Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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IV

Der tolle Ritt nach Lichtenrade und die seelische Aufregung dieses Tages hatte für Ewald von Kleist einen Rückfall in die ohnehin noch nicht ganz überstandene Krankheit zur Folge. Er meldete sich zwar am anderen Tage zum Dienste, aber er hing dabei wie ein Halbtoter auf seinem Braunen, so daß ihn der Obrist von Polenz gutmütig scheltend anfuhr: »Herr, sind Sie des Deiwels? Glauben Sie in dieser Kondition den königlichen Dienst poussieren zu können? Feldscher Goltzendorf, bringe er Herrn von Kleist nach Hause und steckte er ihn ins Bett. In einer Stunde stattet er mir Rapport ab.«

So brach eine neue Krankheitszeit für Kleist an, die zwar nur acht Tage währte, ihm aber unerträglich lang erschien. Denn überall munkelte man von Krieg. Die Kameraden, die zuweilen kamen und nach ihm sahen, erzählten von nichts anderem als von den Zeichen, die auf einen nahe bevorstehenden Feldzug hindeuteten. Sie kamen selten, denn das vornehmste Anzeichen dafür, daß etwas Großes bevorstand, war ja eben der gehäufte Dienst, der alle Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Kleist empfand aber auch ihre Besuche nicht als eine Freude und ermunterte höchstens seinen Freund Seydlitz zum Wiederkommen. Zwar sein Vertrauter war auch der nicht, von seiner Liebe zu Wilhelmine konnte er mit ihm nicht reden. Wie man sich um ein Mädchen grämen könne, wäre dem flotten, jungen Lebemann wohl unverständlich gewesen. Es liefen ja so viele schmucke Frauenzimmer in der Welt herum, und warum mußte es gerade die eine sein! Aber Seydlitz hatte zum wenigsten das Zartgefühl, ihn nicht fortwährend mit Nachrichten über den bevorstehenden Krieg zu füttern. Er ahnte, was in des Freundes Seele vorging, und wie schrecklich ihm der Gedanke war, beim Auszuge der Armee etwa fehlen zu müssen.

In der Tat war Kleist manchmal der Verzweiflung nahe, besonders wenn ein heftiger Fieberanfall vorüber war und er dann stundenlang in tiefer Mattigkeit dalag. Dann schweiften seine Gedanken ruhelos hin und her zwischen dem Bilde der Geliebten und seinem Regiment. Er sah, wie es mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel vom Paradeplatz aufbrach, um in den zweiten Kampf zu ziehen, den sein König um Schlesien wagen mußte. Die Kameraden jubelten dem Ruhm entgegen, den sie erfechten wollten, und er lag da als ein kranker Mann und konnte nicht mit, wurde vielleicht nach seiner endlichen Genesung in der Garnison zurückbehalten. Er stöhnte vor Qual, wenn ihn solche Gedanken heimsuchten, die er doch nicht bannen konnte, und er durchlebte Stunden, in denen er sich den Tod wünschte.

Aber nach einigen Tagen war das vorüber. Das Fieber nahm endlich von ihm Abschied, und nun erholte sich sein jugendkräftiger Körper bald. Freilich Dienst tun durfte er noch nicht, aber er war doch wenigstens nicht mehr ans Lager gefesselt, konnte im Zimmer umhergehen, in seinem Lehnstuhle sitzen und lesen.

Da erwies sich denn nichts für ihn als ein größerer Trost in seiner melancholischen Stimmung und seiner tiefen Einsamkeit als die Bücher, die Gleim ihm gelassen und noch um einige vermehrt hatte. Mit Entzücken las er Hagedorns graziöse Dichtungen und mit wahrer Begeisterung Hallers schweizerische Gedichte. Die Poesie übte eine wunderbare Macht auf sein Gemüt aus, eine Macht, deren er selbst mit Staunen inne wurde. Er konnte sich so ganz und gar in den Genuß eines dichterischen Werkes vertiefen, daß er, auf Stunden wenigstens, dadurch seinen Kummer vergaß und sich wie in eine andere Welt erhoben fühlte.

»Wie glücklich müssen die Menschen sein, die so etwas nicht nur nachfühlen, die es aus ihrem Innersten heraus erschaffen und es dann als Kunstwerk vor sich stehen sehen!« – so dachte er eines Abends, während er auf seinem Lehnstuhle saß und zusah, wie der letzte Abendschein hinter den Dächern der Häuser und den Wipfeln der Bäume verglomm.

Da war es ihm plötzlich, als höre er eine Stimme, die ihm zuraunte: Du Tor, warum beneidest du andere, und kannst doch selbst, was sie können?

Der Gedanke überwältigte ihn so, daß ihn ein Schwindel befiel und er für einen Augenblick die Augen schloß. Dann starrte er lange erstaunt vor sich hin, als sähe er etwas ganz Neues, Wunderbares, und endlich stand er auf, ging zu seinem Schreibtisch und entnahm ihm einen Bogen weißen Papieres. Der Diener mußte Licht bringen und erhielt den strengen Befehl, weder selbst in den nächsten Stunden seinen Herrn zu stören, noch irgend jemanden ins Haus dringen zu lassen.

Hätte ein Mensch an diesem Abend ins Zimmer hereinschauen können, so hätte er den königlich preußischen Premierleutnant von Kleist in einer ganz absonderlichen Verfassung erblickt. Er lief, mit der Linken auf seinen Krückstock gestützt, so schnell er mit seinen noch immer schwachen Kräften vermochte, in der Stube auf und nieder, blieb dann stehen, fuchtelte mit der Rechten aufgeregt in der Luft umher, murmelte oft Unverständliches vor sich hin, ließ sich auf seinen Sessel fallen und schrieb etwas nieder. Darauf las er es sich mit halblauter Stimme vor, nickte oder schüttelte mit dem Kopfe und setzte dann seine Wanderung fort, um wieder am Schreibtische zu landen. So trieb er es mehrere Stunden in ersichtlich höchster Erregung, bis endlich sein Werk vollendet war. Mit einer Stimme, die immer mehr anschwoll, las er es nun noch einmal laut im Zusammenhang. Es war ein Gedicht in Hallerscher Manier, in dem er in Anlehnung an den Meister das Lob der Gottheit besungen hatte.

Als er zu Ende war, leuchtete sein Antlitz wie verklärt. Was er geschaffen, erschien ihm schön, schwungvoll und eines ernsten Mannes würdig zu sein, und er war ganz berauscht von dem Bewußtsein, daß auch ihm die Gabe der Dichtkunst beschieden sei, und daß er etwas hervorbringen könne, was ihn selbst erhob und vielleicht auch andere erheben und erfreuen mochte. Mit einem Frohgefühle, wie er es seit langem nicht empfunden hatte, verschloß er das Papier, löschte das Licht aus und suchte sein Lager auf.

Am anderen Tage hielt freilich diese Begeisterung nicht ganz an. Als er sein Poem vor sich liegen sah in der nüchternen Stimmung des Morgens, da schienen ihm die Worte, die er nun beim grellen Tageslicht wieder las, vielfach einen anderen Klang zu haben, als die er gestern beim abendlichen Lampenlicht niedergeschrieben hatte. Aber im ganzen war er doch noch zufrieden, und was ihm steif und ungelenk erschien, das besserte und feilte er den ganzen Tag über mit unermüdlichem Eifer. In den folgenden Tagen dichtete er noch einige Strophen hinzu und fügte sie ein und ruhte nicht eher, als bis ein Gedicht vor ihm lag, das er nicht mehr bessern zu können vermeinte. Es war, als ginge von dieser Beschäftigung eine belebende Kraft auf ihn aus, denn sein Befinden hob sich derart, daß er sich bald leidlich gesund fühlte. Sofort beschloß er, sich zum Dienst zu melden. Am Abend vorher schrieb er sein Gedicht sauber ab, faltete es wie einen Brief zusammen, und nachdem er es versiegelt hatte, versah er es, ohne noch ein Wort hinzuzufügen, mit Gleims Adresse. »Du besorgst das Schreiben, das auf meinem Sekretär liegt, morgen früh, wenn ich weggeritten bin, auf die Post!« befahl er seinem Diener. »Um fünf Uhr steht die Bella gesattelt vor der Tür.«

Als Kleist am anderen Morgen auf dem Exerzierplatz erschien, harrte seiner eine große Überraschung. Kaum sah ihn nämlich der Oberst von fern heranreiten, so sprengte er ihm entgegen, und ohne seine Meldung abzuwarten, rief er ihm jovial zu: »Na, lieber Kleist, wieder gesund? Freut mich sehr. Kann Sie aber beim besten Willen nicht Dienst tun lassen.«

Verblüfft schaute Kleist ihn an. »Sie sind zu Seiner Durchlaucht dem Prinzen von Schwedt befohlen,« fuhr der alte Herr lachend fort. »Ich soll Sie sofort hinschicken, wenn Sie sich bei mir melden. Der Prinz ist seit gestern abend hier, logiert im Schlosse. Also machen Sie, daß Sie hinkommen!« In vertraulichem Tone fügte er halblaut hinzu: »Wie, zum Teufel, kommen Sie denn zu der hohen Protektion? Davon ist mich doch nie was bewußt gewesen.«

Kleist erklärte es kurz, und der Alte zwinkerte schlau mit den Augen und sagte: »Na, dann viel Glück! Und wenn Sie erfahren sollten, ob bald batailliert wird, dann melden Sie mich das gleich. Sie könnten mich keine größere Freude machen.«

Frohen Herzens ritt Kleist nach seiner Behausung, um sich in seine beste Uniform zu werfen. Dort war unterdessen Gleim eingekehrt, dessen Dienst erst um acht Uhr begann, und der sich vorher noch nach des Freundes Befinden erkundigen wollte. Der Diener führte ihn ins Zimmer, und da fiel ihm sogleich der Brief ins Auge, der seine Adresse trug.

»Was ist das?« fragte er. »Wußte denn Herr von Kleist, daß ich ihn besuchen würde, und hat er dies Schreiben für mich hinterlassen?«

Der treue Jacques bekam einen roten Kopf und kratzte sich hinter den Ohren. »Den sollte ich gleich auf die Post tragen und hab's vergessen. Da wird aber der Herr schimpfen!«

»Er ist eine Perle von einem Bedienten,« sagte Gleim. »Nun, diesmal ist seine Nachlässigkeit ein Glück, denn ohne sie wäre der Brief nach Spandau gegangen.«

Er nahm das Schreiben an sich und brach es eilig auf. Was war denn das? Ein Gedicht? Wahrhaftig, es waren Verse. Sie klangen, als wären sie von Albrecht von Haller gedichtet. Sollte Kleist in den Besitz eines ihm unbekannten Poems von dem bedeutenden Schweizer gelangt sein und ihm durch die Abschrift und Zusendung eine Freude zugedacht haben?

Er setzte sich in den Lehnstuhl des Abwesenden und las es gründlich von Anfang bis zum Ende durch. Kein Zweifel – dieser erhabene Schwung, diese Fülle trefflicher Bilder stand unter den Zeitgenossen nur Haller zu Gebote. Aber wie mochte es wohl in Kleists Hände gekommen sein?

Während er noch darüber nachdachte, erklangen sporenklirrende Tritte auf der Treppe, und gleich darauf stand Kleist in der Tür. »Das ist ja herrlich, daß ich Sie noch sehe!« rief er. »Ich bin eben zu Ihrem Prinzen befohlen« – er stockte und ward rot, denn er sah sein Gedicht in des Freundes Hand.

Gleim hatte sich voll freudiger Überraschung erhoben. »Ich weiß es, liebster Freund. Nur glaubte ich Sie heute noch nicht dazu imstande. Ich wollte sehen, wie es Ihnen erginge und Seiner Durchlaucht darüber rapportieren. Gratuliere herzlichst zur Genesung. Aber vor allen Dingen, um alles in der Welt – wie kommen Sie zu dieser Hallerschen Dichtung?«

Kleist blickte ihn verdutzt an. Dann aber blitzte es in seinen Augen hell auf. »Sie halten dies für Verse von Haller?«

»Von wem sonst? Das ist ganz sein Geist.«

Kleist faßte ihn an den Schultern. »Und wenn es nun von mir wäre?«

Gleim fuhr zurück und ward ganz blaß. »Von Ihnen?« stotterte er. »Aber bester Kleist, bester Kleist, Sie scherzen.«

»Nein, ich scherze nicht. Es ist von mir. Ich habe damit die Geister gebannt, die in der melancholischen Einsamkeit des Krankenzimmers mich heimsuchten und quälten.« Gleim stand ein paar Augenblicke regungslos. Dann faßte er in einer stürmischen Aufwallung seine beiden Hände, und sein feines, gutmütiges Gesicht strahlte. »Herr, Mensch, Freund!« rief er, »Sie sind ja ein Dichter! Sie sind ja – Sie sind mehr als Pyra, von meiner Wenigkeit und Herrn Lange gar nicht zu reden. Noch gehen Sie ja auf eines anderen Spuren und dichten nach der Weise des göttlichen Haller. Aber den haben Sie auch schon in diesem ersten Wurf fast erreicht, und die Zeit wird kommen, wo Sie über ihn hinauswachsen werden. Sie können, wenn Sie wollen, eine Zierde des deutschen Parnasses werden und einen Lorbeerkranz erringen, der ewig grünt.« Bei diesen Worten streckte er pathetisch die Hände empor, als wolle er dem Freund die Dichterkrone schon aufs Haupt setzen.

Kleist schloß ihn in die Arme. »Sie sind ja ein Enthusiast, bester Gleim,« sagte er, »und Ihr Urteil wird sicherlich mit bestimmt durch die Gefühle der Freundschaft, die Sie für mich hegen. Aber dabei sind Sie auch ein Mann von Charakter und Wahrheitsliebe und würden nicht heucheln, wo Sie nicht empfänden. Darum tut mir Ihre Anerkennung so wohl. Denn von Ihrem Urteil wollte ich's abhängen lassen, ob dies ein erster und letzter Versuch sein sollte. Das hatte ich mir fest zugeschworen, obwohl es mir bitter schwer geworden wäre, nicht mehr zu dichten. Habe ich doch bei der Niederschrift dieses Gedichtes Empfindungen gehabt wie nie zuvor und fühlte mich unbeschreiblich glücklich. Es war mir, als hätte ich mich jetzt erst selbst gefunden.« Bei den letzten Worten wurden seine Augen feucht, und seine Stimme bebte, aber er faßte sich rasch wieder und löste sich aus des Freundes Umarmung. »Nun aber, lieber Gleim, müssen wir an andere Dinge denken. Warten Sie hier ein paar Minuten, ich ziehe mich um, und wir gehen dann zu Ihrem Prinzen.« –

Am Abend dieses Tages saß Kleist wieder in seinem Zimmer und schrieb beim letzten Tageslichte einen Brief. »Teuerste, angebetete Wilhelmine! Wem soll ich die Freude meiner Seele ausströmen, wem soll ich mein übervolles Herz ausschütten, wenn nicht Dir, meinem allerliebsten Mädchen, zumal ja das, was dieser heutige Tag mir gebracht, so important sein kann für unser beider Lebensglück. Es scheint ja endlich ein heller Stern über meinem Leben aufzustrahlen. Ich war heute beim Prinzen von Schwedt. Seine Durchlaucht, dem ich durch den würdigen Herrn Obrist von Schulze empfohlen bin, waren von einer kaum glaublichen Gnade und Leutseligkeit zu mir und unterhielten sich wohl über eine halbe Stunde mit mir und sagten endlich: Er ist ein Mann von Esprit, und daß er valeur hat, bezweifle ich keinen Moment. (Verzeihe, daß ich's hinzusetze, liebste Wilhelmine, es sieht nach Selbstlob aus, ist's aber wahrlich nicht.) Ich werde ihn deshalb bei Seiner Majestät protegieren. Komme er morgen zur Tafel zu mir, hier im Palais, da will ich ihn zunächst dem Prinzen August vorstellen.« –

So weit war Kleist mit seinem Briefe gekommen, als leise an die Tür seines Zimmers gepocht wurde. Ziemlich unwirsch rief er »Herein«, und die Furche auf seiner Stirn vertiefte sich, sehr, als er in dem Eintretenden Herrn von Dorpowski erkannte. Der Pole machte eine fast devote Verbeugung und blieb dann unweit der Tür stehen.

»Womit kann ich dienen?« fragte Kleist und erhob sich. Dorpowski fuhr sich mehrmals durch sein dünnes schwarzes Haupthaar und sagte dann in unterwürfigem Tone: »Bin ich gekommen, den Herrn Vetter zu bitten in einer serr großen Not.«

»Nun?«

»Ich muß fort von Berlin und habe kein Geld zur Reise.« »Das soll ich Ihnen geben?« rief Kleist erstaunt. »Ich?« »Werrde ich es doch dem Herrn Vetter sofort zurückschicken, wenn ich angekommen bin in Dresden.«

Kleist blickte ihn scharf und durchdringend an. Warum wenden Sie sich nicht an die sächsische Gesandtschaft?« Der Pole zuckte die Achseln. »Hab' ich verrsucht, doch gibt mir Exzellenz kein Geld.«

»So, so! Hm.« Kleists Gesicht wurde etwas freundlicher, denn der Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Wäre dieser Mensch, wie Gleim ihm angedeutet hatte, ein Agent Brühls, so stände ihm die Schatulle des sächsischen Gesandten gewiß zur Verfügung. Man hatte sich also doch wohl in ihm geirrt und ihm Unrecht getan mit einem Verdachte, den er nicht verdiente.

Bedeutend milder als vorher sagte er also: »Setzen Sie sich, Monsieur von Dorpowski! Wie komme gerade ich eigentlich zu der Ehre, Ihnen das Geld vorschießen zu sollen? Sie haben doch gewiß nähere Freunde in Berlin.« »Sie sind alle nicht für mich zu Hause,« erwiderte der Pole kläglich, und damit sprach er die Wahrheit. Man hatte ihn gestern in einem Klub als Falschspieler entlarvt und hinausgeworfen, und ehe über diese Geschichte Gras gewachsen war, getraute er sich nicht nach Berlin zurück. Zum zweiten Male von dem sächsischen Gesandten Geld zu erbitten, wagte er auch nicht, da er sonst hätte gestehen müssen, daß er alles schon Empfangene verspielt habe.

So saß er in der jämmerlichsten Haltung vor Kleist da. In dem regte sich eine Art Mitleid, obwohl ihm der Patron eigentlich scheußlich zuwider war. Aber er fühlte sich heute so gehoben, so beglückt, daß es ihm besonders schwer geworden wäre, einem Bittenden etwas abzuschlagen. Überdies war es ja sehr gut, wenn der Kerl den preußischen Staub von seinen Stiefeln schüttelte.

Deshalb sagte er nach einer Pause: »Wieviel brauchen Sie? Zehn Taler, dächt' ich, müßten genug sein.«

Der Pole bejahte schnell. Er hatte auf so viel gar nicht gerechnet.

»Und wann erhalte ich's zurück?«

»Sowie ich in Dresden werrde sein.«

»Hier ist Tinte und Feder, schreiben Sie einen Schein.« Er nahm den angefangenen Brief an sich und wandte sich zu seinem Sekretär. »Doch halt, noch eins, mein Herr von Dorpowski. Das wollt' ich Sie fragen, wenn ich Sie wiedersah: Was hatten Sie neulich Abend vor meinem Hause zu tun, als die Demoiselle Malachowska mich besuchte?«

Der Pole bekam einen dunkelroten Kopf und fuhr zusammen. Dann sah er ihn zugleich scheu und böse an, gab aber keine Antwort. »Ja, das muß ich wissen, ehe ich Ihnen das Geld gebe, mein edler Slachtitz. Also heraus mit der Sprache! Was führte Sie vor meine niedere Hütte?«

»Geh' ich doch der Malachowska schon lange nach,« murmelte endlich Dorpowski zögernd.

»So, Sie waren jaloux. Na, das ist ja eine Erklärung. Sie gehen ihr also nach? Was wollen Sie denn von dem armen Mädchen?«

»Was Sie schon haben!« entfuhr es dem Polen, indem ein zynisches Lächeln seine Lippen umspielte.

»Ah, Sie halten sie für meine Geliebte?« sagte Kleist verächtlich. »Da täuschen Sie sich, Wertester. Ich stehe zu dem Mädchen in einem Verhältnis, das Sie wahrscheinlich gar nicht begreifen werden: In dem einer Kinderfreundschaft. Deshalb will ich ihr aber auch einen Dienst erweisen, und werde Ihnen also, Herr von Dorpowski, das Geld nur geben, wenn Sie mir geloben, das Mädchen fortan in Ruhe zu lassen.«

Der Pole schien erst auffahren zu wollen, aber er sank sogleich auf seinen Sitz zurück. Was war ihm denn schließlich an einem Versprechen gelegen, das nicht schriftlich gegeben werden mußte! Ohnehin mußte er von Berlin fort. Wer konnte wissen, wann er wiederkam, und ob er dann die Komödiantentruppe noch vorfand!

»Mein Ährenwort,« sagte er daher nach einer Pause.

»Nein, Ihren Eid,« erwiderte Kleist.

»Ich soll schweeren? Aber Herr Vetter, wer schweert leichtsinnig? Nehmen Sie doch mein Ährenwort, ich bitte. Ich bin von altem polnischen Adel, meine Vorfahren haben in Pollen –«

»Lassen wir das!« unterbrach ihn Kleist mit beleidigender Heiterkeit. »Sie schwören bei Jesus und Maria, daß Sie das Mädchen nicht mehr behelligen wollen. Das ist mir sicherer. Nun, wollen Sie?«

Dorpowski wand sich unruhig hin und her. »Ich schweere,« sagte er endlich mit halblauter Stimme.

Kleist gab ihm das Geld, nahm seinen Schein und entließ ihn mit einer kühlen Verbeugung, ohne ihn zur Tür zu geleiten. Erst nach etwa einer Stunde fiel ihm ein, daß auf dem Papier, in das er das Geld gewickelt hatte, neben anderen Notizen auch Wilhelmines Dresdener Adresse aufgeschrieben war. Aber die trug er ja im Kopfe, und so war das wohl für ihn ohne Belang.


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