Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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II

Als Lessing in der Frühe des folgenden Morgens Kleists Wohnung betrat, fand er den Freund nicht vor. Statt seiner kam ihm ein kleiner grauhaariger Mann entgegen, der an seinem glattrasierten Gesichte und dem langen schwarzen Rock sogleich als Geistlicher zu erkennen war. Er schritt auf den Eintretenden mit Lebhaftigkeit zu, streckte ihm die Hand hin und rief: »Nicht wahr, ich habe die Ehre, Herrn Magister Lessing vor mir zu sehen? Sie können den Major nicht gleich sprechen, denn er ist zu Herrn Oberst von Tauentzien befohlen. Nehmen Sie einstweilen mit meiner unbedeutenden Person fürlieb. Ich bin der Prediger Garbrecht aus Groß-Poplow in Pommern. Übrigens freue ich mich sehr, Ihre werte Bekanntschaft zu machen und Sie einmal von Gesicht zu sehen. Sie sind ja ein berühmter Mann.«

»Wie? Sie kennen mich?«

»Aber das versteht sich. Wundert Sie das? Meinten Sie, Ihr Ruhm sei bis nach Pommern noch nicht gedrungen?«

»Das dachte ich allerdings, und ich glaube, ich dachte richtig. Sie werden wohl eine Ausnahme bilden, Herr Pastor. Sie sind ein Freund der schönen Literatur?«

»Ja, das bin ich. Und die Anregung dazu verdanke ich in eigentümlicher Weise dem Herrn Major. Ich erwischte ihn nämlich vor langen Jahren, als er noch mein Eleve war, beim Lesen von Romanen. Damals war ich ganz entsetzt darüber, denn ich hielt alle Dichtung, soweit sie nicht frommen Zwecken diente oder in den alten Sprachen abgefaßt war, für Narrheit, ja sogar für Seelengift. Als ich dann auf meiner einsamen Pfarre saß, fiel mir der Vorgang wieder ein, und ich beschloß, auch einmal solche Bücher zu lesen. Und sieh da – neben vielem Törichten fand ich doch auch viel Schönes, und besonders in dem letzten Jahrzehnt produzieren die Herren Poeten mehr Großartiges, als vorher in einem ganzen Jahrhundert produziert worden ist.«

Lessing lachte. »Ja, wenn doch jeder erst einmal das lesen wollte, was ihm lächerlich oder verächtlich ist! Wie viele Vorurteile würden dann hinfallen! Aber sagen Sie, Herr Pastor, welcher Art ist denn die Nachricht, die Sie Herrn von Kleist überbracht haben? Sie soll eine betrübende gewesen sein. Ist etwa sein unglücklicher Bruder gestorben?«

»Nein, der lebt noch. Aber allerdings hat Herrn von Kleist ein sehr schwerer Verlust betroffen. Die Russen haben seinen Oheim, meinen sehr würdigen Kirchenpatron, Herrn von Manteuffel auf Groß-Poplow, umgebracht. Als höhere Offiziere kamen und die betrunkene, plündernde Bande verjagten, war es schon zu spät. Die Schurken hatten ihm so viele Stiche versetzt, daß keine Rettung mehr war. Er lebte noch einige Stunden, ich durfte ihm noch das heilige Abendmahl reichen, und er beauftragte mich, seinem Neffen einige wichtige Dokumente selbst zu überbringen.« Während er noch redete, trat der Major ins Zimmer. Lessing eilte auf ihn zu und ergriff seine Hand. »Armer, armer Freund!« rief er. »Ich höre eben mit dem tiefsten Mitleid, welch einen Verlust Sie zu beklagen haben! O, was für Opfer fordert doch dieser gräßliche Krieg mit den Barbarenhorden!«

Kleists Augen füllten sich mit Tränen. »Er ist in der Tat eines der edelsten dieser Opfer. Er war einer von denen, die ich aus meiner ganzen Familie am meisten ästimiert habe, die Redlichkeit und der Verstand selber und die Zuflucht aller Armen aus seiner ganzen Gegend. Er hatte ein schneeweißes Haupt und ein so ehrwürdiges Ansehen, daß ein Wolf ihn respektiert hätte, nur kein Russe. Wenn es der Himmel fügen sollte, daß ich noch einmal im Felde diesen Canaillen entgegentrete« – er ballte die Fäuste, und seine Augen funkelten –, »wahrlich, dann will ich daran denken, was sie an diesem Greise verübt haben! Das sind wilde Tiere, keine Menschen.«

Er stand eine Weile schweigend und rang mit seinem Zorn. Dann fuhr er mit heiserer Stimme fort: »Sehen Sie, Freund, so fällt mit der Zeit alles ab, was mich ans Leben fesselt. Bald wird mir nichts mehr bleiben als mein König, und dem kann ich nicht besser dienen, als daß ich mein Blut für ihn verspritze. Gott weiß es, wie oft mich danach sehnlich verlangt!«

Lessing faßte noch einmal seine Hand. »Sprechen Sie nicht so,« bat er. »Ich will nicht sagen, daß Sie leben sollen um Ihrer Freunde willen, obgleich Ihr Tod uns als der schrecklichste Schlag treffen würde. Aber Sie haben der Welt noch so viel zu geben! Sie haben ein großes und schönes Talent. Was Sie können, habe ich gestern erst wieder gesehen, denn Ihre erhabene Ode ist unübertrefflich. Sie erreichen darin nicht nur Gleims Grenadierlieder, obwohl sie bei weitem das Beste und Kräftigste sind, was er geschrieben, Sie übertreffen sogar den preußischen Grenadier. Müssen Sie also für den König sterben? Leben Sie doch für ihn! Singen Sie seinen Ruhm! Werden Sie Preußens Tyrtäos, Sie sind der Mann dazu.«

»Ach, liebster Lessing, ich möchte nicht mehr Worte machen, sondern Taten möcht' ich tun!«

»Worte sind oft Taten. Sie können schärfer treffen als Schwerter.«

»Ohne Frage. Aber gleichviel, ich halte das Leben hier nicht lange mehr aus, ich ersticke daran. Wird mir nur einmal Gelegenheit gegeben, an den Feind zu kommen? Kann ich mich irgendwie auszeichnen? Was für Kerlchens tragen den Pour le mérite! Und ich? Immer muß ich hinten stehen, niemals komm' ich in die Front. Gleim singt von Halberstadt aus prächtige Lieder zu Ehren des Königs, aber schon hört man die und jene sagen, wer weit vom Schusse sei, könne leicht von Todesbegeisterung reden. Wird mir's denn anders gehen, wenn meine Ode bekannt wird? Sitze ich nicht hier auch in guter Ruhe weit vom Schusse?«

»Sie sind hier auf Befehl des Königs,« sagte Lessing ernst. »Ich denke, Friedrichs unvergleichliche Kunst, die rechten Männer auf die rechte Stelle zu setzen, bewährt sich auch hier. Ursprünglich sollte ein General das große Lazarett beaufsichtigen, aber der König bestimmt persönlich Sie dazu. Warum? Weil der edelste und humanste Offizier seiner Armee sich zu solch einem Amte am besten schickt. Ist das nicht eine Ehre für Sie? Ich meine, es ist eine hohe Ehre, von Friedrich so gekannt und gewürdigt zu werden. Vielleicht auch meint der König, es sei schade um Ihr Leben, denn hauen und stechen könne jeder, und solche Leute kriege er immer wieder, aber ein Kleist sei schwer zu ersetzen.«

»Das wäre der Teufel!« rief Kleist. »Da wäre mir ja die Gnade Seiner Majestät verderblich, denn sie schlösse mich von der höchsten Ehre aus.«

»Kleist!« rief Lessing halb schmerzlich, halb unwillig. »Sie sind heute ganz rabiat, und es ist nichts mit Ihnen anzufangen. Begreifen Sie denn wirklich nicht, daß Sie mehr sind als bloßes Kanonenfutter?«

»Nein,« erwiderte Kleist hartnäckig. »Ich begreife nur das eine, daß es das Höchste ist, für König und Vaterland zu fechten und zu sterben, und daß man den ärmsten Kerl beneiden muß, der solch einen Tod findet. – Lassen Sie mir diese Stimmung, lieber Freund!« setzte er hinzu und legte den Arm um Lessings Nacken. »Erst seit ich in ihr lebe, seit sie mich ganz erfüllt, bin ich ein harmonischer Mensch. Früher dichtete ich schmachtende Lieder an Doris und Phyllis und besang die zarten Reize der Natur, und das war doch immerhin verwunderlich bei einem Offizier des Königs. Jetzt ist Lied und Leben eins. Was ich etwa noch singe, wird ein Schlachtgesang sein. Wollen Sie mich darum tadeln?«

»Ich Sie tadeln?« rief Lessing und umarmte ihn heftig. »Ach, ich verstehe Sie ja so gut! Heil dem Menschen, der sich mit Leib und Seele an etwas hingeben kann, was größer ist als er selbst! Er erst lebt wahrhaftig, die anderen vegetieren. Sollt' ich also Ihre Begeisterung schelten? Nein, ich bewundere sie und freue mich ihrer. Nur das eine versprechen Sie mir: daß Sie sich nicht mutwillig der Gefahr exponieren. Mutig und gelassen sterben können, wenn gestorben sein muß, ist groß und rühmenswert. Aber ohne Not den Tod suchen und mit dem Leben spielen, ist immer überspannt.«

»Seien Sie versichert, daß ich nicht wie ein Narr handeln werde,« gab Kleist zur Antwort, indem er ihm die Hand schüttelte. »Komm ich ins Feld, und einmal wird's ja doch werden, so werde ich meine Pflicht tun ohne Rücksicht auf den Tod, ihn nicht suchen, ihm freilich auch nicht aus dem Wege gehen. – Nun, was gibt's?« wandte er sich an den Diener, der ins Zimmer getreten war.

»Es ist eine Dame draußen, Herr Obristwachtmeister.«

»Eine Dame? In der frühen Stunde? Wie sieht sie denn aus?«

»Alles schwarz, Kleid und Schleier.«

»Ah, das wird die Witwe des trefflichen Majors von Blumenthal sein, der neulich leider Gottes gefallen ist. Ist sie jung?«

»Eine ganz alte,« erwiderte der treue Jacques mit einer wegwerfenden Handbewegung.

»Dann ist sie's nicht,« versetzte Kleist verwundert. »Wer mag es sein? Führe die Dame in den Salon und sage ihr, ich käme gleich. Und Sie, lieber Lessing, bitte ich, heute mittag auf einen Löffel Suppe mein Gast zu sein. Herr Obrist von Tauentzien gibt mir die Ehre, und er möchte Sie gern kennen lernen. Einstweilen tun Sie mir wohl die Liebe und führen meinen alten Lehrer und Freund ein wenig in Leipzig umher.«

»Kommen Sie, Herr Pastor, ich werde Ihnen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen,« sagte Lessing. »Und zuletzt führe ich Sie in Auerbachs Keller und erzähle Ihnen die Geschichte, wie dort der Doktor Faust auf einem Fasse mit dem Teufel die Treppen hinaufgeritten ist. Sie sehen aus, als ob Sie sich nicht vor dem Teufel, aber auch nicht vor dem Fasse fürchteten.« –

Als Kleist in das Zimmer eintrat, das ihm der Hauswirt als Empfangssalon zur Verfügung gestellt hatte, sah er sich einer völlig verschleierten Dame gegenüber. Sie erhob sich bei seinem Eintritt, und er sah mit Befremden, daß sie zitterte. »Gewiß eine arme Offizierswitwe, die um meine Verwendung beim Prinzen nachsuchen will,« dachte er, und sehr höflich fragte er: »Mit wem habe ich die Ehre, Madame?«

Da schlug sie den Schleier zurück, und er sah sich Frau von der Goltz gegenüber.

»Mein Gott! Sie, gnädige Frau?« stammelte er und fuhr zurück. »Sie, Sie kommen zu mir?« Beinah hätte er hinzugesetzt: Und wie sehen Sie aus? Denn mit Erschrecken nahm er wahr, wie alt und hinfällig sie geworden war. Fältchen neben Fältchen stand auf der Stirn, die Augen waren ohne Glanz, wie bei denen, die viel weinen, und um den feinen Mund lag ein Zug des Grames. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck müder Hilflosigkeit.

Das alles sah er auf den ersten Blick, und ein tiefes Mitleid stieg in seinem Herzen empor. Er ergriff freundlich ihre Hand und sagte: »Fassen Sie sich, gnädige Frau, und bitte, nehmen Sie wieder Platz. Sagen Sie mir, was Sie zu mir führt, ich stehe gern zu Ihren Diensten.«

Frau von der Goltz setzte sich in einen der hohen Lehnstühle, aber sie war zunächst zum Sprechen unfähig. Sie schwieg eine ganze Weile, als müsse sie mühsam ihre Gedanken sammeln. Dann begann sie leise: »Sie haben mir vor einigen Monaten ein Bändchen Ihrer Gedichte gesandt und zugeeignet, Herr von Kleist. Warum haben Sie das getan?«

»Weil ich von meiner Tante Manteuffel gehört hatte, wie – nun wie alles gekommen ist mit Wil – mit Ihrer Tochter. Ich hörte gleichzeitig, daß Sie meiner mit großem Wohlwollen gedächten, ja, daß Sie sich sehr liebevoll über mich geäußert hätten. Und da dachte ich daran, wie Sie sich vor langer Zeit die Beförderung meines Glückes angelegen sein ließen, und wie dann das Schicksal es anders gewollt hat als Sie und wir alle. Es sollte Ihnen ein Zeichen dafür geben, daß auch ich Ihrer freundlich und ohne Groll gedenke. Was Sie taten, das taten Sie ja nur aus Pflichtgefühl.«

Frau von der Goltz hatte, während er sprach, den Kopf tief auf die Brust herniedersinken lassen. Zwei große Tränen rollten über ihre hageren Wangen.

»Sie wußten, wie unglücklich ich bin?« flüsterte sie.

»Da ich Ihr mütterliches Herz kenne, mußte ich Sie für sehr unglücklich halten.«

»Ach, und doch können Sie nicht ahnen, wie sehr ich's bin! Was ich gelitten habe, was meine Tochter gelitten hat in dieser Ehe, die von den Flitterwochen an nichts war als eine Kette von Brutalitäten, empörenden Roheiten und Bosheiten, ein Martyrium« – sie brach ab, denn sie konnte vor Schluchzen nicht weiter reden.

Kleist war erblaßt in seinen Sessel zurückgesunken. Ihre Worte trafen ihn wie Hammerschläge. Gerechter Himmel! Das war aus dem Mädchen seiner Liebe geworden! Das hatte sie erleiden müssen? Er hatte wohl gehört, daß sie mit ihrem Manne in unglücklicher Ehe lebe, aber daß es so weit gekommen war, das hatte er nicht geahnt. Ein unbeschreibliches Gefühl, halb Schmerz, halb Ekel und Bitterkeit ergriff ihn. Er lehnte sein Haupt in den Sessel zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen, während Frau von der Goltz fortfuhr: »Lubowiecki war reich, als er meine Tochter heiratete, aber er war ein Spieler. Die größten Summen rannen nur so dahin, und es dauerte einige Jahre, da stand er vor dem Konkurse. Die Erbschaft der Tante Stephanie, die meine Tochter damals machte, gestattete ihm, sich zu rangieren, aber das bare Geld war wiederum bald durchgebracht, und daß er den Grundbesitz belastete, litt Wilhelmine nicht um ihres Kindes willen. Sie blieb auch fest, er mochte tun, was er wollte, und er machte ihr die Hölle auf Erden, quälte und marterte sie, wie er nur konnte. Als ich Dresden, wo sie lebten, eine Zeitlang verlassen mußte, kam es zum Äußersten. Er hat sie eingesperrt und gemißhandelt.« –

Kleist stöhnte. Dann fuhr er plötzlich auf. »Madame, warum foltern Sie mich damit? Was wollen Sie von mir? Was soll ich tun? Soll ich den Elenden vor meine Pistole fordern?«

»Das hat mein ältester Sohn bereits getan, als er die Schurkerei erfuhr. Lubowiecki ist so von ihm getroffen worden, daß er lange in Italien leben muß, um noch einmal zu genesen. Meine Tochter ist schon seit mehreren Monaten mit ihrem kleinen Mädchen bei mir. Die Scheidung der Ehe ist auch schon eingeleitet.«

»Gott sei Dank!« rief Kleist aufatmend. »Aber um so weniger verstehe ich, gnädige Frau, weshalb Sie zu mir gekommen sind.«

Frau von der Goltz sah ihm voll ins Gesicht. »Sie sollen meiner Tochter den Frieden bringen.«

»Ich? Wie könnte ich das?«

»Herr von Kleist,« hub die alte Dame an, »wir wissen jetzt alles und sehen ganz klar. Wir wissen, daß Sie das Opfer einer niederträchtigen Intrigue gewesen sind. Der elende Dorpowski kam vor sechs Monaten aus Paris nach. Dresden zurück, an einer schändlichen Krankheit leidend, die ihn aufs Sterbelager warf. Er ließ uns zu sich rufen, mich und meine Tochter, und hat uns alles enthüllt, um nicht mit der unvergebenen Sünde auf der Seele in den Tod zu gehen. Seitdem weiß Wilhelmine, daß sie um ihr Glück betrogen worden ist, und daß sie jahrelang den Mann, den sie allein wahrhaft geliebt hat, durch einen niedrigen Verdacht entwürdigte. Sie hat an Ihre Untreue geglaubt, Herr von Kleist. Und sehen Sie, das kann sie sich nicht verzeihen. Sie quält sich Tag und Nacht damit ab, daß sie an Ihnen zweifeln konnte, daß sie schlecht und treulos an Ihnen gehandelt hat, und sehnt sich nur nach einem, nach Ihrer Vergebung.«

Kleist faßte ihre beiden Hände. »Die gewähre ich ihr von ganzem Herzen. Sagen Sie ihr das.«

»Und wenn ich Sie nun bäte, Herr von Kleist, das meiner Tochter selbst zu sagen?« begann Frau von der Goltz, und als sie sah, daß er von neuem erblaßte und zusammenzuckte, fuhr sie eifrig und leidenschaftlich fort: »Ich habe nie an Ihrer Treue gezweifelt. Niemals; ich glaubte nur, Sie könnten meine Tochter nicht heimführen, deshalb löste ich das Verlöbnis. Aber ich habe die Geschichte von jener Komödiantin stets als eine Lüge angesehen, denn o, ich kenne Sie durch und durch! Sie können nicht aufhören,, das zu lieben, was Sie einmal ins Herz geschlossen haben, Sie können nicht untreu sein. Sie lieben auch meine unglückliche Tochter noch immer, das weiß ich, und deshalb habe ich es gewagt, zu Ihnen zu kommen und bitte Sie nun und flehe: Sagen Sie meiner Tochter, daß Sie ihr vergeben haben. Geben Sie ihr den Frieden der Seele zurück!«

Kleist war aufgesprungen und stand in höchster Erregung vor ihr. »Nein, Madame, nein! Das ist unmöglich, das kann ich nicht!« rief er mit bebender Stimme. »Wie können Sie mir das zumuten? Sie glauben, ich liebe Ihre Tochter noch und ach, Sie haben recht! Ich kann ja nicht vergessen! Und da verlangen Sie, ich soll sie wiedersehen, als die Frau eines anderen? Denken Sie denn, ich sei von Stein? Mein Gott, wenn ich diese Augen wieder auf mich gerichtet sähe – –«

Frau von der Goltz hob das Antlitz zu ihm empor, und aus ihren Augen brachen wieder die Tränen. »Ach, Kleist,« sagte sie, und ihre Lippen zuckten in tiefstem Weh. »Sie machen sich ein falsches Bild. Sie ist nicht mehr das schöne, begehrenswerte Mädchen, das Sie kannten, sie ist jetzt ein armes, vergrämtes und dabei todkrankes Weib.«

»Krank?« schrie Kleist auf.

»Unheilbar lungenleidend. Sie ahnt nicht, wie es um sie steht, sie meint, sie werde leben. Ich aber weiß es« – ihre Stimme sank zum Flüstern hinab –, »ich weiß es, daß sie schon vom Tode gezeichnet ist und bald sterben muß.«

Eine tiefe Stille entstand. Dann sprach Kleist mit schwerem, müdem Ton in der Stimme: »Gnädige Frau, ich stehe hier im Dienste des Königs und bin nicht mein eigener Herr. Es kann mich auch keiner der Generale beurlauben, denn ich bin Seiner Hoheit direkt unterstellt. Aber in vier oder fünf Tagen kommt Prinz Heinrich hierher. Er ist ein gnädiger Herr und wird meine Bitte nicht abschlagen. Auf zwei Tage kann ich wohl hier abkommen, und ich eile dann mit Relais nach Dresden.«

Frau von der Goltz erhob sich rasch, erfaßte seine Hand, und ehe er es zu verhindern vermochte, drückte sie einen Kuß darauf. »Dank, o tausend Dank!« stammelte sie. Dann ließ sie den Schleier wieder hinab und wankte aus dem Zimmer.


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