Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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VII

Vierzehn Tage, nachdem Kleist seinen Abschiedsbrief an Wilhelmine abgesandt hatte, erhielt er von Dresden aus ein Päckchen, vielfach umschnürt und mehrfach mit dem Goltzschen Wappen versiegelt. Darin lagen der Ring, den er vor Jahren seiner Liebsten geschenkt hatte, sämtliche Briefe, die sie im Laufe der Jahre von ihm empfangen, und ein langes Schreiben von der Hand ihrer Mutter. Die alte Dame schrieb an ihn mit zartester Schonung seiner Gefühle, voller Wehmut und mütterlicher Teilnahme. Sie habe ihn ja schon als halberwachsenen Jüngling gern gehabt, und außerdem sei er der Sohn ihrer liebsten, längst verstorbenen Freundin, und es werde ihr über die Maßen schwer, um ihres Kindes willen ihm so weh tun zu müssen. Der ganze Brief war in einem Tone gehalten, der Kleists verwundetem Herzen wohltat, und er konnte gegen die Mitvernichterin seines Glückes keinen Groll in seinem Gemüte aufkommen lassen. Er fühlte, daß sie ihn nur unter dem Druck der Verhältnisse aufgab, persönlich aber wie früher ihm wohlwollte, und das versöhnte ihn mit ihr.

Freilich an den Tatsachen selbst ward dadurch nicht das mindeste geändert. Sie hob in aller Form das Verlöbnis auf und bat ihn, den letzten Gruß ihrer Tochter durch sie entgegenzunehmen, da Wilhelmine augenblicklich so leidend sei, daß man ihr jede Aufregung fern halten müsse. Ebenso bat sie ihn aufs herzlichste und dringendste, die Ruhe des armen Mädchens nicht noch einmal zu stören und ihre Briefe nicht der Tochter, sondern der Mutter einzusenden.

So war denn alles zu Ende. Kleist packte die Briefe, die sein liebstes Besitztum gewesen waren, zusammen und schrieb der Mutter einen kurzen Brief, in dem er ihr in bewegten Worten für alle Güte dankte, die sie ihm so lange Zeit erwiesen, und in dem er von ihr und ihrer Tochter auf ewig Abschied nahm. Nichts behielt er zurück als eine kleine Silhouette und einen verwelkten Strauß, den sie ihm einst im Parke von Battrow gegeben hatte. Davon vermochte er sich nicht zu trennen, irgendein sichtbares Andenken mußte er zurückbehalten aus der Zeit, in der sein Herz so unaussprechlich glücklich und zugleich so elend und unglücklich gewesen war.

Er gab sich auch gar keine Mühe, seine Wilhelmine zu vergessen und die Liebe zu ihr aus seinem Herzen zu reißen, denn er wußte, daß er das doch nicht vermochte. Vielmehr wollte er immer ihrer gedenken, freilich wie man der Toten gedenkt, wehmütig und wunschlos, und ihr Bild sollte über seinem ganzen Leben leuchten wie ein Stern, der aus weiter Ferne sein mildes Licht über nächtliche Pfade streut.

Wirklich gelang es ihm, an das, was er verloren, ohne Bitterkeit zu denken, aber der Hang zur Schwermut, der in ihm lag, ward in diesen Tagen fast zur Melancholie. Er tat seinen Dienst, ernst und pflichtgetreu wie immer, aber ohne Freude, und nach dem Dienste zog er sich ganz und gar von den Menschen zurück. Selbst die beiden Kameraden, mit denen er sonst gern verkehrte, der Leutnant von Seydlitz und der Hauptmann von Donopp, bekamen ihn kaum noch zu sehen, und wenn sie ihn besuchen wollten, so fanden sie ihn nicht zu Haus. Denn sowie er des Dienstes ledig war, begab er sich auf weite Spaziergänge oder Spazierritte, auf denen er einsam seinen Gedanken nachhängen konnte. Auch nach Berlin kam er nicht mehr, denn seine Freunde waren nicht mehr dort. Der Rittmeister von Adler war einer österreichischen Kugel erlegen und lag in Böhmen begraben, Gleim war Domsekretär in Halberstadt geworden. Hätte er den Freund bei sich gehabt, so wäre der wohl der einzige Mensch gewesen, in dessen verschwiegene Brust er seinen Schmerz und seine Klagen hätte ausströmen mögen. Brieflich aber vermochte er das nicht, eine unüberwindliche Scheu hielt ihn davon zurück. So mußte er denn ganz einsam seine Liebe tragen.

Vielleicht wäre er in Trübsinn verfallen und in Schwermut untergegangen, wenn ihm nicht die Muse der Dichtkunst tröstend und erhebend zu Hilfe gekommen wäre. Als der Schnee des Winters schwand und das erste Grün auf den Wiesen hervorbrach, da wachte der Drang, dichterisch zu schaffen, mit einem Male wieder in seiner Seele auf, und zwar so mächtig wie nie zuvor. Das große Gedicht, »Der Frühling«, dessen Plan er schon vor dem Ausmarsche nach Böhmen gefaßt hatte, ward nun in wenigen Wochen zu Papier gebracht. Wunderbar, wie ihm die Fülle der Bilder und Gedanken ungesucht zuströmte, wunderbar auch, wie bei dieser Tätigkeit sein verwundetes, krankes Herz wieder heilte und erstarkte! Wenn er entwarf und schrieb und an dem Geschriebenen feilte, so war es ihm, als nähme jemand mit leiser Hand, wenn auch nicht die ganze, doch einen großen Teil der Last hinweg, die seine Seele niederdrückte; neuer Lebensmut durchströmte seine Brust. Unaussprechliches Entzücken erfüllte ihn, als unter seinen Händen ein Kunstwerk entstand. Immer seltener haderte er mit dem Geschick, das ihm zwar das Glück der Liebe versagt, dafür aber eine Gabe verliehen hatte, die ihn über die gemeine Welt erhob. Auch in anderer Weise wurde er durch seine Dichtung dem Leben zurückgegeben. Er hatte Bruchstücke des Frühlings an Gleim gesandt, und der Freund in seinem hohen Entzücken hatte sie abgeschrieben und anderen mitgeteilt. So erhielt Kleist plötzlich begeisterte Zuschriften von Männern, die er als Dichter schon längst schätzte und verehrte, aber nie mit Augen gesehen hatte. Samuel Lange schrieb an ihn, der dichtende Pastor von Laublingen, der Schweizer Geßner sprach ihm seine hohe Freude aus, daß auf deutschem Boden ein Mann erstände, der die Werke der Engländer in Schatten stelle, und eines Tages kamen Sulzer und Ramler von Berlin herüber und boten ihm mit schmeichelhaften Worten ihre Freundschaft an. Auch sein alter Gönner, der General Stille, erkundigte sich mehrfach mit großem Eifer nach dem Fortgange des Gedichtes, über das er von allen Seiten so viel Rühmliches höre.

So vieler Freundlichkeit vermochte Kleist nicht zu widerstehen. Die Einladungen Stilles hätte er ohnedies um seiner Stellung willen nicht ausschlagen können. So überwand er sich denn und ging wieder unter Menschen, und die Aufmerksamkeit, mit der man ihn behandelte, die ungeheuchelte Wertschätzung, die man ihm von allen Seiten entgegenbrachte, wirkten wie Balsam auf sein zerrissenes Gemüt. Die Wunde, die er am Herzen trug, begann allmählich zu vernarben.

Da wurde sie eines Tages von neuem aufgerissen, ja, es ward ein Tropfen Giftes hineingeträufelt.

Er hatte den ›Frühling‹ drucken lassen, zunächst noch nicht in der Absicht, ihn in den Buchhandel zu bringen, sondern um ihn einem näheren und weiteren Freundeskreise zuzueignen. Als er vom Exerzierplatz nach Hause kam, fand er den Tisch in der Mitte des Zimmers ganz bedeckt mit den kleinen Büchlein, die eben aus der Druckerei abgegeben worden waren. Der Anblick erfreute ihn sehr, denn er hatte noch nie eines seiner Geisteskinder in dieser Form erscheinen sehen. Zwar seinen Namen trug das Titelblatt nicht, denn wenn ein Buch mit seinem Namen einem Kameraden in die Hände gefallen wäre, so hätte er auf Hänseleien und Spöttereien gefaßt sein müssen; vielleicht wären sogar ernste Händel daraus erwachsen. »Unter Offizieren ist es eine Art von Schande, ein Dichter zu sein,« hatte er einmal an Gleim geschrieben, und er wußte aus eigenster Erfahrung, wie sehr er mit diesem Ausspruche den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. So war das Gedicht ohne Namen des Verfassers gedruckt worden. Aber auch so bereitete ihm der Anblick eine eigenartige Freude. Er betrachtete den Bücherhaufen erst eine Zeitlang mit stillem Genuß und trug dann zwei Exemplare auf seinen Sekretär, um sogleich eine Widmung für Stille und Gleim hineinzuschreiben, denn diese beiden sollten zuerst bedacht werden. Schon hatte er die Feder angesetzt, da meldete der Diener den Besuch des Herrn von Dorpowski an.

Der polnische Vetter war nicht mehr die dunkle Existenz, als die er vor einigen Jahren Berlin fast fluchtartig verlassen hatte. Er war jetzt Sekretär bei der sächsischen Gesandtschaft und befand sich als solcher in einer nicht ganz unansehnlichen Position. Es war das ein Zeichen, daß er in Dresden hohe Gönner haben mußte, aber nach Kleists Meinung auch ein Zeichen, daß er nicht Spion derselben Regierung gewesen sein konnte, die ihn jetzt in eine Vertrauensstellung hineingesetzt hatte. Darum fühlte der feinempfindende Mann eine gewisse Reue darüber, daß er ihn früher mit einem offenbar falschen Verdachte, wenn auch nur in Gedanken, gekränkt hat. Auch sonst hatte sich Dorpowski ihm gegenüber nicht unehrenhaft benommen. Er hatte ihm sein Geld wiedergegeben, allerdings nicht ganz zu der versprochenen Zeit, aber das hatte er ja auch keineswegs erwartet. Er war der Malachowska nicht wieder nahegetreten, was ihm freilich dadurch sehr leicht gemacht war, daß sie Berlin schon seit einem halben Jahre verlassen hatte, um nach Leipzig zu gehen. Kurz, es lag eigentlich kein Grund vor, den Polen schroff abweisen zu lassen, und überdies regte sich eine gewisse Neugier in Kleists Seele, was denn der Mensch bei ihm suchen könne. Immerhin war seine Stirn sehr umwölkt, und seine Stimme hatte einen reichlich ironischen Klang, als er ihn nach der gegenseitigen Begrüßung fragte: »Nun, Herr von Dorpowski, was verschafft mir die Ehre? Treibt Sie die Sehnsucht, mich wiederzusehen, oder kommen Sie in einer bestimmten Angelegenheit?«

»Jawoll, Herr Vetter, in einer serr ernsten Angelegenheit,« erwiderte Dorpowski und blickte mit einer wahren Leichenbittermiene zu ihm empor.

Kleist sah ihn betroffen an. »So? Da bin ich neugierig. Nehmen Sie Platz und sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben.«

Dorpowski räusperte sich und sah beinahe verlegen aus, als er anhub: »Habe ich Ihnen doch die letzten Grieße zu bringen von Frau von Lubowiecka.«

Kleist schnellte empor und griff unwillkürlich nach dem Herzen. »Frau von Lubowiecki?« stammelte er.

»Als ich in Dresden abreiste, war sie noch das Fräulein von der Goltz, aber inzwischen ist die Vermählung vollzogen. Muß ich sie also Frau von Lubowiecki nennen.«

Er machte eine Pause, und da der Gegenübersitzende nichts sagte, sondern nur finster vor sich hinblickte, so fuhr er fort: »Sie hat der Frau Mutter in die Hand gelobt, nicht mehr an Sie zu schreiben, sie hat aber auch Ihnen versprochen, Sie sollten von ihr selbst erfahren, wenn sie sich werrde vermählen. Sie hat mich beauftragt, Ihnen das zu sagen und Sie noch einmal zu grüßen.«

Kleist neigte das Haupt. Ja, das war richtig, er hatte Wilhelmine gebeten, es ihm mitzuteilen, wenn sie einem anderen die Hand reichen würde, damit er es nicht irgendwoher durch Zufall erfahren müsse. Das geschah nun also und mußte ja einmal geschehen; aber daß sie es durch diesen Menschen tat, verletzte ihn und berührte ihn peinlich.

»Wie kommen Sie, gerade Sie zu diesem Auftrag?« fragte er brüsk.

»Bin ich doch ein Neveu ihrer Frau Mutter,« versetzte Dorpowski mit Selbstgefühl. »Und ich reiste gerade nach Berlin.«

Kleist nickte. »Ach richtig, ich vergaß. Sie sind ja auch in Battrow der Herr Vetter.« Dann lachte er mit einem Male rauh auf. »Das ist ja höllisch fix gegangen!«

Dorpowski erwiderte nichts darauf. Es entstand eine lange, drückende Pause. Endlich erhob sich Kleist, blaß, aber völlig gefaßt. »Ich danke Ihnen, mein Herr, für die Ausrichtung Ihres Auftrages,« sagte er kalt. »Sollten Sie Frau von Lubowiecki sehen, so sagen Sie ihr, daß ich ihr alles Glück wünsche für ihren Lebensweg.«

Dorpowski erhob sich gleichfalls. »Es hat mir serr leid getan, Herr Vetter, eine so betrübende Nachricht –« begann er, aber eine Handbewegung des Offiziers ließ ihn sofort abbrechen. Der Mann verbat sich jedes Mitleid und alle Phrasen des Bedauerns, das begriff er auf der Stelle. Er verbeugte sich sehr tief und schritt nach der Tür.

»Bitte, noch eins!« sagte Kleist. Es wurde ihm offenbar schwer zu sprechen, denn er würgte die nächsten Worte stoßweise hervor. »Es war davon die Rede, daß die Frau des Herrn von Lubowiecki konvertieren müsse. Wie steht's damit?«

»Frau von Lubowiecki ist am Tage ihrer Verheiratung zu unserer Kirche übergetreten,« entgegnete Dorpowski, und als er sah, daß Kleist zusammenzuckte und sich eine Blutwelle über sein Antlitz ergoß, fügte er wie entschuldigend hinzu: »Gottchen, was wollte sie machen! Sie konnte doch nicht als Protestantin die Herrin sein auf den großen Gütern des Herrn von Lubowiecki.«

Kleist rückte sich steif zusammen. »Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte er noch eisiger als vorher.

Als der Pole das Zimmer verlassen hatte, stand er noch eine Weile regungslos. Er kannte ja längst die laxen Ansichten über Glaubenssachen, die das Haus Battrow mit der Mehrzahl des Adels in Polnisch-Preußen gemein hatte, aber daß nun das Weib seiner Liebe diesen Schritt wirklich getan hatte, der in seinen Augen höchst verwerflich war, das erschütterte ihn nicht nur, es erfüllte ihn geradezu mit Ekel. »Pui Teufel!« rief er und schlug so heftig auf den Tisch, daß eine Anzahl von Exemplaren des ›Frühlings‹ polternd auf die Erde fielen.

»Befehlen der gnädige Herr?« fragte der treue Jacques, der eilfertig in der Tür erschien.

»Nichts, Dummkopf! Oder doch. Sattle die Rosinante und führe sie vor. Ich will ausreiten. –«

Dorpowski begab sich, nachdem er seinen Auftrag ausgerichtet hatte, sofort nach dem Hotel der sächsischen Gesandtschaft. Dort stürzte ihm noch auf der Treppe Gryszczynski entgegen, der seit einigen Tagen als Gast bei seinem Freunde, dem Gesandten in Berlin, weilte. Der Kammerherr war sehr aufgeregt, faßte ihn ohne weiteres am Arm und schob ihn in ein kleines, luxuriös eingerichtetes Gemach.

»Wie nahm er es auf?« fragte er hastig auf französisch.

»Es ging ihm an die Nieren, das sah ich. Aber er blieb verdammt kalt.«

»So. Er glaubte Ihnen doch?«

»Ohne Zweifel. Warum auch nicht? Ich konnte ja eine Stelle aus seinen Briefen zitieren.«

»Ja, es war sehr gut, daß ich bei Durchsicht der Briefe diesen Passus entdeckte,« bemerkte Gryszczynski. »Wer weiß, ob Sie sonst Glauben gefunden hätten! Und es ist Zeit, daß unser Trotzkopf die Wartezeit abkürzt, die sie von Lubowiecki gesetzt hat. Der Mensch hier wird demnächst Stabskapitän, ich weiß es aus sicherer Quelle, da hätte er sich vielleicht doch wieder genähert.«

»Sehr wahr,« versetzte Dorpowski.

»Nun wird die Geschichte mit der Malachowska, die wir Ihnen verdanken, sie ganz und gar von ihm abwenden. Denn sie glaubte an seine Treue wie an den lieben Gott und rühmt sie, daß es zum Übelwerden ist. Hört sie nun, daß er sich für eine Komödiantin duelliert hat, so wird sie ihn doppelt willig fahren lassen, und wie gesagt, es ist Zeit, hohe Zeit.«

»Wenn sie Ihnen die Geschichte nur glaubt!« sagte Dorpowski nachdenklich. »Sie und ich sind nicht gut bei ihr angeschrieben.«

»Ha, das weiß ich wohl, deshalb habe ich ihren Bruder Franz herkommen lassen, und der hat es von Leutnant von Stojentin selbst, daß sie sich um der Malachowska willen geschlagen haben. Dessen Ehrenwort glaubt sie, das weiß ich ganz gewiß. So hoffe ich denn, daß sie in einigen Monaten das wirklich ist, wozu Sie sie heute schon dem Menschen gegenüber gemacht haben.«

»Ich bewundere das diplomatische Genie des Herrn Kammerherrn,« versetzte Dorpowski mit unterwürfigem Lächeln.

»Man ist ja zu Dresden in einer exzellenten Schule,« gab Gryszczynski nachlässig zur Antwort. »Kommen Sie, trinken wir zusammen eine Bouteille Tokayer! Und was ich sagen wollte: Sie haben Aussicht, nach Paris rekommandiert zu werden. Seine Exzellenz ist sehr kontent mit Ihren Leistungen.«


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