Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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II

In der Morgenfrühe des folgenden Tages hielt die Kalesche des Schloßherrn vor der Freitreppe. Vier Pferde waren davor, zwei Reitknechte saßen rechts und links auf ihren Gäulen. So gehörte es sich bei der Ausfahrt eines adeligen Herrn im Pommernlande.

Herr von Kleist trat aus der Tür, redete noch eine Weile mit dem Kandidaten Garbrecht und seinen Töchtern, erteilte dem Vogt einige schnelle Instruktionen und stieg dann in den Wagen. Die beiden Junker, denen erlaubt war, den Vater ein Stück Weges zu geleiten, kamen auf ihren Ponys von den Ställen her eilig heran, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Aber schon am Tore hielt er wieder. Eine Rotte von Bauern schob sich da herein, Weiber und Kinder hinter ihnen.

»Zum Henker, Schulze, was soll's? Sieht er nicht, daß ich verreisen will?« fragte Kleist unwirsch.

Der Bauer räusperte sich und fing dann zu reden an, langsam und breit, wie es seine Art war: »Ich wollt' dem gnä'n Herrn nur vermellen, dat min andrer Ochs ooch noch krepiert is.«

»Tut mir leid,« schnitt ihm der Edelmann kurz das Wort ab. »Kann aber nichts dafür. Jochem, fahr zu!«

»Jo, aber die Hexe!« rief der Bauer und ballte die mächtigen Fäuste, und seine kleinen, grauen Augen funkelten wie die eines gereizten Stieres. »Sell sie frei leddig blieven? Sie gehürt ins Loch und dann aufs Gericht!«

»Da ist man all noch Tid, bis wi wiederkamen,« erwiderte Herr von Kleist, »marsch, Jochem!«

Der Wagen zog an. Um ein Haar wäre sein Vorderrad dem Schulzen über die Füße gegangen. Der stand noch lange auf demselben Fleck und schüttelte die Fäuste und murmelte Flüche und Verwünschungen vor sich hin, während die anderen ihn murrend umringten.

Herr von Kleist war mit finsterem Angesicht in seinen Sitz zurückgesunken. Die Szene war ihm peinlich gewesen, denn er war keineswegs aufgeklärt genug, um das Ansinnen des Erbschulzen aus voller Überzeugung zurückzuweisen. Sein seliger Vater, das wußte er, hätte eine Person, die unter solchem Verdachte stand, ohne weiteres einsperren lassen und dann dem landesherrlichen Gericht überliefert. Dort mochte sie sehen, wie sie los kam. Auch ihm selbst war in früher Kindheit schon eingeprägt worden, daß viele von den Übeln, die das Menschengeschlecht betreffen, durch die Diener und Dienerinnen des bösen Feindes verursacht werden. Dieser Glaube war durch Garbrecht und die Bücher, die er von ihm empfangen hatte, stark erschüttert worden, aber gänzlich ausgerottet war er nicht aus seiner Seele. Er wußte nicht, ob er recht gehandelt hatte, wie seine Pflicht als Gerichtsherr gebot, und fühlte zugleich einen Abscheu vor dem Gedanken, die frühere Dienerin seiner Frau und die Retterin seiner Kinder aus schwerer Krankheitsgefahr in einen peinlichen Prozeß zu verstricken.

So fuhr er dahin im Zwiespalt mit sich selbst, und was er um sich her erblickte, konnte ihn nicht heiterer stimmen. Jetzt erst sah man, was das furchtbare Unwetter des gestrigen Vormittags auf den Feldern angerichtet hatte. Das Korn, das vorgestern noch im Winde gewogt hatte wie ein weites grünes Meer, lag zerschlagen am Boden. Verwüstung und Jammer, soweit das Auge reichte!

Herr von Kleist wußte, was das für ihn bedeutete. Wenn ihm seine Schwiegermutter in Groß-Poplow nicht half, nicht helfen konnte, so standen ihm schwere Tage bevor.

Den beiden Knaben war es kein Vergnügen, neben dem wortkargen, düster vor sich hinblickenden Vater durchs Land zu reiten. Sie waren daher froh, als er sie bei einer Wegbiegung verabschiedete. Sie schwenkten ihre Mützen, wünschten als artige, wohlerzogene Junker dem Herrn Vater glückliche Reise und baten, den Herrn Großvater und die Frau Großmutter sowie den Onkel Christian zu grüßen. Dann aber wandten sie schnell ihre Pferde und jagten davon, als hätte man sie bisher an Ketten gehalten.

»Der Vater ist gar zu verdrießlich,« bemerkte Franz, als die Tiere wieder eine ruhigere Gangart eingeschlagen hatten.

»Er sah aus wie der Bär, den Herr Garbrecht in seinem großen Buche hat.«

»Ich weiß, warum er so verdrießlich ist,« sagte der Kleine wichtig.

»Na, das ist nicht schwer zu erraten,« lachte Franz. »Die Ernte ist ihm verhagelt.«

Ewald schwieg eine Weile, dann sagte er geheimnisvoll: »Du, ich glaube, der Vater hat kein Geld mehr.«

Der Ältere, der einen Schritt vorausritt, warf mit einem Ruck den Kopf herum. »Kein Geld? Wie kommst du auf solchen Unsinn?«

»Als neulich Onkel Christian da war, sagte der Vater zu ihm im Parke: ›Wenn diesmal der Weizen so schlecht gerät wie im vorigen Jahre, so kann ich dem Jüd Abraham in Stettin die Zinsen wieder nicht bezahlen.‹ Und nun hat er gar keinen Weizen.«

Der größere Knabe pfiff durch die Zähne. »Das hast du gehört?«

»Ich saß auf der großen Ulme, sie gingen darunter weg.«

»Na, da wird ihm ja der Großvater schon aus der Patsche helfen,« sagte Franz nach einigem Besinnen. »Ich glaube, der hat viel Geld. Denke einmal, was sie auf Groß-Poplow alles haben, Kronleuchter und seidene Vorhänge und einen Papagei, und die Großmama hat sogar einen echten Mops. Der Vater sagte, der wäre fünfzig Dukaten wert und darüber.«

»Aber ich möchte doch nicht dort wohnen,« warf Ewald ein. »Dort muß man immer in guten Sachen gehen, und wenn man sich barfuß macht, schreit die Großmama: ›Affrös, affrös!‹ Und man muß immer die Hand geben und Komplimente machen und sich gerade halten.«

»Das müssen wir alles können, wenn wir Kavaliere werden und an den Hof kommen,« versetzte Franz Kasimir weise.

»Ach, ich will gar kein Kavalier werden und mag auch nicht an den Hof!« rief der Jüngere.

»So? Was willst du denn werden? Willst du immer auf unserem Gute hocken?«

»Am liebsten würde ich Förster,« sagte Ewald eifrig. »Oder Forstmeister, weißt du, wie der Onkel Hans. Im Walde, da bin ich doch am liebsten. Wenn so die Sonne durch die grünen Zweige scheint und die Vögel singen, da ist's doch zu schön, wie in einem Märchen.«

Das Gesicht des Knaben nahm bei diesen Worten einen fast schwärmerischen Ausdruck an, und die großen blauen Augen blickten traumverloren in die Ferne.

Der ältere Bruder sah es von der Seite und lächelte spöttisch. »Ach was, Forstmann!« rief er. »Ein Kleist muß Offizier werden!«

»Offizier? Ja, wenn Krieg wäre. Aber sonst ist das Exerzieren zu langweilig,« gab Ewald zurück.

»Na, du und Krieg!« erwiderte Franz Kasimir geringschätzig. »Das ist nichts für dich. Du solltest lieber Prediger werden.«

Das Gesicht des Jüngeren rötete sich. »Warum?« fragte er hastig.

»Weil du immer so klug snackst, und Mut hast du auch nicht!«

»Was, ich habe keinen Mut?« schrie der Knabe erbittert. »Sieh man zu, ob du das kannst!«

Er gab seinem kleinen Pferde die Sporen, setzte mit ihm über den Straßengraben, jagte über eine kleine Wiese und überflog einen breiten Abzugskanal, in dem sich trübes, schlammiges Wasser dem Flüßchen Radüe zuwälzte. Dann ritt er mit blitzenden Augen auf seinen Bruder wieder zu.

»Dortau is mien Pierd tau dick,« sagte der gleichgültig.

»Nee, dazu bist du selbst zu faul und ungeschickt, du Großhans!«

»Was bin ich?« rief der Ältere und erhob seine Reitgerte.

»Kurz und dick,
Ungeschick!«

sang Ewald spottend und setzte von neuem sein Pferd in Trab. »Fang mich, wenn du kannst!«

Die Knaben waren dabei ins Dorf eingebogen, der Ältere immer dicht hinter dem Jüngeren, doch ohne ihn einholen zu können. Plötzlich aber, um eine Ecke biegend, hemmten beide mit einem Ruck den Lauf ihrer Tiere.

Sie hätten auch beim besten Willen nicht weitergekonnt, denn auf der engen Straße hatte sich die ganze Bewohnerschaft des Ortes zusammengedrängt, Männer, Weiber, Kinder, alles durcheinander. Der Kandidat Garbrecht war auch da. Er stand vor der niedrigen Lehmhütte der Schulmeisterswitwe Kluska und hatte beide Arme beschwörend zum Himmel emporgehoben. Laut gellte seine scharfe, durchdringende Stimme über die Menge hin, die ihm murrend und fluchend entgegendrängte.

»Leute!« rief er, »Leute, nehmt Vernunft an! Was ihr hier tut, ist Verbrechen, Landfriedensbruch! Ihr bringt euch in den Kerker!«

»Hei hat uns nicks tau seggen!« tönte es ihm entgegen. »Rut, rut mit die Hexe! Wi wölln se swimmen laten!«

»Herr Garbrecht, ich hole den Vater!« schrie da eine helle Kinderstimme in den Tumult hinein, und blitzschnell, ohne jedes Überlegen wandte der kleine Ewald sein Pferd um und jagte den Weg zurück, den er gekommen war. Wie ein Rasender trieb er sein Tier zum schnellsten Galopp an. Aber er kam nicht weit. Als er in die große Straße einbog, die von Köslin nach Polzin führt, kam ihm in gemächlicher Fahrt ein offener Wagen entgegen. Darin saß der Landrat von Kleist, ein entfernter Vetter seines Vaters, und neben ihm ein fremder Herr mit einem Sterne auf der Brust. Zwei Offiziere ritten links und rechts neben dem Wagenschlage, und mehrere Dragoner folgten in einiger Entfernung.

Der Knabe war im Nu von seinem Pferde herunter, das keuchend stehen blieb. »Herr Landrat, zu Hilfe, zu Hilfe! Der Vater ist nicht zu Hause, und da wollen die Bauern die Daniela tot machen!«

Die Kutsche hielt an, und der fremde Herr bog sich verwundert heraus. »Was ist das für eine tolle Geschichte?« fragte er. »Wer bist du, Jung?«

»Ich heiße Ewald von Kleist.«

»Kennt er den Bengel, Kleist?« wandte sich der Fremde an den Landrat.

»Jawohl, Majestät, es ist der zweite Sohn des Zebliners.«

»Des Zebliners? Kenne ich nicht. Hat er gedient?«

»Das nicht, Majestät, aber er ist ein tüchtiger Landwirt.«

»So. Freut mich zu hören. Nun komm mal her, mein Söhnchen, und erzähl' deine Sache. Ich bin der König.«

Ewald sperrte Mund und Augen auf. Wie? Der untersetzte Mann in der Kutsche war der König, den alle im Lande fürchteten? Er hatte ja einen ganz gewöhnlichen Offiziershut und keine Krone auf dem Kopfe, dachte der Knabe. Aber dabei schoß ihm der Gedanke durchs Hirn, daß er seine eigene Mütze noch auf dem Kopfe habe. Er riß sie eilfertig herunter und sagte höflich: »Guten Morgen, Herr König.«

Die Offiziere lachten. Auch der also begrüßte König schmunzelte. »Nun aber man fix, mein Jung!« rief er, »was ist in eurem Dorf passiert?«

Ewald erzählte hastig, stockend, seine Worte manchmal überstürzend. Je länger er sprach, um so mehr verfinsterten sich die Mienen des Königs, und als der Knabe seinen Bericht beendet hatte, schlug er mit der Faust auf das Kutschenleder, daß es knallte.

»Das ist ja unerhört!« rief er. »Das Volk nimmt sich selbst das Recht, als gäbe es keine gottgeordnete Obrigkeit. Was sagt er dazu, Kleist? He? Na, ich werde die Rackers lehren und ein Exempel statuieren. Vorwärts!«

Der Wagen rollte im schärfsten Trabe ins Dorf. Als er um die Ecke bog, wurden gerade die lauten Hilferufe eines Weibes hörbar. Die Bauern hatten die schwarze Daniela aus ihrem Häuschen ins Freie gezerrt. Sie lag auf den Knien und klammerte sich verzweifelt an den Kandidaten Garbrecht, der vergeblich auf das wütende Volk einredete.

»Wi wollen det Beest im Teiche swimmen laten. Sinkt sei unner, dann is sei schüllig un mag ersupen. Swimmt sei baben, so is sei unschüllig un kann geihn, woan sei will,« dekretierte eben der Dorfschulze mit schallender Stimme. Dann drehte er sich langsam um, betroffen über die Stille, die plötzlich hinter ihm entstand. Da fiel ihm der Stock aus der Hand, und das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Denn da saß im Wagen ein Mann mit zornrotem Angesicht, den er gar wohl kannte. Fast jeder Preuße wußte ja, wie der Monarch aussah, der unermüdlich kreuz und quer in seinem Lande umherfuhr, überall revidierte und streng darauf sah, daß das Rechte getan und das Unrechte gemieden werde.

»Der Düvel, der König!« stotterte der Schulze verwirrt und erschrocken.

»Seine Majestät! Den hat Gott selbst hergeführt,« rief der Kandidat Garbrecht.

Eine tiefe Stille entstand und wurde immer tiefer und beklemmender. Ein Heiduck war vom Bock gesprungen und riß den Wagenschlag auf.

Friedrich Wilhelm stieg langsam aus und schritt durch die Menge, die scheu und stumm zurückwich, der Tür der Hütte zu, wo sich der Kandidat noch immer nicht von der verzweifelten Frau und ihrem Kinde zu lösen vermochte.

»Wer ist er?« fuhr ihn der König an.

»Ich bin der Kandidat der Theologie Garbrecht, Präzeptor beim Herrn von Kleist, und wollte hier ein Verbrechen verhindern,« erwiderte der junge Mann, dem König fest in die durchbohrenden Augen blickend.

»Da hat er Recht getan. Und er? Was hat er hier zu suchen?« schnaubte der König den Erbschulzen an, der jetzt dicht vor ihm stand.

Der vermochte nicht zu antworten, so war ihm der Schreck in die Glieder gefahren.

»Eure Majestät halten zu Gnaden,« sagte Garbrecht, »die Leute hatten die Frau da, die Witwe des seligen Schulmeisters, eine ganz brave Person, der Hexerei beschuldigt. Da Herr von Kleist nicht auf ihr Geschwätz hörte, wollten sie in seiner Abwesenheit die Hexenprobe mit ihr vornehmen.«

Der König wandte sich wieder dem Schulzen zu, und sein Gesicht wurde braunrot vor Zorn. »Ist das wahr? Was hat er zu sagen?«

Der Bauer drehte seine Mütze unschlüssig in den Händen hin und her. In seinem eigenwilligen Gesicht malten sich zugleich Furcht und Trotz. »Dat Wiv«, sagte er, »hat uns Hagelwetter gemacht un uns Veih verhext. Uns gnä' Herr wull nich up uns hüren und fohr wegg. Da hewwen wi sülbst uns Recht schapen wölln.«

»Kanaille!« schrie der Monarch in hellem Zorn und hob den Stock. »Du bist dazu eingesetzt, in deinem Dorfe auf Ordnung zu halten und stiftest die Leute zu Rebellion an? Sind wir beim Großtürken? Weißt du nicht, wo du Recht findest, wo jeder Recht findet in Preußen? Kennst du meine Gerichte nicht? Erfrechst du dich, selbst richten zu wollen? Wart', ich will dich lehren, ich will dich lehren, Bursche!«

Dabei sauste der königliche Rohrstock unablässig auf die Rückseite des unglücklichen Dorfoberhauptes hernieder. Der wandte sich hin und her, sprang von einem Bein aufs andere und bat ächzend um Gnade, aber der König hörte nicht eher auf, als bis der Sünder eine tüchtige Tracht Prügel empfangen hatte.

Dann drehte ihm der Monarch den Rücken zu und wendete sich an Garbrecht. In seinem Antlitz lag mit einem Male nicht der geringste Zorn mehr, es war, als habe der sich bei der kräftigen Motion ganz und gar ausgetobt.

»Nun zu ihm, Theologe,« sagte er, »meint er, daß diese Person unschuldig ist?«

»Majestät!« rief Garbrecht, »sie hat nie etwas Böses getan, wohl aber vielen Leuten viel Gutes erwiesen. Es ist nur die Dummheit der Menschen, die sie verlästert. Die Menschen sehen in allen Dingen Hexerei und Wirkungen des bösen Feindes, während Gott der Herr das Unglück zu unserer Prüfung schickt.«

»Er meint das Hagelwetter? Bong!« versetzte der König; »ist der Gutsherr derselben Meinung?«

»Ich glaube wohl, Majestät.«

»Na, dann werdet ihrs ja wissen, und mein Amtmann braucht sich nicht mit dem Kasus zu befassen. Solche Prozesse sind mir ohnehin stark zuwider. Gar zu leicht werden Unschuldige dabei übel torquiert. Habe im Sinne, sie ganz abzuschaffen.«

»Gott segne Eure Majestät dafür!« rief der Kandidat und sah dem König mit so inniger Verehrung in die Augen, daß dieser unwillkürlich lächelte.

»Er hat gewiß in Halle studiert,« sagte er wohlwollend.

»Jawohl, Eure Majestät.«

»Bei Francke?«

»Bei demselben. Auch ward ich von dem berühmten Thomasius persönlichen Umgangs gewürdigt.«

»Der Francke und der Thomasius sind beides sehr reputierliche Subjekte,« versetzte die Majestät gnädig. »Und er scheint mir von ihnen profitiert zu haben, scheint mir ein resoluter Mensch zu sein. Kann er denn auch predigen?«

»Ich denke, es passiert,« erwiderte der Kandidat bescheiden.

»Na, dann kann er gleich einmal loslegen. Die Racker hier haben eine Strafpredigt verdient, weil sie sich gegen ihre Obrigkeit aufgelehnt haben. Den Text weiß er also. Wart' er, bis ich wieder in dem Wagen bin, dann fang er an.«

Dem Kandidaten wurde es einen Augenblick schwarz vor den Augen, und es durchfuhr ihn ein gewaltiger Schreck. Hier sollte er reden, auf der Straße, ohne Talar und Bäffchen, und noch dazu vor dem König! Aber er faßte sich rasch. Eine kunstvolle Predigt konnte der Herr nicht von ihm verlangen. So wollte er denn schlicht und von der Leber weg über den Text sprechen: Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.

Als er das Bibelwort sprach, nahm der König den Hut ab und faltete die Hände. Alle machten es ihm auf der Stelle nach.

Der Kandidat sprach zunächst befangen und stockend, allmählich aber redete er sich in Eifer und in Begeisterung hinein. Der König, der mit dem andächtigsten Gesichte im Wagen saß, nickte mehrmals bestätigend und beifällig mit dem Kopfe.

»Komm' er her,« rief er, als Garbrecht geendet hatte, »er ist ein tüchtiger Kerl, er hat mich erbaut. Leider ist seine Statur zu klein, sonst könnte er Feldprediger werden. Aber hör' er, Kleist, die erste Pfarre, die im Kreise aufgeht, kriegt dieser Musjöh. Ganz egal, wer Patron ist, er soll dem Konsistorium präsentiert werden. Keinen Dank – keine Flattusen – will nichts davon hören.«

Darauf winkte er den kleinen Ewald heran und legte ihm die Hand auf den blonden Kopf. »Du bist ein braver Bursch' und ein forscher Bengel. Sage deinem Vater, er soll dich Offizier werden lassen. Wenn ich noch lebe, werde ich dein nicht vergessen. Vor der Hand aber soll er dir eine große Schlackwurst schenken. Nun aber, Kutscher, fahr zu! Wir haben eine gute halbe Stunde verloren.«


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