lattenbank, um so den König zu erwarten.

Aus dem offenstehenden Fenster über ihm erklangen Stimmen, aber Worte vermochte er zunächst nicht zu unterscheiden, denn die Dorfstraße herauf kam eine Kompanie marschiert, die aus rauhen Kehlen das Lied auf die Zorndorfer Schlacht sang:

Friederikus, König, großer Held,
Den Teufel haun wir aus dem Feld,
Tust du uns kommandieren!
Schaust du nur drein und sprichst ein Wort,
Franzosen, Russen müssen fort, Wir lehren sie retirieren.

Als die Soldaten vorüber waren, hörte Kleist, wie drin jemand sagte: »Niemand ist bei Seiner Majestät, als Itzenplitz und Puttkammer und drei oder vier Husaren. Meiner Seel', der König spielt mit der Gefahr. Wie leicht kann ihm auf solch einem Ritte etwas Menschliches zustoßen!«

Kleist kannte den nicht, der so sprach. Jetzt aber klang eine Stimme an sein Ohr, die ihn unwillkürlich auffahren ließ. Es war der General von Seydlitz, der Held von Roßbach und Zorndorf, der in trocknem, wie es Kleist schien, etwas spöttischem Tone erwiderte: »Euer Liebden mögen beruhigt sein. Dem stößt nichts zu.«

»Eh, eh! Neulich wäre er beinah von einem Panduren erschossen worden.«

»Beinah!« gab Seydlitz zurück. »Für den König ist keine Kugel gegossen.«

»Aber lieber General! Es wird einem Schüler Voltaires schwer, den Aberglauben der Soldaten zu teilen. Halten Sie denn den König für kugelfest?« »Jawohl, Euer Liebden. Freilich in einem anderen Sinne als unsere wackeren Soldaten. Ich bin des Glaubens: Der Himmel schützt seine Helden. Wer sind denn Friedrichs Feinde? Die Russen, außer ein paar hundert Offizieren, sind Vieh. Die Österreicher repräsentieren die gemütliche pfäffische Dummheit, die Franzosen die Liederlichkeit. Und solchen Feinden sollte der König erliegen? Das kann man dem lieben Gott doch nicht zutrauen. Wissen Euer Liebden, an dem Tage, an dem der König fiele, schösse ich mir selber eine Kugel vor den Kopf; dann hörte nämlich für mich alle Räson in der Weltordnung auf.«

In dem Moment zeigte sich das feine, etwas bleiche Gesicht des Sprechenden am Fenster. Er unterbrach sich und winkte Kleist zu sich heran. »Was will er hier? Wartet er auf Seine Majestät?«

»Ich habe einen schriftlichen Rapport des Herrn Generals von Finck bei mir, Euer Exzellenz.«

»Weiß er, was darin steht?«

»Der General sprach davon, daß Russen bei Seelow rekognosziert seien.«

»Das wäre!« rief Seydlitz erstaunt. »Da hätten sie ja die Oder durchschwommen. Ich werde da gleich einmal selbst zu meinen Leuten hinausreiten. Melde er Seiner Majestät, daß ich in einer halben Stunde Fincks Rapport vervollständigen werde.«

Gleich darauf trat der große Reitergeneral mit dem Prinzen von Württemberg aus dem Hause. Er nickte Kleist freundlich zu, schwang sich aufs Pferd und war blitzschnell um die Ecke verschwunden.

Kleist trat in das Hoftor und blickte ihm sinnend nach. Plötzlich entstand am entgegengesetzen Ende der Dorfstraße eine große Bewegung. Der König kam heran.

Sogleich stürzten aus allen Häusern und Höfen die Soldaten auf die Straße, so daß sie mit einem Male ganz von Menschen angefüllt war. Sie schwenkten ihre Hüte und schrien Hoch und Vivat, einige traten auch ganz ungeniert an ihn heran und schienen ihm ein Anliegen vorzutragen. Friedrich mußte jeden Augenblick sein Pferd anhalten und tat das auch mit der größten Geduld, so daß er nur ganz langsam vorwärts kommen konnte.

Kleist traten bei diesem Anblick die Tränen in die Augen, und ein unbeschreibliches Gefühl der Rührung und Ehrfurcht ergriff sein Herz. Der Mann, der da gebeugt, ermüdet und bestaubt auf dem Pferde saß und so freundlich und leutselig mit dem Geringsten seiner Soldaten redete, das war der größte Monarch, den zurzeit die Erde trug, der Held, von dem man in ganz Europa, ja selbst in fremden Weltteilen mit Erstaunen und Bewunderung sprach. Er war der Mann, den man um seiner Taten willen überall mit Cäsar und Alexander verglich. Und wahrlich, auch das hatte er mit jenen Helden der Vorzeit gemein, daß er mit seinem Heere lebte, alle Mühseligkeiten, Entbehrungen und Strapazen mit ihm teilte, nicht wie ein Gott über seinen Kriegern thronte, sondern ihnen menschlich nahe und jedem zugänglich war. Es wollte dem glühenden Verehrer Friedrichs scheinen, als entschleiere sich ihm jetzt erst das ganze Geheimnis der Größe seines Königs; sie bestand nicht nur darin, daß er an Geist und Willenskraft alle Zeitgenossen überragte, sondern auch darin, daß er es verstand, die Genossen seiner Feldzüge durch das Band der Liebe und Treue fest an seine Person zu ketten. Sie nannten ihn den alten Fritz, was nicht sehr respektvoll klang, sie schimpften hie und da auch einmal kräftig über ihn, wenn er ihnen drückende Strapazen zumutete oder das Plündern verbot, aber dabei liebten sie ihn wie einen Vater und verehrten ihn wie einen Gott. Sie fühlten sich beglückt, wenn nur ein Strahl aus seinen Augen sie traf, sie beneideten einander um eine kurze Anrede aus seinem Munde, und ihres Helden Namen auf den Lippen gingen Offiziere wie Gemeine begeistert in Kampf und Tod.

An das alles dachte Kleist, als er den König so wiedersah, und es überwältigte ihn. Nur mit Mühe vermochte er sich zu fassen und seine Haltung wiederzufinden, ehe der König in den Torweg einbog, in dem er stand.

Friedrich erkannte ihn auf der Stelle. »Ah,« Kleist!« sagte er. »Messieurs, gehen Sie ins Haus. Schöning, komme er her, helf er mir vom Pferde!«

Er setzte sich auf dieselbe Bank unter dem Birnbaum, auf der Kleist vorher gesessen und winkte ihm. »Nun? Was hat er? Einen Rapport? Gebe er her!«

Kleist meldete nun auch, was Seydlitz ihm aufgetragen hatte. »C'est bien,« erwiderte der König. »Dann sagte er dem Finck, er brauche sich nicht weiter zu efforcieren. Der Seydlitz wird's schon machen. – Na, Kleist,« fügte er hinzu und blickte ihn ungemein gnädig an, »ist er denn nun kontent mit mir? Ich meine, daß er im Felde ist und dreinhauen darf?«

»Ich bin Eurer Majestät von Herzen dankbar dafür.«

»Hm, hm. Ich wußte gar nicht, daß ich einen solchen enragierten spadassin an ihm besitze. Apropos, Monsieur, wie steht es denn mit seiner Dichterei?«

Kleist sah den König so verwundert an, daß der lächelte. Dann aber wurde sein Antlitz mit einem Male sehr ernst, und er sagte nachdrücklich: »Alle Welt glaubt, daß ich die deutsche Literatur nicht leiden mag. Das ist nur zum Teil richtig. Ich habe in meiner Jugend nur miserables Zeug im Deutschen zu lesen gekriegt und später nicht viel Besseres. Aber ich würde mich freuen, wenn die deutschen Autoren den Auswärtigen den Rang streitig machen wollten. Notabene, mein Lieber, ein König macht sich surtout um die Wissenschaft und Dichtung dadurch verdient, daß er die Leute machen läßt, sich gar nicht hineinmischt und sich nicht darum zu kümmern scheint, was sie tun und treiben. Dadurch tut er mehr, als wenn er was erzwingen will. So hab' ich's gehalten. Aber Notiz nehmen will ich nun einmal von einigen Poeten, und da tout le monde sein Lob singt, mein Bruder Henri an der Spitze, so soll er der erste sein. Ich hoffe,« er sah ihn durchdringend an und sprach mit scharfer Betonung – »nach der Bataille wird mir der Oberstleutnant Kleist einige seiner Gedichte rezitieren. Jetzt geh er und richt' er seinen Rapport an Finck aus!«


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